Jochen Spielmann, Walter Zitterbarth et al. (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI)
Rezensiert von Gesa Bertels, 25.11.2009
Jochen Spielmann, Walter Zitterbarth, Mina Schneider-Landolf (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2009. 296 Seiten. ISBN 978-3-525-40152-1. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 69,00 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-525-40193-4 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist ein Konzept zur Arbeit mit Gruppen. Es dient dazu, Themen, Lerninhalte, Aufgaben o.ä. in das Zentrum der Gruppenteilnehmer zu stellen, und diese dann in der gemeinsamen Interaktion aller Beteiligten zu bearbeiten. Dabei sind von der Gruppenleitung stets vier Faktoren zu beachten und in einer dynamischen Balance zu halten: Ich, Wir (Kompetenzen und Bedürfnisse des Einzelnen sowie der Gruppe), Es (Sachanforderungen) und der Globe (Rahmenbedingungen, Umfeld). Dieses Vier-Faktoren-Modell, zumeist bildlich dargestellt als ein Dreieck in einer Kugel, stellt das Kernstück der TZI dar und kann für vielfältige Settings der Gruppenarbeit als Planungs-, Steuerungs- und Reflexionsinstrument dienen.
Nun ist zum ersten Mal ein Handbuch zur Themenzentrierten Interaktion erschienen, das zum Ziel hat, „das Konzept der TZI … umfassend, systematisch und wissenschaftlich reflektiert darzustellen“ (S. 13).
Herausgeberin und Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Umgesetzt wurde diese Idee von einem dreiköpfigen Herausgeberteam. Mina Schneider-Landolf ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Supervisorin. Sie ist in einer eigenen psychologischen Praxis in Berlin und zudem freiberuflich in den Bereichen Lehrerfortbildung, Gesprächsführung und Ausbildung von Führungskräften tätig. Ebenfalls in Berlin ist Dr. Jochen Spielmann tätig, Kunsthistoriker, Diplom-Pädagoge und Supervisor. Er arbeitet freiberuflich in den Bereichen Bildung und Kultur, Schulentwicklung, Aus- und Fortbildung von Führungskräften sowie Hochschuldidaktik. Dr. Walter Zitterbarth ist Diplom-Psychologe, systemischer Lehrtherapeut und Hochschullehrer für Philosophie aus Marburg. Außerdem ist er Redakteur der Fachzeitschrift „Themenzentrierte Interaktion“. Alle drei sind darüber hinaus Lehrbeauftragte für TZI.
Dieses Team wird ergänzt durch 40 Autorinnen und Autoren, die überwiegend ebenfalls Lehrbeauftragte für TZI oder aber mit dem TZI-Diplom ausgestattet sind.
Aufbau und Inhalt
Die insgesamt 56 Beiträge in diesem Handbuch sind in sechs inhaltliche Schwerpunkte, von den Herausgebern „Abteilungen“ genannt, gegliedert.
Ihnen sind vier einführende Beiträge vorangestellt. Das Geleitwort von Friedemann Schulz von Thun gleicht einem kleinen Loblied auf die TZI. Jubelnd stellt er mehrfach fest „TZI lebt!“, „Es lebe TZI“. Seine Aussage kann unterschiedlich aufgefasst werden. Er selbst führt diese Neuerscheinung als „Beweisdokument“ für seine Auffassung an. Zugleich kann jedoch auch die Frage nach dem Umkehrschluss aufkommen. Ist die TZI evtl. schon einmal totgesagt worden? Falls ja, hier kann man Schulz von Thun zustimmen, ist dieses Buch sicher ein lebendiges Gegenargument. Nach einigen Lesehinweisen der drei Herausgeber zeichnet der Initiator des Buches, Jochen Spielmann, dann verantwortlich für den inhaltlichen Einstieg. Zu der Frage „Was ist TZI?“ begegnet der Leser zum ersten Mal dem Vier-Faktoren Modell, das in seiner typischen Abbildung eines Dreiecks in einer Kugel auch das Cover ziert. Heidi Greving wählt anschließend den biographischen Einstieg und stellt Ruth Cohn, die Begründerin der TZI, vor.
Nach diesen Einführungen widmet sich die erste inhaltliche Abteilung den Grundlagen der TZI. Hier werden zum einen historische und politische Hintergründe beleuchtet, aber auch die Wurzeln in der Psychoanalyse, Psychologie, Pädagogik und Philosophie sowie jüdisch-christliche und humanistische Einflüsse betrachtet.
Es folgen zwei Abteilungen zum System der TZI, die sich insbesondere an diejenigen richten, die sich die TZI systematisch erschließen möchten. Die Beiträge in diesen beiden Abschnitten sind überwiegend ähnlich aufgebaut. Auf eine Definition der jeweiligen Begrifflichkeit folgen zunächst ein Blick auf die Herkunft und anschließend Erläuterungen. Den Abschluss bilden Anmerkungen zur Rezeption, bzw. Kritik oder ein Ausblick. Der erste dieser beiden Schwerpunkte stellt das System der TZI: Theorie in den Vordergrund. Hierunter sind Beiträge zu den Axiomen, Postulaten sowie dem Vier-Faktoren-Modell zu finden. Besonders empfehlenswert: der Artikel von Mina Schneider-Landolf zum System der TZI. Der mit 11 Seiten längste Beitrag dieses Handbuchs gibt einen Überblick darüber, wie die einzelnen Teile im Konzept der TZI zusammengehören. Er bleibt aber nicht bei der einfachen Darstellung stehen, sondern bietet mehrere, auch aktuelle Zugänge und blendet darüber hinaus auch kritische und offene Fragen nicht aus. Die Abteilung System der TZI: Praxis widmet sich praktischen Handlungsanweisungen für das Leiten von Gruppen. Hier findet der Leser Bezüge zu für die TZI zentralen Aspekten wie Themenformulierung, Struktur, Arbeits- und Sozialformen, dem Dreieck von Struktur, Prozess und Vertrauen, der partizipierenden Leitung sowie Leitungsinterventionen, Hilfsregeln und Phasenmodellen der Gruppenentwicklung. Spätestens hier wird eine kleine Schwachstelle dieses Handbuchs deutlich. Die Ausdifferenzierungen in einzelne Abteilungen mit ihren verschiedenen Facetten erscheinen teils nicht trennscharf. Insbesondere bei den Abteilungen II (System der TZI: Theorie) und III (System der TZI: Praxis) sowie IV (Ausdifferenzierung von TZI) und V (Facetten von TZI) erscheint die Frage angebracht, ob diese Unterscheidungen wirklich gewinnbringend sind.
Unter IV Ausdifferenzierung von TZI ist zunächst ein Beitrag zu finden, der die TZI als professionelles pädagogisches Konzept im Kontext der Professionalisierungsdebatte der Pädagogik ansiedelt. Darüber hinaus findet sich hier eine Ausdifferenzierung des Vier-Faktoren-Modells durch Walter Lotz, dargestellt von Walter Zitterbarth, der den Fokus auf die Achsen des Dreiecks lenkt (d.h. Ich-Es > Bildung, Ich-Wir > Begegnung, Wir-Es > Kooperation). Außerdem sind in dieser Abteilung Beiträge zur kommunikativen Theologie, TZI als Lebenskunst und Generative Leadership versammelt. Bei Generative Leadership handelt es sich um eine niederländische Weiterentwicklung, die Erkenntnisse der Systemtheorie mit einbezieht, und zudem in diesem Kontext durch eine TZI-ungewöhnliche Rhetorik auffällt („…jede Chairperson loggt sich auf… die Themen ein“, S. 232).
Die Abteilung V Facetten der TZI eröffnet Andrea Dlugosch mit einem Plädoyer für eine Diskurskultur, in der kritische Anfragen an das Konzept konstruktiv aufgenommen werden. In einem weiteren Beitrag spricht sich Eike Rubner dafür aus, die Schattenseiten von Kommunikations- und Arbeitsprozessen in Gruppen stärker in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus finden sich hier Artikel zu Spiritualität, Gefühlen, Rivalität und Konkurrenz, Interkulturalität und Diversity, Gender sowie zwei Kapitel zur Institutionalisierung bzw. Ausbildung.
Die abschließende Abteilung VI Wechselwirkungen: TZI und… ist sicherlich vor allem für diejenigen Leser interessant, die sich die TZI von der eigenen beruflichen Tätigkeit ausgehend erschließen möchten. Hier werden alle fündig, die mehr über TZI und Psychotherapie, Beratung, Supervision, Organisationsentwicklung, Soziale Arbeit, Führungskräfte, Schule, Erwachsenenbildung und Berufs(Aus-)bildung erfahren möchten. Denkbar wäre, diesen Bereich bei zukünftigen Auflagen noch zu erweitern, z.B. um die Arbeitsfelder Hochschule oder außerschulische Jugendarbeit/-bildung.
Diskussion
Das Handbuch hält, was die Zielsetzung verspricht. Es liefert einen gebündelten, sehr umfassenden Einblick in den aktuellen Stand der Theorieentwicklung.
Dabei bietet es zugleich durch die in sich abgeschlossenen, kurzen Beiträge eine hohe Lesbarkeit. Das Bild der TZI setzt sich beim Lesen der einzelnen Kapitel wie ein Mosaik Stückchen für Stückchen zusammen. Wegen der vom Umfang her leicht verdaulichen Abschnitte (die meisten Artikel umfassen ca. 5-6 Seiten) und der zugleich vielschichtigen Themen lädt das Buch (fachbuch-ungewöhnlich) zum Schmökern ein. Zugleich bleibt wegen der Kürze der Textabschnitte natürlich auch manches an der Oberfläche (z.B. Jens Röhling, TZI als Lebenskunst).
Das Handbuch spricht eine breite Leserschaft an. Sowohl TZI-Neulinge, die grundlegende Informationen suchen, als auch Leser mit Vorkenntnissen, die sich z.B. in der TZI-Ausbildung befinden und „alte Hasen“ werden hier fündig. Dazu trägt die breite Streuung der Themen bei. Die zentralen Abteilungen I, II und III stellen dabei quasi die „Pflicht“ dar. Die Abteilungen IV, V, und VI bilden die „Kür“.
Zum positiven Gesamteindruck trägt nicht zuletzt auch das gelungene Layout bei. Einziger Wermutstropfen ist der relativ hohe Preis.
Fazit
Das vorliegende Handbuch löst seinen Anspruch ein, zugleich ein Theoriebuch, ein Nachschlagewerk sowie ein Lehr- und Lernbuch zu sein (S. 13). Es hat sicher das Potenzial, sich zu einem Standardwerk der TZI zu entwickeln.
Rezension von
Gesa Bertels
Soziologin (M.A.) und Diplom-Sozialpädagogin (FH), wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), München
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Es gibt 19 Rezensionen von Gesa Bertels.
Zitiervorschlag
Gesa Bertels. Rezension vom 25.11.2009 zu:
Jochen Spielmann, Walter Zitterbarth, Mina Schneider-Landolf (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2009.
ISBN 978-3-525-40152-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7635.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.
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