Thomas Schwietring: Was ist Gesellschaft?
Rezensiert von Prof. Dr. Richard Utz, 05.03.2013

Thomas Schwietring: Was ist Gesellschaft? Einführung in soziologische Grundbegriffe.
UTB
(Stuttgart) 2011.
358 Seiten.
ISBN 978-3-8252-8430-5.
24,90 EUR.
Reihe: UTB L (Large-Format).
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8252-8737-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Einführungen in sozialwissenschaftliche Fachdisziplinen gleichen weniger Reiseführern als Reisebeschreibungen. Reiseführer stellen die Sehenswürdigkeiten, Denkmäler und Sammlungen eminenter Kulturstätten quasi wie inventarisiert vor, um die Reisenden informativ auf das Kulturerlebnis der Materialien vor Ort einzustimmen. Reisebeschreibungen dagegen rechnen viel weniger damit, dass ihre Leser je selber die beschriebenen Gegenden bereisen, und porträtieren daher mehr als dass sie informieren. Sie schildern eigene Reiseeindrücke so, dass Leser im Geist mitreisen und, eingeladen durch die Subjektivität des Autors, in ihrer eigenen Fantasie die fremden Gefilde aufsuchen können, indem sie das vom Autor real Vorerlebte imaginär nacherleben.
Die Einführung des Duisburg- Essener Soziologen Thomas Schwietring in soziologische Grundbegriffe ist eine solche Reisebeschreibung in die Welt der Soziologie. Das Besondere an ihr ist, und das unterscheidet sie von den gängigen, dass sie keine terra incognita, sondern im Gegenteil terra cognita beschreibt, und zwar so, dass das uns bekannte Gebiet fremd erscheint, aus terra cognita terra incognita wird. Und das ist die typische Situation der Soziologen: Sie handeln von Sachverhalten, die im Bewusstsein ihrer Leser und Studenten als Tatsachen geläufig und durch wertende Stellungnahmen immer schon besetzt sind und also ausreichend geklärt erscheinen. Und insofern bedarf es immer einer besonderen Anstrengung bei der Einführung in dieses Fach, die die Aufhebung der perspektivischen Selbstverständlichkeiten und eine Verkehrung der gewohnten Beziehungen zur eigenen Welt herbeiführen muss, mit der wir auf sie blicken. Nur dann entsteht der besondere Erkenntnisprofit der Soziologie, den Peter L. Berger in seiner legendären „Einladung zur Soziologie“ treffend einen „Kulturschock minus Ortsveränderung“ nannte.
Auf diese Situation reagiert auch Thomas Schwietring in seiner Einführung. Er tut dies mit einer Reihe von Fragezeichen, die er hinter Identifikationsbegriffe setzt, die der Laie im einzelwissenschaftlichen Ausweis der Soziologie vermutet, so hinter ihren sich vermeintlich von selbst verstehenden Grundbegriff „Gesellschaft“. Daher lautet der Obertitel seines Buches nicht „Gesellschaft“, sondern „Was ist Gesellschaft?“
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau dieser Einführung folgt dementsprechend dem Schema: Fragen zu stellen, für die der Common Sense immer schon Antworten parat hält, um die Leser aus dem Nachweis ihrer Fragwürdigkeit zu dem Erkenntnisabenteuer zu verführen, auf das mensch sich seit Georg Simmel, Emile Durkheim und Max Weber unter dem expliziten Titel „Soziologie“ akademisch einlassen kann. So folgt auf das einführende Kapitel „Was ist Gesellschaft“, eines „Besteht eine Gesellschaft aus Menschen?“, darauf eines „Hat eine Gesellschaft Grenzen?“, sodann eines, Georg Simmels Frage aufnehmend: „Wie ist Gesellschaft möglich?“, um mit der an Paul Watzlawik erinnernden Fragestellung: „Wie wirklich ist soziale Wirklichkeit?“ zur eigentlichen Frage zu kommen, die eine Einführung in die Soziologie über eine Einführung in ihre Grundbegriffe ihren Lesern doch immer schuldig ist: „Was ist und womit beschäftigt sich Soziologie?“ Mensch sieht, der Autor bemüht sich, mit Selbstverständlichkeiten aufzuräumen, um den Blick auf das freizulegen, was der Student erst durch „Soziologie“ in einem neuen, zuvor so nicht erkannten Sinn zu verstehen vermag.
In den auf diese folgenden sechs Kapitel seines Buches traktiert der Autor klassische Fragen wie die von Hobbes nach der Genese „Sozialer Ordnung“, wie die von Rousseau nach der „Ungleichheit“, wie die von Hume nach der „Macht“, wie die von allen Sozialphilosophen nach der „Identität der Person“, wie die vom Feminismus nach der Sozialität oder Kulturalität der „Geschlechtlichkeit“ und schließlich nach dem Thema des abweichenden Verhaltens, das seit der Suicide-Studie von Emile Durkheim systematischer Bestandteil der soziologischen Reflexion ist. Und in allen Kapiteln verfolgt Schwietring die Strategie des Aufräumers mit Allgemeinplätzen über „Gesellschaft“, auf denen er seine Leser vermutet, um sie zu irritieren.
Didaktisch folgt der Autor den heutigen Üblichkeiten, also den Erwartungen eines eher leseungeduldigen, querlesegewohnten Publikums, das leseökonomisches Textmanagement nachfragt. So finden sich in dieser über dreihundert Seiten starken Einführung vor allem die Schnellleser angesprochen, die optische Orientierungsbeschleuniger in Gestalt von Stichwortmarginalia durch den Text leiten, deren knappe Aufmerksamkeit durch in den Text eingesprengte, hellgrau unterlegte Originaltextdarbietungen, lexikografisch aufgemachte Begriffsetymologien und Bedeutungsgenealogien plus Kurzsystematisierungen des Autors in Kostprobengröße effizient belohnt wird, die durch punktgenaue Nachschlagbarkeit der Sachinhalte durch gliederungsformalistisch übersichtlich gemachte Untergliederung der Gliederung der Kapitel themengenau geführt werden, die durch am Kapitelende weiterführende Lektürehinweise zu folgenreicher Weiterlektüre animiert, die durch „Verständnis- und Reflexionsfragen“ zur intellektuellen Assimilation motiviert und denen schließlich durch ein „Fazit“ noch einmal das vom Autor verfolgte Erkenntnisanliegen in leicht fasslicher Sprache kommuniziert werden sollen. Soweit kommt das Buch seiner Zielgruppe durch didaktisches Textmanagement entgegen.
Das Buch verwertet eine breite Literatur, die keine einseitige Orthodoxie erkennen lässt, sondern auf Pluralismus der Klassik ebenso wie auf einen der aktuellen Literatur setzt, ohne modisch zu werden. Für meine Besprechung des Buches greife ich nur die eine, titelgebende Infragestellung aus einer Vielzahl heraus, um zu prüfen, wie das anfangs von mir vorgestellte Kriterium der Irritation selbstverständlicher Allgemeinplätze durch diesen Text eingelöst wird. Ich möchte also zuschauen, inwiefern Schwietring es gelingt, das fraglos Gültige, das durch den Common Sense Ratifizierte zu zerfragen und durch eine genuin soziologische Antwort erkenntniserweiternd zu ersetzen, die die Studenten der Soziologie als Bildungsgewinn im Sinne einer Horizonterweiterung verbuchen könnten.
Betrachten wir die Beantwortung der Frage „Was ist Gesellschaft?“näher. Der Autor schreibt dazu: „Alle haben Auffassungen davon, wie Gesellschaft ist und wie sie sein sollte…Und dennoch: Wer könnte spontan die Frage, was Gesellschaft ist, präzise beantworten?“ (Schwietring 2011: 19) Diese rhetorische Frage impliziert ein „Nein“ und diese wird belegt mit Beispielen aus unserer Alltagswahrnehmung als Fußgänger, Konsumenten und Zuschauer, die sagen sollen: Gesellschaft kann man nicht sehen, die Menschen sind nicht die Gesellschaft, sie hat keinen Anfang und keine Ende. Sodann wird „Gesellschaft“ in seine Operationalisierungen durch das Normalverständnis von ihr aufgelöst, in „Politik, Öffentlichkeit, bürgerschaftliches Engagement, gesellschaftliche Werte oder Ziele, (in) Integration, Bildung, Zusammenhalt und Wandel, (in) Ungleichheit und Ausgrenzung, Arm und Reich, Regeln und Konventionen und vieles mehr.“(ebd.:21) Dem wird das Normalselbstverständnis der Menschen gegenübergestellt, die sich gerade nicht als Wesen verstehen, welche sich durch diese Gesellschaftsaspekte irgendwie geprägt oder beeinflusst wähnen, sondern sich als „autonome, selbstbestimmte Individuen“(ebd.) begreifen.
Diese Selbstverständlichkeit relativiert der Autor durch ihre Historisierung (die Menschen sahen sich zu anderen Zeiten anders) und zeichnet sie als typisch modern aus. Erste Antwort auf die Frage „Was ist Gesellschaft?“ lautet dann: „Gesellschaft als die gesellschaftliche Wirklichkeit, die uns umgibt, und uns selbst als Individuen, die wir in dieser Gesellschaft eben und durch die in ihr verfügbaren Möglichkeiten und Vorstellungen in unserer Sicht auf die Welt, aber auch in unserem Blick auf uns selbst geprägt sind.“(ebd.:22)
Das klingt so allgemein wie selbstverständlich, ist noch keine soziologische Erklärung, sondern eine bloße Beschreibung, wie sie auch soziologisch Außenstehende Wirksamkeit von Gesellschaft geben könnten. Gesellschaft erscheint hier wie etwas Allumfassendes, fast wie eine Art Gott, der immer schon da ist und in allem wirkt, was den Menschen ausmacht. Aber der Autor gibt auch eine schlichtere, implizite Antwort auf seine Titelfrage, indem er „Gesellschaft“ als Angewiesenheit auf und Abhängigkeit von andere(n) Menschen (ebd.) bestimmt. Aber, so der Autor, „die“ Gesellschaft sei keine „feste und in sich geschlossene Tatsache“(ebd.:23), sondern ein „komplexes Geschehen voller Verzweigungen und Widersprüche. Dahinter steht kein leitendes Prinzip, keine zentrale Macht, keine übergreifende Ordnung. Gesellschaft besteht aus zählebigen, aber auch aus flüchtigen Elementen, aus offensichtlichen Zusammenhängen und aus unerwarteten und schwer durchschaubaren Mechanismen (vgl. 1.2).“(ebd.) Damit nimmt er dem Gesellschaftsbegriff sogleich die Griffigkeit, hält ihn nicht fest, sondern in der Schwebe. Bezüglich der „Gesellschaft“, so lautet die Botschaft, kann der Mensch seinen Sinnen trauen und doch wieder nicht, weil das sinnlich Offensichtliche einen unsinnlich-unersichtlichen Untergrund habe, der aber seinerseits nicht spezifizierbar, nicht in konsistente Elemente aufzulösen sein soll. Ist das eine soziologische Erkenntnis?
Dieses Moment des Enigmatisch-Unbestimmbaren von Gesellschaft verstärkt der Autor durch eine Kritik der Alltagsverwendung des Begriffs. „Allgemeine gesellschaftliche Mechanismen“(ebd.) bestünden nicht in Begriffspaaren wie Integration/Desintegration, das seine eher „gesellschaftliche Wunschvorstellungen“(ebd.) darstelle. Sodann sei Gesellschaft nicht als soziales Problem, nicht als Devianz von ihrer Normalität fassbar, das sei eine typische Einseitigkeit des Gesellschaftsverständnisses, das den Blick dafür verdecke, dass auch das Unproblematische, das Konforme des Normalen „Gesellschaft“ sei.
Diese Strategie überzeugt nicht, die gestellte Frage nach dem Sein der Gesellschaft nicht verbindlich zu beantworten, weil jede Antwort ihre Fraglichkeit unterschlage, die Widersprüche und Inkonsistenzen des Sozialen ausblende, die eben das Soziale auszeichneten. Der Autor prüft deshalb Begriffsalternativen zur „Gesellschaft“ wie Vergesellschaftung bei Georg Simmel, der zwar mit seinem Wechselwirkungsbegriff auf die Dynamik der Gesellschaftlichkeit hinweist, aber gerade aus ihr diejenige Formenstatik herausdestilliert, in der die Mannigfaltigkeit gesellschaftlichen Lebens seiner Meinung nach geordnet, strukturiert dahin strömt: „Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung“ lautet doch der Titel des Simmel‘schen Buches. Simmel interessiert Beides, das Sowohl-als-Auch von Form und Inhalt, von Struktur und Prozess, von Sein und Werden, nicht deren Entweder-Oder.
Schwietring widmet sich im Weiteren seiner Demontierungsarbeit am Begriff der einen „Gesellschaft“, die identisch sein könnte mit „einer“ Vorstellung von ihr, die also als begrenzt, strukturell identifizierbar, einheitlich, statisch usf. imaginiert werden könnte, durch einen Kurzausflug auf die Multiplexität unserer Lebensverhältnisse und das Faktum der Mobilität und Migration. In Kapitel 3 wird diese Thematik nochmals aufgenommen, das „Hat eine Gesellschaft Grenzen?“ überschrieben ist. Dabei wird die Frage nach der Grenze und Begrenzbarkeit von Gesellschaft in den Kontext solcher Begriffe wie Territorialität, Nationalstaat, Globalisierung und Weltgesellschaft gestellt und verneint, weil das soziale Leben faktisch als zu beweglich, kontinuierlich-diskontinuierlich und deshalb als unbegrenzbar gelten könne.
Im Fazit zu diesen Erörterungen kommt der Autor zu keiner endgültigen Aussage, oder doch? „Was ist Gesellschaft?“ sei die falsche Frage erfährt mensch da, deshalb seien eigentlich nur falsche Antworten möglich, da sie ein identifizierbares Sein suggeriere, ein Sein eines Gegenstandes mit sinnlichen Qualitäten, angebbar, messbar, einheitlich darstellbar, das die unfassbare „Gesellschaft“ gerade nicht sei. Wenn das also prinzipiell unmöglich sein soll, auf die Frage: „Was ist Gesellschaft?“ soziologisch sinnvolle Antworten zu finden, worum geht es in der Soziologie, die der Autor seinen Lesern anbietet? Er schreibt zum Abschluss von Kapitel 3: „Eines der Anliegen der folgenden Kapitel ist, Begriffe und Modelle vorzustellen, die diesem besonderen Charakter von Gesellschaft als einer dynamischen Verflechtung gerecht zu werden. Zugleich sollen diejenigen unter den zu behandelnden Begriffen und Erklärungen kritisiert werden, die ein Geschehen vorschnell verdinglichen, indem sie es als starren Sachverhalt etikettieren.“(ebd.:79)
Fazit
Erfüllt also der umfangreiche, dreihundertundneununddreißigseitige Text mein Kriterium, dass es an die Stelle kritisierter und überwundener Allerweltsevidenzen des Lebensweltmenschen die außeralltäglichen Einsichten dieser säkularen Esoterik namens „Soziologie“ setzen kann? Und lohnt sich dieser halb die Lektüre?
Großzügig geantwortet: „Ja“, das tut sie, weil sie sich bemüht, z.B. die Ungleichheitsvorstellungen oder das zur Alleserklärungsvokabel verkommene und in unserer Öffentlichkeit so auffallend gerne zu Deutungszwecken herangezogene Macht- und Herrschaftskonzept zu unterlaufen. Letzteres beispielsweise durch den Hinweis, dass Herrschaftsbeziehungen auch auf einer Folgebereitschaft, auf einem Einverständnis aus Legitimitätsglauben, also auch auf dem Glauben seitens der Herrschaftsunterworfenen beruhe, dass ein Herrschaftsanspruch berechtigt sei, und nicht bloß auf einem Mehr an Macht, auf Machtasymmetrie.
In dieser Qualität allgemeiner Art, die wenig spektakulär und bloß eine Richtungsänderung des gewohnten Denkens, nicht aber seine Überwindung erfordert, bestehen die reichlich vom Autor gegebenen Beispiele, um Alltagsevidenzen umzustoßen und durch soziologische zu substituieren, die Geschlechtlichkeit als sozial konstruiert oder Devianz als Etikettierungsprozess verstehen.
Gemessen an dem, was soziologische Klassik zu bieten hat, sind die Lektionen dieser Einführung doch eher Anleitungen zur Soziologie in Form moderater Gedankensprünge, nicht zu vergleichen mit den Quantensprüngen und Höhenflügen, die die Originaltexte eines Karl Marx, eines Georg Simmel oder eines Max Weber den angerührten Lesern eröffnen. Rigide geantwortet, schafft es diese auch in ihrer Länge zu langatmige und deshalb auch ständig in der Gefahr langweilig zu werdende Reise in die Welt der Soziologie es nicht, ihre Leser durch Antworten so zu überraschen, dass sie aus dem begrifflich gesicherten Gleichgewicht ihrer Alltagsevidenzen geraten. Nur dann öffnen sie sich doch soweit, um die Mühen und Anstrengungen auf sich zu nehmen, um die harte Gedankenarbeit zu leisten, die keine Didaktik des Entgegenkommens ersetzen kann. Denn das muss doch die Aufgabe, das Ziel, der Sinn einer Einführung in Grundbegriffe sein, wenn sie denn überhaupt prinzipiell einen haben kann, dass sie zur Arbeit am Begriff motiviert, die gerade nicht kompendiös zu organisieren ist.
Wenn der Autor schon an der Alltagssprache und ihren Bedeutungen ansetzt, so hätte er doch ihre Spielräume, ihre Feinheiten, Schattierungen und Doppelbödigkeiten nutzen können, die etwa ein Georg Simmel in seiner „Soziologie“ so virtuos handhabte. Simmel gewann der Alltagssprache diejenigen Bedeutungen ab und schmiedete sie in Grundbegrifflichkeiten der Soziologie um, die etwas Neues und Überraschendes im Altbekannten und Gewohnten erkennen helfen, das mensch so vor der Lektüre nicht hatte wahrnehmen und denken können. Schopenhauer nannte das die Kunst, das Ungewöhnliche in gewöhnlichen Worten zu sagen, und für die Soziologie heißt das: Wenn schon „Einführung“, dann in den gewöhnlichen Sprachgebrauch, um aus ihm heraus die ungewöhnlichen Sinnzusammenhänge der soziologischen Grundbegriffe zu entwickeln, mit deren Hilfe sich eine außergewöhnliche, eben soziologische Sicht auf Beziehungen, Menschen und Dinge eröffnen lässt.
Zweifelllos hat Schwietring viele wichtige Texte gelesen und zweifellos informiert er seine Leser sachlich angemessen über Themen, Theorien, Thesen der Soziologie und bringt auf diese Weise viel Wissenswertes unter sein Publikum, das sich so gut auf Bachelor-Klausuren vorbereiten kann. Dennoch gibt diese für meinen Geschmack zu lange Reisebeschreibung in die Landschaften der Soziologie zu wenig von dem her, was Max Weber in Wissenschaft als Beruf so vehement von den Lehrenden und Forschenden forderte: Nichts zu tun, was man nicht aus Leidenschaft tue. Davon ist für meinen Geschmack zu wenig zu spüren, was sicherlich an meiner Art des Lesereisens und an meinem Temperament liegt, die ich die meisten klassischen Textmassive selbst bereist habe, nie leicht, also nie didaktisch angeleitet und durch geschicktes Textmanagement auf Lernzielrelevanzen hin navigiert, sondern stets mit Mühe, zeitaufwändig, langwierig, beharrlich, um schließlich am Ende der Reise ein anderer geworden zu sein. Und nur auf diese Weise, das ist meine feste Überzeugung als ewiger Student der Soziologe, ist zu lernen, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Text, ein soziologischer zumal, unser Denken, unsere Sicht auf Dinge und Menschen in den Grundbegriffen von ihnen ändert und wir selbst diese Reise antreten wollen, ohne alle Reiserücktrittsversicherung, von der wir nie wissen können, wie wir von ihr wiederkehren, und noch wichtiger: über die wir während der Anstrengung des Studierens verstehen lernen, dass diese Reise nicht mehr enden wird, sobald wir soziologisch über unsere Welt und unser Leben in ihr nachdenken.
Rezension von
Prof. Dr. Richard Utz
Hochschule Mannheim, Fakultät für Sozialwesen
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