Ruth Nicole Brown: Black girlhood celebration
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Beck, 09.09.2009

Ruth Nicole Brown: Black girlhood celebration. Toward a hip hop feminist pedagogy.
Peter Lang Verlag
(Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2009.
163 Seiten.
ISBN 978-1-433-10074-1.
CH: 68,30 sFr.
Reihe: Mediated youth - Vol. 5.
Thema
Afroamerikanische Mädchen und junge Frauen wachsen heute in einer Hip-Hop-Kultur heran, so die These der Autorin. Mädchensein sei für Schwarze Mädchen ohne Hip-Hop nicht denkbar. Diese Kultur ist jedoch auf Männlichkeit zentriert. Mädchen und Frauen werden oft nur als Objekte betrachtet. Die Autorin begegnet dem mit einem Praxisprojekt, das sie politisch versteht. Bei diesem Projekt geht es programmatisch um die Feier afroamerikanischer bzw. Schwarzer Mädchenschaft („Black girlhood celebration“). Dessen Name ist SOLHOT: „Saving Our Lives Hear Our Truths“. Begründet wird es von der Autorin durch feministische Ansätze im Hip-Hop. Hieraus und aus der Praxis der Projekts soll eine kritische Pädagogik entstehen – mit dem ungewöhnlichen Titel einer Hip-Hop-feministischen Pädagogik.
Autorin
Dr. Nicole Brown ist Assistenz-Professorin für Geschlechter- und Frauenforschung sowie Bildungspolitik und arbeitet an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign. Sie ist selbst Afroamerikanerin, stammt, wie sie schreibt, aus der Arbeiterklasse, hat Politikwissenschaft studiert und versteht sich sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Künstlerin.
Entstehungshintergrund
Brown geht davon aus, dass afroamerikanische Mädchen und Frauen in der Hip-Hop-Kultur widersprüchliche Erfahrungen machen. Herkömmliche pädagogische Mädchenprogramme könnten diese Erfahrungen nicht aufgreifen, weil sie sich oft an Normen der weißen Mittelschicht orientierten. Es fehle ihnen schon an einer Sprache, die die Lebenspraxis afroamerikanischer Mädchen treffend beschreiben kann. Zudem werde der Körper und der Körperausdruck – was für Brown ein zentrales Kriterium ist – nach entfremdenden Maßstäben kontrolliert und diszipliniert. Demgegenüber setzt sie auf einen Freiraum für eine ausdrucksstarke Kultur Schwarzer Mädchen: auf deren Kraft, Kreativität und Einfallsreichtum, ohne dabei die Hoffnung zu hegen, alle widersprüchlichen Erfahrungen der Mädchen aufheben zu können.
Aufbau und Inhalte
Das Buch beginnt mit einigen Vortexten, darunter ein zehnseitiges Vorwort von Nikky Finney, afroamerikanische Dichterin und Professorin für Kreatives Schreiben. Darin kennzeichnet sie bündig die Position Schwarzer Mädchen und Frauen in der Hip-Hop-Kultur: „Im Mainstream des Hip-Hops werden Schwarze Mädchen als passive, zweitrangige, unwichtige Darstellerinnen betrachtet, die auf die Ränge derer verwiesen sind, die gesehen, aber nicht gehört werden. Im Mainstream des Hip-Hops herrscht die Meinung ‚Ich will deinen schönen schwarzen Körper ausnutzen, als Hintergrund; aber tritt nicht in die Mitte der Bühne für irgendetwas anderes.‘“ (S. XX; Übersetzung C.B.)
Nach einer Einleitung umfasst der Haupttext fünf Kapitel und einen Schluss, in dem die Autorin die Grundsätze einer Hip-Hop-feministischen Pädagogik skizziert. In den Mittelpunkt des Buches stellt Brown das Projekt SOLHOT. Kapitel 1 und 2 führen dorthin, indem sie zeigen, warum die Feier Schwarzer Mädchenschaft ein übersehenes, aber wichtiges politisches Projekt ist. Und Brown macht deutlich, worin Defizite bisheriger Diskurse liegen: sei es in der Mädchenforschung, der feministischen Kritik an Hip-Hop und bei geläufigen Programmen zum Empowerment von Mädchen. Das dritte und umfangreichste Kapitel beschreibt SOLHOT. Brown strebt danach, zu einem anschaulichen Einblick zu verhelfen. Unter der Überschrift „We are SOLHOT!“ beschreibt sie Aktivitäten sowie eigene Erfahrungen und zitiert Teilnehmerinnen.
Das vierte Kapitel gilt der Bedeutung des Körpers. Es bezieht sich vor allem auf ein Tanzspiel: „Little Sally Walker“ – eine Improvisation, bei der es sowohl auf die Einzelnen als auch auf die Gruppe ankommt. Darin sieht Brown eine Tanzchiffre afroamerikanischer Mädchen, und sie beschreibt, wie das Spiel in SOLHOT Gemeinschaft entstehen lässt. Besondere Bedeutung haben hierbei Körperausdruck und –erleben, insofern sie keinen fremdbestimmten Maßstäben der Kontrolle unterworfen sind. Es werde dadurch Raum geschaffen für das Sein, Bewegen und Wissen Schwarzer Mädchen sowie für ein offenes Lernen und Lehren. Auch dies beschreibt die Autorin sehr anschaulich.
Im fünften Kapitel geht Brown dann auf den künstlerischen Ausdruck in SOLHOT ein und auf dessen Bedeutung für das Gespräch. Denn dieses sei meistens durch Kunst vermittelt: durch Kunsthandwerkliches, die Herstellung von Medien, fotografische Projekte, eigene Gedichte, Rollenspiele oder Vorführungen. Brown stellt dazu textliche Produktionen der Teilnehmerinnen und die Themen der Gespräche vor. Dabei schildert sie jeweils den Prozess und Zusammenhang, aus dem der Text entstanden ist, um zu einem angemessenen Verständnis zu verhelfen.
Der Schluss versammelt aus allen Kapiteln Aspekte, die in Richtung einer kritischen Hip-Hop-feministischen Pädagogik führen. Das Ergebnis ist noch kein ausgearbeitetes Konzept, vielmehr ein Rahmen. Dieser lässt sich in Kurzform, wenn auch ein wenig sperrig, so umschreiben: „Hip-Hop-feministische Pädagogik ist ein Freiraum, der geschaffen ist, um von Seinsweisen, Arten des Wissens und Fragen Gebrauch zu machen, die eindeutig (wenn auch nicht einzig) sind für die Erfahrungen unserer Generation davon, was es heißt, sich zwischen den Überschneidungen von Rasse, Klasse, Gender, Alter und Sexualität zu befinden und heranzuwachsen, und zwar so, wie sie durch Hip-Hop, Feminismus und Erziehung vermittelt werden.“ (S. 139 f.; Übersetzung C.B.)
Diskussion
Ungewöhnlich ist dieses Buch nicht nur durch seinen Gegenstand, sondern auch dadurch, dass die Autorin ihr wissenschaftliches Schreiben durch die persönliche Schilderung fundiert. Sie zeigt sich selbst in der dargestellten Kultur verwurzelt. Das lässt das Buch lebendig wirken – und es lohnt sich, den vielen Verweisen auf die Kultur afroamerikanischer Mädchen und Frauen nachzugehen. Einschlägige Musikvideos, Tanzdarstellungen und literarische Texte lassen sich im Internet leicht selbst recherchieren. LeserInnen sollten das auch tun, um die Grundlagen des Buches besser zu verstehen.
Brown wendet sich offenbar an ein Publikum, das mit ihr wichtige Erfahrungen teilt, aufgrund von ethnischer und sozialer Herkunft, Kultur und Gender. Ihre Einleitung beendet sie mit der eindringlichen Anrede: „I see you sis, and I‘m so glad we‘re here!“ (S. 17) – „sis“ steht in der Umgangssprache, wenn auch scherzhaft, für Schwesterherz. Das Buch ist parteiisch und hat einen aktivistischen Anspruch. In der hier dargestellten Form kann es ihn nur in seinem US-amerikanischen Kontext direkt in Handeln umsetzen.
Was aber lässt sich übertragen? Zugegeben, es braucht etwas Gewolltheit und Abstraktion. Dann lässt sich etwas lernen, wenn es um die Wertschätzung des alltäglichen kulturellen Ausdrucks einer marginalisierten Gruppe geht, verstanden als soziale Kategorie; wenn es sich darum handelt, gemeinschaftlich neuartige Lern- und Bildungserfahrungen zu ermöglichen, die den Selbstwert der Beteiligten steigern und als unterstützend erlebt werden. Brown macht dazu besonders deutlich, wie wichtig die eigene biografische Erfahrung und Nähe der Leiterinnen zu ihren Adressatinnen ist.
Fazit
Das Buch ist interessant für alle, die Bezüge zur Kultur des Hip-Hops haben oder pädagogisch mit Jugendlichen arbeiten, die sich dieser Kultur zurechnen. Die Darstellung hilft, Stereotype zu hinterfragen, vor allem, was den Beitrag afroamerikanischer Mädchen und Frauen betrifft. Darüber hinaus kann das Buch Anhaltspunkte für Überlegungen geben, was gelingendes Empowerment generell heißen kann.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Beck
Pädagogische Forschung und Lehre
Website
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