Katharina Sommer: Maskenspiel in Therapie und Pädagogik
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel, 19.11.2009

Katharina Sommer: Maskenspiel in Therapie und Pädagogik. Grundlegende Methoden der Theatertherapie. Aisthesis (Bielefeld) 2009. 2. Auflage. 176 Seiten. ISBN 978-3-89528-721-3. 19,80 EUR.
Thema
„Maskenspiel in Therapie und Pädagogik“ von Katharina Sommer behandelt zunächst das therapeutische Maskenspiel. Das Thema „Maskenspiel und Pädagogik“ wird auf den Seiten 100 und 103 mit Bezug auf Jugendliche und Kinder knapp umrissen und dann am Beispiel einer Seminarreihe für arbeitslose Frauen ausführlich dargestellt.
Autorin
Die Psychologin und Performerin Katharina Sommer ist eine ausgewiesene Expertin des therapeutischen Maskenspiels. „Die Autorin“, so Hilarion Petzold in seiner Einführung, „hat sich viele Jahre mit dem Thema ‚Maske und Therapie‘ befasst. Sie hat die Elemente Puppen, Figuren, Verkleidung in das therapeutische Geschehen – in Einzelbehandlung, Gruppenarbeit und die Weiterbildung von Psychotherapeuten – eingebracht und auf diese Weise einen großen Erfahrungsschatz gesammelt. Sie konnte auf der Grundlage des Psychodramas (Moreno), des Therapeutischen Theaters (Iljine), der Gestalttherapie (Perls), die erlebnispädagogischen Möglichkeiten in vorsichtigen Explorationen kennenlernen und im Kontakt mit Laura Sheleen und unserer Arbeit die Herstellung und das Spiel mit Masken so verfeinern, dass die Maske als Medium und das Maskenspiel als Methode zu einer bedeutsamen Möglichkeit für ein integratives psychotherapeutisches und kunsttherapeutisches Behandlungskonzept werden konnte“ (15). Laura Sheleen, so Petzold weiter, „hat im Rahmen ihrer Bewegungsarbeit (Expression corporelle und Bewegung in Raum und Zeit) die Maskenarbeit entdeckt und weitergeführt. Sie wird am ‚Fritz Perls Institut‘ … von der Autorin … fortgeführt“ (16).
„Mit Dank an Laura Sheleen“ beginnt auch Sommer ihr Buch und zitiert mehrfach die amerikanische Tänzerin, so etwa auf S. 25: „Mit einer Maske tanzen … ist für den handelnden Menschen ein Mittel, seine alltägliche Identität zu transzendieren, seine Phantasien und seine irrationalen, imaginären und imaginalen Strebungen zu projizieren“ (aus: Maske und Individuation).
Entstehungshintergrund
„Der Anlass zu diesem Buch war ein Projekt im Bereich der Frauenbildung, gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Die Seminarreihe richtete sich an arbeitslose Frauen. Über Zeitungsartikel und in Vorgesprächen wurden sie über die Maskenarbeit informiert und ließen sich auf dieses ihnen unbekannte Medium der Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung ein.“ Diese Information allerdings findet sich erst auf S. 105; sie leitet den zweiten Teil von „Maskenspiel in Therapie und Pädagogik“ ein, der unter der Überschrift „Gesichter der Frauen“ insgesamt dem Frauenprojekt gewidmet ist. Zwar lässt er sich durchaus als Beispiel einer geglückten Erwachsenenpädagogik verstehen – ärgerlich ist trotzdem, dass LeserInnen diese Grundinformation erst mitten im Buch erhalten. Das ist umso unverständlicher, als die Neuauflage von 2009 (die erste erschien 1992!) die Chance geboten hätte, diese Ungeschicklichkeit zu korrigieren [1].
Aufbau und Inhalt 1
Ein klarer Aufbau des Buches ist, abgesehen von der Zweiteilung „Therapie“ und „Pädagogik“, nicht zu entdecken. Es gibt zwar immer wieder Überschriften und Gliederungen, aber sie werden nicht und schon gar nicht konsequent durchgehalten. Dazu gehört auch, dass der eigentliche Anlass für das Buch, das hessische Frauenbildungsprojekt, erst nach über 100 Seiten mitgeteilt wird (105); dazu gehört der allzu viel versprechende Untertitel „Grundlegende Methoden der Theatertherapie“, der nicht eingelöst wird. Begnügen wir uns also mit der Grobgliederung „Therapie und Pädagogik“ und beginnen mit dem ersten Satz aus dem Vorwort der Autorin von 2009: „Nach vielen Jahren Maskenspiel bin ich immer noch und immer wieder fasziniert, erstaunt, berührt, begeistert von der Vielfalt und Schönheit dieses Mediums.“ Genau dies macht ihr Buch attraktiv: ihre Begeisterung, ihre Erfahrung. Und weiter: „Es (das Medium) schult unsere Wachheit für das Eigene und den Anderen. Vorstellungen fallen, die uns einengen und sich aus alten Erfahrungen festgesetzt haben. Im Maskenspiel treten wir frei unter den Himmel der Gegenwart – als vielschichtige und ganzheitliche Person mit Gedanken, Gefühlen, Bildern, Farben – Körperlichkeit und Bildhaftigkeit im Ausdruck, die mehr als Worte Atmosphäre schaffen. Das Suchen und Finden ist Teil unserer Wanderung in die Welt und dies geschieht konkret auf der Maskenbühne“. Sommer bringt Metaphern und Bilder, Symbole und Vergleiche; manchmal entgleiten sie oder werden allzu vage („Maskenspiel regt unsere Sinne an, ein Gefühl von Sattheit entsteht und lässt Lebensqualität und Lebensvielfalt spüren“), immer aber werden sie getragen von Engagement und Zuversicht: Maskenbau und Maskenspiel können „helfen, ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen, die oft nur den Kindern zugestanden wird: zugleich spielen, lernen und verstehen“ (S. II).
Von Hilarion Petzold stammt die 1991 geschriebene Einführung „Masken – die ‚andere Identität des Selbst‘“ (9 ff). Die Maske nämlich „ermöglicht dem Selbst, sich in anderen, neuen Weisen zu erfahren und zu zeigen. So kann man sagen, dass Masken die ‚andere Identität des Selbst‘ manifest werden lassen in heilender und fördernder Weise“ (15). „Das verbindende Element ist das ‚Spiel‘. In ihm kann dies alles zusammenfließen und es liegt an den strukturierenden Interventionen des Leiters, seinen Absichten und therapeutischen Zielsetzungen, mit welcher ‚Dosierung‘ er die Maskenarbeit einsetzt“ (16).
Ihre eigene Darstellung beginnt Katharina Sommer mit der Überschrift “Grundformen des Therapietheaters“ (19 ff), schränkt aber sofort ein auf „Maskenkult und Maskentherapie“. Schwierig ist es, ihre praktische Vorgehensweise aus den verstreuten Bemerkungen herauszufiltern. Aussage 1: „In der Maskentherapie findet zunächst die Verkleidung statt“ (24); Aussage 2: „Zu Beginn des Seminars liegt der Schwerpunkt auf dem Herstellungsakt: eine Übung mit geschlossenen Augen vor dem ungeformten Tonklumpen lenkt den Blick auf innere Bilder“. Dazu als Begründung und Interpretation: „Damit ist zu Beginn des Seminars der Schwerpunkt auf die eigene Person gelegt. … Die sinnliche Erfahrung des Erschaffens und die intuitive Gestaltung durch die Hände sind eine Einführung in die bildhafte, imaginale Welt der Masken. Der Logos tritt in den Hintergrund“. Auch die „Verkleidung“ (s.o.) wird interpretiert; sie „hat keinen magischen Sinn, sie geschieht symbolisch. Im Lauf der Spiele findet eine idenditäre (sic!) Verkörperung statt: der Mensch erfährt an sich die Wesenheit seiner dargestellten Figur bis in die emotionalen Dimensionen“ (24); auch das ist wohl richtig, klärt aber nicht, womit ein Maskenseminar oder eine (Gruppen?- Einzel?-)Therapie beginnt. Aussage 3: „Jeder Schritt bedeutet eine Entscheidung. Das beginnt mit der Materialauswahl“ (31) – war nicht ein Tonklumpen vorgegeben? Aussage 4: „Ihre erste Maske bauen die Teilnehmer oft zu Hause und bringen sie ins Seminar mit. Sie allein entscheiden, welche Materialien sie nehmen“ (33). Was denn nun?
Diskussion 1
Gern lässt sich konzedieren, dass pädagogisches wie therapeutisches Handeln nur schwer in Worte zu fassen ist, dass sich Praxis also primär auf der Grundlage von Mitmachen und eigenen Erfahrungen lernen und verstehen lässt; trotzdem wäre dem „Maskenspiel in Therapie und Pädagogik“ ein wenig mehr an klarer Gliederung und präziser Konkretisierung zu wünschen. Die (durchaus anregende) Publikation aber springt zwischen Organisation, Aufbau und Ablauf eines Maskenseminars, zwischen Individuum und Gruppe, zwischen Erfahrungen und Zielen, Verfahrensweisen und Interpretationen hin und her; sie ist weder klar analysierend (warum passiert das?) noch exakt beschreibend: Was geschieht eigentlich – oder normaler Weise? Welche Variationen treten auf?
Deshalb versuche ich im Folgenden weniger eine Nachzeichnung als ein Herausarbeiten von Schwerpunkten.
Inhalt 2
Zur Praxis: Es gibt „Ganzkörperverkleidung“ (38); „große Tücher zum Hineinschlüpfen und alle Arten von Kostümen sind Teile der Maskierung“ (39). „Die erste Maske ist der Anfang einer Entwicklung, die Abfolge der Masken sind wie Steine auf einem Weg und können Markierungen setzen, Wegzeichen in den verschiedenen Phasen der Entwicklung“ (36). Das ist wichtig auch für die Zusammenarbeit der Gruppe. Denn: „Anders als in anderen vergleichbaren Gruppen hat die Maskengruppe Objekte, die sie von Anfang bis Ende begleiten: die Masken. Übertragungen und Ängste werden weniger auf die Gruppenmitglieder untereinander projiziert, sie richten sich eher auf die Masken“ (73 f).
Nach dem Maskenbau folgt das „Maskenspiel“ (45 ff): Eine „Figur zu schaffen ist der nächste kreative Schritt“ (54). Dabei wird nicht unbedingt immer nur mit der eigenen Maske gespielt. Im Gegenteil: „Kollektive Bedeutung bekommen die Masken für die therapeutische Gruppe insofern, als sie geistiges Eigentum der Gruppe werden. Sie sind in der gegenseitigen Anregung entstanden und können im Spiel von allen getragen werden“ (26). „Das Aufsetzen einer Maske ist gleichbedeutend mit einer magischen Übernahme ihrer Kraft und Macht. Diese Introjektion erfolgt durch Identifikation mit der dargestellten Figur, die Wunschbild oder Abbild bedrohlicher Elemente sein kann. … Das Erspüren einer anderen Person schult Wahrnehmungsbereiche, die sonst vernachlässigt werden“ (47). Dabei ist „eine der wichtigsten Hilfen beim ‚Abenteuer Spiel‘ die Ermutigung und die Erfahrung, dass die Spieler selbst als Person unter den Masken unversehrt bleiben“ (53).
Besonders wichtig also, den SpielerInnen Sicherheit im Spiel und für das Spiel zu geben. Denn nicht nur „die eigene Maske zu sehen, sei es als Gegenüber auf der Bühne oder als Zuschauer, hat besondere Wirkung. Sie als eigenen Anteil zu erleben, der betrachtet werden kann, erstaunt und verwirrt“ (58). Also ist wesentlich, im Spiel nicht „die Als-Ob-Haltung zu verlassen. Die Gefühle können den Spieler ergreifen und er kann sie leben ohne dass er vergisst, dass er auf der Bühne ist und Mitspieler hat. In diesem Sinne integriert das Maskenspiel die Götter Dionysos und Appollon (sic!). Dionysos stellt die Verwandlung, die Ekstase, das Ausleben der Gefühle dar und Appollon vertritt die Vernunft, die Form, den Rahmen (Saigre)“ (66). „Das Eintauchen in die Figur bedeutet nicht den Verlust der Realität. So hat jeder Spieler mehrere Ebenen gleichzeitig im Spiel zu bewältigen: die Gestaltung seiner Figur, das Hineingehen in deren Haltungen und Gefühle, die Übersicht über den Raum mit der Orientierung auf die Zuschauer und – schließlich – die Begegnung mit den anderen Maskenfiguren und die Verständigung mit den anderen Spielern über die gemeinsamen Handlungen“ (54). Dabei macht Sommer einen Unterschied zwischen Spielen (mit Übersicht) und Ausagieren (Verlust der Realität) [2]. Denn im Spiel können Emotionen „sehr heftig“ werden; „instinktive Ängste, vernichtet zu werden, tauchen auf. Sie (diese Emotionen und Ängste) zu spielen oder auszuagieren ist eine wichtige Entscheidung. Zum Schutz der Person und der Antagonisten ist Ausagieren nicht erlaubt, zur Not wird das Spiel sofort abgebrochen. Oft genügt ein kleiner Zwischenruf, dass die Kontrahenten sich auf das Als-Ob besinnen und in der symbolischen Handlung ausdrücken und ausleben, was sie bewegt. In den weiten und langsamen Bewegungen, wie in Zeitlupe, lassen sich Kämpfe in ihrer ganzen Macht … ausdrücken und im Spiel auch nacherleben“ (66).
Wichtig für Sommer in diesem Zusammenhang ist “die soziale Ordnung im Maskenspiel“, die sie “Coexistenz“ nennt und ausführlich behandelt: „Jede als zweite auftretende Figur kommt in einen besetzten Raum. Damit auch sie ihre eigene Individualität und ihre eigene Welt mitbringen kann, ist die erste Übung das Erlernen und Respektieren der Coexistenz. … Die Regel der Coexistenz gibt der neu hinzukommenden Figur Zeit und Raum, sich zu zeigen, die Rolle zu entfalten“ (55). Immer wieder geht es also darum, den spielerischen Charakter zu bewahren. Dabei unterscheidet Sommer „Spielversuche“ (61 f), „Spielprojekte“ (62 ff) und „Offene Spiele“ (64 ff). „Projekte sind eine wichtige gedankliche Vorarbeit, die zu einem genaueren Konzept von der Rolle und einer möglichen Handlung verhelfen“ (62). Allerdings sind „Spielprojekt und das ausgeführte Spiel … nicht gleich, oft nicht einmal ähnlich“ (63), geht es doch vor allem darum, die „Öffnung des ursprünglichen Projektes für Impulse aus dem Inneren der Person“ zu erreichen, sei es „ausgelöst durch den Antagonisten“ oder durch eigene „Emotionen“, die der Spieler „nicht erwartet hat. Sie auszudrücken und in dem Fluss des Spielens zuzulassen, bedeutet ein Loslassen des ursprünglichen Projektes, eine spontane Entwicklung, indem er kreativ aus sich heraus lebt. So sind kathartische Prozesse bei den Spielern und Zuschauern möglich“ (66).
Grundziel also ist Spontaneität, Offenheit für spontane Entwicklungen; Erkundung von Unbekanntem, Zulassen von Überraschungen, Mut zur Improvisation deshalb, weil, so die Voraussetzung, darin das Eigentlich-Eigene formuliert wird. „Maskenspiele sind … immer wieder neu; auch wenn Teile davon wiederholbar sind. Sie unterliegen den Gesetzen der Improvisation“ (25).
Mit einem gelungenen Vergleich weist Sommer hin auf die Wichtigkeit der Zuschauer: „Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Mutter. … So sind die Zuschauer im Maskenspiel der Spiegel, der Identität schafft. Das Vorhandensein in den Augen der anderen lässt den eigenen Körper spüren. Es ist eine Stimulierung, die der Berührung durch die Hand ähnlich ist“ (71). „Die wesentliche Reaktionsmöglichkeit der Zuschauer auf das Spiel ist die Feedback-Runde nach jedem Spiel. Zunächst erzählen die Spieler, welche Pläne sie hatten und wie es ihnen auf der Bühne erging. Danach ergreifen die Zuschauer das Wort, die Paroli [3], und erzählen was sie gesehen und bei sich erlebt haben. … Die Sprache als Träger des Bewusstseins und des Denkens hat hier ihren Platz“ (73). „Zusätzlich zu den Nachbesprechungen der Spiele sind eigene Zeiten nur für das Gruppengespräch angesetzt“ (73). Damit sind Fragen der Leitung angesprochen, zu deren Funktionen Sommer ausführliche, systematisch geordnete Hinweise gibt: die „Leitung“ (76 ff) „als Wegbereiterin“, „in der Rolle des Antagonisten“ (76), „als Zuschauer“ (mit einer besonderen Stellung: „Sie sitzt in der Mitte der Zuschauer und führt das Licht“, 77). „In den Paroli bringt die Leitung ihre therapeutische Erfahrung mit ein und wehrt zu Beginn wilden Projektionen und Interpretationen“ (77). Verantwortlich ist sie also insbesondere für die „Therapeutische Aufarbeitung“ (80 ff). „Maskenspiel als eine Methode der Kunst- und Kreativitätstherapie“, so heißt es einleitend zu diesem Unterkapitel, „greift alte Heilmethoden auf“. Dann gibt Sommer ein Beispiel für „den Verlauf von Spielen und therapeutischer Aufarbeitung in der Arbeit mit einer Person“ (80 ff): „Die Beteiligung der Therapeutin bestand in der Durchführung und Begleitung der psychodramatischen Begegnung, vor allem in der Aufarbeitung im Gruppengespräch und in den Einzelsitzungen. Das betrifft auch die Rückmeldungen in den Paroli. Sie trägt auf dem Hintergrund der Erfahrung mit Masken und der therapeutischen und diagnostischen Arbeit wesentlichen Anteil bei der Beurteilung und Entzifferung der Symbole“ (90).
Eingeschaltet wird ein auf vielfache eigene Erfahrungen bezogener „Exkurs: Psychodrama und/oder Maskenspiel“ (92 ff), der dem „Maskenspiel eine größere Selbstständigkeit“ attestiert und „Selbständigkeit bzw. Selbsthilfe ein wichtiges Ziel jeder Therapie oder Pädagogik“ nennt (93). „Für mich“, so Sommer, „hat sich eine Kombination von Maskenspiel und psychodramatischer und gestalttherapeutischer Aufarbeitung sehr gut bewährt“ (97).
“Maskenspiel und Pädagogik“ (100 ff) geht nur kurz auf Maskenspiel mit Jugendlichen (100) und Kindern ein („Das Maskenspiel mit den Kindern darf sich nicht streng an die hier vorgegebene Form anlehnen“, 103); dann wird unter der Überschrift “Gesichter der Frauen“ (105 ff) die bereits charakterisierte Seminarreihe vorgestellt (s.o. unter ‚Entstehungshintergrund‘).
Mitgeteilt wird zunächst eine Dreigliederung, die (leicht verändert) für die Darstellung genutzt wird. „Obwohl ein eindeutiger und immer wiederkehrender Ablauf von Inhalten und Ereignissen in Therapien nicht gegeben sein kann, jedes Individuum sucht sich verschiedene Wege der Selbsterfahrung und Heilung, möchte ich einen möglichen Rahmen vorgeben. … Der Rahmen orientiert sich an Darstellungen des Prozessverlaufes von Eschenbach (1978) … Die Phasen sind 1. die Initial- und Übungsphase, 2. die negative und positive Regression, Wege der Nachsozialisierung, 3. die Individuationsphase, Wege der Neuorientierung“ (107). Diskutiert werden Vaterbeziehung (128) und vor allem die „vielfältigen Formen der Beziehung zwischen Mutter und Tochter“ (132); Hinweise gibt es für das Spiel mit Requisiten (Seil, Stock, Schwert) und das Umgehen mit dem Tod („In fast jedem Spiel, in dem der Tod auftritt, … erscheint auch eine Gegenfigur. Das Gleichgewicht auf der Bühne ist der Gruppe ein wichtiges Anliegen“, 141).
Überraschend eingeschaltet wird ein „Exkurs zur Zeit“ (147 ff) mit Anmerkungen zu „Frau und Zeit“ (157 f). Unter „Zeitfreiheit“ findet sich eine wichtige Notiz zum „Reiz des Maskenspiels … die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden, zu übertreten … Für Spieler und Zuschauer sind das nicht nur ernste Fragen, sondern auch Lust an Komik und Übertreibung und ein Sprengen der sonst engen Fesseln, die Zeit und Raum uns vorgeben“ (154).
Überraschend dann auf der letzten Seite noch ein „Anhang: Anleitung zum Bau einer Maske“ (174).
Diskussion 2
Schon Petzold hatte in seiner Einführung auf „die Möglichkeiten der Quergänge zwischen pädagogischer, heilpädagogischer, kreativtherapeutischer und psychotherapeutischer Vorgehensweise“ hingewiesen; sie „machen die Arbeit mit dem Medium Maske und mit der Methode des Maskenspiels so fruchtbar“ (15). Ähnlich Sommer: „Die Übergänge von Therapie und Pädagogik sind fließend und beide haben Elemente des anderen darin. Der Hauptunterschied liegt zunächst in der Ausbildung des Leiters“ (100).
Sommer nennt zwar „Interpretationsmodi“, etwa von Panafieu, warnt jedoch zu Recht: „Sie sind hier wie dort als Hilfsmittel der Deutung anzusehen, die sehr vorsichtig benutzt werden sollten. Der Verzicht auf Interpretation zugunsten einer Entwicklung von Bedeutungszusammenhängen durch die Person selbst im Laufe der Zeit in den Spielen und in der Gruppenarbeit ist therapeutisch viel wertvoller, abgesehen von den Fehlern und Verletzungsmöglichkeiten ‚wilder‘ Interpretationen“ (35). Entscheidend also ein „Übungsraum“ für „Selbständigkeit bzw. Selbsthilfe“ (93): die Freiheit, selber zu entscheiden, zu gestalten, eigene Bilder (Masken, Spiele) zu schaffen, die Eigenes formulieren und die Möglichkeit eröffnen, mit sich selbst nicht nur ins Gespräch zu kommen und sich wahr zu nehmen, sondern gestaltend mit Eigenem umzugehen und sich dabei zu entwickeln – mit „Offenheit nach außen“ und kreativem Austausch“ zwischen „eigenem Projekt und fremden Projekten“ (67).
Dabei wirkt die Maske als „Übergangsobjekt zwischen Innen- und Außenwelt (Winnicott )“ (29), d.h. Masken und Spiele mit Masken „sind wie die Intermediärobjekte der Kinder, ihre Teddybären und Puppen“ (169); sie sind, ein besonders einleuchtender Vergleich, „wie die Stöckelschuhe der Mutter für das kleine Mädchen oft Vorgriffe in Bereiche, die es noch nicht kennt und noch nicht zur Verfügung hat“ (59) [4] – im Spiel aber kennen lernen kann. „Die Erfahrung des Leibes wiederherzustellen mit mehr Empfindungsfähigkeit und Möglichkeit zur Begegnung mit den anderen ist Ziel der kunsttherapeutischen Arbeit“ (27).
Fazit
„Maskenspiel in Therapie und Pädagogik“ behandelt nicht „Grundlegende Methoden der Theatertherapie“ (wie der Untertitel ankündigt); es ist auch keine Einführung in Maskenbau und Maskenspiel (also nichts für Anfänger, die etwas lernen wollen oder nach einer Basisinformation suchen). „Maskenspiel in Therapie und Pädagogik“, die persönlich-assoziative, emotional anregende Abhandlung einer Psychologin mit reicher Spielerfahrung in therapeutischen und pädagogischen Gruppen, ist ein Gewinn für kritische LeserInnen mit Vorerfahrungen und Lust am offenen Weiterdenken und, wie Katharina Sommer formuliert, am „kreativen Austausch zwischen eigenem Projekt und fremden Projekten“ (67).
Schade übrigens, dass die über 70, meist ganzseitigen, eindrucksvollen Fotos zu wenig mit dem Text verbunden sind.
[1] Auch sonst sind Korrekturen unterblieben. Mit „Kors“ im Petzold-Zitat (80) dürfte „Kos“ gemeint sein; das „odeon“ für die musikalischen Aufführungen müsste „odeion“ heißen. Bei „Appollon“ reicht ein „p“ (66). Ein Buch von “Christoph Riemer (1986)“ wird genannt (100), im Literaturverzeichnis aber nicht aufgeführt; gemeint ist wahrscheinlich „Maskenbau und Maskenspiel“. Ein anderer Autor heißt einmal “Spiegel-Rösing“ (142), dann (144) und im Literaturverzeichnis Rösing. Mehrfach werden unterschiedliche Erscheinungsjahre angegeben (richtig wären: Lommel 1979, Sheleen 1987). Laura Sheleens französischer Buchtitel heißt richtig „Théâtre pour devenir … autre“.
Auch die Fotos sind nur selten auf den Text bezogen; meist werden sie ohne Hinweis eingefügt; das Foto auf S. 18 gehört wohl zur S. 29; der Foto-Hinweis 121 stimmt wahrscheinlich nicht; der Foto-Hinweis 131 ist unklar. Es geht auch anders: S. 42 weist sehr klar hin auf die „Abbildung“ der „drei Moiren“ auf der folgenden Seite; zu 131 gehört vermutlich die Fotoseite 134; zu 121 finde ich zwar dazugehörige Fotos, erkenne aber nicht die „Parallelität“ des Stocks zum „Körper„; 81, 82 sind Zuordnung und Kommentar wiederum passend.
[2] Auf S. 149 wird noch eine dritte Form genannt, das Abbilden: „Für das Maskenspiel stellt sich die Frage, wird dieses Versinken abgebildet, gespielt oder agiert.“
[3] Eine eher seltsame Bezeichnung; Paroli stammt eigentlich aus dem Kartenspiel mit der Bedeutung, „den Einsatz erhöhen„; heute nur noch in der Redensart „Paroli bieten“ gebräuchlich – im Sinne von „Widerstand leisten“, „voll heimzahlen“ (vergl. Etymologische Lexika).
[4] Ich zitiere den Satz, leicht verändert, in grammatisch richtiger Form.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel
Institut für Spiel- und Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin
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Es gibt 60 Rezensionen von Hans Wolfgang Nickel.
Zitiervorschlag
Hans Wolfgang Nickel. Rezension vom 19.11.2009 zu:
Katharina Sommer: Maskenspiel in Therapie und Pädagogik. Grundlegende Methoden der Theatertherapie. Aisthesis
(Bielefeld) 2009. 2. Auflage.
ISBN 978-3-89528-721-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7860.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.
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