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Christoph Nix, Winfried Möller: [...] Jugendstrafrecht für die Soziale Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Klaus Riekenbrauk, 21.12.2011

Cover Christoph Nix, Winfried Möller: [...] Jugendstrafrecht für die Soziale Arbeit ISBN 978-3-8252-3216-0

Christoph Nix, Winfried Möller: Einführung in das Jugendstrafrecht für die Soziale Arbeit. UTB (Stuttgart) 2011. 176 Seiten. ISBN 978-3-8252-3216-0. D: 16,90 EUR, A: 17,40 EUR, CH: 31,00 sFr.
Reihe: UTB - 3216.

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Thema

Geradezu reflexartig werden nach jeder spektakulären Straftat von Jugendlichen – wie zuletzt die von Überwachungskameras gefilmten Überfälle in U-Bahnhöfen – das Jugendstrafrecht und seine Akteure skandalisiert. Dabei stehen nicht nur Richter, die nach populärer Meinungsmache wieder einmal zu sehr Milde zeigen, sondern auch Sozialpädagoginnen oder Sozialarbeiter, die in der Jugendhilfe mit straffälligen Jugendlichen zu tun haben, im Brennpunkt zuweilen harscher Kritik. Das Wissen um das Jugendstrafrecht scheint bei diesen Betrachtungen eher gering zu sein. Umso wichtiger ist es, dass sich die Akteure in der Jugendstraffälligenhilfe ihrer gesetzlich gebotenen Aufgaben und Befugnisse sicher sind, so wie sie im Jugendgerichtsgesetz, dem zentralen Gesetz für jugendliche und heranwachsende Straftäter, vorgeschrieben sind. Das „Büchlein“ von Nix/Möller/Schütz bildet dafür einen guten Einstieg.

Autoren

  • Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Christoph Nix lehrte an der Evangelischen Fachhochschule Hannover, der Humboldt Universität Berlin, der Universität der Künste und ist an der Bremer Universität für Jugendstrafrecht zuständig. In zahlreichen Strafprozessen war er als Strafverteidiger tätig. Neben allem ist er auch noch als Regisseur und Intendant am Theater in Konstanz engagiert.
  • Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Winfried Möller lehrt an der Fachhochschule Hannover Verwaltungsrecht, Jugendrecht und Strafrecht.
  • Richter Dr. jur. utr. Carsten Schütz war nach fünfjähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Würzburg in der ordentlichen Gerichtsbarkeit tätig, bevor er Richter und Direktor des Sozialgerichts Fulda wurde. Er nimmt einen Lehrauftrag an der Hochschule Fulda wahr.

Aufbau und Inhalt

Im Vorwort wird als aller erstes schon einmal eine Warnung ausgesprochen: das Buch ist keine gängige und harmonische Einführung, es ist in der Auseinandersetzung entstanden, was für die LeserInnen spürbar werden soll. „Unser Büchlein beschränkt sich eben nicht auf die Vermittlung notwendigen Wissens, sondern will Fragen aufwerfen. Fragen nach den Grundlagen, nach alten und neuen Wahrheiten des Jugendstrafrechts.“ Der so gestellte Anspruch ist beträchtlich und man ist gespannt, was denn geboten wird.

In der Einleitung wird der Leser mit einer Straftat, die der Autor Nix im Alter von 15 Jahren – in zeitgemäßer Revolutionslaune (1969!) – begangen hatte, und dem sich anschließenden Strafverfahren konfrontiert und neben einem ausführlichen Zitat des Philosophen Ernst Bloch allmählich auf die Thematik des Jugendstrafrechts eingestimmt.

Im Folgenden werden in insgesamt dreizehn Kapiteln die wichtigsten Themen des Jugendkriminalrechts behandelt:

  • Geschichte des Jugendstrafrechts
  • Ursachen und Erscheinungsformen von Jugendkriminalität
  • Ziele des Jugendstrafrechts
  • Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts
  • Rechtsfolgen der Jugendstraftat
  • Jugendstrafe – U-Haft – Sicherungsverwahrung
  • Diversion und informelle Reaktionen
  • Jugendstrafverfahren und Jugendgerichtsverfassung
  • Jugendgerichtshilfe
  • Vollstreckung und Registrierung
  • Jugendstrafvollzug.

Zum Schluss werden unter der Fragestellung „Der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht oder Milde und Verantwortung?“ rechtspolitische Perspektiven der Autoren zur Reformierung des Jugendstrafrechts vorgestellt.

Zielgruppe

Indem das Buch in das Jugendstrafrecht für die Soziale Arbeit einführen will, sind zunächst und vornehmlich in die Zielgruppe Studierende und PraktikerInnen der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik einzubeziehen. Daneben eignet sich die Einführung gerade wegen seiner Kürze auch für Pädagogen und alle im Bereich der Jugend- und Straffälligenhilfe Tätige, die sich einen Überblick zu dem Thema des Jugendstrafrechts verschaffen wollen.

Diskussion

Das Buch besticht auf den ersten Blick durch seine komprimierte Darstellung dieses bedeutsamen Rechtsgebietes, das u.a. aufgrund der vielfältigen Verknüpfungen von Strafrecht und Jugendhilfe in Theorie und Praxis zu Problemen und in der wissenschaftlichen Durchdringung zu zum Teil heftigen Kontroversen Anlass gibt.

Für die eigentliche Zielgruppe des Buches, nämlich die Studierenden und Praktiker der Sozialen Arbeit steht ganz besonders das zentrale Arbeitsfeld der Jugend(gerichts)hilfe im Fokus des Interesses. Diesem Interesse und der Bedeutung der Jugendhilfe im Strafverfahren wird das Buch (in dem dafür vorgesehenen Kap. 10) jedoch nicht gerecht. Da hätte man sich eine ausführlichere Beschreibung der Aufgaben, Befugnisse und Rechte gewünscht.

Warum die Autoren die Thematik nicht in einem Kapitel komplett abhandeln, sondern auch noch in Kap. 4 die Aufgaben der Jugend(gerichts)hilfe beschreiben, erschließt sich nicht. Auch ist kritisch anzumerken, dass außer der JGG-Kommentierung von Eisenberg die mittlerweile sehr differenzierte Kommentarliteratur zu § 52 SGB VIII, der Fundamentalnorm für die Jugendhilfe im Strafverfahren, in Gänze fehlt. Auch fällt auf, dass bei der Behandlung des brisanten Themas der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes bei der Durchführung von richterlich angeordneten Weisungen (§ 36a SGB VIII) auf, dass eine der bedeutsamen Stimmen in der aufgezeigten Kontroverse keinerlei Erwähnung findet (Wiesner: Jugendhilfe und Justiz, in: BMJ (Hrsg,), Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?, 2009, S. 323 ff.). Die Auseinandersetzung mit Wiesner hätte die Diskussion bereichert und wäre der Bedeutung der Kontroverse, in der die Autoren vehement einen gegenteiligen Standpunkt vertreten, angemessener gewesen.

Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass es zu den Grundfragen des Jugendstrafrechts gehört, ob und inwieweit es ein Erziehungsstrafrecht ist oder sein soll. Bei der Diskussion der Frage, welche Bewandtnis der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht hat, wie er in das Strafverfahren integriert wird und aus welchen Ressourcen Erziehungsleistungen gespeist werden, belassen es die Autoren bei dieser Fragestellung, ohne eine eigene Antwort zu geben. Auch an dieser Stelle fehlt m.E. ein Hinweis auf eine in der Jugendstrafrechtswissenschaft anerkannte, zentrale Studie, die den Begriff der Erziehung als eine „Chiffre“ versteht, die im kriminalpolitischen Zusammenhang „ein Synonym für Entkriminalisierung, für ein Subsidiär-Machen-Wollen von Bestrafung ist, (und für den letzten Fall, dass diese nicht verhindert werden kann) für den versuch eines Erträglicher-Machens“ (Pieplow, Erziehung als Chiffre, 1989). In diesem Zusammenhang sollte man „Erziehung“ – wenn überhaupt – nur als Arbeitsfeld von Sozialer Arbeit und Pädagogik verstehen, die in der Jugend(gerichts)hilfe, der Bewährungshilfe, in Täter-Opfer-Ausgleich-Projekten, Trainingskursen oder im Arrest- oder Jugendstrafvollzug mit der Aufgabe betraut sind, jungen Menschen dabei zu helfen, den Zugang zu ihren eigenen Stärken und Kompetenzen (wieder-) zu finden, um den Zumutungen einer immer belastenderen Risikogesellschaft Stand zu halten.

Ärgerlich ist der Hinweis, dass dem JGH-Vertreter ein Zeugnisverweigerungsrecht nur in Ausnahmefällen zusteht, so dass er im Fall der Vernehmung – und bei einer entsprechenden Aussagegenehmigung – zur vollständigen Aussage verpflichtet sei. Dies ist schlicht falsch. Kunkel, auf den zu Beginn des Kapitels explizit in der Literaturempfehlung hingewiesen wird, kommt zu einem andern Ergebnis, da er konsequent die Vorschriften des Sozialdatenschutzes (§§ 35 SGB I i.V.m. §§ 67 ff. SGB X und §§ 62 ff. SGB VIII) zur Anwendung bringt.

Fazit

Bei diesen kritischen Anmerkungen sollte allerdings der Gesamteindruck dieser Einführung in das Jugendstrafrecht nicht verloren gehen. Es handelt sich um ein interessantes, zum Weiterlesen und -studieren anregendes Kurzlehrbuch, das mit seinen kritischen Anmerkungen die besondere Problematik dieses Rechtsgebiets nicht aus dem Auge verliert. Es ist zu wünschen, dass insbesondere Studierende oder Praktiker der Sozialen Arbeit, die sich einen ersten Überblick über das Jugendstrafrecht verschaffen wollen, dieses Buch zur Hand nehmen.

Rezension von
Prof. Dr. Klaus Riekenbrauk
Rechtsanwalt, emeritierter Hochschullehrer an der Hochschule Düsseldorf, Vorsitzender der Brücke Köln e.V.
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Es gibt 21 Rezensionen von Klaus Riekenbrauk.

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ISSN 2190-9245