Sonja Bröning: Kinder im Blick
Rezensiert von Magª (FH) DSA Christine Haselbacher, 09.02.2011

Sonja Bröning: Kinder im Blick. Theoretische und empirische Grundlagen eines Gruppenangebotes für Familien in konfliktbelasteten Trennungssituationen.
Waxmann Verlag
(Münster/New York/München/Berlin) 2009.
256 Seiten.
ISBN 978-3-8309-2140-0.
29,90 EUR.
Reihe: Internationale Hochschulschriften - 527.
Thema
Thema des Buchs sind konfliktbelastete Trennungssituationen von Eltern und deren Auswirkungen. Die Autorin selbst versteht ihre Arbeit als Beitrag zum Verstehen und Verändern hochstrittiger Trennungskonstellationen. Der Elternkurs „Kinder im Blick“ soll ein hilfreiches Unterstützungsangebot zur Stärkung der Erziehungskompetenz sein.
Autorin
Sonja Bröningist Pädagogin und Mediatorin und war 2008 an der Entstehung des Elternkurses „Kinder im Blick“ beteiligt.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist die Dissertation der Autorin.
Aufbau
Das Werk gliedert sich in zwei Teile:
A Konfliktbelastete Familien in
Trennung
1. Einteilung von Trennungskonflikten
und ihren Folgen
2. Erklärungs- und
Prozessmodelle anhand empirischer Charakteristika konflikthafter
Trennungen
B Kinder im Blick – Ein
Gruppenangebot für konfliktbelastete Familien in Trennung
3. Bewältigungshilfen für
konfliktbelastete Familien in Trennung
4. Der Elternkurs „Kinder im
Blick“ – konzeptuelle Grundlagen, Kursaufbau und erste
Befunde der formativen Evaluation
Inhalt
Teil A widmet sich in Kapitel
1 zunächst der Einteilung von Trennungskonflikten und
ihren Folgen. Als Scheidungsgründe werden die
gesellschaftlichen Veränderungen genannt, allen voran der
Funktionswandel und damit die Veränderung der Bedeutung von Ehe
weg non der Versorgungsehe hin zur Liebesheirat und Glückserfüllung.
Hingewiesen wird darauf, dass es formal rechtlich einen
Unterschied zwischen Verheirateten et ergo Geschiedenen und
Lebensgemeinschaften et ergo Trennungen gibt. Vom psychischen Erleben
der Trennung macht das keinen Unterschied.
Es folgen ein
Überblick und eine Zusammenfassung bisheriger
Scheidungsforschung. Es wird vom Transitionsprozess, also
zusammenhängenden Veränderungen auf mehreren Ebenen bzw.
in unterschiedlichen Bezugssystemen gesprochen. Bezüglich der
Auswirkungen von Trennung gibt es eine positive und eine negative,
also durchwegs heterogene Befundlage. Resilienzfaktoren, sowie die
Umstände der Trennung, die zeitliche Dauer und die neuen
Lebensumstände spielen für Kinder wie für Erwachsenen
eine Rolle.
Wie die Autorin aufgrund ihrer ausführlichen
Literaturrecherche darlegt, sind die unmittelbaren Trennungsfolgen
für Kinder als belastend beschrieben, während es über
Langzeitentwicklungen unterschiedliche Forschungsergebnisse gibt.
Ebenso wie es nicht die Familie gibt, gibt es nicht die
Scheidung und die Reorganisation.
Risiko- und
Schutzfaktoren können beachtet werden. In der elterlichen
Kooperation, „Elternallianz“, „Coparenting“
und „kooperativen Elternschaft“ liege der Schlüssel
für‘s Gelingen, umso mehr, wenn hohe
Kommunikationsqualitäten zwischen den Eltern zu finden sind im
Unterschied zu einer arrangierten parallelen Elternschaft.
Das sehr aufschlussreiche Unterkapitel 1.4 wird der
Hochstrittigkeit von Trennung und Scheidung gewidmet und ordnet
dieser Definition Erkennungsmerkmale zu. Sehr differenziert geht die
Autorin auch auf die speziellen Probleme der Forschung und ihrer
Unparteilichkeit in diesem Bereich ein. An Einflussfaktoren zur
Hochstrittigkeit werden die intrapsychische, die interaktionale und
die externale Ebene genannt.
In Kapitel 2 werden Erklärungs-
und Prozessmodelle anhand empirischer Charakteristika konflikthafter
Trennungen dargestellt. In Folge stellt sich die Autorin die
Aufgabe anhand beschriebener Einflussfaktoren einen möglichen
Unterschied zwischen hoch strittigen und weniger strittigen
Trennungen sowie deren Wirkung auf elterliche Zusammenarbeit und
kindliches Wohlbefinden zu untersuchen.
Es werden sehr
viele Details zu unterschiedlichen Begrifflichkeiten , Überschriften
und Codes konflikthafter Trennung zueinander in Beziehung gesetzt,
untersucht, zur Diskussion gestellt und eingeordnet: Elternbeziehung,
Elternpersönlichkeit, Kontextfaktoren, Elternallianz,
Erziehungsverhalten, kindliche Entwicklung
Umso
erstaunlicher ein recht interessantes Ergebnis: „Hochstrittige
sind nicht prinzipiell anders, sondern festgefahren.“ (S. 130)
Die Dimensionen des WIR - die Ebene der Elternbeziehung, des KIND –
die Erzeihung und Beziehung zum Kind und des ICH- das Individuum in
der Trennungssituation sind in hochstrittigen Situationen in ihrer
Ausrichtung ähnlich gelagert wie in weniger strittigen
Situationen.
Teil B setzt die Kinder in
den Blick und erläutert zunächst in Kapitel 3
Bewältigungshilfen für konfliktbelastete Familien in
Trennung. Die Beratung in Fällen von Hochstrittigkeit,
mitunter gerichtsnahe Beratung setzt sich der Herausforderung der
Beratung im Zwangskontext, sowie Koalitionskämpfen und der
Polarisierung aus.
Ziele der Unterstützung sind die
Wahrung der Rechte der Kinder und die gemeinsame Elternverantwortung.
Mediation und für hochstrittige Paare hilfreiche Varianten davon
werden als wichtigste Instrumente vorgestellt. Darüber hinaus
werden weitere Interventionsformen dargelegt, z.B. der begleitete
Umgang.
Kapitel 3.3 widmet sich speziell dem
strukturierten Gruppenangebot für Familien in Trennung und nimmt
starken Bezug auf die amerikanische Praxis und ihre
Evaluationsanalysen. Dabei werden Format und Struktur, Zielsetzung
und Inhalte, sowie Didaktik und Evaluation dargestellt. Demgegenüber
herrsche ein Mangel an solcher Art strukturierter Gruppen in
Deutschland.
Insbesondere hochstrittige Familien haben da
wie dort rare Angebote, ihre Gemeinsamkeiten und Unterscheide werden
heraus gearbeitet. Theoretische Ansätze zur Einordnung
unterschiedlicher Interventionsformen werden elaboriert.
Verpflichtende Elterntrainings, die die Schädlichkeit der
Hochstrittigkeit verdeutlichen werden als sinnvoll erachtet.
Schließlich wird in Kapitel 4 der Elternkurs „Kinder im Blick“ aus München in seinen konzeptuellen Grundlagen, seinem Kursaufbau und ersten Befunden der formativen Evaluation vorgestellt. Es ist ein Kurs, der sich an Eltern in Trennung richtet und die elterliche Erziehungkompetenz stärken soll.
In der theoretischen Annäherung
wird die familiensystemische Perspektive erläutert. Bezogen auf
Erziehungskompetenz empfiehlt die Autorin ihrerseits einen
autoritativen Erziehungsstil, der sich durch Bezogenheit, Autonomie
und Kompetenz – bestenfalls aller Beteiligten auszeichnet.
Ein Augenmerk wird auf die emotionale Kompetenz gelegt, wo sich
auch Resilienz- und Ressourcenansätze finden lassen. In diesem
Sinne wird das elterliche Erziehungscoaching , sowie ein
Kommunikationstraining zur Bewerkstelligung der Trennungsverarbeitung
geschildert.
Die Trennung der Eltern muss vollzogen
sein, gleichgültig wie lange sie her ist. Die TeilnehmerInnen
haben ein unterschiedliches Konflikt- oder Eskalationsniveau und
nehmen freiwillig, parallel in zwei Gruppen an sechs Abenden teil. In
Zukunft könnte es auch eine richterliche Weisung zur Teilnahme
geben. Ziel ist das Einüben kindzentrierter Elternschaft, unter
anderem mit der Methode des Rollenspiels. Betont wird die Wirksamkeit
der sozialen Gruppe. Jede Einheit steht unter einem Motto rund um ICH
– KIND – WIR. Von den stattgefundenen Gruppen wurden
zahlreiche Daten erhoben, evaluiert und dargelegt.
Mit
dem Schlusswort der Autorin ist dem Programm auch in Zukunft Alles
Gute zu wünschen: „Eltern bleiben Eltern, auch in
konflikthaften Trennungssituationen und mit allen Konsequenzen, die
dies für die betroffenen Kinder hat. Den Eltern diese Würde
und Autonomie zu lassen, ohne das Wohl der Kinder aus den Augen zu
verlieren, stellt auch zukünftig eine Gratwanderung für
alle dar, die mit Hilfen für Familien in Trennung befasst sind.“
Diskussion
Auf Grund des starken wissenschaftlichen Charakters des Werkes scheint es in erster Linie für die Lehre, Forschung und Entwicklung geeignet zu sein. Zielgruppe könnten Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und Fachkräfte sein.
Das Buch ist Zeugnis einer sehr gründlichen Arbeit. Ist diese nun als Fachliteratur oder als Dissertation zu rezensieren? Das Forschungsdesign und die Erhebungsinstrumente werden präzise und seriös dargelegt. Die Forschung entspricht state of the art, ihre Erläuterung und Auswertung ist für die Scientific Community gedacht. Interessant ist, dass die Autorin vorher Hypothesen beschreibt, die sie qualitativ prüfen will.
Auffallend ist, dass Forschung nach wie vor Gefallen daran zu finden scheint, vom Defizit auszugehen und nicht vom Gelingen! Ausgegangen wird von lebenslang haltenden Beziehungen. Fraglich ist, wem so stark Defizit orientierte Modelle der Dysfunktionalität dienen. Wie schön wäre es gewesen, das ganze Forschungsvorhaben ebenso genau, gelingenden Facetten zu widmen! Kontexte und Sprache schaffen Wirklichkeiten.
Kapitel 2 und 3 sind für sehr forschungsinteressierte Personen geeignet, während Kapitel 1 und 4 auch für ein neugieriges Fachpublikum oder zur Untermauerung von Konzeptideen passend scheinen. Eilige und vornehmlich an der Praxis Interessierte könnten auch mit diesen beiden Kapitel n Vorlieb nehmen. Auch in diesen beiden Kapiteln wird viel Verknüpfung zur Theorie zitiert.
Insofern stellt das Buch einen gewissen Bruch dar zwischen den beiden Teilen A und B – Theorie und Praxis. Die beiden Teile miteinander zu verweben und als Synthese zu präsentieren, wo Theorie Praxis befruchtet, und Praxis auch Theorie erweitert, wäre ein nächster Schritt. Letzteres ist in dem Buch bereits angelegt.
Das Werk erklärt auch das formale Verfahren einer Scheidung in seinen wichtigsten Schlagwörtern (gemeinsames Sorgerecht, Verfahrenshilfe…). Die große Belesenheit der Autorin ist bemerkenswert. Den (auch wissenschaftlichen) Lesefluss stört die Fülle an Zitaten etwas.
Insgesamt ein sehr differenziertes Werk, das sich aus vielen Perspektiven der Komplexität, Verstricktheit und Vielschichtigkeit des Trennungsgeschehens widmet. Mitunter entsteht der Eindruck, ein einziger Absatz ist so reichhaltig, dass er Grundlage für zahlreiche Sequenzanalysen sein könnte.
Fazit
Das Phänomen Trennung und Scheidung existiert als solches und Kinder sind beteiligt. Eine Ausformung davon sind hoch strittige Trennungsfamilien. Wie die Autorin selbst feststellt, gerät die Forschung hier leicht selbst zwischen die Fronten, auch politischer und religiöser Werthaltungen. In diesem Sinne bewegt sich diese Studie gekonnt zwischen der wechselseitigen Einflussnahme von Empirie und Konstrukten. Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Scheidung/ Trennung wird durch die Darlegung eines praktischen Kurses zur Stärkung der elterlichen Allianzen auch in hochstrittigen Konstellationen ergänzt.
Rezension von
Magª (FH) DSA Christine Haselbacher
FH-Dozentin, Bereich Soziale Arbeit, Fachhochschule St. Pölten GmbH
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