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Eia Asen, Michael Scholz: Praxis der Multifamilientherapie

Rezensiert von Dipl. Soz.-Arb. Annegret Sirringhaus-Bünder, 24.04.2010

Cover Eia Asen, Michael Scholz: Praxis der Multifamilientherapie ISBN 978-3-89670-662-1

Eia Asen, Michael Scholz: Praxis der Multifamilientherapie. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2009. 165 Seiten. ISBN 978-3-89670-662-1. D: 19,95 EUR, A: 18,50 EUR.

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Thema

Multifamilientherapie ist ein noch relativ junges Verfahren in der familientherapeutischen Arbeit, in dem anstelle einer einzelnen Arbeit mit einer Familie mehrere Familien zu einem gemeinsamen Arbeitskontext zusammengeführt werden. Ziel dieser Arbeit ist, Familien anzuregen, sich gegenseitig zu helfen, indem sie aktiv miteinander in einen Austausch über ihre Fragen und Probleme, ihre Erfahrungen, Lösungswege und Ressourcen gehen.

Aufbau

Das Buch ist in 5 Kapitel gegliedert. Vorangestellt ist ein Vorwort von Jochen Schweitzer sowie einige Vorbemerkungen der Autoren, zur Zielgruppe, die mit diesem Buch angesprochen werden soll und den Möglichkeiten und Grenzen des Buches. Ein ausführliches Literaturverzeichnis schließt das Buch ab.

Inhalt

Ziel des kleinen Buches ist:

  • Einen Überblick über den aktuellen Stand des Verfahrens der Multifamilientherapie zu geben;
  • Kollegen zu inspirieren, sich mit den Idee der MFT anzufreunden, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, eventuell ein Training in diesem Verfahren zu beginnen, um dann vielleicht mit einem kleinen Projekt anzufangen;
  • Interessierte dazu anzuregen, dieses relativ junge Verfahren noch in anderen, bisher unerschlossenen Bereichen einzusetzen und/oder in traditionellen Kontexten zu erproben.

Das 1. Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung und die grundlegenden Prinzipien der Multifamilientherapie (MFT). Sie basiert auf Erkenntnissen, Konzepten und Techniken aus der Gruppen- und systemischen Einzelfamilientherapie. Die Praxis der simultanen Arbeit mit mehreren Familien entwickelte sich in den USA, wo in den 1940er und 1950er Jahren verschiedene Teams die Großgruppenarbeit mit chronisch psychotischen Patienten und ihren Angehörigen ausprobierten. In Großbritannien fasste die MFT in den 1970er Jahren vor allem im tagesklinischen Bereich Fuß. MFT lässt sich in offenen und geschlossenen Gruppen sowohl ambulant wie stationär durchführen. Sie wird als eine Form systemischer und gleichzeitig multimodaler therapeutischer Arbeit beschrieben, die eine besondere Herausforderung nicht nur an die beteiligten Familien sondern auch an das therapeutische Personal stellt. Die Therapeutenrolle erfährt dabei einen Paradigmenwechsel, bei dem nicht nur die Verantwortung für Veränderungsprozesse konsequent bei der Familie bleibt, sondern die Erwartung besteht, das sich die Familien gegenseitig helfen, während sich der Therapeut auf den (therapeutischen) „Rücksitz“ begibt.

Das 2. Kapitel ist mit „Allgemeines zu den MFT-Techniken“ überschrieben. Es enthält Hinweise wie eine Multifamilientherapie in den beiden o.g. Settings begonnen werden kann, wie die Therapeuten einen Kontext der Begegnung und des Austausches schaffen und welche Rolle und Aufgaben dem Therapeuten dabei zufallen. Die Therapeutenpositionen und –aktivitäten werden dabei mit einem Vogel vegliochen, der sozusagen um die – und über die Familien seine Kreise zieht. Er ist der „Kontextmacher“, der ein Setting mit einem angenehmen Klima schafft, um eine gute therapeutische Allianz aufzubauen. In den Schritten, anvisieren, anfüttern, anwärmen, ausfliegen, koppeln, beflügeln, kreisen und herauspicken werden die Familien angeregt, ihre Probleme und Schwierigkeiten in Anwesenheit der anderen Familien anzusprechen, sich aktiv mit ihnen auszutauschen, miteinander warm zu werden und weiter ohne die Hilfe des Therapeuten zu interagieren. Erspäht der Therapeut aus seiner Metaposition in einer Familie störungsspezifische Interaktionen „fliegt“ er ein, benennt die beobachtete Interaktion, vergleicht sie mit der Wahrnehmung der Familie, bewertet mit ihr gemeinsam die Situation, lädt die Familienmitglieder ein, ihre spezifischen Änderungsvorstellungen zu äußern und überlegt gemeinsam mit der Familie einen ersten konkreten Schritt in Richtung der gewünschten Veränderung. Währenddessen werden die nicht betroffenen Gruppenmitglieder aufgefordert analog eines griechischen Chores oder des reflektierenden Teams nach Tom Andersen, ihre Perspektiven einzubringen.
Spezifische MFT-Techniken, wie Videofeedback, Rollentausch, Adoptivverfahren oder Urkunden werden kurz beschrieben und Hinweise auf den Umgang mit typischen Schwierigkeiten und Problemsituationen gegeben.

Den Kern des Buches bildet das 3. Kapitel. Es enthält eine Zusammenstellung und jeweils kurze Beschreibung von spezifischen MFT-Übungen, die in den verschiedenen MFT-Settings benutzt werden. Sie gliedern sich in gruppenbezogene, familienbezogene, elternbezogene, individuumsbezogene und störungsbezogene Übungen.

Im 4. Kapitel gehen die Autoren auf spezielle Anwendungsgebiete und Projekte ein. Beschrieben wird die MFT-Arbeit mit Multiproblemfamilien, mit ADHS, Asperger und anderen kinderpsychiatrischen Diagnosen, mit Schul- und Lernstörungen, mit Anorexia nervosa, Bulimia nervosa sowie mit Schizophrenie und anderen Psychosen.

Um praktische Erwägungen geht es im 5. und letzten Kapitel. Hier werden kurze Antworten auf folgende Fragen gegeben:

  • Wie wirksam ist Multifamilientherapie?
  • Was wirkt bei der MFT?
  • Welcher Personalbedarf ist erforderlich?
  • Welche räumliche Ausstattung und welcher Arbeitskontext wird benötigt?
  • Finanzielle Grundlagen und Argumente für Verhandlungen mit den Kassen
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht
  • Dokumentation
  • MFT-Ausbildung
  • Umgang mit arbeitenden Eltern
  • Umgang mit Sprachbarrieren
  • Kontraindikationen zur MFT

Diskussion

Das Buch gibt einen guten ersten Überblick über die Multifamilientherapie als besonderen Kontext familientherapeutischer Arbeit. Es spannt einen Bogen von den grundsätzlichen Annahmen, über mögliche Settings, der Grundhaltung und besonderen Aufgaben der Therapeuten bis zu spezifischen Übungen und praktischen Erwägungen. Alle wesentlichen Aspekte werden dabei kurz und prägnant umrissen. Die meisten der beschriebenen Übungen werden Praktikern bekannt sein aus Kontexten der Gruppenarbeit, der Paar- und Familienberatung oder z.B. des lösungsorientierten Arbeitens. Interessant ist jedoch die Art der Anwendung im Kontext der MFT. Das Buch ist in einfacher, motivierender Sprache geschrieben und übersichtlich gegliedert, so dass es sich leicht und schnell lesen lässt. Dass das, was beim Lesen so einfach klingt, bei der Umsetzung in die Praxis nicht immer leicht ist, wird, der/die erfahrene Familientherapeut/in zwischen den Zeilen lesen. Der Hinweis auf MFT-Ausbildungen, die am besten auf einer systemischen Grundausbildung aufbauen, sollte nicht überlesen werden.

Fazit

Das Buch gibt Praktikern einen guten ersten Einblick in Setting, Methodik und therapeutische Grund-Haltung in der Multifamilientherapie und ist dafür sehr zu empfehlen. Es will und kann aber kein Training ersetzen.

Es wäre zu wünschen, dass dieses Buch dazu beiträgt, MFT in Deutschland bekannter zu machen und Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, sich in MFT ausbilden zu lassen, um dann entsprechende Projekte zu initiieren. Gerade weil, wie Jochen Schweitzer in seinem Vorwort schreibt, „zunehmend kleinere Familien mit wenig sozialem Netzwerk und vielen Überlastungsproblemen in der Multifamilientherapie ein Maß an Unterstützung und Anregung bekommen können, die ihnen keine andere Therapieform bieten kann“, leistet dieses Buch einen interessanten Beitrag auch für die Diskussion über Sinn und Effizienz angebotener Hilfen. Ein einfaches Unterfangen wird dies bei der derzeitigen Finanzsituation der Träger von Jugend- und Familienhilfe bzw. der Krankenkassen nicht sein.

Rezension von
Dipl. Soz.-Arb. Annegret Sirringhaus-Bünder
Dpl. Sozialarbeiterin, Supervisorin (DGSF), Lehrende für systemische Beratung und –Therapie (DGSF), MarteMeo-Licensed Supervisor, freie Praxis für Fort- und Weiterbildung, Supervision und Coaching, Einzel-, Paar-, und Familienberatung in Brühl /Rhld.
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Es gibt 15 Rezensionen von Annegret Sirringhaus-Bünder.

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Zitiervorschlag
Annegret Sirringhaus-Bünder. Rezension vom 24.04.2010 zu: Eia Asen, Michael Scholz: Praxis der Multifamilientherapie. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2009. ISBN 978-3-89670-662-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7668.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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