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Eva Hartmann, Caren Kunze et al. (Hrsg.): Globalisierung, Macht und Hegemonie

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 07.12.2009

Cover Eva Hartmann, Caren Kunze et al. (Hrsg.): Globalisierung, Macht und Hegemonie ISBN 978-3-89691-757-7

Eva Hartmann, Caren Kunze, Ulrich Brand (Hrsg.): Globalisierung, Macht und Hegemonie. Perspektiven einer kritischen Internationalen Politischen Oekonomie. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2009. 200 Seiten. ISBN 978-3-89691-757-7. 19,90 EUR.

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Die (Re-)Regulierung der Wirtschaft hat Konjunktur

Es sind die Schlag- und Reizwörter – Globalisierung, Macht, Hegemonie – die insbesondere kapitalismuskritische Vertreter in den öffentlichen, lokalen und globalen Diskurs bringen und dazu auffordern, eine fundierte Analyse der ökonomischen Entwicklung in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden Welt wissenschaftlich vorzunehmen und „die Grundstruktur der globalen politischen Ökonomie in den Blick zu nehmen“. Im Juni 2004 hat sich ein Kreis von Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) zur „Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG)“ zusammen geschlossen, um über „gesellschaftskritische Theorieansätze, deren Reproduktion und Weiterentwicklung in Zeiten ihrer zunehmenden Marginalisierung an den Hochschulen“ zu diskutieren, mit gemeinsamen Forschungsprojekten Theorie- und Praxisperspektiven zu entwickeln und die wissenschaftliche Disziplin der kritischen Internationalen Politischen Ökonomie (IPÖ) in das Blickfeld für eine humanere Welt zu bringen.

Entstehungshintergrund und AutorInnen

Die wissenschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter der IPÖ verstehen sich nicht als eine geschlossene Schule; vielmehr sind ihre Analysezugänge von unterschiedlichen Sichtweisen und Lösungsansätzen bestimmt. Was sie eint, ist „die Kritik an dem herrschaftsförmigen Prozess der neoliberalen-imperialen Globalisierung“. Als Herausgeber zeichnen für den Band Eva Hartmann, Oberassistentin am Institut für politische und internationalen Studien an der Universität Lausanne und engagiert im Bereich der Europäischen Integration mit dem Schwerpunkt Sozial- und Bildungspolitik , Karen Kunze, Politikwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin und im Arbeitskreis „Linker Feminismus“, sowie Ulrich Brand vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Wien und aktiv im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland und in der Bundeskoordination Internationalismus. Das Autorenteam will mit dem Sammelband das mittlerweile breit gefächerte Feld der kritischen Internationalen Politischen Ökonomie abstecken und mit den einzelnen Beiträgen sowohl ergänzende, als auch voneinander abgrenzende Analysen aufzeigen. So lässt sich das Buch durchaus als ein Grundgerüst für eine Theorie der IPÖ lesen. Die Beiträge informieren über eine Tagung der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, die im September 2007 an der Universität Kassel statt fand.

Inhalt

Der Hamburger Sozialökonom Hans-Jürgen Bieling setzt sich in seinem Beitrag mit „IPÖ zwischen neuer Orthodoxie und heterodoxen Ansätzen“ auseinander. Dabei zeigt er auf, dass sich die „Renaissance der Internationalen Politischen Ökonomie“ seit den 1970er Jahren dadurch kennzeichnen lasse, dass der Diskurs und die Auseinandersetzungen mit den drei großen theoretischen Paradigmen sich vollziehe - mit den Vertretern eines „merkantilistischen Realismus“, die den Blick auf die marktstrategischen Aspekte der nationalstaatlichen Wirtschafts- und Handelspolitik richteten; die „liberalen Internationalisten“ die Vorteile der ökonomischen Interdependenz und der politisch-institutionellen Verrechtlichung hervorhöben; sowie den Verfechtern des historischen Strukturalismus, die sich vor allem für die Mechanismen einer auf Ungleichheit und Ausbeutung orientierten internationalen Arbeitsteilung interessierten. Dabei arbeitet Bieling die unterschiedlichen Frage- und Forschungsaspekte der „neu-orthodoxen“ und der „heterodoxen“ IPÖ heraus. Dabei gehe es nicht darum, „neo-marxistische“ Perspektiven zu entwickeln, sondern die Internationale Politische Ökonomie zu einer „Integrationswissenschaft“ zu etablieren, als „interdisziplinäre Forschungs- und Diskussionsplattform“, mit dem Ziel, einen interdisziplinären Dialog von Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern, von SoziologInnen, HistorikerInnen und GeografInnen zu ermöglichen.

Die Wiener Politikwissenschaftlerin Petra Purkarthofer diskutiert die Frage, welche neuen Fragestellungen und Perspektiven für die heterodoxe IPÖ ergeben, angesichts von konkreter materieller und institutionalisierter Wirklichkeit von „Rassismus, Maskulinismus und Eurozentrismus als materielle Praxen postkolonialer Hegemonie“. Während sie einerseits die verschiedenen postkolonialen Theorien und Erklärungsansätze vorstellt, verdeutlicht sie andererseits die Kritik an den Begrifflichkeiten; etwa, dass der Begriff „postkolonial“ das Ende der kolonialen Epoche suggeriere. Im dritten Schritt sucht sie theoretische und praktische Anknüpfungspunkte zwischen den Postkolonialen Theorien und der IPÖ. So ist es die Wissenschafts- und Herrschaftskritik, die gemeinsame Analyse- und Forschungsaktivitäten ermöglichten; ebenso die feministische Kritik und Geschlechterperspektive; wie auch die Rolle des Staates; sowie die Verknüpfungen von Rassismus mit politischen und ökonomischen Verhältnissen.

Der Entwicklungstheoretiker Aram Ziai, als Gastprofessor für Internationale Entwicklung an der Universität Wien tätig, hat in einem anderen Diskussionsbeitrag erinnert: „Wer wie über die Dritte Welt spricht, ist eine eminent politische Frage“. In dem Buchbeitrag geht er auf Aspekte ein, wie sich feministische Perspektiven in der IPÖ artikulieren: „Von ´triad analytics’ bis ’worldism’“. Er erinnert an die „strategic silence“, als „Achse der Ungleichheit“, die in der IPÖ einer besonderen Aufmerksamkeit bedürften, nämlich dahingehend, das „triad analytics“ eine Weltsicht repräsentiere, wie Beziehungen und Verhältnisse wirksam seien. Es sei die Frage nach dem Subjekt, die in der IPÖ eine feministische Erweiterung der Hegemonietheorie notwendig mache.

Der Sozialwissenschaftler Bernd Röttger denkt über die Ursachen nach, wie das „eigentümliche Ausblenden der ’Gewerkschaftsfrage’ aus kritischen Ansätzen der IPÖ“ zu erklären sei. In seinem Beitrag „Gramsci, Gewerkschaften und kritische IPÖ“ diskutiert er Formbestimmungen und Formwandel des Klassenkonflikts, indem er zum einen Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie, Gewerkschaften und die Theorie Granscis darstellt, zum anderen den Fordistischen Kapitalismus und den Klassenkompromiss analysiert, und schließlich die Entstehung und Entwicklung der „Gewerkschaftsmacht“ als „Phase der sozio-ökonomischen Restrukturierung, die zur Grundlage eines politischen Prozesses wurde“. In den „neuen Krisen“ müssten sich – und dazu böten die Gramscischen Überlegungen genug Stoff – für eine Erneuerung der (transnationalen) Gewerkschaftsbewegung. Dabei schreibt Röttger eine Mahnung in das IPÖ-Stammbuch: „Kritische IPÖ … kann kein akademisierter Marxismus sein“.

Joscha Wullweber nimmt ebenfalls den Hegemoniebegriff auf, wenn er „eine hegemonie- und diskurstheoretisch fundierte Kritik der (internationalen) Politischen Ökonomie“ formuliert. In einer komplexen Analyse will er deutlich machen, dass in der sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen, gesellschaftlichen Diskussion dann ein anderes Ergebnis zustande kommt, wenn die Bedeutung eines Sachverhalts „diesem nicht inhärent ist, sondern permanent produziert“, gewissermaßen also hergestellt wird. Am Beispiel der Nanotechnologie zeigt er auf, wie hegemoniale Zusammenhänge zwischen der Entwicklung dieser Technologie, der Innovation und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die staatlichen Akteure produziert werden. Daraus entwickelt er Ansätze einer „Hegemonie- und Diskurstheorie“, die im Primat des Politisches ankert.

Der am Fachbereich Soziologie an der Universität Lancaster tätige Bob Jessop diskutiert das Konzept der „kontingenten Notwendigkeit“. Von der Annahme ausgehend, „dass alles, was in der realen Welt passiert, sich in gewisser Hinsicht ereignen muss und in diesem Sinne ’notwendig’ ist“. Mit diesem (nicht fatalistischen!) Analyseansatz kritisiert der Autor die Diskussion in der neo-gramscianischen IPÖ, die, wie z. B. den Begriff „Hegemonie“, „konzeptuell auf der nationalstaatlichen Ebene verortet und dann bezüglich der internationalen Ebene generalisiert“. Die hoch komplexen Ausführungen wären vermutlich besser in der Originalsprache Englisch und nicht in der deutschen Übersetzung verdaulich.

Die Politikwissenschaftler Joachim Hirsch und John Kannankulam von der Goethe-Universität in Frankfurt/M setzen sich mit der politischen Form des Kapitalismus in der „Internationalisierung des Staates“ auseinander, indem sie über „Räume des Kapitals nachdenken. Sie requirieren dabei den Marxschen Begriff der „sozialen Form“, mit dem er das Verhältnis zur klassischen Ökonomie kennzeichnet. Ihre These: Die aktuellen staatlichen Transformationsprozesse und die damit verbundene Verschiebung der politischen Räume könnten nur dann verstanden werden, wenn diese Aspekte in das Zentrum der Analyse gerückt würden. Die Verschiebungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaften zeigten sich z. B. durch die vielfachen Formen der Privatisierung von Politik, aber auch durch die stärkere Unabhängigkeit der internationalen Unternehmen von den einzelstaatlich organisierten Reproduktionszusammenhängen.

Ulrich Brand referiert in seinem Beitrag „Staatstheorie und Staatsanalyse im globalen Kapitalismus“ die von Nicos Poulantzas formulierte Betrachtung zu einer „materiellen Verdichtung von Kräfteverhältnisse“ mit Poulantzas sah den Staat als „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“ mit repressiven, ökonomischen und ideologischen Mitteln. Dadurch verfüge der Staat nur über eine „relative Autonomie“ in den ökonomischen Bereichen. Brand plädiert in dem Zusammenhang für eine Internationalisierung des Staates und insbesondere des „Staatsapparates“, in dem er eine „materielle Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse zweiten Grades“ erkennt.

Eva Hartmann setzt sich in ihrem Schlussbeitrag mit dem Stellenwert und der Forschungsbetrachtung des Rechts in der kritisch orientierten Internationalen Politischen Ökonomie auseinander. In der theoretischen (Forschungs-) Betrachtung wird dabei der Begriff des neoliberalen Konstitutionalismus benutzt, um die „neue Durchsetzungsmacht internationaler Politik“ zu erklären. Die Autorin weist darauf hin, dass in diesem Diskurs das Recht weitgehend nur als ein Instrument der Mächtigen aufgefasst wird und dabei die besondere Qualität der Konstitutionalisierung internationalen Rechts unberücksichtigt lässt. Denn es sind die komplexen Interaktionen zwischen Recht und Politik, die einer Neuformulierung in der Konstitutionalisierung des internationalen Rechts bedürfen.

Fazit

Der Tagungs- und Sammelband formuliert eine Reihe von, auch teilweise kontroversen Auffassungen und theoretischen Überlegungen, wie eine (Re-)Regulierung der lokalen, regionalen und globalen Wirtschaft analysiert und konstituiert werden kann. Die Positionen und Forschungsansätze der IPÖ beanspruchen dabei, „über die Untersuchung der gegenwärtigen Krise hinaus(zu)gehen und die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Transformationen der letzten zwanzig bis dreißig Jahre sowie die Grundstruktur der globalen politischen Ökonomie in den Blich (zu) nehmen“. Die einzelnen Beiträge eignen sich nicht als „Nachtschränkchen-Lektüre“; sie sind geschrieben für Studierende und Forschende, die mit den allseitig angepriesenen und real existierenden ökonomischen Strukturen und Formen eines „globalen Kapitalismus“ nicht zufrieden und einverstanden sind. Die Internationale Politische Ökonomie kann dazu eine Alternative sein. Der Zusammenschluss von kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der „Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG)“ legt einen Diskussionsbeitrag dazu vor, der diesen Diskurs zu befördern vermag.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1683 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 07.12.2009 zu: Eva Hartmann, Caren Kunze, Ulrich Brand (Hrsg.): Globalisierung, Macht und Hegemonie. Perspektiven einer kritischen Internationalen Politischen Oekonomie. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2009. ISBN 978-3-89691-757-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7881.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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