Günter F. Müller, Walter Braun: Selbstführung
Rezensiert von Dr. Georg Singe, 18.11.2009
Günter F. Müller, Walter Braun: Selbstführung. Wege zu einem erfolgreichen und erfüllten Berufs- und Arbeitsleben.
Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2009.
160 Seiten.
ISBN 978-3-456-84683-5.
19,95 EUR.
CH: 33,90 sFr.
Reihe: Wirtschaftspsychologie in Anwendung.
Thema
In wirtschaftlichen Krisezeiten nehmen berufliche Herausforderungen immer mehr zu und die Anforderungen an einzelne Mitarbeiter und Führungskräfte werden größer. Da sind Konzepte und Modelle der Selbstführung als Instrument der Steigerung von Arbeitszufriedenheit und beruflichem Erfolg gefragt. Das hier vorliegende Konzept der Selbstführung unterscheidet sich von anderen Modellen im Hinblick auf die umfassende und differenzierte Darstellung verschiedenster Formen der Selbstführung, der interdisziplinären wissenschaftlichen Fundierung und der praxisnahen Anwendung.
Autoren
Bei den Autoren des Buches verknüpfen sich das Fachwissen eines Universitätsprofessors und die Praxiskompetenz eines Unternehmensberaters. Günter Müller ist als Psychologe seit 1992 Professor für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie und Psychologie sozialen Verhaltens an der Universität in Landau. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Koordinierungsprozesse in Arbeitsgruppen sowie Eigeninitiative und Selbständigkeit im Arbeitsleben. Walter Braun hat Psychologie studiert und arbeitet als international anerkannter Unternehmensberater. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Organisationspsychologie an der Universität Bamberg und seit 2000 Lehrbeauftragter der Universität Koblenz-Landau für den Bereich Handlungskompetenz.
Entstehungshintergrund
Das Buch erscheint in der sehr praxisorientierten Reihe „Wirtschaftspsychologie in Anwendung“, in der bereits einige für den beruflichen Alltag nützliche Werke erscheinen sind. Die Autoren schreiben im Vorwort, dass sie mit dieser Publikation den oftmals oberflächlichen positivistischen Rezeptbüchern beruflichen Erfolgs ein wissenschaftlich begründetes und in der Praxis erprobtes Modell der Selbstführung entgegen halten wollen, das aus einem ganzheitlichen Blickwinkel die Prozesse der Ressourcennutzung interdisziplinär betrachtet.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in neun Kapitel.
Wird zunächst das zugrunde liegende Konzept der Selbstführung dargestellt, beinhaltet das zweite Kapitel die Strategien der Umsetzung. Diese werden im dritten Kapitel um die Eignungsfaktoren kompetenter Selbstführung erweitert. Ein Trainingskonzept der Selbstführungskompetenz steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels und die Fragen der Unternehmensführung sowie die Gestaltung der Organisationskultur bilden den Schwerpunkt des fünften und sechsen Kapitels. Eine ethische Reflexion auf die notwendigen Grundhaltungen und eine zusammenfassende „To Do“-Liste für mehr Selbstführung bündeln die Gedankengänge der unterschiedlichen Schwerpunkte. Eine ausführliche Literaturliste und ein Stichwortverzeichnis runden den Aufbau des Buches ab.
Inhalt
In der Darstellung des Konzeptes der Selbstführung (S. 13-38) wird deutlich, was die Autoren unter einem ganzheitlichen Ansatz verstehen. Selbstführung wird als ein dynamischer Prozess beschrieben, der neben den latenten habitualisierten Denk- und Verhaltensweisen auch die intuitiven und reflektierten innerpsychischen Prozesse mit einschließt. Dabei ist geschichtlich festzustellen, dass die Entwicklung der Arbeitswelt die Kernkompetenz „des(der) self organizing (wo)man)“ hervorgebracht hat, die Müller in seinen vielen früheren Publikationen ausführlich beschrieben hat. Selbstführung ist eingebettet in das Selbstkonzept des Individuums und stellt neben dem Zeit- und Selbstmanagement einen Teil der Selbstentwicklung dar. Dabei ist zu betonen, dass die Autoren die „Qualität der inneren Aktivierungs- und Steuerungsleistungen“ (S. 18) durchaus im Kontext der äußeren Bedingungsfaktoren der Umwelt diskutieren, die oftmals den Selbstführungsprozess als gegenseitigen Anpassungsprozess einschränken. Im Rückgriff auf Banduras Konzept der Selbstwirksamkeit werden die selbst gesetzten Ziele einer Realitätskontrolle unterzogen, um tatsächlich als Problembewältigungsmuster den beruflichen Herausforderungen gerecht zu werden. In diesem Kontext beziehen die Autoren auch die neurobiologischen Forschungen von Hüther und Roth mit ein und betonen die Bedeutung von innerpsychischen Prozessen der gedanklichen Stimulierung erfolgreicher Leistungsbewältigung. Die Wirkungsbereiche des Selbstführungskonzeptes zielen nicht nur auf die Selbstmotivierung und Selbstaufmerksamkeit, sondern vor allem auf die motorische, affektive und kognitive Selbststeuerung zielgerichteten Handelns. Eine ausführliche Checkliste zur Ermittlung der persönlichen Selbstführungskompetenz motiviert den Leser zum Abschluss des Kapitels zur Selbstreflexion.
Im zweiten Kapitel werden ausführlich die Strategien der Selbstführung erörtert (S. 39-95). Diese Kapitel bilden den Mittelpunkt des Buches und sind durch die vielen praktischen Beispiele, die Darstellung der Ergebnisse empirischer Studien, zusammenfassende Texte und Anregungen zur Selbstreflexion sehr leserfreundlich gestaltet. Das Kapitel gliedert sich nach den vier Ebenen der kognitiv reflexiven, der körperorientiert energetischen, der affektiv emotionalen und der handlungsorientiert praktischen Dimensionen der Selbstführung. Die wiederholenden Übungen zur Selbstreflexion motivieren, die eigene Kompetenz im jeweiligen Bereich genauer zu erfassen, persönlich auf dem Hintergrund der dargestellten Theorien zu verstehen und zu erweitern.
Im dritten Kapitel (S. 97-101) wird auf der Basis der Darstellung empirischer Studien diskutiert, dass in Erweiterung bisheriger Konzepte vor allem verschiedene Persönlichkeitsmerkmale ausschlaggebend für eine erfolgreiche kompetente Selbstführung sind, die bei vielen Konzepten zur Selbstführungskompetenz zu wenig oder unsystematisch berücksichtigt werden. Aus diesen Gedanken ergibt sich ein umfassendes Trainingskonzept, das die Autoren vielfach erprobt haben und nun zusammenfassend darstellen (S. 103-113). Für die Zielgruppe der Berater, Trainer, Coachs und Fortbildner ist dieses Kapitel sehr lesenswert, da die ausführliche Darstellung des Curriculums, der Lerninhalte und Lehrmethoden motivieren, die eigene Arbeit zu reflektieren. Zudem werden in diesem Kapitel stimulierende Impulse zum Selbstcoaching gegeben.
Die Kapitel fünf (S. 115-126) und sechs (S. 127- 136) führen auf dem Hintergrund des dargestellten Konzeptes aus, wie das Verhalten und die Einstellungen von Vorgesetzten Selbstführungskompetenz ermöglichen und die Organisation gestaltet sein muss, um dem Prinzip der Selbstführung gerecht zu werden. Dabei werden viele Berührungspunkte zu anderen Führungstheorien dargestellt und die Unterschiede erläutert. Auch hier runden wieder Testfragen zur Einschätzung des eigenen Führungsverhaltens aber auch zur Einschätzung des Führungsverhaltens von Vorgesetzten den Gedankengang ab. Die Voraussetzungen einer Organisation, die dem Anspruch einer selbstführungsgerechten Gestaltung der Arbeits- und Produktionsabläufe standhalten will, werden in einer Checkliste zusammengefasst und können gut zu einer Organisationsanalyse genutzt werden. Dazu gilt es auch, die notwenigen inneren Grundhaltungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Hier greifen die Autoren in einem eigenen Kapitel (S. 137-142) die Gedanken vieler anderer Autoren auf und geben in der Zusammenstellung ein umfassendes Bild der ethischen Dimensionen des Selbstführungskonzeptes. Dabei spielen nicht nur die Selbstaufmerksamkeit und die Idee der Gestaltungsfreiheit eine Rolle, sondern auch ein realistisches Machbarkeitsbewusstsein auf dem Hintergrund der ökologischen Einbindung in die soziale Umwelt. Dieses wiederum ist nur möglich, wenn ein grundlegendes „philanthropisches Vertrauen“ (S. 140) in die Entwicklungsorientierung lebender Systeme vorausgesetzt wird und eine große Toleranz gegenüber ungewissen Handlungsfolgen gelebt wird.
In der „To Do“-Liste, die das achte Kapitel ausmacht (S. 143- 147), werden alle wichtigen Aspekte des Konzeptes der Selbstführung zusammengefasst und als praktisch umzusetzende Ziele für den Arbeitsalltag nutzbar.
Diskussion
Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern auf dem breiten Markt bietet das vorliegende Werk eine umfassende Information zum Konzept der Selbstführung als Voraussetzung für die menschengerechtere Umgestaltung der Arbeitswelt. Die Leser brauchen sich nur zu entscheiden; das herausragende und gut lesbare Buch ist ein optimaler Begleiter, der keine unrealistischen Träume verspricht aber die innere Zufriedenheit von Arbeits- und Führungskräften erhöht und damit zur Humanisierung der Arbeitswelt einen wichtigen Beitrag liefert. Zudem gelingt es den Autoren bei aller praktischen Dimension der Ausführungen, immer wieder die wissenschaftlichen Fundierungen des Ansatzes darzustellen, die den Leser motivieren, das ausführliche Literaturverzeichnis wirklich zu nutzen, um interessante Fragen und Anregungen weiter zu vertiefen.
Fazit
Das Konzept der Selbstführung bereichert viele Zielgruppen mit wertvollen praktischen Anregungen und wissenschaftlichen Theorien aus Psychologie und Neurowissenschaft, um als Einzelner seine persönlichen psychischen Potenziale zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen, um als Trainer oder Berater Selbstführungskompetenzen zu vermitteln oder als Führungspersönlichkeit eine selbstführungsgerechte Unternehmenskultur aufzubauen. Auch für Studium, Lehre und Forschung eignet sich das Werk als herausragende einführende Literatur. Den Autoren ist es gelungen, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schlagen, die sich elegant und tragfähig für beide Seiten erweist.
Rezension von
Dr. Georg Singe
Dipl.-Sozialarbeiter, Dipl.-Theologe, Systemischer Familientherapeut, Supervisor und Lehrtherapeut (DGSF)
Dozent an der Fakultät I für Bildungs- und Gesellschaftswissenschaften, Fachbereich Soziale Arbeit der Universität Vechta
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Zitiervorschlag
Georg Singe. Rezension vom 18.11.2009 zu:
Günter F. Müller, Walter Braun: Selbstführung. Wege zu einem erfolgreichen und erfüllten Berufs- und Arbeitsleben. Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2009.
ISBN 978-3-456-84683-5.
Reihe: Wirtschaftspsychologie in Anwendung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/7896.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.
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