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Silvia Straub-Rohner: Biografisch orientierte Sozialarbeit für das Alter

Rezensiert von Prof. Dr. Harro Kähler, 18.03.2003

Silvia Straub-Rohner: Biografisch orientierte Sozialarbeit für das Alter. Edition Soziothek (Bern) 2002. 55 Seiten. ISBN 978-3-905596-94-6. 14,90 EUR. CH: 23,00 sFr.
Bezugsadresse: Edition Soziothek, Abendstrasse 30, CH-3018 Bern, Mail: mail@soziothek.ch.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Entstehungshintergrund

Es handelt sich bei dieser Studie um eine Diplomarbeit an der FHS Hochschule für Technik, Wirtschaft und Soziale Arbeit, St. Gallen (Schweiz), Fachrichtung Sozialarbeit, aus dem Jahr 2001. Die Edition Soziothek ist ein Nonprofit-Verlag, der Studien veröffentlicht, die aufgrund der kleinen Auflage sonst nicht für interessierte Fachleute zur Verfügung stehen würden. Der Verlag kann finanziell nur bestehen, weil die Studien von Personen in einer Abklärung für die Invalidenversicherung 'just in time' hergestellt werden - was für beide Seiten ein Gewinn ist.

Aufbau und Inhalte

Als Ausgangshypothese ihrer Studie behauptet die Autorin, dass Sozialarbeiterinnen oft zu wenig von der Biografie ihrer Klientinnen wissen (S. 3). Im weiteren Verlauf formuliert sie weitere Hypothesen, denen sie mit einer Reihe von Fragen nachgehen will:

  • Die bisherigen Einteilungen der Lebensalter haben für die individuellen Lebensperspektiven an Bedeutung verloren. (S. 7)
  • "Die individuelle Biografie des alten Menschen ist der Schlüssel zu seinen Bewältigungsproblemen". (S. 16)

In Verbindung mit der Ausgangshypothese ergibt sich daraus für die Autorin, dass Soziale Altenarbeit verstärkt auf eine Biografieorientierung setzen sollte. Biografisch orientierte Arbeitsprinzipien, Methoden und Interventionen sind denn auch Schwerpunkte der Darstellung.

Für dieses Programm geht die Autorin nach einer kurzen Einleitung (Kapitel 1), in der sie ihre Ausgangshypothese und einen Überblick über die Arbeit vorstellt, in zwei kurzen Abschnitten auf die Begriffe Biografie und Lebenslauf ein Kapitel 2). Biografie wird als Logik aufgefasst, die zum Teil auch widersprüchliche Lebensereignisse miteinander vereinbar werden lässt. Demgegenüber bezieht sich der Begriff des Lebenslaufs auf die objektive Abfolge von Geschehnissen im Lebensablauf. Ein knappes weiteres Kapitel (3) widmet sich den herkömmlichen Versuchen der Abgrenzung des Altersbegriffs (biologisch-medizinisches, psychologisches, soziologisches und kalendarisches Altern), wobei die Autorin nicht zwischen Alter und Altern unterscheidet.

Vor dem Hintergrund der Individualisierungstendenzen in Verbindung mit den Änderungstendenzen der Alterssstruktur (Verjüngung, Entberuflichung, Feminisierung, Singularisierung) leitet die Autorin in ihrem Kapitel 4 mit der Überschrift Strukturwandel des Alters eine zentrale Einsicht ab: "Im Laufe eines Lebens ist es zunehmend die Biografie, die alles zusammenhält. Keine andere Lebensphase bietet eine vergleichbare Pluralität über so lange Zeit bei gleichzeitig geringen gesellschaftlichen Erwartungen und Verpflichtungen wie das Alter. Der alternde Mensch lebt vor allem durch seine Biografie in der Gesellschaft. Dies macht ihn zum Exempel für die Moderne." (S. 15)

Im Kapitel 5 (Lebensbewältigung im Alter) geht die Autorin ihrer These nach, dass die individuelle Biografie den Schlüssel zur Bewältigung von Problemen im Alter darstellt. Vielfältige Anforderungen und kritische Lebensereignisse machen angesichts abnehmender traditioneller Unterstützungsmöglichkeiten eigenständige Bewältigungsstrategien notwendig. Die Autorin geht in diesem Zusammenhang u.a. auf das Selbstkonzept, auf Stressbewältigung und Coping-Assistenz sowie auf Möglichkeiten biografischen Erinnerns ein. "In der biografischen Selbstvergewisserung können Selbstwert erfahren, eigene Stärken zurückgewonnen und Mut zum Weitermachen geschöpft werden." (S. 24)

Im Kapitel 6 (Biografieforschung) thematisiert die Autorin neben der Geschichte und Bedeutung der Biografieforschung insbesondere das narrative Interview. Es bleibt hier aber unklar, wie dieser aus einem ganzen anderen Zusammenhang stammende Ansatz in der Praxis der Sozialen Altenarbeit gehandhabt werden könnte. Die Autorin schreibt selbst: "Die Auswertung des narrativen Interviews ist intensiv und zeitaufwendig." (S.31) und gibt eine Antwort auf die Fage, wie das narrative Interview in die Praxis Sozialer Altenarbeit integriert werden könnte.

Das Kapitel 7 widmet sich der Biografieorientierung in der Sozialen Arbeit für das Alter. Hierbei wird wiederum deutlich, dass die Autorin in der Biografierorientierung ein Leitprinzip für die Soziale Arbeit mit alten Menschen sieht.

Die Kapitel 8 (Biografisch orientierte Arbeitsprinzipien und Methoden) und 9 (Biografisch orientierte Interventionsprinzipien) gehen dann etwas mehr ins "Eingemachte". Sie basieren zum Teil deutlich auf Prinzipien des Empowerment-Ansatzes von Norbert Herriger (vgl. dazu die im April 2003 erscheinende Rezension der zweiten Auflage des Buchs von Herriger). Das Modell der Menschenstärke und der Kompetenzdialog werden vorgestellt. Ein weiterer Ansatz, den die Autorin skizziert, ist die Milieuarbeit und die Milieubildung als sozialräumliches Prinzip. Auch auf soziale Netzwerke und soziale Unterstützung geht die Autorin auf wenigen Seiten ein. Einige Seiten sind schließlich den Problemen und Grundprinzipien der Intervention mit biografischer Perspektive gewidmet.

Diskussion

Man merkt der Veröffentlichung deutlich den Charakter einer Diplomarbeit an. Das fängt mit dem äußeren Rahmen an (DIN A 4, Bindung wie bei Diplomarbeiten). Inhaltlich wird wichtige einschlägige Literatur herangezogen, um die Gliederungspunkte abzuarbeiten, wobei zu einem Unterthema häufig nur eine einzelne Quelle zitiert wird, ohne dass diese Auswahl näher begründet wird. Eine Vielfalt von Themen wird angesprochen, angesichts des knappen Rahmens von 55 Textseiten kann es aber nicht ausbleiben, dass doch vieles an der Oberfläche bleibt. Kleinere formale Mängel hätten eigentlich für die Veröffentlichung beseitigt werden müssen.

Problematisch erscheint mir, dass ohne weitere Differenzierung die dem Empowerment in der Tat inhärente starke Zukunftsorientierung unkritisch übernommen wird (S. 39). Hier wird in der Sozialen Altenarbeit aber wohl sehr unterschiedlich vorgegangen werden müssen, je nachdem, welche Voraussetzungen beim einzelnen Klienten anzutreffen sind. Auch die starke Tendenz des Ausblendens von Belastungserfahrungen in der biografischen Rückschau wird kritiklos vom Empowerment-Ansatz akzeptiert. Auch hier scheint mir (H.D.K.) eine offenere Haltung notwendig: vielleicht ist es für alte Menschen besonders wichtig, auch schmerzliche Erfahrungen auszusprechen und zu reflektieren.

Für LeserInnen, die schon in der Materie bewandert sind, gibt es wenig Neues zu lernen. Für LeserInnen, die sich erstmals mit den Chancen einer verstärkten Biografieorientierung beschäftigen wollen, gibt das kleine Buch einen guten Einstieg.

Fazit

Für Einsteiger in das Thema Biografiearbeit bietet das Buch eine mögliche Ausgangsbasis. Wer sich schon mit Biografiearbeit beschäftigt hat, wird weniger gut bedient.

Rezension von
Prof. Dr. Harro Kähler
Bis zur Emiritierung Fachhochschullehrer an den Hochschulen Hagen, Dortmund und Düsseldorf. Bis 2019 Redakteur der socialnet Rezensionen, Mitarbeiter in der Redaktion des socialnet Lexikons.
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Es gibt 14 Rezensionen von Harro Kähler.

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ISSN 2190-9245