Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Josef Bakic, Marc Diebäcker et al. (Hrsg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit, Bd. 2

Rezensiert von Elke Michauk, 01.07.2015

Cover Josef Bakic, Marc Diebäcker et al. (Hrsg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit, Bd. 2 ISBN 978-3-85409-697-9

Josef Bakic, Marc Diebäcker, Elisabeth Hammer (Hrsg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch, Band 2. Löcker Verlag (Wien) 2013. 284 Seiten. ISBN 978-3-85409-697-9. 19,80 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Die Herausgeber_innen schließen mit dem vorgelegten Sammelband nahtlos an den Band 1 der „Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch“ (vgl. die Rezension) an. Im vorliegenden zweiten Teil setzten sich die Autor_innen die zentralen (fachwissenschaftlichen) Begriffe Armut, Kultur, Workfare, Abhängigkeit, Mediation und Kultur und deren Transformation und Einfluss auf die Theorie und Praxis Sozialer Arbeit auseinander.

Aufbau und Inhalt

Roter Faden und Kern der Auseinandersetzung des Sammelbandes ist das fachliche Verständnis von lebensweltorientierter Sozialer Arbeit im Gemeinwesen.

Thuswald rückt in seinem Beitrag der Kulturalisierung und Reproduktion von Armut in den Praxen Sozialer Arbeit die Wichtigkeit von „Allianzen zwischen Sozialarbeit und anderen gesellschaftlichen Gruppen“ (25) in den Fokus. Empowerment scheint seine Antwort kritischer Sozialer Arbeit auf die aktuellen Herausforderungen zu sein. Daran anschließend verweist Bareis u.a. unter Bezug auf Cremer-Schäfer und Thiersch auf die Bedeutung von Konflikt und Selbstorganisation im Gemeinwesen (40ff).

Allianzen wider der Normativität des Alltags. Stoik diskutiert die Rolle Sozialer Arbeit bei der Einbettung des Gemeinwesens in die Gesellschaft mit ihren Widersprüchen. Für ihn ist ein so gedachtes Gemeinwesen das Aushalten von Konflikten und das Ringen um den Gemeinsinn (101f). Gemeinwesenarbeit ist ein „politische[r] Prozess (…) zwischen unterschiedlichen Interessenlogiken“ (104) die eine „Allparteilichkeit“ ausschließt und somit Machtverhältnisse sichtbar macht (106f, vgl. Brunner 88ff im Sammelband). Wie Hammer dies am Beispiel „Housesing first“ (72ff) ausführt. Vor diesem Hintergund plädiert Kohner-Kahler dafür, „den Finger wieder in die offenen Wunden der großen sozialen Verteilungskämpfe zu legen“ (170), anstelle jede Auseinandersetzung weg zu mediatisieren. Mit Hammer gesprochen, geht es geht um die Abwehr der Vereinnahmung der Profession in einer neoliberalen Gesellschafts- und Sozialpolitik (69).

Machtverhältnisse wie die Normativität der Geschlechter(rollen) stelle die zentrale Frage für Klawatsch-Treitl dar: „Für wen, in welcher Qualität und auf welche Weise sollen in unserer Gesellschaft Güter hergestellt und Dienste geleistet werde – bezahlt oder unbezahlt; öffentlich oder privat?“ (51) In diesem Zusammenhang rückt „Care Arbeit“ in den Mittelpunkt sozialpolitischer Debatten, um Perspektive für unsere alternde Gesellschaft aufzuzeigen. Zugleich wird ihr durch Nicht-Thematisierung die Wichtigkeit für das Funktionieren unserer Gesellschaft abgesprochen.

Ludwig setzt sich daran anschließend mit der (De)Konstruktion der binären Wahrnehmung der Welt und der Rolle kritischer Sozialer Arbeit auseinander. Sie betont das Potential queerer Politik u.a.mit Bezug auf Engel (2002). Denk- und Sichtweisen für kritische Soziale Arbeit, für die es mit Klawatsch-Treitl auch notwendig macht, sich mit Care Arbeit als Grundpfeiler kapitalistischer Produktionsweisen und der Profession selbst einander zusetzen. Für beide Autorinnen geht es um die Erarbeitung eines reflexiven Blicks, der die Normativität in Frage stellt (124f).

Einen Schritt weiter geht Ziegler. Er kommt zu dem Schluss: „Class matters“. Der Capability Ansatz (vgl. Sen, Nussbaum) ist für ihn Ausgangspunkt und Zielkategorie kritisch-reflexiver Sozialer Arbeit. Der kritischen Profession geht es um die Erarbeitung individueller Handlungsspielräume und gleichzeitig der analytischen Betrachtung ihrer Eingebundenheit in Macht- und Herrschaftsverhältnisse (141f). Moser plädiert in diesem Zusammenhang für mehr Selbstorganiation in der Postdemokratie (vgl. 150). Dabei geht es nicht um die Frage „Dürfen die das?“, sondern im Anschluss an Fracer (u.a. 1997) „um die Verknüpfung von Partizipations- mit Anerkennungs-, Repräsentations- und Verteilungsfragen“ (151). Fragen, die ein Scheitern vor bevormundende Pädagogisierung stellen (153ff), um Nachhaltigkeit zu ermöglichen.

Eng damit verwoben die Förderung von Empowerment durch Soziale Arbeit. Doch wie? Durch die Verminderung von Resilienz. Bakic setzt sich mit dem gemeinsamen Nenner der Begriffe Empowerment und Resilienz auseinander: Die Aktivierung der Potentiale durch ein „persönliche[s] und soziale[s] Fitnessprogramm“(180). Die Menschen sollen sich unabhängig ihrer gesellschaftlichen Einbindung in (Ohn)Machtverhältnisse an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Steht dies im Mittelpunkt, verkommen Empowerment und Resilienz zu „bloßen machtstrategischen Chiffren“ (182) und Soziale Arbeit gerät in den „Sog aktueller Selbsttechnologisierung“ (187). Ein Grund mehr für Bakic auf alte Konzepte entgegen zu verweisen, die vielleicht nicht für alles eine Lösung bereithielten, wohl aber kritische fachliche Weiterentwicklung ermöglichen.

Um Macht im Sinne von Sicherheit geht es auch im Beitrag von Diebäcker. Er setzt sich mit dem Verhältnis von Staat und Sicherheit auseinander. Unter Verweis u.a. auf Foucault 2005, Wacquant 2009 und Frehsee 2000 führt er aus, dass die „fear of crime“ (Hope und Sparks 2000, hier 197) im Postfordismus Hochkonjunktur erfahren hat. Die Aufrechterhaltung sozialer Sicherheit geht dabei Hand in Hand mit dem Ausbau der Strafverfolgungspolitik, mit dem Ziel der „Abschreckung, Überwachung, Stigmatisierung und Verhaltensänderung“ einher. Dieses Phänomen überträgt Reutlinger auf „Stadt“. Städte haben ihren Inklusionscharakter verloren. Sie sind zum Schauplatz von Macht- und Verteilungsfragen sowie der Marginalisierung bestimmter Gebiete und Gruppen geworden. Formen des Quartiersmanagements reproduzieren die Segregation (213), die durch Normierung, Überwachung und/oder Neutralisierung der Armen (Wacquant 2009, 292, hier 196) begleitet und manifestiert wird (vgl. auch Wohlfahrtsoptimismus (Finis Siegler 1999). Der „dual city“ (Alisch/Dangschat 1998, hier 208) ist mit Wild die Aneignung der Stadt und damit der Straße im physischen wie im gestalterischen Sinn entgegenzusetzen. Respekt und Anerkennung, Normativität im Sinne der Nicht-Einmischung und zugleich der Verfolgung von mehr oder weniger explizierter Veränderungsziele wird als Grundpfeiler kritischer Sozialer Arbeit argumentiert (vgl. 231ff). Soziale Arbeit als Normierungs- und Kontrollinstanz wie sie Lutz in seinem Beitrag analysiert, muss damit eine klare Absage erteilt werden. Gleiches gilt für die indizierte Pädagogisierung und „Entpädagogisierung“, die die Selbstdisziplinierung der Adressat_innen im Sinne der Herrschenden vorantreibt (254ff). Oder mit Griesser: Soziale Arbeit befindet sich im Spannungsfeld von Kontrolle und Befähigung. Die Profession ist der zunehmenden Wirkmächtigkeit neokonservativer Imperative (u.a. des faulen deprivierten Sozialhilfeempfängers) „ausgeliefert“. Sie reproduzieren die imperative in ihrem Handlungs- resp. Methoden Repertoire dem die ihnen gegenüber stehenden Adressat_innen ausgeliefert sind (vgl. 276).

Diskussion und Fazit

Der zweite Band des kritischen Handbuches „Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit“ setzt ohne Bruch an de ersten Band an. Die Beiträge spiegeln den Blick über den Tellerrand der Profession und die Fortentwicklung hin zur Sozialarbeitswissenschaft wider. Soziale Arbeit so betrachtet, ist bereits „selbstbewusster Akteur[_innen] in Praxis, Verbänden, Politik und Forschung“ (Polluta 263). Mit welcher Stoßrichtung bleibt jedoch zunächst offen. Wie andere Professionen muss sich Soziale Arbeit bedingt durch ihr Interventionsfeld gegen politisch neokonservative Vereinnahmung erwehren. Die Profession und jede_r in ihr Aktive sich selbst kritisch hinterfragen und eigene Ziele setzen muss, anstelle diese lediglich bei den „Adressat_innen auszuleihen“ (vgl. Wild 248). Wo wir hergekommen sind, ist klar. Wo es hingehen soll, liegt an uns!

Rezension von
Elke Michauk
Elke Michauk Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (Diplom), Sozialwissenschaftlerin (MA), selbständig arbeitende zertifizierte Coachin (https://www.linkedin.com/in/elke-michauk/)


Mailformular

Es gibt 10 Rezensionen von Elke Michauk.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245