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Rudolf M. Kühn: Theodor Ballauff - Revolutionär pädagogischer Denkungsart

Rezensiert von Dr. Juliane Noack Napoles, 10.08.2009

Cover Rudolf M. Kühn: Theodor Ballauff - Revolutionär pädagogischer Denkungsart ISBN 978-3-631-56001-3

Rudolf M. Kühn: Theodor Ballauff - Revolutionär pädagogischer Denkungsart. Ein Porträt. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2007. 104 Seiten. ISBN 978-3-631-56001-3. D: 19,80 EUR, A: 19,80 EUR.

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Thema

Das Ziel und Thema der Arbeit „Theodor Ballauff – Revolutionär pädagogischer Denkungsart“ ist es, die Pädagogik Theodor Ballauffs zu portraitieren und damit gleichsam den Pädagogen selbst, da er sich deren Systematik auch in seiner akademischen Lehre zu Eigen gemacht habe. Diese pädagogische Systematik Ballauffs sei durch eine prinzipielle Offenheit für Denken und Weiterdenken unter der Leitidee der Menschlichkeit zum einen und dem pädagogischen Postulat der „Freigabe“ zur Selbständigkeit im Denken zum anderen charakterisiert (S.8).

Aufbau und Inhalt

Nach Rudolf M. Kühn lege der Einblick in Theodor Ballauffs Lebenswerk den Versuch nahe, den Umriss seiner Grundgedanken in zumindest sechs Themenkreisen, gleichsam Ballauffs Arbeitsgebiete, zu erschließen. Entsprechend gliedert er seine Arbeit wie folgt:

  1. Die bildungstheoretische Begründung der Pädagogik (S. 13-20)
  2. Bildung als Wende zur Menschlichkeit (S. 21-33)
  3. Die Infragestellung der traditionellen „Persönlichkeitsbildung“ (S. 35-38)
  4. „Skeptische Didaktik“ – eine provokante Theorie? (S. 39-49)
  5. Die Schule im Auftrag der Bildung – die Schultheorie Theodor Ballauffs (S. 51-63)
  6. Sprecher der Wahrheit – Theoder Ballauffs „wieder gefundener Lehrer“ (S. 65-76)

Eingebettet ist dieser Umriss der Grundgedanken in eine Herleitung des Erkenntnisinteresses Ballauffs und seines Werdeganges zu Beginn des Buches (S.7-12). Ausgangspunkt ist eine kritische Betrachtung der überkommenen humanistischen Bildungslehre, bei der sich alles um den Menschen als Subjekt, als „Persönlichkeit“, als „Herrn der Welt“ drehe und die Einsicht, dass, wie (nicht nur) die beiden Kriege des Jahrhunderts und die Inhumanitäten in unserer Welt zeigten, das neuzeitliche „Projekt Humanismus“ gescheitert sei. Damit ein Portrait zustande komme, Kontur erhalte und nicht zu blass ausfalle, müsse entschieden werden, womit begonnen werde. Kühn beginnt sein Ballauff Portrait mit einem Satz aus Ballauffs Systematischer Pädagogik: „Aller Erziehung liegt daran, nicht so sehr ‚Anpassung‘ zu erreichen, als vielmehr die Bedingungen und Grundlagen zu gewähren, von denen aus der Jugendliche eines Tages in der Lage ist, sein Leben ‚besser‘ zu erfüllen, als es der älteren Generation gegeben war. Das ‚Bessere‘ zu ermessen, ist stets gemeinsame Sache.“ (Ballauff, 1970, S.66). Dafür müssten in der Pädagogik – bedenkt man das Scheitern des Humanismus – Konzeptionen für Menschsein gedacht werden, die zwar keinen Anti-Humanismus verkünden und lehren würden, stattdessen aber ein Bedenken des Humanen. Unter diesen Anspruch sei das Lebenswerk Theodor Ballauffs gestellt (S.8) und obwohl es sich einer Zuordnung in eine der gängigen wissenschaftstheoretischen Richtungen entziehe, könne sich Kühn Klaus Schaller anschließen, der Ballauffs bildungsphilosophisches Denken als eine im neuen Sinne „transzendentalphilosophische Denkweise“ kennzeichnet.

Nach Ballauff sei die Pädagogik eine Wissenschaft, wenn sie dem Denken unterstellt sei, d.h. wenn sie einen nachvollziehbaren Begründungszusammenhang darstelle, wenn sie ihre Aussagen, Thesen, Theoreme ebenso begründe wie ihre eigenen Grundlagen und Voraussetzungen (S.15). Wissenschaftlichkeit bestehe hier also in einem denkenden Vorgehen, als Gedankengang. Gleichsam erwachse die Themenstellung der Pädagogik als Wissenschaft aus der geschichtlichen Ideation, durch die Erhellung des im Denken sich Erschließenden zur Idee, d.h. zu einem Allgemeinen, Umfassenden (S.16). Für die Pädagogik sei eine solche ‚transzendentale Idee‘, die deren Aufbau systematisch durchzuführen gestatte und zugleich systematische Pädagogik unumgänglich mache, die Idee der Menschlichkeit. Diese ermögliche überhaupt erst den theoretischen Entwurf einer systematischen Pädagogik und gebe Ziel und Weg voraus, sie müsse ein Maß angeben und stelle eine Aufgabe (S.19). Gegenüber anderen Wissenschaften erwachse die Idee der Menschlichkeit in der Pädagogik aus dem Wissen um die unerreichte Menschlichkeit und damit sei ihr Anliegen, Menschlichkeit erreichbar werden zu lassen und ihren Inhalt zu entwerfen. Ballauff fragt also nicht nach dem Menschen als einem Seienden unter Seiendem, sondern nach der Menschlichkeit und damit nach dem fundamentalen Bezug des Menschen zum Sein alles Seienden (S.22). Mit Ballauff gesprochen: „ … wir müssen nach Menschlichkeit suchen und sie erreichbar werden lassen. Das ist die Grundthese der Pädagogik.“ (Pädagogik als Bildungslehre, 3. Auflage, S. 19). Daraus folge, dass der Mensch nicht ein Selbst zu suchen habe wie ein Seiendes, sondern er ist er selbst, wenn er sich dem Denken und der Wahrheit zugehören lasse (S.24). In der Zugehörigkeit zur Wahrheit werden die Dinge und Wesen dieser Welt ihrer selbst erst ansichtig auf das hin, was sie sind und sein können. Grundformel dieses Wahrheitsanspruches sei dann, ein jedes als es selbst zu denken, zu behandeln, zu beurteilen, es freizugeben in seine unversehrte Anwesenheit und es damit aus der Medialität und Instrumentalität zu befreien (S.26). Durch dieses „Etwas-selbst-zu-denken“ erst, bekomme der Begriff „Selbstsein“ seinen Sinn: Selbstsein bedeute nicht ein zu vergegenständlichendes „Etwas“, kein menschliches Attribut, sondern dieses Wort spreche uns auf Menschlichkeit hin an, alles als es selbst sein zu lassen, eben in bedachter Rede und besonnener Tat. Bildung bestehe dann in der Freigabe jedes einzelnen Menschen zur Selbständigkeit im Denken (im Gegensatz zum selbständigen Denken)( S.29) und Erziehung im strengen Sinne in der Bemühung um die Wendung von Bildung als Mittel zur „Selbstverwirklichung“ und „Selbstsicherung“ zur Bildung als Denken der Wahrheit (S.30). Insofern könne Erziehung in diesem Sinne nur Anleitung und Geleit sein (S.31).

Die aus diesem Gedankengang resultierenden Ansichten Ballauffs bezogen auf Schule, Unterricht und den Lehrer werden in den letzten drei Kapiteln/Themenkreisen nachgezeichnet. Des Weiteren und in Anschluss an die sechs dargestellten Themenkreise finden sich diese eingebettet in Einwände gegenüber Ballauffs Werk (S.77-79) und Bemerkungen zur Rezeption seines Werkes (S.81-83). Ein Anhang, in dem die Konstruktionsprinzipien pädagogischer Systematik schematisch gegenübergestellt werden (S.87-88) und der das Gespräch zwischen Rainer Winkel und Theodor Ballauff (S.89-96) beinhaltet, rundet das Portrait abschließend ab.

Diskussion

Das Werk Theodor Ballauffs ist nicht nur in quantitativer Sicht sehr umfangreich, wie sich auch dem Literaturverzeichnis (S.97) Kühns entnehmen lässt, sondern ebenso sind es seine Gedankengänge an sich. Also sind es nicht Fragen danach, ob Kühns Portrait „Neues“ präsentiere, ob bislang unentdeckte Zusammenhänge aufzeigt worden seien oder ob es didaktisch so arrangiert sei, dass die Pädagogik Ballauffs leichter verständlich in Szene gesetzt werde (Fuchs, 2007) nach denen Rudolf M. Kühns Portrait eingeschätzt werden sollte, sondern danach, ob es das Charakteristische von Ballauffs Denken zum Ausdruck bringt. Das heißt in diesem Falle, die Rezension einer sekundärliterarischen Quelle sollte dazu dienen, einschätzbar zu machen in wie fern erstens, das Charakteristische des Primärwerkes dargestellt und zweitens inwiefern dazu beigetragen wird, dieses Charakteristische nachvollziehbar zu machen. Dieses Charakteristische, so Kühns als Untertitel aufgenommene These, ist, dass Ballauff als Revolutionär pädagogischer Denkungsart gelten kann – eine Anspielung auf Kants „Revolution der Denkungsart“, einem Denken, bei dem das „Sein“ des Menschen im Selbstseinlassen der Dinge und Mitmenschen beschlossen liegt. Rudolf M. Kühn führt in seinem Buch „Theodor Ballauff – Revolutionär pädagogischer Denkungsart“ in das Denken Theodor Ballauffs ein, indem er seine Arbeitsgebiete als Themenkreise aufbereitet hat. So bekommt man als Leser einerseits einen strukturellen Überblick über das Werk und andererseits wird es durch die jeweilige Ausgestaltung des Themenkreises ermöglicht sich den Gedankengängen zu überlassen. Diese Ermöglichung der „Selbständigkeit im Denken“, d.h. der Freigabe zur Selbständigkeit im Denken umschreibt das, was für Ballauff Bildung ist. Dies wird jedoch nicht nur über die Gliederung der Arbeit erreicht, sondern auch mit Hilfe drei weiterer Punkte. Erstens, die kritische Würdigung von Ballauffs Arbeit in Form von prinzipiellen Einwänden und deren möglichen Entkräftigungen, was für das Grundsätzliche am Werk und an der Kritik sensibilisiert und zum tieferen Nachdenken darüber anregt. Zweitens, eine sich im Anhang befindende schematische Gegenüberstellung der ballauffischen Thesen und ihrer Antithesen. Und drittens das Gespräch zwischen Rainer Winkel und Theodor Ballauff „Die Pädagogik der Selbstlosigkeit oder: Liegt die Wahrheit bei den Ketzern“, das das Portrait dadurch abrundet, dass es Ballauff selbst zu Wort kommen lässt und dadurch gleichsam das zuvor Dargelegte zusammenfasst.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Arbeit „Theodor Ballauff – Revolutionär pädagogischer Denkungsart“ von Rudolf M. Kühn einerseits sehr hilfreich ist, um sich einen ersten Überblick über Theodor Ballauffs Werk zu verschaffen und andererseits, weil sie den Leser unmittelbar in die einzelnen Gedankengänge Ballauffs verwickelt, so dass Orientierung und Motivation entstehen sich mit dem Werk Ballauffs eingehender auseinanderzusetzen.

Literatur

Ballauff, Theodor (1970): Systematische Pädagogik. Heidelberg.

Ballauff, Theodor (2000): Pädagogik als Bildungslehre. 3., weitergearb. Auflage aus dem Nachlass. Hrsg. von Andreas Poenitsch und Jörg Ruhloff. – Baltmannsweiler.

Fuchs, Thorsten: Rezension von: Kühn, Rudolf M.: Theodor Ballauff - Revolutionär pädagogischer Denkungsart, Ein Porträt. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363156001.html

Rezension von
Dr. Juliane Noack Napoles
Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne der Universität zu Köln
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Es gibt 12 Rezensionen von Juliane Noack Napoles.

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ISSN 2190-9245