Roland Stein, Dagmar Orthmann Bless (Hrsg.): Basiswissen Sonderpädagogik
Rezensiert von Prof. i.R. Manfred Baberg, 18.06.2009

Roland Stein, Dagmar Orthmann Bless (Hrsg.): Basiswissen Sonderpädagogik. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2009. 18,00 EUR.
Herausgeber und Herausgeberin
Prof. Dr. Roland Stein lehrt Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt Pädagogik der Verhaltensstörungen an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
PD Dr. Dagmar Orthmann Bless lehrt in den Master-Studiengängen Heilpädagogik an der Universität Fribourg (CH).
Überblick
Die Reihe besteht aus fünf Bänden:
- Band 1: Frühe Hilfen bei Behinderungen und Benachteiligungen (vgl. die Rezension)
- Band 2: Schulische Förderung bei Behinderungen und Benachteiligungen (vgl. die Rezension)
- Band 3: Private Lebensgestaltung bei Behinderungen und Benachteiligungen im Kindes- und Jugendalter (vgl. die Rezension)
- Band 4: Integration in Arbeit und Beruf bei Behinderungen und Benachteiligungen (vgl. die Rezension)
- Band 5: Lebensgestaltung bei Behinderungen und Benachteiligungen im Erwachsenenalter und Alter (vgl. die Rezension)
Zielsetzung
Ziel der Herausgeber ist es, eine Einführungsreihe in das sonder- und heilpädagogische Grundlagenwissen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erstellen. Die Besonderheit des Ansatzes liegt darin, dass abweichend von der klassischen Strukturierung nach Behinderungsformen eine Gliederung nach Lebensphasen und Lebensbereichen vorgenommen wird. Es wird in den einzelnen Beiträgen angestrebt, sowohl die Breite als auch die Differenzierung erschwerter Lebenssituationen darzustellen.
Adressaten
Adressaten sind neben Sonder- und Heilpädagogen auch Fachpersonen benachbarter Professionen, die in sonderpädagogischen Arbeitsfeldern tätig sind: Lehrer an Allgemeinbildenden Schulen, Diplom-Pädagogen, Sozialpädagogen, Erzieher, Psychologen, Mediziner und andere. Ihnen soll für Studium und Berufsausübung aktuelles sonderpädagogisches Wissen vermittelt werden.
Zu den Grundlagen der Reihe
Stein begründet in seinem einführenden Beitrag „Basiswissen Sonderpädagogik - eine Einführung“, der jedem Band als erstes Kapitel vorangestellt wird, die Abweichung von der traditionellen Differenzierung nach Behinderungsformen damit, dass diese zu „Scheuklappendenken“ und „künstlicher“ Kategorisierung führen könnten, sieht bei einem Verzicht jedoch die Gefahr eines Verlustes an Professionalität zum Schaden derjenigen, die sonderpädagogischer Bemühungen bedürfen (Bd. 2, S. 11).
Abkehr von Differenzierung nach Behinderungsformen und Orientierung an Lebensphasen und- bereichen enthält insofern emanzipatorische Aspekte, als hier eine Gleichstellung mit nicht behinderten Menschen vorgenommen wird. Problematisch ist jedoch die Subsumierung von Hilfen für Menschen mit Behinderungen im Erwachsenenalter unter dem Begriff „Sonderpädagogik“, weil hier einer Pädagogisierung aller Lebensphasen Vorschub geleistet werden könnte. Eine Zuordnung zu anderen Disziplinen wie z. B. der Sozialarbeit sollte zumindest erwogen werden.
Mit der Festlegung auf dem Begriff „Sonderpädagogik“ haben Verlag und Herausgeber eine Entscheidung getroffen die innerhalb der Disziplin durchaus umstritten ist. Stein ist sich dieser Problematik bewusst: „Jede wissenschaftliche Disziplin ist gut beraten, wenn sie die Kultur einer kritischen Selbsthinterfragung pflegt […] Allerdings wurde diese Diskussion in der Sonderpädagogik sehr weit getrieben […] bis hin zur Tendenz der Selbstauflösung“ (S. 2). Mit „Selbstauflösung“ ist die Aufhebung einer Trennung von Allgemeiner Pädagogik und Sonderpädagogik gemeint wie sie zum Beispiel Georg Feuser und andere fordern. Wenn man die Position teilt, dass jedes Kind besonders ist, verschwindet die Grenze zwischen Allgemeiner Pädagogik und Sonderpädagogik. Akzeptiert man dagegen das Trennende zwischen Allgemeiner Pädagogik und Sonderpädagogik legt man damit eine besondere Schulung betroffener Kinder und Jugendlicher terminologisch zumindest nahe.
Eine ausführlichere Reflexion der Konstruktionsbedingungen von wissenschaftlichen Disziplinen, die sich nicht nur an der Sache, sondern auch an Interessen orientieren, wäre ein dieser Stelle sinnvoll gewesen - einschließlich einer Reflexion über die Konstruktion des Begriffes „Behinderung“. Auch ein Blick auf die Interkulturelle Pädagogik, die von der „Ausländerpädagogik“ zur „Transkulturellen Pädagogik“ einen ähnlichen Wandlungsprozess durchlaufen hat wie die Sonderpädagogik, wäre hier durchaus hilfreich gewesen. In einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft löst sich auch in dieser Disziplin der „Gegenstand“ in einer allgemeine Pluriformität von Lebensstilen auf.
Ein Vergleich der drei ersten Bände, die sich auf Kinder und Jugendliche beziehen, macht deutlich, dass sich im vor- und außerschulischen Bereich das Leitbild der „Inklusion“, wie es in internationalen Dokumenten (z.B. der Erklärung von Salamanca) niedergelegt ist, allgemein akzeptiert wird. Eine Ausnahme bildet der Band 2, der erkennen lässt, wie stark die schulische Sonderpädagogik noch in den selektiven Strukturen des deutschen Schulsystems gefangen ist. Anstelle der Betonung einer sonderpädagogischen Identität wäre hier eine verstärkte Kooperation mit der Sozialpädagogik für eine Weiterentwicklung notwendig, deren fachliche Kultur in den außerschulischen Bereichen die Integration von Kindern mit Behinderungen und Benachteiligungen erheblich gefördert hat.
Wenn man den Blick jedoch weniger auf die Konstruktion einer professionellen Identität, sondern auf die Darstellung von konkreten sozialen und pädagogischen Problemen und Ansätzen zu ihrer Lösung lenkt, liefern alle Bände eine Fülle von aktuellen und wichtigen Informationen für den angesprochenen Adressatenkreis.
Rezension von
Prof. i.R. Manfred Baberg
Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Arbeitsgebiete u.a. Behindertenarbeit und Integrationspädagogik in den Studiengängen Soziale Arbeit/Sozialpädagogik und Integrative Frühpädagogik
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