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Karl-Heinz Boessenecker, Achim Trube u.a. (Hrsg.): Privatisierung im Sozialsektor

Rezensiert von Thomas von Holt, 01.06.2001

Cover Karl-Heinz Boessenecker, Achim Trube u.a. (Hrsg.): Privatisierung im Sozialsektor ISBN 978-3-933158-29-1

Karl-Heinz Boessenecker, Achim Trube, Norbert Wohlfahrt (Hrsg.): Privatisierung im Sozialsektor. Sozialpolitik und Sozialmanagement Band 1. Votum Verlag (Münster) 2000. 368 Seiten. ISBN 978-3-933158-29-1. 22,00 EUR.

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Einführung in das Thema

Der Sozialsektor ist im Umbruch: Das alles beherrschende Selbstkostendeckungsprinzip wird von Leistungsverträgen abgelöst, private Anbieter drängen in den Markt, die Kommunen lagern Teilbereiche in eigene Tochtergesellschaften aus oder übergeben sie an Dritte (Papst S. 69 bis 75). Die aus finanzieller Not geborene (Riediger/Wohlfahrt S. 145) und von einem marktfixierten Dogma getriebene Entwicklung ist mit wenig strategischem Weitblick unterlegt (Boeßenecker/Trube/Wohlfahrt S. 15). Sie wird von einer zunehmend heftigeren Diskussion begleitet. Dabei sind sich die Beteiligten der prinzipiellen Unumkehrbarkeit der Entwicklung im Wesentlichen bewusst, vor allem geht es jetzt um Schadensbegrenzung.

Privatisierung kann als Auslagerung in kleinere Einheiten (Freier S. 122), als Outsourcing (Fremdvergabe ohne weitere Einflussnahme, Freier S. 121) und als dirigierende Übertragung der Aufgaben an Einrichtungen gemeinnütziger Träger (Freier S. 123) oder gewerblicher Dritter (Freier S. 124) erfolgen. Alle Facetten werden in dem Buch angesprochen.

Hintergründe der Entstehung des Buchs

Die neubegründete Themenreihe versteht sich als inhaltliches Diskussionsforum für die Akteure der Sozialen Arbeit, Sozialpolitik und der Sozialadministration. Ihr geht es um

  • eine sozialpolitische Reflexion des neuen Trends zum Management,
  • die Essentials einer Reorganisation Sozialer Dienste, Trägerschaften und soziale Einrichtungen und
  • die Methoden und Verfahrensweisen von Sozialer Arbeit und Sozialadministration.

Die einzelnen Bände der Themenreihe wollen jeweils eine Vielzahl von Autoren mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen zu Wort kommen lassen.

Aufbau und Inhalte des Buchs

Der Band ist in sieben Themenbereiche gegliedert.

Im ersten Teil Grundlagen, Rahmenbedingungen, Entwicklungshintergründe und internationale Trends werden die Entwicklungshintergründe etwas verkürzt (z.B. Trube/Wohlfahrt S. 24) dargestellt. Eine wesentliche Rahmenbedingung der Privatisierungsbestrebungen ist die schlechte Lobby der Sozialverwaltung. Deren Ursache wiederum ist leicht zu ermitteln: bekanntlich weiß z.B. in aller Regel Unfassbares zu berichten, wer als Arbeitsloser mit dem Service das Arbeitsamt zwangsbeglückt wurde. Die Verwaltung stellt sich nicht auf die Nutzer ein und verliert dadurch jeden Rückhalt bei den Bürgern (vgl. Freier S. 118: Wiederherstellung der Kundensouveränität). Privatisierungsbestrebungen sind in solchen Fällen leicht zu rechtfertigen. Es dürfte daher nicht wundern, wenn auch die aus Sicht ihrer "Kunden" gigantische Geldvernichtungsmaschine Arbeitsamt demnächst als Objekt einer Teilprivatisierung erkannt würde. Die Politik versucht, die Vorherrschaft gegenüber der Verwaltung zurück zugewinnen, indem sie die Verwaltungsverantwortung auf Steuerung statt Durchführung der Aufgaben zurückführt (so richtig Trube/Wohlfahrt S. 36).

Etwas irritierend wirkt der wiederholte Verweis auf die Misserfolge des britischen Privatisierungsprogramms (z.B. Trube/Wohlfahrt S. 36 und 367 - aus Deutschland sei der BEWAG-Verkauf in Berlin erwähnt): solchen eher in den Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft anzusiedelnden Fällen wird der Leser die erfolgreiche Privatisierung der Telekom gegenüberstellen wollen.

Grunow/Köppe stellen in ihrem Beitrag zur Qualität abschließend die Schwächung der Marktmacht der Wohlfahrtspflege heraus und machen zu Recht darauf aufmerksam, dass eine durch Privatisierung verprellte und ausgezehrte Wohlfahrtspflege fürderhin möglicherweise nicht mehr als Helfer in politischen Notlagen zur Verfügung stehen wird (S. 61).

Papst mahnt nach einer informativen Darstellung der Rechtsentwicklung (S. 65 bis 75) die Bereitschaft der Wohlfahrtspflege zur Änderung ihrer Organisationsstrukturen und Rechtsformen an (S. 77).

Boeßenecker stellt die Perspektiven in seinem Beitrag zum Balanceakt zwischen Neuer Steuerung und Subsidiarität recht pessimistisch dar (S. 92). Zugegebenermaßen zeigt die Privatisierungswelle aus finanzieller Not geborenes stümperhaftes Flickwerk, statt konzeptionellen Weitblick. Aber Outsourcing (S. 85 f) zum Beispiel muss nicht zu Qualitätseinbußen führen: Richtig gestaltetes Outsourcing hat die Übertragung von Tätigkeitsbereichen auf einen Dritten, der hier seine Kernkompetenz hat (Freier S. 118), zum Gegenstand. Outsourcing führt dann zu besserer Leistung bei geringeren Kosten. Zu Recht kritisiert Boeßenecker die von Seiten der Kommunen initiierte Gründung von Vereinen, deren demokratische Legitimation sich auf handverlesene Ratsmitglieder beschränkt.

Evers/Leichsenring stellen Reformbeispiele aus Schweden und den Niederlanden vor.

Den zweiten Teil Chancen und Risiken einer Privatisierung im sozialen Sektor eröffnet Freier mit einem kritischen Blick auf das Leistungspotential klassischer Sozialverwaltung (S. 120). Zutreffend legt er Wert auf die konkrete Ausgestaltung der Privatisierung. Erfahrene Verwaltungsbeamte oder langgediente Politiker sind in der Tat nicht immer die geeigneten Vertreter in den Steuerungsgremien (S. 122). Er weist zu Recht darauf hin, dass die Leistungsberechtigten durch die Privatisierung ein Stück Souveränität, d.h. Selbstbestimmung gewinnen können und der Kunde ein gewisses Maß an Qualitätskontrolle sicherstellt (S. 127).

Riediger/Wohlfahrt stellen mehrere Privatisierungsbeispiele aus NRW dar. Sie beklagen zutreffend, dass Privatisierungen aus finanzieller Not statt strategischem Weitblick erfolgen (S. 145). Aus den angeführten Beispielen lässt sich ableiten: erfolgreiche Privatisierung setzt das richtige Konzept und die richtige Vertragsgestaltung voraus.

Kulbach behandelt unter anderem die Kernelemente des Kontraktmanagements. Richtigerweise kritisiert er die Strukturen herkömmlicher Sozialverwaltungen und sieht in der privatisierungsbedingten Krise der Sozialverwaltungen eine Chance zur Modernisierung des öffentlichen Sektors. (S. 155).

Trube im Resümee seines Beitrags zur Sozialarbeit als selbständiges Unternehmertum beizupflichten, dass Sozialarbeit keine Lobby haben wird, solange sie sich nicht an ihren konkreten Leistungen messen lassen will (S. 166).

Der Abschnitt Die Perspektive der Freien Wohlfahrtspflege wird von Brückers mit den verbandlichen Perspektiven aus Sicht der Arbeiterwohlfahrt eingeleitet. Er verzichtet auf eine Bloßstellung unseres selbsternannten Rechts- und Sozialstaates, der die Wohlfahrtspflege zur Übernahme des öffentlich geprägten Tarifsystems bewegte, um sie jetzt ungerührt dem Wettbewerb mit privaten Anbietern auszusetzen. Nach einer guten Auflistung verbandlicher Gründe zur Auslagerung (S. 173 bis 176) stellt er zutreffend heraus, dass die Tarifstrukturen der Wohlfahrtsverbände keine wettbewerbsorientierten Steuerungselemente enthalten (S. 174, so auch Steinhausen S. 189). Die verbandliche Unverwechselbarkeit will er über ein Qualitätssicherungssystem sicherstellen (S. 178 f).

Steinhausen regt in seinem Beitrag zur Einschätzung aus Sicht des Paritätischen eine Verlagerung des ehrenamtlichen Engagements auf die strategische Lenkung an (S. 155). Rechtlich unzutreffend hält er dies haftungsrechtlich vereinbar mit den derzeitigen Verbandsstrukturen durch eine "Zuschreibung von Verantwortlichkeit und Vollmachten" (S. 188 f). Er arbeitet pointiert den Unterschied zwischen Kostenträger, nämlich Steuer- und Beitragszahler einerseits und Kostenzahler, nämlich Kommunen, Krankenkassen und Arbeitsämter andererseits heraus (S. 189).

Bombosch stellt aus Sicht des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche im Rheinland detailliert einen missglückten Outsourcing-Prozesses dar und zeigt Lösungsansätze auf (S. 193 bis 204). Er begrüßt die Kundenorientierung (S. 209 bis 211) und sieht in den europäischen Entstaatlichungstendenzen eine europaweite Chance des freigemeinnützigen Nonprofitsektors (S. 212).

Im Abschnitt Durch Privatisierung zur Kundensouveränität beschreibt Nährlich das Neue Steuerungsmodell und hebt die mit der Privatisierung verbundene Stärkung der Eigenverantwortung hervor (S. 233 bis 239).

Schädler/Rohrmann/McGovern stellen die Chancen und Risiken des Kontraktmanagements in der Behindertenhilfe dar (S. 243 bis 258).

Im Abschnitt Organisatorische und rechtliche Aspekte einer Privatisierung sozialer Dienste gibt Hempel einen sehr gerafften Überblick zu den einzelnen Rechtsformen (S. 264 bis 277) und stellt anschließend einen Kriterienkatalog zur Beurteilung der Ausgliederungsfähigkeit öffentlicher Leistungen vor. Auch in diesem Beitrag klingt wieder an, dass erfolgreiche Privatisierung das richtigen Konzept und die richtige Vertragsgestaltung voraussetzt.

Eicker-Bix weist zutreffend auf die privatisierungsbedingt steigende Bedeutung des Vergaberechts hin und stellt wesentliche Aspekte dieses Rechtsgebiets dar.

In einem weiteren Abschnitt werden ausgewählte Praxisbeispiele der Privatisierung vorgestellt.

Abgerundet wird der Themenband durch einen Ausblick, in dem Boeßenecker/Trube/Wohlfahrt unter anderem etwas einseitig die möglichen Gefahren der weiteren Entwicklung ansprechen.

Den weiteren Bänden der Reihe sollte zur Erhöhung der Übersichtlichkeit eine kurze Autorenlegende beigefügt werden.

Fazit

Das Werk bietet eine ausgezeichnete Übersicht zum Diskussionsstand der Privatisierung. Die große Zahl der Autoren führt zwar teilweise zu wiederholten ähnlichen Darstellungen, vermittelt aber andererseits eindrucksvoll die Vielzahl der Facetten. Der fleißige Sammler kann aus dem Werk eine ganze Palette von Argumenten für seinen eigenen Standpunkt oder eine Fülle von Informationen für die erfolgreiche Gestaltung einer Privatisierung zusammenstellen. Den Herausgebern ist für die Zusammenführung der sonst sehr gestreut geführten Diskussion zu danken.

Rezension von
Thomas von Holt
Rechtsanwalt und Steuerberater
Tätigkeitsschwerpunkt Recht und Steuerrecht der Nonprofit-Organisationen
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Es gibt 4 Rezensionen von Thomas von Holt.

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Zitiervorschlag
Thomas von Holt. Rezension vom 01.06.2001 zu: Karl-Heinz Boessenecker, Achim Trube, Norbert Wohlfahrt (Hrsg.): Privatisierung im Sozialsektor. Sozialpolitik und Sozialmanagement Band 1. Votum Verlag (Münster) 2000. ISBN 978-3-933158-29-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8.php, Datum des Zugriffs 02.12.2023.


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