Arne Weidemann, Jürgen Straub et al. (Hrsg.): Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz?
Rezensiert von Elke Möller, 04.04.2011

Arne Weidemann, Jürgen Straub, Steffi Nothnagel (Hrsg.): Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Ein Handbuch.
transcript
(Bielefeld) 2010.
366 Seiten.
ISBN 978-3-8376-1150-2.
29,80 EUR.
CH: 49,90 sFr.
Reihe: Kultur und soziale Praxis.
Entstehungshintergrund
Die Globalisierung unserer Lebens- und Berufswelt, die Internationalisierung der Hochschulen sowie der Bologna-Prozess haben der Forderung nach der Vermittlung von interkultureller Kompetenz an den bundesrepublikanischen Hochschulen besondere Dringlichkeit und eine besondere politische Brisanz verliehen. Das vorliegende Handbuch greift dieses wichtige hochschulpolitische Thema auf. Es markiert den Abschluss eines 2001 gestarteten Forschungsprogramms dessen Kern seit 2004 das interdisziplinäre Graduiertenkolleg „Interkulturelle Kommunikation – Interkulturelle Kompetenz“ war. Das Programm war institutionell eingebettet in das Kulturwissenschaftliche Institut Essen und den Lehrstuhl für interkulturelle Kommunikation der Technischen Universität Chemnitz (TU Chemnitz). Maßgeblich finanziell gefördert wurde es von der Hans-Böckler-Stiftung als weiteren institutionellen Partner.
Herausgeber und Herausgeberin
Arne Weidemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für interkulturelle Kommunikation der TU Chemnitz, Steffi Nothnagel war dort ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin und geht derzeit dieser Tätigkeit an der Professur Erziehungswissenschaft der TU Chemnitz nach. Jürgen Straub war bis 2008 Inhaber des Lehrstuhls für interkulturelle Kommunikation der TU Chemnitz und lehrt nun Sozialtheorie und Sozialpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Von zentralem Erkenntnisinteresse des Forschungsprogramms waren die Fragen, um was genau es sich denn bei „interkultureller Kompetenz“ eigentlich handelt, mit welchen Methoden interkulturelle Kompetenz, Kommunikation und Kooperation erforscht werden können und schließlich wie interkulturelle Kompetenz vermittelt werden kann.
In dem vorliegenden Handbuch gehen in insgesamt fünf Teilen und 23 einzelnen Beiträgen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlichster Fachdisziplinen, die mit der Lehre interkultureller Kompetenz im Kontext Hochschule befasst sind, diesen Fragen nach.
Aufbau und Inhalt
Im einleitenden Teil widmen sich die drei Herausgeber Hauptmerkmalen des theoretischen Begriffs „interkulturelle Kompetenz“ und damit der Frage, was denn überhaupt vermittelt werden soll. Dass es keine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt, ist Stand der Forschung. Komplexe begriffstheoretische Annäherungen werden durch Komponenten- und Konstituentenmodelle handhabbar, die hier exemplarisch vorgestellt und in ihren Möglichkeiten und Grenzen diskutiert werden. Als Charakteristika all dieser Modelle identifizieren die Autoren, „dass sich ‚interkulturelle Kompetenz‘ aus vielerlei psychischen Dispositionen, Wissenbeständen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammensetzt“ und daher eine emotionale, eine kognitive sowie eine konative Dimension umfassen. Interkulturelle Kompetenz ergreift somit die „tieferen Schichten einer Person“ (Weidemann, Straub, Nothnagel, Teil 1: Einleitung, S. 18, 21). Dass dies sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden vor besondere Anforderungen stellt, wird hier evident. Den Beiträgen des Handbuchs liegt ebenfalls keine einheitliche Definition von interkultureller Kompetenz zugrunde. Jedoch basieren diese auf dem Grundkonsens, dass eine gezielte Vermittlung von Lern- und Lehrinhalten sich immer nur auf einzelne Konstituenten oder Komponenten von interkultureller Kompetenz beziehen kann.
Im
zweiten Teil
des Handbuchs werden theoretische Grundlagen für die Vermittlung
von interkultureller Kompetenz behandelt. Jürgen
Straub fokussiert in
seinem Beitrag die lerntheoretische Basis. Immer noch ist die Frage,
wie sich interkulturelles Lernen vollzieht unzureichend theoretisch
aufgearbeitet. Vorhandene und gängige Modelle zur Klärung
dieser Frage werden kurz beschrieben und ihr Für und Wider näher
beleuchtet. Straub
stellt sodann eingehend den bislang in der Fachdiskussion kaum zur
Kenntnis genommenen lerntheoretischen Ansatz des Psychologen Klaus
Holzkamp sowie den diesen - aus Straubs
Sicht - komplementär
ergänzenden phänomenologischen Ansatz von Käte
Meyer-Drawe vor und
stellt deren
Erklärungspotenziale
für die Beantwortung der Frage, wie sich interkulturelles Lernen
vollzieht, dar.
Lothar
Bredella thematisiert in
einem weiteren Beitrag, warum es bislang keine einheitliche Methodik
für die Vermittlung interkultureller Kompetenz gibt. Die Ursache
hierfür sieht er darin, dass Erklärungsmodelle
interkultureller Kompetenz sich auf unterschiedliche
Anwendungssituationen derselben beziehen, woraus sich
unterschiedliche Zielsetzungen mit weitreichenden Konsequenzen für
die Vermittlung von interkultureller Kompetenz ergeben. Daher sei die
Klärung der Frage, wie es hierzu komme, von fundamentaler
Bedeutung für begründete methodische und didaktische
Entscheidungen bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz, so
Bredella.
Dies veranschaulicht er an verschiedenen Beispielen.
Im
dritten Teil
des Handbuchs rückt der institutionelle Rahmen für die
Lehre interkultureller Kompetenz im Kontext Hochschule ins Zentrum
der Analyse. Arno
Weidemann und Steffi
Nothnagel widmen sich in
ihrem Beitrag den für die Vermittlung von interkultureller
Kompetenz relevanten Akteuren in der Institution Hochschule. Diese
werden in ihrer Bedeutung für den Vermittlungsprozess näher
bestimmt und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die
Ausbildung von interkultureller Kompetenz im Kontext Hochschule
thematisiert. Überzeugend zeigen Weidemann
und Nothnagel
auf, dass die Ausbildung
von interkultureller Kompetenz die Institution Hochschule in ihrer
Gesamtheit betrifft.
Matthias
Otten geht in seinem
Beitrag über die Funktionen und Organisationsformen
interkulturell ausgerichteter Studienangebote den Fragen nach, worauf
beim Aufbau interkulturell ausgerichteter Studienangebote zu achten
ist und was diese bewirken können. Insbesondere die Möglichkeit
für Lernende, eigene Kulturbegegnungen und Fremdheitserfahrungen
vor theoretischem Hintergrund reflektieren zu können,
identifiziert er zu Recht als ein wichtiges Merkmal interkultureller
Studienelemente, wenn sie tatsächlich Kompetenz fördernd
wirken sollen. Ferner plädiert er dafür, im Kontext
Hochschule als vorrangiges Ziel eine Verbesserung der Lern- und
Studierfähigkeit bei der Konzeption interkultureller
Studienangebote anzustreben und erst im zweiten Schritt sich den
speziellen Erfordernissen bestimmter Berufsfelder im Hinblick auf
interkulturelle Kompetenz zuzuwenden.
Frances
Blüml beschreibt in
seinem Beitrag über Qualitätssicherung in interkulturellen
Studiengängen, welche Chancen eine an „learning-outcome“
orientierte Curricula-Entwicklung für die Qualitätssicherung
in interkulturell ausgerichteten Studienangeboten bietet und
inwiefern diese zur Professionalisierung solcher Ausbildungsangebote
beitragen kann.
Im
vierten und eigentlichen
Hauptteil des Handbuchs
werden Methoden der Vermittlung interkultureller Kompetenz in
unterschiedlichen Fachdisziplinen und Kontexten vorgestellt. Hierbei
handelt es sich in den einzelnen Beiträgen um Verfahren,
Materialien oder um Lehr-/Lernarrangements.
In den ersten
fünf Beiträgen werden Verfahren wie Trainings/Lehrtrainings
(Stefanie Rathje),
Planspiele und Computersimulationen (Stefan
Strohschneider),
linguistisch begründete Verfahren (Konrad
Ehlich/Jan D. ten Thije),
interkulturelle Sprachentandems (Mark
Bechtel) sowie
'Deliberative Dialogues'
(Kamakshi P. Murti)
vorgestellt. In den daran anschließenden sechs Beiträgen
wird der Einsatz bestimmter Materialien in der interkulturellen Lehre
dargestellt. Hierbei handelt es sich um 'Critical
Incidents' und
Kulturstandards (Astrid
Utler/Alexander Thomas),
Literatur und Kunst (Laurenz
Volkmann und Ralph Köhnen),
Spiel- und Dokumentarfilme (Martin
Gieselmann), Lehrfilme
(Gerd Ulrich Bauer)
und den Lehrfilm KUSTOS (Nik
Oberlik). In fünf
weiteren Beiträgen werden sodann Lehr-/Lernarrangements im
Hinblick auf ihre Potenziale zur Vermittlung interkultureller
Kompetenz ausgelotet. Zunächst werden in den Beiträgen
E-Learning (Jürgen
Bolten) und '>Virtual
Classroom' (Doris
Fletscher) mediale
Lehr-/Lernarrangements vorgestellt. In den daran anschließenden
Beiträgen werden das Auslandssemester (Steffi
Nothnagel), der
Fremdsprachenunterricht (Winfried
Thielmann) sowie
Lehrforschung und Lehrforschungsprojekte (Arne
Weidemann) als weitere
Lehr-/Lernarrangements behandelt. Dem Leser werden zahlreiche
Methoden zur Vermittlung interkultureller Kompetenz aus
unterschiedlichsten Bereichen des Lehr-/Lernfeldes Hochschule und
deren Einsatzbedingungen und Wirkungsweisen vorgestellt und diese werden auch
diskutiert. In wenigen Beiträgen wird dabei fachdisziplinäres
Expertenwissen vorausgesetzt, so dass diese für eine fachfremde
Zielgruppe schwerer verständlich sind.
Im abschließenden fünften Teil des Handbuchs thematisieren Maik Arnold und Thomas Mayer in ihrem Beitrag anschaulich, in welcher Form eine theoretisch fundierte und methodisch verfahrende Evaluation interkultureller Studienangebote trotz großer Forschungslücken in diesem Bereich erfolgen kann.
Fazit
Ein derart komplexes Thema wie das der Vermittlung von interkultureller Kompetenz in der Hochschule in möglichst vielen Facetten zu beleuchten, ist ohne Frage ein anspruchsvolles Unterfangen. Es gelingt den Autoren und Autorinnen in hervorragender Weise. So bündeln die einzelnen Beiträge des Handbuchs die aktuelle Forschungsdiskussion in dem vorgestellten Untersuchungsgegenstand, verweisen auf vertiefende Überblicksdarstellungen und zeigen so Wege auf durch eine schier unüberschaubare Fülle an Literatur in einem multidisziplinär aufgestellten Forschungsfeld. Vor allem aber lädt das Handbuch Lehrende, die sich mit der Vermittlung interkultureller Kompetenz im Kontext Hochschule befassen ein, das eigene Handeln vor dem Hintergrund der hier vorgestellten theoretischen Ansätze neu zu hinterfragen. Es lädt ein, bei der Suche nach geeigneten Methoden für den Einsatz in den Lehr-/Lernsettings den Blick über den Tellerrand zu wagen und vielleicht einmal ganz neue Wege zu beschreiten. Und mit Forderungen, wie der nach der Vermittlung von interkultureller Kompetenz im Rahmen einer stringenten Personalpolitik an der Hochschule markiert es wichtige Ziele, die es zu erreichen gilt, wenn Internationalisierung wirklich gelingen soll. Für jeden Leser, der sich mit der Vermittlung von interkultureller Kompetenz im Kontext Hochschule beschäftigt ist dieses Handbuch eine spannende, lohnende, weil inspirierende Lektüre.
Rezension von
Elke Möller
M.A.
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