Ralf Krause, Marc Rölli (Hrsg.): Macht
Rezensiert von Prof. Dr. em. Christel Hafke, 25.09.2009
Ralf Krause, Marc Rölli (Hrsg.): Macht. Begriff und Wirkung in der politischen Philosophie der Gegenwart.
transcript
(Bielefeld) 2008.
282 Seiten.
ISBN 978-3-89942-848-3.
26,80 EUR.
CH: 47,00 sFr.
Reihe: Edition Moderne Postmoderne.
Thema und Zielsetzung
Die beiden Herausgeber haben in diesem Buch sehr unterschiedliche Positionierungen zur Machtthematik zusammengetragen und sie schreiben, dass es ein schwieriges Unterfangen sei, „die Macht zu einem Gegenstand der Philosophie zu machen.“ (7) Nicht nur sich zum Teil widersprechende Konzeptionen sind hierfür verantwortlich zu machen, sondern vor allem, „dass die Begriffsbildung selbst eine strategische, von Machteffekten durchwirkte Operation darstellt.“ (8) Der im scholastischen Denken als „personales Ursprungsgeschehen“ verstandene Machtbegriff, der auch heute noch unser Alltagsverständnis prägt, wird dem Verständnis Nietzsches folgend auf die „unhintergehbare Pluralität von Machtverhältnissen“ (9) verschoben. Macht wird nicht länger verstanden als ein Wesen oder in personalisierter Form an ein Subjekt gebunden, vielmehr wird nach den „Modalitäten und Ausrichtungen ihrer Ausübung“ (9) gefragt. Ein Verständnis als „modale Macht oder Ermöglichungsmacht“ (9) öffnet die Klammer weit, dass so unterschiedliche Machttheoretiker wie Hegel, Luhmann, Arendt und Foucault nicht nur Berücksichtigung finden, ja teilweise sogar direkt parallelisiert werden. Es ist das Anliegen der Autoren, „die für ein zeitgemäßes Machtverständnis maßgeblichen Impulse“ (v. a. bei Arendt, Foucault und Luhmann) freizulegen und entsprechende Beiträge in diesem Buch zu versammeln.
Gesichtspunkte für die Auswahl oder die Reihenfolge der 14 Beiträge werden nicht genannt.
Aufbau und Inhalt
Das Buch teilt sich in einen ersten Teil „Zum Begriff der Macht“ und einen zweiten, der mit „Machtfelder“ überschrieben vor allem „spezifische Bereiche“ und die „ihnen inhärenten Machtverhältnisse analysiert.“ (14)
Im ersten Beitrag beschreibt Georg Zenkert mit Bezug auf Hegels Sozialphilosophie eine konstitutive Macht, die, sich vom Typ der Handlungsmacht und dem der Herrschaft unterscheidend, politische Selbstbestimmung ermöglicht. Volk und Verfassungsstaat werden zusammen gedacht als „durch die Verfassung konstituierte Gemeinschaft.“ (30)
Jens Kertscher lotet in seinem Beitrag die Perspektiven eines pragmatischen Machtverständnisses aus, indem er untersucht, wie bei John Dewey Machtstrukturen und politisches Handeln aufeinander bezogen sind. Macht wird nicht als kausales Geschehen gedacht, „vielmehr erscheint sie als ein immanentes Prinzip von Handlungsprozessen„(46), das ein gemeinsames Handeln in Problemlagen ermöglicht und erklärt. Kertscher stellt eine Verbindung zu modalen Machtverständnissen her.
Wenn Hannah Arendt Macht als „Urphänomen der Pluralität“ (50) bezeichnet, betrachtet Andreas Grossmann im Anschluss an Arendt „Macht als Urphänomen des Politischen“. (49) Macht ist bedingt und begrenzt durch Pluralität, sie ist keine Option eines einzelnen Individuums, sondern entsteht im gemeinsamen Handeln zwischen Menschen. (s. 52) Im zweiten Abschnitt geht Grossmann auf Arendts Unterscheidung, ihre strikte Trennung und Gegenüberstellung von Macht und Gewalt ein. Ist Macht eher ein Selbstzweck, so ist Gewalt „stets Mittel zu einem Zweck, also instrumentell zu verstehen:“ (56) Grossmann referiert die Kritik Vollraths, Höffes, Habermas‘ und Bubners an dieser problematischen Unterscheidung, ohne diesen Stimmen der Kritik jedoch „vorschnell“ folgen zu wollen (58). Und so kommt seine Begeisterung für eine „geteilte gemeinsame Handlungswelt“ in der Schlussüberlegung ungebrochen hervor: „Dass sich Macht der Gemeinsamkeit des Handelns verdankt, (Ö) ist indessen bereits ein Indiz dafür, dass eine Demokratie nicht nur von der Vielfalt und Differenz der Meinungen lebt.“ (59)
Dass Macht aber nicht nur Vielfältiges,
sondern auch Widersprüchliches meint, wird in dem Beitrag von
Christian Kupke angesprochen: Habermas‘
Verständnis von Macht als Repression kontrastiert dem
Verständnis Foucaults, Macht als ein Spiel von
Kräfteverhältnissen zu verstehen. Arendts „relativ
zwanglose, konsensuelle Fähigkeit eines Volkes (Ö), die
Institutionen und Gesetze eines Landes zu begründen und zu
stützen“ (64) passt nicht zum Weberschen
Machtverständnis, seinen Willen gegen Widerstände
durchsetzen zu können.
Kupke gliedert seine
politikphilosophischen Interventionen in 24 Stichpunkte, die
thematisch gegliedert sind. Zunächst untersucht er das
Dependenzverhältnis von Macht und Recht, von inkludierendem
Recht, Inklusion und Exklusion: das demokratische Recht gilt durch
seine grundgesetzliche verfassungsmäßige Verankerung als
inkludierendes Recht. Doch „demokratische Inklusion ist, unter
partikularistischen Gesichtspunkten, nur um den Preis
undemokratischer Exklusion zu haben. Macht ist nicht nur (…)
sozial inklusiv, sondern auch exklusiv. Sie ist Gewalt. (…)
Inklusion kann nicht (…) ein Wesensmerkmal der Demokratie
sein.“ (67) Universalistische Konzeptionen der Demokratie
führen in der Konsequenz zu einer Hyperexklusion: „Um das
(…) Dilemma einer demokratischen Inklusionsmacht zu lösen,
wird das Modell der Demokratie exportiert, um die Voraussetzungen für
Inklusion allererst zu schaffen. Diejenigen Nationen, Staaten,
Gesellschaften, Gruppen oder auch Individuen, die sich gegen einen
solchen anmaßenden und gelegentlich auch imperialistischen
Export zur Wehr setzen, werden als Gegner der Demokratie
diskriminiert, verfolgt, gefoltert und bekriegt.“ (68) Ein
positiver Machtbegriff – wie der von H. Arendt –
unterstützt und verleugnet die gewaltförmigen Ein- und
Ausschlussprozeduren. Muss eine Gruppe, die sich zum
gemeinschaftlichen Handeln zusammenschließt, nicht andere
notwendigerweise ausschließen und ist das nicht eine Form von
Gewalt? Kupke beschreibt jedes Neubeginnen als mit Gewalt
verbunden und selbst die Trennung von Gewalt und Macht „nur
durch ein gewisses Maß an Gewalt möglich.“ (74)
Arendts „Perhorreszierung der Gewalt führt zu einer
Abspaltung der Gewalt von der Macht“ (76), indem das
Bedrohliche, das nach außen projiziert wird, in unkenntlicher
Form zurückkommt.
Um einen Weg aus dem Dilemma zu
finden, müsste „die gesamte binäre und identitäre
Logik der Inklusion und Exklusion und die damit verbundene
Identitätspolitik als solche in Frage„(77) gestellt
werden.
Heike Kämpf beschreibt „die
gesellschaftskonstituierende Dimension der Macht“ bei Foucault
und nimmt dabei besonders das Verhältnis von Wissen, Macht und
Recht in seiner Genealogie der Gesellschaft in den Blick. (85)
Foucault sucht Möglichkeiten, gesellschaftliche Phänomene
in ihrer Machtverwobenheit zu verstehen. Genealogie zeichnet die
Entstehung von Machteffekten nach, die aus dem Zusammenspiel von
Wissen, Diskursen und Gegenstandsfeldern entstehen. Foucaults
Interesse richtet sich auf die Analytik der Macht, aber auch auf
Möglichkeiten des Widerstandes gegen diese. Für Foucault
gibt es kein Außerhalb der Macht.
Mit den neuen
Technologien ist ein neuer Machttyp entstanden: die Disziplinarmacht
nutzt die Technologien der Kontrolle, der Überwachung und
Beobachtung; das Gehorsamssubjekt verdrängt die Idee des
Rechtssubjekts. Für die Gestaltung und Durchsetzung des
Disziplinarmacht spielt die Entwicklung der Humanwissenschaften eine
bedeutende Rolle; hier verschränken sich Macht, Wissen, Recht.
Kämpf betont die Bedeutung der Norm, der ein Machtanspruch
inhärent ist: „in der Normalisierungsgesellschaft werden
alle Lebensbereiche der Disziplinarmacht unterstellt.“ (95)
Freiheit ist nicht nur mit Macht verbunden, sie ist bei Foucault auch
die Bedingung der Macht, denn „Macht wird nur auf freie
Subjekte ausgeübt und nur insofern diese frei sind.“
(Foucault zit. b. Kämpf: 96) Machtausübung bedeutet ein
Einwirken auf die Handlungsmöglichkeiten anderer, Herrschaft ist
eine verfestigte „auf Dauer gestellte“ (96)
Konstellation. Herrschaft sichtbar zu machen ist die Intention der
foucaultschen Genealogie, die sich selbst als kritisches,
widerständiges Projekt versteht. Als ‚Antiwissenschaft‘
(Foucault) „eröffnet sie einen Diskurs, in dem
gegenwärtige soziale und politische Situationen ihre
Selbstverständlichkeit verlieren.“ (97) „Wert und
Ziel kritischer Interventionen ergibt sich gerade aus dem Wissen um
die unhintergehbare Historizität und Relativität allen
Wissens, so dass jede Verewigung sozialer Verhältnisse, die
durch einen Anspruch auf letztgültige, wahre Erkenntnis
begründet wird, uns nicht der Wahrheit sondern der Herrschaft
näher brächte.“ (97) Abwehr von
Identitätszuweisungen, Vermeidung einer Etatisierung der
Machtverhältnisse und eine Unterstützung lokaler
Widerstandsaktionen sind dem genealogischem Ansatz Foucaults
inhärent.
Gerhard Unterthurner befasst sich mit dem Wandel der gesellschaftlichen Ein- und Ausschließung bei Foucault. Anhand unterschiedlicher Machtformen – der Souveränitäts-, Disziplinar- und Normalisierungsmacht – wird deutlich, wie die vormals Ausgeschlossenen durch Normalisierungsmaßnahmen zunehmend inkludiert sind. Doch auch diese Form der Machtausübung operiert mit Ausschlüssen: „An die Stelle der Male, die Standeszugehörigkeit und Privilegien sichtbar machten, tritt mehr und mehr ein System von Normalisierungsgraden, welche die Zugehörigkeit zu einem homogenen Gesellschaftskörper anzeigen, dabei jedoch klassifizierend, hierarchisierend und rangordnend wirken.“ (Foucault zit. auf S. 105) Die Produktivität der Macht bezieht sich also auch auf die Mechanismen der Selektion und des Ausschlusses. Foucault hat immer wieder für Ausgeschlossene Partei ergriffen und auf Möglichkeiten der Gegenmacht und des Widerständigen hingewiesen. Unterthurner schreibt, dass an Foucault oftmals die Frage gerichtet wurde, „wie sich eine gesellschaftliche Ordnung kritisieren lässt, wenn Ordnung prinzipiell ausschließend und selektiv operiert:“ (112). In einer Strategie, die das Widerständige zu einem Bestand des Alltäglichen normalisiere und integriere, wird dieses funktional und seines subversiven Potentials beraubt.
Jan Buchanan geht es im Bezug auf den Anti-Ödipus von Deleuze und Guattari um informelle Fliehkräfte und Fluchtlinien, die die gesellschaftliche Machtordnung unterwandern können. Eine basale und unreglementierte Wunschproduktion wird zum einen gesellschaftlich decodiert und entfesselt (von der kapitalistischen Produktionsweise), zum anderen in den Bereich des Privaten abgedrängt und damit nicht nur ihrer gesellschaftlichen Funktion beraubt, sondern auch durch eine kapitalistische Verwertungsmaschinerie steuerbar.
Andreas Hetzel versteht auf der Grundlage neuerer Performativitätstheorien Macht als eine Instanz, die „subjektiviert und Institutionen instituiert, indem sie beide Bewegungen durcheinander vermittelt.“ (136) Macht stellt sich in unserer Gesellschaft in einer Art „Selbstantizipation“ (Luhmann) dar: „Die Menschen erfinden die machthabende Instanz und glauben zugleich an sie.“ (136) Macht ist also immer auch als Versuch zu verstehen, die „eigene leere Mitte retroaktiv zu schließen.“ (136) Hetzel betont die Fiktionalität von Macht und vergleicht sie mit einem „selbstgeschaffenen Gott“ (144): „Jede Macht erzählt ihren eigenen Mythos. Sie kleidet sich in eine paradoxale, zugleich kontingente und notwendige Gestalt.“ (141) Seine „Fiktionsthese besagt nicht, dass wir der Macht entkommen könnten, indem wir hinter die Fiktion zurückgingen, den Glauben an die Macht aufkündigten. Macht steht gerade als ein Beispiel dafür, wie Fiktionen Realität gewinnen können.„(148) In den postmarxistischen Philosophien wird die „leere Mitte der Macht in eine demokratietheoretische Forderung“ (148) umgewandelt: Radikale Demokratie als „Offenheit,, Unentscheidbarkeit und Kontingenz“ (149) stehen dann für ein Offenhalten der Mitte als der Versuch, „die Gesellschaft immer wieder neu daran zu hindern, sich eine letzte, nicht mehr kontingente Gestalt zu geben, das Soziale in einer naturalen Ordnung zu verankern. (…) Radikale Demokratie hört auf, im Namen eines großen Anderen zu sprechen.“ (150)
Ralf Krause geht den „Fragen der Anerkennung im Schnittfeld von Macht und Geltung“ (153) nach und verdeutlicht an unterschiedlichen Theoriepositionen (Hegel, Laclau, Mouffe, Butler, Habermas, Honneth), dass Kriterien gesellschaftlicher Anerkennung umkämpft sind und in unterschiedlichen Praxishaltungen ausdifferenziert und verändert werden. Soziale Kämpfe verändern gesamtgesellschaftliche Wertmaßstäbe, „weil diese Kämpfe mit den in ihnen geltend gemachten Ansprüchen zugleich die Bedingungen vorwegnehmen, unter denen ihre Forderungen künftig gesellschaftliche Anerkennung finden können.“ (164)
Petra Gehring thematisiert am Beispiel der Geschlechter, wie sich Machtverhältnisse in veränderten Körper- und Geschlechterauffassungen manifestieren. Der Körper kann keineswegs als natürliche Entität verstanden werden, er ist weder in der Vorstellung, noch in seiner individuellen Erfahrung unproblematisch „materiell“, ja bereits die Frage, was (im-)materiell zu nennen ist, ist eine Machtfrage. „Die Macht prägt sich nicht erst den bereits fertigen Körpern auf:“ (182) Symbolische und praktische Bezüge, durch die wir unseren Körper in seinen Grenzen und seiner Beschaffenheit erleben, sind „Geschöpfe der Macht.“
Marc Rölli schreibt über anthropologische Machtverhältnisse. „Auch der „transhumanistische“ Traum vom perfekten und technisch aufgerüsteten Menschen folgt einer anthropologischen Logik, die auf den ganzen, mit sich selbst im Einklang befindlichen Menschen abzielt.“ (215) Rölli hält es für angebracht, von einem „Dispositiv der Anthropologie“ (216) zu sprechen.
Peter Niessen untersucht anhand von J. Benthams Panoptismen „die Macht der Publizität“ (221). Foucault hatte sich in der Schilderung der panoptischen Disziplinarmacht auf Bentham bezogen. Niessen entwirft hier eine neue erweiterte Lesart verschiedener Panoptismen, die er hinsichtlich politisch-physischer, reputationeller und deliberaler Macht unterscheidet.
Dirk Rustemeyer schreibt zur Sichtbarkeit der Macht. In seiner Kritik an klassischen Machttheorien möchte er die Frage „feldtheoretisch so verschieben, dass die wechselseitige Akzentuierung von Sinndimensionen bei der Integration von Feldern hervortritt“ (257), um so aus Störungen und Differenzen neue Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Da diese neue Macht potentiell nichts ausschließt, kann sie wirkungsvoll Störungen entdramatisieren und neue Anschlussmöglichkeiten bereitstellen.
Der letzte Beitrag von Kurt Röttgers geht der Unterscheidung zwischen „Medialität moderner Macht“ und einer Macht der Medien nach. Dabei unterscheidet er zunächst das Medium „Macht“ (261), wie es in der Systemtheorie bezeichnet wird, von der Macht der Medien, wie sie von Medientheoretikern behauptet wird, um in einem dritten Schritt einen Begriff modaler Macht zu entwerfen, der auf den Medienbegriff zurückwirkt.
Diskussion und Fazit
Es ist interessant und dankenswert, dass die Autoren das Thema „Macht“, das aus den sozialwissenschaftlichen Diskursen zu verschwinden droht, hier aufgreifen und sehr heterogene Bestimmungen in einem Buch zusammenbringen. Die Herausgeber betonen in der Einleitung, dass nur schwerlich ein neutraler Zugang zum Machtbegriff eingenommen werden kann, weil das Wissen, das die Macht ideologiekritisch entlarven möchte, in einen „performativen Selbstwiderspruch gerät, weil es nicht umhin kann, selbst Macht auszuüben.“ (8)
Eine Neutralität ist angesichts der Brisanz der Thematik auch gar nicht wünschenswert. Gerade in der Sozialen Arbeit, der immer wieder eine hegemonialen Problematik unterstellt worden ist, wird gerne auf das Machtverständnis H. Arendts Bezug genommen, um von dort aus Empowerment- und Aktivierungsstrategien zu entwickeln.
Die Renaissance der Begriffe Inklusion, Kohärenz, Gemeinschaft, die sich gerne mit der positiven Recodierung des Arendtschen Machtbegriff paaren, lässt es geboten scheinen, – wie Kupke schreibt – „den Verhältnissen ihr binäre Melodie vorzuspielen“ und sich einer „auf Recht oder Gewalt aufbauenden, pazifistischen oder bellizistischen, partikulären oder universalistischen Politik zu verweigern, und zweitens die Gewalt dieser Alternativen gegen sie selbst zu richten, indem man sie als das, was sie sind, nämlich herrschaftsstabilisierende Konstrukte, ausbuchstabiert.“ (77/78)
Macht bleibt dieser mächtige Mythos, als den ihn schon Bateson 1982 bezeichnet hat [1] und als den ihn A. Hetzel in diesem Buch beschreibt – auch dann oder gerade dann, wenn er unter ermöglichender Perspektive verhandelt wird. Er wird durch die darin vermachte Harmlosigkeit umso gefährlicher.
Die Herausgeber grenzen sich von einem konflikttheoretischen asymmetrischen Machtverständnis, wie es z.B. bei Max Weber zu finden ist, ab. Doch wie sinnvoll ist es, ein modales, ermöglichendes Machtverständnis über so unterschiedliche Konzepte wie das symmetrische Arendts, das ja einem juridischen Machtverständnis verhaftet bleibt, und das völlig anders geartete poststrukturalistische Verständnis Foucaults zu legen? Foucaults Sichtweise und sein Machtverständnis stellen gerade die produktiven, antagonistischen und agonalen Dimensionen der Macht heraus, die Arendt, aber auch Weber vernachlässigt.
Zu fragen wäre infofern, ob das von den Herausgebern der Einleitung vorangestellte Foucaultzitat, das Macht als produktive Kraft beschreibt, in diesem Sinne auf die anderen Autoren überhaupt anzuwenden ist (s. 7).
Auch sollte nicht vergessen werden, dass Macht – nach Foucault – immer sozialer Natur ist, d.h., immer zwischen Individuen und Gruppen stattfindet, nicht zwischen Menschen und unbelebten Objekten. [2] Ferner, dass er selbst gegen die bis in die privatesten Bereiche hineinreichende Mikro- und Bio-Macht zeitlebens gekämpft und das Widerständige und Widerstandformen immer wieder thematisiert hat. Diese Haltung und deren implizite Ethik unterscheiden sich wesentlich von einem funktionalistischen Machtverständnis Luhmanns. Macht ohne Menschen zu denken dient wohl eher einer Verschleierung von Herrschaft.
Dass sich in Begrifflichkeiten sehr unterschiedliche Gesellschaftsverständnisse verbergen , die vermutlich keineswegs von allen hier angesprochenen Autoren geteilt würden – z.B. den Luhmannschen Begriff der „funktionale Ausdifferenzierung„(10), zeigt eine weitere Problematik, den Machtbegriff unter Ermöglichungsgesichtspunkten zu bestimmen.
Als Absicht des Buches wird von den Herausgebern genannt, “die Einführung eines polyzentrischen und pluralistischen Konzepts“ (10) (Hervorhebung C.H.).
Da aber der Titel im Singular gehalten ist, kann man es kaum als Versehen annehmen, dass von Macht – trotz des beabsichtigten Pluralismus – weiterhin im Singular gesprochen wird, einem mächtigen Kollektivsingular! [3]
A. Grossmann schreibt: „Genuines politisches Denken verschanzt sich nicht hinter Theorien, findet seine Erfüllung nicht in einer ‚mehr oder weniger akademischen Diskussion von Geltungsansprüchen‘ (so der von Luhmann an Habermas adressierte Vorwurf). Die Lebenswelt ist keine philosophische Seminarveranstaltung im Großen.“ (50) Man kann fragen, ob dieser Einwand nicht auch für Teile dieses Buches gelten könnte. Wohl ist zu bedenken, dass dieses Buch nicht beansprucht, genuines politisches Denken hervorzubringen. Gleichwohl bleibt die Frage, ob ein Thema von solcher Wichtigkeit für lebensweltliche Fragen in einer so abstrakten und z.T. schwer verständlichen Form vorgebracht werden muss. Die von mir betreuten Studierenden würden ohne meine Vorkosterrolle das Buch nach den ersten Seiten desinteressiert oder frustriert aus der Hand legen.
[1] Bateson, Gregory (1982): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt/M., S. 272; „Macht korrumpiert diejenigen sehr schnell, die an sie glauben, und gerade sie sind es, die am meisten danach streben“ (Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. Frankfurt/M, S. 624).
[2] Foucault, Michel (2005): Subjekt und Macht. In: ders.: 2005): Analytik der Macht. Frankfurt/M., S. 252, 255 + 256)
[3] S. dazu Foucault: „Wenn wir eine Analyse der Macht unternehmen, dürfen wir darum nicht von Macht im Singular, sondern müssen von Mächten im Plural sprechen und versuchen, sie in ihrer geschichtlichen und geographischen Besonderheit zu erfassen.“ (Foucault, Michel: Die Maschen der Macht. In: ders. (2005): Analytik der Macht. Frankfurt/M., Suhrkamp, S. 224)
Rezension von
Prof. Dr. em. Christel Hafke
em. Professorin der Fachhochschule Emden, lehrte schwerpunktmäßig im Bereich Kultur/Ästhetik/Medien, Soziologie und Ethik
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Zitiervorschlag
Christel Hafke. Rezension vom 25.09.2009 zu:
Ralf Krause, Marc Rölli (Hrsg.): Macht. Begriff und Wirkung in der politischen Philosophie der Gegenwart. transcript
(Bielefeld) 2008.
ISBN 978-3-89942-848-3.
Reihe: Edition Moderne Postmoderne.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8074.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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