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Steffen Coburger: Arbeitsbedingungen [...] der stationären Altenhilfe

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 09.12.2009

Cover Steffen Coburger: Arbeitsbedingungen [...] der stationären Altenhilfe ISBN 978-3-631-58894-9

Steffen Coburger: Arbeitsbedingungen, Erfolgserfahrungen und Arbeitszufriedenheit bei Pflegekräften der stationären Altenhilfe. Untersucht in einem bayerischen Sozialzentrum. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2009. 343 Seiten. ISBN 978-3-631-58894-9. 49,80 EUR.
Europäische Hochschulschriften - Reihe 11, Pädagogik - Band 984.

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Thema

Die Arbeit der Pflegenden in stationären Einrichtungen der Altenhilfe steht seit Jahren unter keinem guten Stern, denn zwei Entwicklungen laufen seit Einführung der Pflegeversicherung völlig konträr. Das Arbeitsaufkommen und die Erwartungen an die Qualität der Pflege- und Betreuungsleistungen sind gewaltig gestiegen. Jede Handlung im Umgang mit den Pflegebedürftigen muss geplant, fachlich belegt, dokumentiert und ständig möglichst „zeitnah“ evaluiert werden. Diverse Standards aus dem In- und Ausland sollen hierbei als Leit- und Orientierungsrahmen dienen. Dagegen wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn nicht zugleich das strikte Prinzip der Ökonomie und damit des Kostendruckes und der Konkurrenz als ein Basiskonzept der Pflegeversicherung ebenso zur Geltung käme. Maximierung der Qualität bei Minimisierung der Kosten, diese Strategie kann in der industriellen Fertigung u. a. durch Rationalisierung und Automatisierung erreicht werden, in der Pflege bedeutet dies die Quadratur des Kreises. Leistungsverdichtung, Hektik und ständiger Überstress sind die Symptome dieser Ausrichtung auf Kostenaspekte als primäre Handlungsmaxime. Korrespondierende Konzepte der Arbeitsgestaltung in den Heimen sind demnach im Wesentlichen darauf ausgerichtet, das Arbeitsquantum möglichst an der Belastungsgrenze zu orientieren und das Erleben und Verarbeiten dieser Auspressung an Lebenskraft u. a. durch Suggestionstechniken abzufedern. Zusätzlich verweisen engmaschige Kontroll- und Disziplinierungsinstrumente wie „Rückführ-“ und „Zielvereinbarungsgespräche“ nebst „Pflegevisiten“ auf die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse in den Heimen (siehe Rezension Berger 1 und Rezension Berger 2). Es liegt bereits eine Fülle an Untersuchungen über diese permanenten Arbeitsbelastungen mit ihren negativen Auswirkungen auf die Pflegenden vor. Die vorliegende Studie kann dieser Rubrik arbeitswissenschaftlicher Forschungen im Bereich der Pflege zugeordnet werden.

Autor

Der Autor ist von der Ausbildung her Dipl.-Sozialpädagoge (FH) und arbeitet als Heimleiter in einem Pflegeheim in Bayern. Die vorliegende Untersuchung wurde 2008 an der Universität Lüneburg als Dissertation angenommen.

Aufbau und Inhalt

Die Arbeit ist, wie es bei empirischen Erhebungen üblich ist, in die drei Teile theoretischer Rahmen und Stand der Forschung (Kapitel 1 – 4, Seite 13 – 194), empirische Untersuchung und Ergebnisse (Kapitel 5, Seite 195 – 290) und Zusammenfassung (Kapitel 6, Seite 291 – 310) untergliedert.

  • Im ersten Teil Theorie werden sehr ausführlich und gut gegliedert die Rahmenbedingungen der stationären Altenhilfe dargestellt. Das sind u. a. die gesetzlichen Grundlagen (Pflegeversicherungsgesetz, Heimgesetz und Verordnungen, Altenpflegegesetz) und die institutionellen Strukturen (Einrichtungsstrukturen, Pflegeleistungen, Pflegepersonalstrukturen, Arbeitszeiten, Vergütung und Altenpflege als traditioneller Frauenberuf). Es folgen die Erläuterungen über den Gegenstandsbereich Belastungen und Beanspruchungen in der Pflege. Ausgehend von den arbeitswissenschaftlichen Konstrukten der verschiedenen Belastungsformen (u. a. ergonomisch, physikalisch und psychisch) wird der gegenwärtige Wissensstand in Gestalt der einschlägigen Erhebungen und Statistiken aufgezeigt. So weisen übereinstimmend die Untersuchungen nach, dass die stationäre Altenpflege u. a. durch die Faktoren Arbeitsintensität, eingeengte Handlungsfelder und fehlende Unterstützung der Pflegenden durch Vorgesetzte und Kollegen bestimmt wird. Besonders belastend sind u. a. das ständige Heben und Tragen beim Transfer der Bewohner und die arbeitszeitlichen Belastungen (u. a. ständige Überstunden und Schichtarbeit). Entsprechend hoch sind die Fehlzeiten und der vorzeitige Berufsausstieg. Den Abschluss des theoretischen Teiles bilden Ausführungen über konzeptionelle Aspekte der Arbeitszufriedenheit. Es werden die verschiedenen Theorien über die Arbeitszufriedenheit vorgestellt und hierauf aufbauend das Arbeitsmodell des Autors entfaltet, das in Anlehnung an Bruggemann aus der Annahme qualitativ verschiedener Formen der Arbeitszufriedenheit besteht: fixierte und konstruktive Arbeitsunzufriedenheit, resignative, progressive und stabilisierte Arbeitszufriedenheit.
  • Der zweite Teil der Arbeit besteht aus der Darstellung der Erhebung und der Ergebnisse. Die Untersuchung wurde 2007 in einem Altenpflegeheim in Bayern durchgeführt. Sie ist in einen quantitativen Abschnitt (schriftliche Befragung von 80 Pflegenden) und eine qualitative Erhebung (eingehende Interviews von 9 Pflegenden) zu dem Themenkomplex Arbeitszufriedenheit untergliedert. Die Ergebnisse der Untersuchung decken sich mit den bereits vorliegenden Erkenntnissen aus der stationären Altenhilfe bezogen auf die Arbeitsbelastung und die Arbeitszufriedenheit. So sind in dem untersuchten Heim nur 26 Prozent der Pflegenden mit ihrer Arbeit zufrieden, es überwiegt die resignative Arbeitszufriedenheit (49 Prozent). Mehr als 80 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Ansprüche an die Arbeit in der Altenpflege im Berufsalltag nicht konkret erfüllt werden können. Besonders der Zeitdruck (zuwenig Zeit für wichtige Aufgaben) wird als belastendes Element hervorgehoben (84 Prozent).
  • Im abschließenden und zusammenfassenden Teil der Untersuchung expliziert der Autor seine Erkenntnisse über diesen Gegenstandsbereich und gelangt zu einigen Schlussfolgerungen mit u. a. folgenden Inhalten: Forderung nach Reduzierung des Zeitdrucks, die Berücksichtigung familiärer und Freizeitinteressen, Vermeidung von physischer, psychischer und arbeitsbedingter Überforderung, Förderung beruflicher Kompetenzen und Qualifizierung und besonders auch die Förderung des gesellschaftlichen Ansehens des Pflegeberufs. Er prognostiziert zum Schluss, dass das Pflegesystem in Deutschland bald zusammenbrechen wird, wenn nicht umfassend die Problemlagen in der stationären Altenpflege u. a. durch Reformen gelöst werden.

Diskussion und Fazit

Es kann konstatiert werden, dass hier eine solide empirische Untersuchung vorliegt, die dem Stand der Forschung und zugleich auch den Interessenlagen der Pflegenden in Gestalt einer differenzierten und komplexen Erarbeitung des Sachverhaltes Pflege in stationären Altenhilfeeinrichtung gerecht wird. Diese Publikation verdient es, in den Fachkreisen eingehend rezipiert zu werden. Darüber hinaus bleibt zu hoffen, dass sich auch die Verantwortlichen und Entscheidungsträger in den Verbänden und in der Politik durch die Ergebnisse dieser Erhebung für die Bedürfnislagen der Pflegenden sensibilisieren lassen. Realistisch muss jedoch zu bedenken gegeben werden, dass solange die Prinzipien der Kostensenkung und der Konkurrenz die stationäre Altenpflege bestimmen, mit keinen grundlegenden Änderungen in Richtung auf eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse zu rechnen sein wird.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 09.12.2009 zu: Steffen Coburger: Arbeitsbedingungen, Erfolgserfahrungen und Arbeitszufriedenheit bei Pflegekräften der stationären Altenhilfe. Untersucht in einem bayerischen Sozialzentrum. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2009. ISBN 978-3-631-58894-9. Europäische Hochschulschriften - Reihe 11, Pädagogik - Band 984. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7867.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.


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