Michael Niehaus, Roger Wisniewski: Management by Sokrates
Rezensiert von Dr. Winfried Leisgang, 28.10.2009

Michael Niehaus, Roger Wisniewski: Management by Sokrates. Was die Philosophie der Wirtschaft zu bieten hat. Cornelsen Verlag GmbH (Berlin) 2009. 247 Seiten. ISBN 978-3-589-23676-3. 19,95 EUR. CH: 35,50 sFr.
Thema
Was hat die Philosophie mit dem Management zu tun? Diese Frage stellen die Autoren schon mit Ihrem Buchtitel, der an bekannte Führungskonzepte „Management by …“ anknüpft. Doch was hat hier Sokrates zu suchen? Sokrates steht für die Idee des permanenten kritischen Hinterfragens unternehmerischer Konventionen. Ziel des Buches ist es, das der Philosophie innewohnende Potenzial für die Unternehmens- und Mitarbeiterführung aufzuschließen und anschaulich zu machen. Es will althergebrachte Denkmuster aufbrechen helfen und das Management angesichts neuer und komplexer Problemstellungen öffnen für alternative Lösungsmöglichkeiten. Scheinbar Selbstverständliches wird gezielt und systematisch hinterfragt.
Autoren
Michael Niehaus ist Philosoph und Berater für Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen.
Roger Wisniewski ist Geschäftsführer einer Unternehmensberatung und arbeitet als Trainer und Coach.
Aufbau und Inhalt
Das erste Kapitel gibt in der Einleitung einen Überblick über die Fragestellungen und Themen des Buches.
Im zweiten Kapitel wird in das Leben, Wirken und die Lehre von Sokrates eingeführt. Bedeutsam für die weiteren Ausführungen erscheint das Selbstverständnis von Sokrates, was die Lösung von Problemen anbelangt. Er geht davon aus, dass jeder Mensch das Potenzial zur Lösung seiner Probleme in sich trägt. Die Philosophie hat die Aufgabe, durch gezieltes und systematisches Nachfragen die (noch verborgenen) Lösungsoptionen ans Licht zu bringen. Berühmt ist in diesem Zusammenhang der Vergleich von Sokrates mit der Kunst der Hebammen: Philosophie bringt die Wahrheit (wenn auch immer nur eine vorläufige) ans Licht der Welt.
Das dritte Kapitel beschäftigt
sich mit Fragen der philosophischen Lebensführung. Dabei
steht die Selbstsorge im Mittelpunkt, weil die Autoren davon
ausgehen, dass nur der für andere Verantwortung übernehmen
kann, der in der Lage ist, für sich selbst verantwortlich zu
sein. Angereichert ist das Kapitel mit Übungen, die die
Selbstsorge ermöglichen bzw. absichern (Selbstrezeption,
Selbstreflexion, Selbstproduktion). Die zentrale Überlegung zur
Selbstsorge ist das „memento mori“, die Erinnerung an den
eigenen Tod.
Der Abschnitt über die Philosophische
Praxis führt in die Prinzipien der philosophischen
Lebensberatung ein, gefolgt von den Fragetypen der philosophischen
Praxis (Bedeutungsfragen, Konkretisierungsfragen,
Unterscheidungsfragen, hypothetische Fragen, Fragen zweiter Ordnung,
ziel- und lösungsorientierte Fragen, paradoxe Fragen).
Im vierten Kapitel widmen sich die Autoren neueren Entwicklungen des sokratischen Denkens aus dem 20. Jahrhundert, anhand der beiden Vertreter Nelson und Heckmann. Im Anschluss wird beispielhaft ein sokratisches Gespräch nachgezeichnet, aus dem der Leser die Vorgehensweise und die Ergebnisse eines solchen Dialogs entnehmen kann. Inhalt des Gesprächs ist die Frage, was ein gutes Unternehmen auszeichnet. Den Abschluss bilden die Paradigmen sokratischen Philosophierens: Philosophie ist kein geschlossenes Lehrgebäude sondern ein partnerschaftlicher Dialog; Ausgangspunkt ist der einzelnen Mensch mit seinem konkreten Erleben; Verstehen und Nachvollziehen gehen einer kritischen Überprüfung voraus; Orientierung an der Vernunft und Philosophie hinterfragt Konventionen, Traditionen und Autoritäten, ist also durchaus unbequem.
Roger Wisniewski befasst sich im fünften Kapitel mit der Chronologie und den Ursachen der momentanen Finanzkrise. Dabei geht er der Frage nach, was die Ursachen für Gier und Machtstreben sind. Antworten darauf findet er in der Individualpsychologie von Adler, der Machtausübung als eine Kompensation von Defiziten der Kindheit interpretiert. Wisniewski stellt sich hier zur Recht die Frage, ob die psychologischen Defizitmodelle aus der Kindheit aus ethischer Sicht nicht zu kurz greifen. „Die Psychologie analysiert die Gründe und scheint Fehlverhalten zu entschuldigen, wo moralische und ethische Urteile angebracht wären.“ (S. 169)
Kapitel sechs widmet sich daher dem
eigentlichen Thema des Buches, der Wirtschaftsethik als Teil der
Wirtschaftsphilosophie. Hier werden dem Leser zunächst die
Grundlagen der Ethik, als der Suche nach gutem Handeln, erläutert.
Nach der Erläuterung der deontologischen (der Pflicht, das
Erforderliche zu tun bei Kant) und der teleologischen (der
Orientierung an einem positiv bewertetem Ziel im Utilitarismus)
Begründung der Ethik landet man bei der integrativen
Wirtschaftsethik von Peter Ulrich. Dessen Anliegen ist es,
Ethik und Wirtschaft zu verbinden und er postuliert, dass ethische
Normen und Werte dem Gewinnstreben vorausgehen. Sinn des
Wirtschaftens ist daher eine Erweiterung der menschlichen Lebensfülle
und nicht die Gewinnmaximierung. Das Ziel ist die Freiheit des
Menschen, nicht die Freiheit der Märkte! Daran anschließend
lassen sich erste ethische Orientierungen aufzeigen, was ein in
diesem Sinne gutes Unternehmen auszeichnet.
Der nächste
Abschnitt dieses Kapitels thematisiert die Entwicklung des
ökonomischen Denkens. Ausgehend von Aristoteles wird die Theorie
zur Ökonomie von Adam Smith vorgestellt und ihr in
Kurzform die Überlegungen von Mill, Marx, Ruskin, Schumpeter,
Keynes, Eucken, von Hayek und Friedman zur Seite gestellt.
Dabei wird deutlich, dass es um die prinzipielle Frage geht, ob und
falls ja, inwieweit sich der Staat in das Wirtschaftgeschehen
einmischen soll bzw. darf.
Anschließend wird nach
der rechten Mitte gefragt. Sokrates definiert Tugend, als die
Mitte zwischen einem Übermaß und einem Mangel.
Den Abschluss bildet ein fiktives Gespräch mit Sokrates,
einem Unternehmer, einem Banker und einer Politikerin zur Frage, wie
die Banken Vertrauen bei den Kunden für ihr ökonomisches
Handeln zurückgewinnen.
In Kapitel sieben befasst sich Michael
Niehaus mit dem Thema Wissensmanagement. Wissen ist ein
zentraler Bestandteil in Unternehmen, der mehr und mehr
ökonomisch-funktional ‚ausgebeutet‘ wird. Vor diesem
Hintergrund stellt Niehaus die Frage, welches Wissen Objekt
des Wissensmanagements ist. Er greift dazu zunächst auf das
antike Verständnis von Wissen zurück, das zwischen
Episteme-Wissen und Techne-Wissen unterscheidet. Ersteres wird als
eine wahre geprüfte Meinung verstanden, die mit einer
ursächlichen Erklärung verknüpft ist (theoretisches
Wissen). Letzteres bezeichnet ein anwendungsorientiertes
Expertenwissen, eine praktische Fachkompetenz (praktisches Wissen).
Die anschließende Analyse des Wissensverständnisses von
Sokrates fügt der Begriffsbestimmung von Wissen weitere
Details hinzu: Wissen beinhaltet einen Wahrheitsanspruch, ist an
Personen gebunden, Episteme-Wissen ist zweckfrei, Techne-Wissen
zweckorientiert und Wissen entsteht in einem dialektischen
Prozess.
Diesem Verständnis von Wissen stellt der
Autor den Umgang mit Wissen in der Ökonomie entgegen. Dabei
stützt er sich auf die Theorien zum impliziten/expliziten Wissen
von Polanyi und Nonaka/Takeuchi.
Die
Abhandlung offenbart, dass der Mensch in Unternehmen als
Wissensträger entmachtet wird, indem seine Expertise für
die Organisation zweckrational abgerufen und gesichert wird. Sein
implizites Wissen wird in explizites Wissen überführt. In
Unternehmen existieren keine Gütekriterien für die Qualität
von Wissen. Wissen wird lediglich zweckrational als Ware bzw.
Ressource behandelt, die der Profitmaximierung dient.
Den
Abschluss bildet eine Darstellung, wie das sokratische Gespräch
implizites Wissen aufdeckt und dokumentiert.
Das achte Kapitel zieht ein Fazit. Die sokratische Methode des Hinterfragens hat immer einen gesellschaftlichen Bezug. Sokrates suchte nach Alternativen, sowie nach Werten und Prinzipien. Die Führungskräfte in der Wirtschaft sollten in ähnlicher Weise bestehende Verhältnisse hinterfragen. Eine Methode dazu ist das sokratische Gespräch, das nach einem Konsens der Gesprächspartner sucht.
Diskussion
Die Einführung in das sokratische Denken gelingt den Autoren sehr anschaulich und überzeugend. Wer sich noch nicht mit den antiken Denkern befasst hat findet hier eine kompakte Einführung.
Einen hohen Anspruch sehe ich in der Forderung der Autoren an die Führungskräfte, bestehende Verhältnisse grundlegend zu hinterfragen. Meistens frisst das System seine Kinder. Oder anders formuliert: Das Management ist Teil des existierenden ökonomischen Systems und damit Teil der Probleme, die die aktuelle Wirtschaftskrise provoziert hat. Die von den Autoren postulierte Alternative zum Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, ist eine von mehreren Lösungen. Die bisherigen politischen Entscheidungen in der Krise offenbaren aber eindeutig, dass das bisherige Wirtschaftssystem auf Kosten nachfolgender Generationen gestützt wird. Eine nachhaltige soziale und ökologische Entwicklung unserer Gesellschaften wird damit nicht befördert, sondern eher blockiert. Als diesem Grunde ist der sokratische Anspruch nicht alleine und zu allererst an die Manager anzulegen. Sie sind häufig in der Position, den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern und damit nicht immer frei in ihren Entscheidungen. An die Politiker kann aber zu Recht der Anspruch gestellt werden, etablierte Verhältnisse zu überprüfen und zum Wohl der Allgemeinheit zu verändern.
Bedauerlich finde ich, dass die Auseinandersetzung um die Frage, was ein gutes Unternehmen ausmacht philosophisch und ethisch nicht zu Ende geführt wurde. Vor allem deshalb, weil ja betont wurde, dass es eigentlich auch um einen ethischen Standpunkt geht. Der Diskurs, welche ethischen Konsequenzen aus der momentanen Finanz- und Wirtschaftskrise gezogen werden müssten, wurde mit dem alleinigen Hinweis auf Ulrich doch sehr eng und alternativlos geführt. Hier hätten auch die Gedanken moderner Ökonomen wie Amartya Sen einfließen können, der sich explizit mit einer Ökonomie für den Menschen befasst, die er im Bezug auf die Freiheit des Menschen philosophisch und ethisch begründet. Auf diese Weise bleiben dann doch zu viele Fragen offen, auf die der Leser selbst eine Antwort finden muss, ohne immer mit ausreichend Hintergrund versorgt worden zu sein. Aber vielleicht ging es den Autoren, wie in der Einleitung dargelegt, tatsächlich nur um ein Hinterfragen und nicht um wohlfeile Antworten.
Fazit
Ein Buch mit Stärken, Längen und Lücken. Die philosophische Einführung und Darstellung des Denkens von Sokrates ist leicht verständlich und nachvollziehbar. Der Anspruch der Reflexion des eigenen Handelns an das Management ist berechtigt, berücksichtigt aber nicht immer die Grenzen einer Revision bestehender Verhältnisse durch die Manager. Längen ergeben sich an den Stellen, an denen es um die Selbstdarstellung der Beratungsarbeit der Autoren geht. Die Lücken werden dort offenkundig, wenn es darum geht, aus der Analyse ethische Konsequenzen für ein menschenwürdiges Wirtschaften zu ziehen. Hier bleiben die Autoren zu oberflächlich und suchen zu wenig nach begründbaren Alternativen. Die Aporie (ich weiß, dass ich nichts weiß) scheint wohl auch ein elementarer Bestandteil des Buches zu sein.
Rezension von
Dr. Winfried Leisgang
Dipl. Soz.-Päd., Master of Social Work (M.S.W.)
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