Susanne Weinert Portmann: Familie - ein Symbol der Kultur
Rezensiert von Prof. Dr. Andrea Helmer-Denzel, 31.10.2009

Susanne Weinert Portmann: Familie - ein Symbol der Kultur. Perspektiven sozialpädagogischer Arbeit mit Familien. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2009. 193 Seiten. ISBN 978-3-531-16610-0. 24,90 EUR.
Autorin und Entstehungshintergrund
Die Autorin, Susanne Weinert Portmann ist als Familienberaterin tätig und legt mit dieser Veröffentlichung ihre Dissertation vor.
Thema und Zielsetzung
Das Ziel der Arbeit besteht darin, die Praxistauglichkeit der Theorie des Philosophen Ernst Cassirer an der Symbolform „Familie“ zu veranschaulichen und für die Sozialpädagogik zugänglich zu machen.
Aufbau und Inhalt
Ernst Cassirer war daran gelegen, nicht nur für die Philosophie, sondern auch für andere Wissenschaften die Voraussetzungen zu schaffen, „Kultur“ zu verstehen. Dabei sind für ihn Religion, Sprache, Technik und die Kunst grundlegende Kulturgestalten. Susanne Weinert Portmann legt dar, dass auch die Symbolform Familie als eine Kulturgestalt zu begreifen ist und leitet die symbolische Form „Familie“ aus den theoretischen Ausführungen Cassirers ab. Dabei berücksichtigt sie, dass nach Cassirer, die Menschen ihre Eindrücke in drei Dimensionen symbolisch zum Ausdruck bringen. Es gelingt dies mit Hilfe von Mythen, von Wissenschaft und von Sprache.
Die Autorin überträgt die Analyseformen von Cassirer und nähert sich der Kulturgestalt Familie mit Hilfe der Form- und Funktionsanalyse. Neben der Untersuchung des charakteristischen sinnlichen Erscheinungsbildes von Familie, zeichnet sie nach, in welcher Weise die Kulturgestalt Familie für die menschliche Kultur sinnhaft ist. Der Sinn ergibt sich dabei aus der Frage nach der Art des Handelns. Daraus wiederum sollen Hinweise zum Modus des Erfahrens gewonnen werden, die abschließend in einer Konstitutionsanalyse untersucht werden.
Im dritten Kapitel wird zunächst eine Formanalyse durchgeführt und zu diesem Zweck wird die Frage gestellt, welches kulturelle Gebilde als familiäres Gebilde erkannt werden kann? Auf der Suche nach einer „einheitlichen Gestalt des Familiären“ (S. 62, Hervorhebung im Original) werden familiäre Erscheinungsformen interdisziplinär und umfassend dargestellt. Dabei kommt die Autorin zu der Erkenntnis, - die in der Folge auch für den sozialpädagogischen Zugang zum System Familie von Wichtigkeit ist - dass insbesondere Haushaltsfamilien, in denen die Koresidenz einer familialen Gruppe festgestellt werden kann, das charakteristische Erscheinungsbild der symbolischen Form der Familie darstellen. Koresidenz wird als Voraussetzung für Alltagsgestaltung gewählt und im Weiteren wird der Alltag als Strukturmaxime familiären Handels herausgefiltert. Anhand der Untersuchung des Alltagsgeschehens des Systems Familie, kann demzufolge festgestellt werden, ob sich ein familiales System im Gleichgewicht befindet.
In einem weiteren Schritt wird im dritten Kapitel eine Funktionsanalyse durchgeführt, die sich aus der Formanalyse ableitet. Es wird geklärt, wozu den Menschen die Lebensform Familie dient; der Fokus wird hier auf das Alltagshandeln gelenkt. Weinert Portmann kommt zum Schluss, dass es die Daseinsvorsorge, genauer die Triade aus Lebenserhaltung, Individuum und Zusammenleben (S. 96) ist, die durch alle Zeiten und Kulturen die Sinnhaftigkeit des familialen Systems ergibt. In der Konstitutionsanalyse wird abschließend konstatiert, dass das Sozialgebilde Familie sich nur dann erhalten kann, wenn es in der Lage ist, mit der Pluralität der Handlungsumwelt umzugehen. Diese Fähigkeit, sich in unterschiedlichen Erfahrungsräumen mit pluralen Deutungsangeboten, orientieren zu können, charakterisiert die Autorin, mit Cassirer, als die Fähigkeit des mythischen Denkens (S. 106). Die Umsetzung dieser Kompetenz in familialen Zusammenhängen wird in Bezug auf Zeit, Raum und Sprache entwickelt.
Im vierten Kapitel wird der Transfer unternommen und die Kulturtheorie in eine sozialpädagogisch verwertbare Form gegossen. In Bezug auf Familie bedeutet dies: „eine universelle Kompetenz .- möge sie auch beschädigt sein – aufdeckend zu restaurieren und zu befördern, um in deren Möglichkeiten die für das Wohl der Familie nötigen Veränderungen zu erreichen.“ (S.145, Hervorhebung im Original). Um einen praktischen Zugriff zu ermöglichen, werden die philosophischen Begrifflichkeiten in Arbeitsbegriffe übersetzt. Das sozialpädagogische Handeln bezieht sich auf die Personenwelt in Form der koresidierenden Familienmitglieder. In die Kategorie der Daseinsfürsorge fallen alle Aktivitäten der Fürsorge im Alltag, und der mythische Erfahrungsmodus wird als Erfahrungswelt „dingfest“ gemacht. Diese drei Arbeitsbegriffe im Blick, geht es in der sozialpädagogischen Kulturarbeit letztlich darum, Dysfunktionalitäten in Familiensystemen zu erkennen und zu bearbeiten. Zum Schluss werden drei Familiensysteme und die dort bearbeiteten Dysfunktionalitäten aus der Praxis aufgezeigt.
Diskussion
Der Hauptgutachter der Arbeit, Hans Thiersch, bietet bereits im Vorwort des Buches eine Kurzrezension an:„Die Arbeit (…) scheint mir bedeutsam und für die Fachdiskussion wichtig in ihrem Brückenschlag zwischen Sozialpädagogik und Kulturtheorie und – darin und vor allem – in der Fundierung dieses Bezuges im Kulturkonzept Cassirers, das sie für die Fachdiskussion, in der es nicht präsent ist, wieder zugänglich macht“ (S. 13). Tatsächlich gelingt es der Autorin, eine Theorie, die auf den ersten Blick nur wenig Anknüpfungspunkte zum Familiensystem bietet, für die sozialpädagogische Arbeit fruchtbar zu machen. Das Buch wurde jedoch in erster Linie für den akademischen Diskurs geschrieben, mit der Zielsetzung eine Dissertation abzulegen. Dieser Zielsetzung wird die Lesefreundlichkeit in weiten Teilen geopfert. Der Transfer der theoretischen Ausführungen in die anwendbare Praxis bleibt, zumindest zum Ende des Buches, etwas sperrig. Eine konkrete Verknüpfung der drei Fallbeispiele mit dem theoretischen Input, wäre für das Verständnis hilfreich gewesen.
Fazit
Das Buch präsentiert eine innovative Dissertation, die für ein theorieinteressiertes Fachpublikum sehr ergiebig ist. Für die Veröffentlichung hätte die Arbeit allerdings etwas lesefreundlicher gestaltet werden sollen.
Rezension von
Prof. Dr. Andrea Helmer-Denzel
Studiengang „Senioren/Sozial-gesundheitliche Dienste-Bürgerschaftliches Engagement“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg - Heidenheim
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