Silke Bothfeld, Werner Sesselmeier et al.: Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Buestrich, 07.11.2009
Silke Bothfeld, Werner Sesselmeier, Claudia Bogedan: Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft. Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch II und III. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2009. 319 Seiten. ISBN 978-3-531-16887-6. 39,90 EUR.
Thema
Der vorliegende Band skizziert in drei Teilen die Entwicklung von 40 Jahren aktiver Arbeitsmarktpolitik in Deutschland: In Teil I werden die „Grundzüge der deutschen Arbeitsmarktpolitik im Wandel“ dargestellt und diskutiert. Teil II behandelt die „Veränderungen der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zwischen Universalismus und Zielgruppenorientierung“, Teil III beschäftigt sich schließlich mit der „Rolle der alten und neuen Träger der Arbeitsmarktpolitik zwischen Aufgabenerfüllung und Steuerungswandel“.
AutorInnen und HerausgeberInnen
Die Autor(inn)en sind allesamt ausgewiesene Expert(inn)en im Bereich der Arbeitsmarktpolitik/Arbeitsförderung. Als Herausgeber(innen) des Sammelbandes fungieren: Prof. Dr. Silke Bothfeld, die Politikmanagement an der Hochschule Bremen lehrt; Prof. Dr. Werner Sesselmeier, der an der Universität Koblenz-Landau in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften lehrt und Claudia Bogedan, die das Referat „Arbeitsmarktpolitik“ im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf leitet.
Entstehungshintergrund
„Mit der Einführung des AFG 1969 wurde die aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nicht nur als Instrument des Marktausgleichs kodifiziert, sondern diese als ein ‚emanzipatorisches Projekt‘ in den sozialpolitischen Kontext der Bundesrepublik eingeführt. Seitdem hat sie – in mehreren Etappen – einen tief greifenden Gestaltwandel erfahren, bis hin zur jüngsten Revision ihres Instrumentariums und ihrer Leistungsseite.“ (Klappentext). Dieser Gestaltwandel erhält aktuell eine neue Dynamik, denn die Arbeitsförderung soll einer „Aufgabenkritik“ unterzogen werden und steht mit Abschluss der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP programmatisch offenbar vor erneuten Veränderungen: „Um Arbeitsuchende noch erfolgreicher in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermitteln zu können, benötigen wir eine effizientere Arbeitsverwaltung. Die Aufgaben und Strukturen der BA sind einer Aufgabenkritik zu unterziehen, um eine möglichst effiziente Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.“ (Koalitionsvertrag (Entwurf) vom 25.10.2009, S. 14).
Aufbau
Mit seinen insgesamt 17 Beiträgen bietet der Band damit eine Darstellung der Grundprinzipien der deutschen Arbeitsmarktpolitik, analysiert ihre Teilbereiche unter dem Aspekt einer insbesondere mit den Hartz-Gesetzen implementierten veränderten sozialstaatlichen Logik (Stichworte: „employability“ und „Aktivierung“), hinterfragt die damit zugleich modifizierte Steuerungslogik des Systems der Arbeitsförderung („Dienstleistungs-“ bzw. „Agenturmodell“) und damit zusammenhängend die Rolle der beteiligten Akteure, um schließlich die Herausforderungen zu thematisieren, die die Arbeitsmarktpolitik vor diesem Hintergrund zukünftig zu bewältigen hat.
In der vorangestellten Einleitung umreißen die Herausgeber thematisch das Untersuchungsfeld „Arbeitsmarktpolitik in Deutschland“ und ordnen dabei zugleich die Einzelbeiträge in den Gesamtkontext der Darstellung ein. Der Band endet mit einem Resümee, das die Ergebnisse der Einzelbeiträge zusammenfasst, um dann mit einem Ausblick auf absehbare Entwicklungen einer zukünftigen Arbeitsmarktpolitik abzuschließen. Im gut 30 Seiten umfassenden Anhang finden sich neben einer „kurzen Chronik der Arbeitsmarktpolitik seit 1969“ insbesondere Daten zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit, der Arbeitslosigkeit, des Einsatzes der arbeitsmarktpolitischen Instrumente sowie eine Synopse der zentralen Veränderungen der Selbstverwaltung in der Arbeitsverwaltung seit 1952.
Ohne auf jeden Beitrag in der eigentlich notwendigen Ausführlichkeit eingehen zu können, sollen im Folgenden die wesentlichen Argumentationslinien und Untersuchungsergebnisse der einzelnen Aufsätze skizziert werden [1].
Teil I („Grundzüge der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland im Wandel“)
Werner
Sesselmeier
und Gabriele
Somaggio
arbeiten in ihrem Beitrag mit dem Titel „Arbeitsmarktpolitik
im wohlfahrtsstaatlichen Vergleich“
die Stellung der Arbeitsmarktpolitik im Rahmen der Wirtschaftspolitik
und deren Bedeutungswandel auf europäischer Ebene heraus. Dazu
werden in einem ersten Schritt die Kriterien zur Einteilung in die
Wohlfahrtsstaatstypologie nach Esping-Andersen sowie das
Zusammenspiel der einzelnen Politikbereiche beschrieben, was die
verschiedenen Ausgangssituationen bei der Durchführung der
Reformen erklärt. Es sind insbesondere Varianzen im jeweiligen
Institutionengefüge, aus denen sich für die Autoren im
zweiten Schritt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen innerhalb der
Arbeitsmarktpolitik erklären lassen.
Ihre Umsetzung
erfolgt im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie
(EBS), die den einzelnen Wohlfahrtsstaaten entsprechende Leitlinien
zur Gestaltung an die Hand gibt. Diese konzentrieren sich auf den
Begriff der „Flexicurity“, die einerseits die
Flexibilisierung (Flexibility) berücksichtige andererseits der
sozialen Absicherung (Security) Rechnung trage. Die Verbesserung der
Beschäftigungssituation vollziehe sich dann innerhalb der
pfadabhängigen [2]
wohlfahrtsstaatlichen Kombination dieser beiden Komponenten.
Wie in anderen europäischen Ländern fokussierten die
Reformen in Deutschland die aktivierender Arbeitsmarktpolitik, die
durch den Einsatz ihrer Maßnahmen in einem frühen Stadium
der beziehungsweise bei einer absehbaren Erwerbslosigkeit ansetzt.
Dies verdeutliche nach Ansicht der Autoren die Verlagerung weg von
der „reparierenden“ und unterstützenden hin zur
vorbeugenden Funktion von Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt sei mit den
in Deutschland durchgeführten Reformen hierbei mehr eine
Annäherung an die liberalen und sozialdemokratischen
Wohlfahrtsstaaten als umgekehrt zu erkennen.
Sigrid Gronbach widmet sich in ihrem Beitrag „Soziale Gerechtigkeitsbilder in der Arbeitsmarktpolitik – von der Verteilung zur Teilhabe“ der „Verschiebung des normativen Gerüstes der Arbeitsmarktpolitik“ durch bzw. im Gefolge der Hartz-Reformen. Dazu schildert sie die sozialphilosophischen Grundlagen der sozialen Gerechtigkeitsbegriffe (Leistungsgerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit), ihre Institutionalisierung im deutschen Sozialstaat (Verteilungsgerechtigkeit), insbesondere im Feld der Arbeitsmarktpolitik, um dann den durch die rot-grüne Bundesregierung eingeleiteten „gerechtigkeitspolitischen Paradigmenwechsel“ darzustellen: „Das zentrale Gerechtigkeitsargument zur Rechtfertigung der niedrigeren Höhe des Arbeitslosengeldes II lautet, dass zum Ausgleich für dessen geringe Höhe die künftig erhöhte „Zugangsgerechtigkeit“ für ehemalige SozialhilfeempfängerInnen zu Arbeitsförderungsmaßnahmen deren Selbstbestimmung stärken würde. Zudem dient der Bedarfscharakter der neuen Grundsicherung als Rechtfertigung dafür, ihre Höhe an der Sozialhilfe zu orientieren und den Zugang zu Transferleistungen durch niedrige Vermögensfreibeträge auf die Gruppe der „wirklich Bedürftigen“ zu konzentrieren.“ (S. 44). Damit habe der arbeitsmarktpolitische Paradigmenwechsel keineswegs zur Gleichstellung aller Erwerbslosen geführt, sondern den Graben zwischen den versicherungs- und steuerfinanzierten Leistungssystemen noch vertieft. Insbesondere seien die zur Legitimation der Reformen versprochenen gleichen Zugangsmöglichkeiten zu qualifizierten Förderinstrumenten dem überwiegenden Teil der Arbeitsuchenden weitestgehend verschlossen geblieben.
Katrin Mohr rekonstruiert in ihrem Beitrag „Von „Welfare to Workfare“? Der radikale Wandel der deutschen Arbeitsmarktpolitik“ die Transformation von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik in Deutschland, der für sie im größeren Kontext eines Wandels vom „Welfare-“ zum „Workfare-Staat“ [3] steht. Nach der Definition des Workfare-Staates werden der oben angedeutete Wandel und die Modalitäten der Umsetzung der neuen Sozialstaatsprogrammatik in Deutschland erläutert. Das Fazit: „Legt man die Maßstäbe des engen Workfare-Begriffes auf die deutsche Politik der Aktivierung an, so muss die Frage einer Entwicklung von Workfare mit nein beantwortet werden […] begreift man Workfare jedoch im Sinne von Jessop und Peck als polit-ökonomische Tendenz, bei dem die Arbeitsmarktpolitik den Imperativen der Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet und auf die Bedingungen von Niedriglohnarbeitsmärkten ausgerichtet wird, bei dem an die Stelle des Rechts auf staatliche Unterstützung die Pflicht zur Wiedererlangung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit tritt und bei dem die Arbeitsmarktbeteiligung maximiert, während die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung minimiert werden soll, so ist die im Titel gestellte Frage eindeutig positiv zu beantworten.“ (S. 58 f.). Workfare könne von daher auch in Deutschland mittlerweile als etablierter Modus der Regulation der Arbeitsmarktpolitik gelten.
Matthias Knuth fragt in seinem Beitrag („Grundsicherung für „Arbeitssuchende„: ein hybrides Regime sozialer Sicherung auf der Suche nach seiner Governance“) nach den Ursachen dafür, warum die Grundsicherung im SGB II auch vier Jahre nach ihrer Einführung noch immer keine sichere Governance gefunden habe? Dieser Umstand werde daran deutlich, dass insbesondere das zentrale Versprechen, nämlich „moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt aus einer Hand“ zu schaffen, für die Mehrheit der Erwerbslosen bisher unerfüllt bleibt. Nach einer kurzen Bilanz der Reformen werden Erklärungsansätze der Pfadabhängigkeit und der Regimetheorie erläutert. Dies geschieht, um die Grundsicherung als einen Pfadwechsel weg vom Regime der Arbeitslosenversicherung hin zu einem eigenen, eben „hybriden“ Regime sozialer Sicherung zu charakterisieren.
Dieses Regime zeichne sich dadurch aus, dass es die überkommenen Elemente von Sozialfürsorge und Arbeitsförderung auf neue Art und Weise kombiniere. Bezogen auf die Organisation (der Trägerschaft) im Bereich der Grundsicherung und damit die föderale Aufgabenteilung im Bereich der Arbeitsförderung impliziert diese Entwicklung für Knuth vor allem eine Stärkung der arbeitsmarktpolitischen Rolle der Kommunen – ungeachtet dessen, dass eine solche Perspektive ihre diesbezügliche Leistungsfähigkeit vermutlich fiskalisch wie arbeitsmarkt- und sozialpolitisch überfordern würde: „Da die Grundsicherung für Erwerbsarme inzwischen als eigenständiges Regime sozialer Sicherung etabliert ist, erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass das verfassungsrechtliche Dilemma seiner Verortung [4] in der Governance der Bundesrepublik dadurch aufgelöst wird, dass man dieses Regime flächendeckend in seiner bundesstaatlichen und kommunalen Bestandteile zerfallen lässt. Auch wenn es unmöglich ist, Prognosen zutreffen über eine künftige Lösung des Governance-Dilemmas, so ist doch zumindest eine sehr wahrscheinliche Tendenz hervorzuheben: die Stärkung des kommunalen Elementes […] Die Ausweitung des kommunalen Elementes würde zwar den Ergebnissen der „Experimentierklausel„-Evaluation widersprechen, […] aber die theoretischen Überlegungen zur Pfadabhängigkeit beim Umbau von Regimen sozialer Sicherung bestätigen: da der Rückbau des Regimes der Arbeitslosenversicherung als „Zusammenlegung“ der Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe betrieben wurde, wächst die Bedeutung der Kommunen, die traditionell für die Sozialhilfe zuständig sind.“ (S. 73).
Teil II: „Das Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik zwischen Universalismus und Zielgruppenorientierung„
Frank Oschmiansky
und Mareike
Ebach
widmen sich in ihrem Beitrag („Vom
AFG 1969 zur Instrumentenreform 2009: Der Wandel des
arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums“)
den Veränderungen beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer
Instrumente seit Anfang der 1970er Jahre. Brachte das AFG eine
Aufwertung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die der „Feinsteuerung“
des Arbeitsmarktes dienen sollte, mit der vor allem –
antizyklisch und präventiv – unterwertige Beschäftigung und
Arbeitslosigkeit verhindert werden sollten, dann zeigen sich
insbesondere nach dem Boom der Arbeitsförderung im Zuge der
deutschen Vereinigung zu Beginn der 1990er Jahre mit der Einführung
des Sozialgesetzbuch III (1998), dem Job-AQTIV-Gesetz (2001) und
schließlich den Reformen im Zuge der Einführung und
Umsetzung der „Vier Gesetze für Moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt“ (2005) wesentliche qualitative und vor allem
quantitative Veränderungen beim Einsatz des
arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums: „Bis Ende der 1980er
Jahre wurden in der Regel etwa 90% der Ausgaben für aktive
Arbeitsmarktpolitik auf die klassischen Instrumente berufliche
Bildungsmaßnahmen, Kurzarbeitergeld,
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Förderung der
ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft verwandt
[…] In den letzten Jahren zeigt sich ein deutlicher
veränderter Instrumenteneinsatz. Eine starke Verschiebung [5]
auch auf der Teilnehmerebene geht vor allem zulasten der beruflichen
Bildungsmaßnahmen. Das einstige „Herzstück“
der aktiven Arbeitsmarktpolitik innerhalb des AFG ist bei Betrachtung
der Teilnehmerrelationen auf dem Weg zu einem Nischenprodukt […]
auch zeigt sich, dass der Anteil für aktive Arbeitsmarktpolitik
an den Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik insgesamt seit Jahren
stark sinkend ist. Nur noch ein Fünftel der Mittel wird darauf
verwendet. Besonders eklatant ist das Verhältnis im Rahmen des
SGB II. Hier wurden im Jahr 2006 nur 12,6% der Gesamtausgaben für
aktive Maßnahmen eingesetzt.“ (S. 87 f.).
Der
Zeitraum nach 2005 war geprägt von einer fortwährenden
Implementierung neuer Instrumente: „Allerdings zeigte sich in
umfangreichen Evaluationsstudien, dass kaum eines dieser neuen
Instrumente erfolgreich ist. Gerade die meisten der durch die
„Hartz-Gesetze“ implementierten Instrumente erwiesen sich
als Misserfolg. Außerhalb des § 46 SGB III (seit 2009:
„Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen
Eingliederung“, MB) ist kein einziges der vielen durch „Hartz
I“ und „Hartz II“ hinzugefügten Instrumente
mehr in Kraft.“ (S. 90).
Mit dem „Gesetz zur
Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ (2009)
ist das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium erneut erheblich
überarbeitet worden. Die Anzahl arbeitsmarktpolitischer
Instrumente wurde reduziert, diese selbst wurden inhaltlich
vereinfacht, insbesondere um sie für die Anwendung vor Ort
handhabbarer zu gestalten. Die Autoren monieren, dass die bezweckte
Vereinfachung damit nur „bedingt gelungen“ (S. 86) sei,
weil trotz der Reduzierung einzelner Maßnahmen fast alle
bisherigen Instrumente weiterhin einsetzbar bleiben sollen und
zugleich wechselnde Sonderprogramme die Reduzierung unterlaufen. Wo
diese stattfinde (z. B. im Rahmen „Freier Förderung“
(SGB III) bzw. bei den „weiteren Leistungen“ (SGB II)
werde die Erprobung innovativer Ansätze aktiver Arbeitsförderung
zentralisiert und eine hierarchische Steuerung der praktischen
Umsetzung implementiert [6],
was die angestrebte „bessere Handhabbarkeit vor Ort“
letztlich – ebenso wie das fortbestehende Ausschreibungs- und
Vergabeverfahren – konterkariere.
Gerhard Bosch
schließt
mit seinem Beitrag („Berufliche
Weiterbildung in Deutschland 1969 bis 2009: Entwicklung und
Reformoptionen“)
inhaltlich an die Ausführungen von Oschmiansky/Ebach
an. Bosch
weist zu Beginn darauf hin, dass in Deutschland seit den 1970er
Jahren viele Tätigkeitsbereiche „verberuflicht“
wurden, die in anderen Ländern entweder Anlerntätigkeiten
blieben oder mittlerweile eine akademische Ausbildung verlangen. Die
Voraussetzungen dieser „Verberuflichung“ wurden -
zeitgleich mit dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) – 1969 mit dem
Berufsbildungsgesetz geschaffen, was ihre enge inhaltliche
Verknüpfung im Sinne einer „bildungspolitischen Einheit“
anzeige. Folglich wurden im AFG zunächst relativ großzügige
und auf Nachhaltigkeit ausgelegte Weiterbildungsrechte für
Beschäftigte und Arbeitslose verankert, die im weiteren Verlauf
allerdings sukzessive eingeschränkt wurden, womit die berufliche
Weiterbildung in der Arbeitsmarktpolitik letztlich auf eine
kurzfristige Vermittlungshilfe reduziert wurde.
Bosch
schildert zu diesem Zweck die Entwicklung des „Rechts auf
Weiterbildung“ zur „Vermittlungsförderung“, um
sich auf dieser Grundlage der Evaluation beruflicher Weiterbildung in
der Arbeitsmarktpolitik zu widmen. Diese stelle überwiegend
ausbleibende oder gar negative Wiedereingliederungseffekte fest: „Als
wichtigster Grund für eine neutrale beziehungsweise negative
Wirkung galt der so genannte „Lock-in-Effekt“. Damit ist
die Tatsache gemeint, dass TeilnehmerInnen von
Weiterbildungsmaßnahmen im Vergleich zu Personen in der
Kontrollgruppe vorübergehend die Arbeitsplatzsuche einstellen
und diesen Zeitverlust später nicht mehr aufholen können.“
(S. 102). Bosch
bezweifelt diese Effekte in der Tendenz nicht, weist aber zugleich
auf die unzureichende Datenbasis dieser Studien (aus den 1990er
Jahren) hin, die wegen der geringen Fallzahlen keine ausreichende
Differenzierung zwischen Maßnahmearten zuließen und den
Untersuchungszeitraum oft sehr kurz gestalteten, womit
Langzeiteffekte nicht berücksichtigt wurden. Neuere
Untersuchungen rehabilitierten die berufliche Weiterbildungspolitik,
insbesondere die vielfach geschmähten abschlussbezogenen
Umschulungsmaßnahmen. Für die letzte Evaluationswelle nach
Einführung der „Hartz-Gesetze“ kann diesbezüglich
ein besonders starker Integrationseffekt festgestellt werden,
zugleich allerdings sei die „Orientierung am Bedarf der
Arbeitslosen gegenüber vereinbarten Integrationszielen und
Effizienzgesichtspunkten deutlich in den Hintergrund getreten.“
(S. 103), was Bosch
insbesondere auf eine Veränderung in der internen
Geschäftspolitik der BA zurückführt.
Diese
Politik sei auch verantwortlich für die starken Einschnitte in
die öffentlich geförderte und betrieblich berufliche
Weiterbildung sowie deren zunehmende Selektivität, die der
gleichzeitig erwünschten Nachhaltigkeit entgegenstünde:
„Nicht jeder nimmt den gradlinigen Weg durchs Bildungssystem.
Zudem werden Patchwork-Karrieren mit geringen Bildungschancen auf dem
Arbeitsmarkt mit der Deregulierung von Beschäftigungsformen, vor
allem der Leiharbeit sowie der Mini- und Midi-Jobs, zielgerichtet
gefördert. Wer mehr externe Flexibilität […] will,
muss die Beschäftigungsfähigkeit dieser mobilen
Arbeitskräfte durch zusätzliche Lernangebote stärken.“
(S. 107).
Peer Rosenthals
Aufsatz
(„Arbeitslosenversicherung
im Wandel“)
beschäftigt sich mit der Geschichte der (Veränderungen der)
Arbeitslosenversicherung in Deutschland seit Einführung des
AVAVG (1927) als einer nichtlinearen Entwicklung, die sich
insbesondere aus den unterschiedlichen politischen Vorstellungen der
jeweiligen Arbeitsmarktpolitik, ihrer Ziele, Maßnahmen und
Instrumente ergebe.
Nachdem er die verschiedenen
Policy-Prinzipien der Arbeitslosenversicherung im
konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaatsregime (Stichworte:
„Lohnarbeitszentrierung“, „Lebensstandardsicherung“
und „Leistungsgerechtigkeit“) erläutert hat, stellt
er zentrale Ziele und Funktionen der Arbeitslosenversicherung in
Deutschland dar. Dies sind neben der finanziellen und sozialen
Absicherung unter anderem: die Funktion einer graduellen
De-Kommodifizierung des arbeitsmarktlichen Angebotszwangs, die
Sicherung des sozialen Friedens durch die Existenz eines
gesellschaftlich akzeptierten Sicherungssystems im Falle von
Massenarbeitslosigkeit, die konjunkturpolitische Funktion, in deren
Rahmen Einkommensverluste kompensiert und die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage gestützt wird sowie die föderale
Ausgleichsfunktion einer bundesweit organisierten
Arbeitslosenversicherung.
Der vierte Teil seiner
Ausführungen beschäftigt sich mit den strukturellen
Veränderungen im System der Arbeitslosenversicherung seit 1949.
Zeichnete sich die Zeit bis 1969 insbesondere durch eine Erweiterung
des Kreises des Versicherten und damit einer Ausweitung der
Versicherungspflicht aus, dann war die Zeit zwischen 1970 und 1990
insgesamt zwar auch durch Leistungsausweitungen gekennzeichnet, die
jedoch schon begleitet waren von punktuellen Leistungskürzungen
(bezogen auf Leistungshöhe und -dauer) und Verschärfungen
bei der Verfügbarkeit bzw. der Zumutbarkeit von Arbeit
(ungünstigere Arbeitsbedingungen, weitere Anfahrt, schlechtere
Entlohnung, Einführung von Sperrzeiten etc.). Nach einer Phase
der Transformation und permanenten Intervention (1990 – 1997),
in der das AFG vor allen Dingen wiedervereinigungsbedingt „praktisch
im Dauerzustand der Kürzung und Novellierung“ (S. 119)
stand, veränderten sich der Charakter und die Modalitäten
der Arbeitslosenversicherung im Zuge der Neukonzeption der
Arbeitsförderung und ihrer Überführung ins SGB III
abermals: die Dauer des Arbeitslosengeldbezuges wurde verkürzt,
wenn die Verfügbarkeit durch das Konzept der Beschäftigungssuche
ersetzt, wonach Arbeitslose aktiv alle Möglichkeiten nutzen
müssen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden, die
Leistungen wurden entdynamisiert und das Arbeitslosengeld damit nicht
mehr der allgemeinen Lohnentwicklung angepasst. Weiterhin wurde der
befristete Qualifikationsschutz aufgehoben und durch eingestuftes
Einkommensmodell ersetzt, die Sperrzeitdauer wurde flexibilisiert und
stärker gestaffelt und schließlich wurde auch die
Beweislast für Fälle der Arbeitsaufgabe und
Arbeitsablehnung umgekehrt, das heißt auf den Arbeitssuchenden
verschoben.
Insbesondere die Abschaffung des
Berufsschutzes bedeutet für den Autor einen Rückfall hinter
die Regelungen des AVAVG. Einschneidend seien ebenso die
Veränderungen, die sich daraus ergaben, dass die von
Bedürftigkeit und früheren Erwerbsstatus geprägte
Arbeitslosenhilfe in das neue Grundsicherungsregime überführt
wurde: „Durch die Schaffung eines eigenständigen und von
der Arbeitslosenversicherung getrennten Fürsorgeregimes mit
verschärften Reziprozitätsnormen wurden den vormaligen
Arbeitslosenhilfe-EmpfängerInnen der Bürgerstatus genommen
und durch den Status von Hilfebedürftigen abgelöst. Im
Zusammenspiel verweisen diese Veränderungen auf einen
paradigmatischen Wandel, durch den die alte Zielsetzung der
Lebensstandardversicherung abgelöst und durch Existenzsicherung
ersetzt wurde.“ (S. 120).
Die Verfestigung der
Langzeitarbeitslosigkeit verbunden mit einer weiteren Segmentierung
des Arbeitsmarktes (insbesondere durch die Förderung des
Niedriglohnbereichs und die damit verbunden Ausweitung prekärer
Beschäftigung) führte, so Rosenthal,
im Zeitverlauf dazu, dass die Bedeutung des Arbeitslosengeldes als
Lohnersatzleistung stetig abgenommen hat. Umgekehrt nehmen die von
der Bedürftigkeitsprüfung abhängigen
Fürsorgeleistungen sukzessive zu („Dualisierung des
Sozialstaates“): „Durch das SGB II ist eine vollständig
vom Versicherungssystem und dessen Prinzipien abgekoppelte „zweite
Welt sozialer Sicherung“ implementiert worden […] Vor
diesem Hintergrund kann der Arbeitsmarktpolitik nicht mehr
zugeschrieben werden, „unterwertige Beschäftigung“
(AFG 1969) zu verhindern. Sie ist vielmehr zum Hebel für die
Durchsetzung abweichender Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse
geworden.“ (S. 123).
Diese Veränderungen üben
danach in dreifacher Hinsicht Druck auf die Arbeitslosenversicherung
aus:
- indem im Versicherungssystem selbst aktivierende Elemente ausgebaut und soziale Rechte reduziert werden;
- indem die Zugänge zum Versicherungssystem erschwert werden und
- dadurch, dass im Zuge der Aktivierung explizit Arbeitsverhältnisse erleichtert werden, die keine Zugangsmöglichkeiten zur Arbeitslosenversicherung eröffnen: „Vor diesem Hintergrund können Aktivierung und Versicherungsprinzip nicht als sich ergänzende, sondern müssen als gegenläufige Prinzipien identifiziert werden.“ (S. 124).
Oliver Nüchter
und Alfons
Schmid
widmen sich in ihrem Beitrag („Eine
subjektive Dimension der Arbeitsmarktpolitik – Einstellungen zur
Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende
in Deutschland“)
der Frage, ob und wie sich im Zuge der Einführung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende die Einstellungen der
Arbeitsuchenden zur Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld) und
zu Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) verändert
haben und welche individuellen und gesellschaftlichen
Einflussfaktoren für diese Einstellungen maßgeblich sind.
Aus bisherigen Untersuchungen gehe hervor, dass der
Fürsorge-Sozialstaat in der Bevölkerung eine traditionelle
hohe Akzeptanz genieße. Die Einführung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende markiere allerdings einen Bruch mit diesen
tradierten Funktionsweisen und Ansprüchen, was die Frage
aufwerfe, wie es um die bis dato hohe Akzeptanz der Sicherungssysteme
heute bestellt sei?
Die Differenzen zwischen
Arbeitslosengeldbeziehern und Beziehern von Leistungen der
Grundsicherung seien dabei zumeist eher gering, offenbar werden beide
Sicherungssysteme nach ähnlichen Gesichtspunkten betrachtet: „So
herrscht auch weitgehend Einigkeit bei der Bewertung von Reformideen
und -regelungen zwischen beiden Sicherungssystemen. Beide
Sanktionsmaßnahmen, also der Wegfall von Leistungen bei
Ablehnung von Arbeit und die Kontrolle von Leistungsbeziehern, werden
nach dem gleichen Muster beurteilt: wer von einer solchen Maßnahme
betroffen sein könnte, lehnt diese tendenziell ab, und
Zustimmung äußern vor allem jene, die eine
individualistische Gerechtigkeitsvorstellung haben. […] wer
sich einen interventionistischen Staat und eine möglichst große
Gleichheit der Lebensverhältnisse wünscht, hält die
derzeitigen Leistungen eher für schlecht, wer dagegen die
Wohlstandsverteilung primär über den Markt und die eigene
Leistungsfähigkeit hergestellt sehen will, hält das heutige
Sicherungsniveau tendenziell für ausreichend.“ (S.
144).
Anders stelle sich dies dar, wenn nach der eigenen
Absicherung im Falle einer Arbeitslosigkeit gefragt wird. Hier
spielten die Gerechtigkeitsvorstellungen eine untergeordnete Rolle,
während die soziale Lage des Betroffenen eine hohe Signifikanz
besäßen. Insgesamt erscheine die Berücksichtigung der
Einstellungen von nicht unerheblicher Bedeutung für die
Akzeptanz und damit die Erfolgsaussichten arbeitsmarktpolitischer
Reformen: „Reformen, die auf die ökonomische
Rationaletheorie gründen wie zum Beispiel das Forderungspostulat
aber auch das Forderungspostulat im Sinn einer Verringerung oder
Vergrößerung der Kosten-Nutzen-Relation dürften auf
erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich Akzeptanz und Wirksamkeit
stoßen, wenn als Letztbegründung allein diese ökonomischen
Faktoren betont werden.“ (S. 145).
Karen Jacheling
fragt in ihrem Beitrag „Gleichstellung
und Aktivierung – Wahlverwandtschaft oder Stiefschwester?“
danach, ob es sich hierbei eher um eine komplementäre oder eine
widersprüchliche Verbindung handelt?: „Während die
einen dabei die Rücknahme von Zugangsrechten
für bestimmte Gruppen von Frauen kritisieren, haben andere sich
mit Blick auf „Hartz IV“ vor allem kritisch auf die
stärker eingeforderte Pflicht
zur Erwerbsaufnahme bei gleichzeitig abgesenkten
Zumutbarkeitskriterien bezogen.“ (S. 147).
Nach
einem Rückblick auf die Entwicklung der Gleichstellung im
Kontext der aktiven Arbeitsmarktpolitik – die Autorin resümiert
hier ein Spannungsverhältnis, das in erster Linie aus der
mangelnden Einlösung
von Zielen und Prinzipien aktiver Arbeitsmarktpolitik resultierte –
widmet sie sich den Veränderungen ihres Verhältnisses im
Zuge der Umsetzung von Elementen der aktivierenden
Arbeitsmarktpolitik. Sie fragt, ob mit den abgesenkten Hürden
beim Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Leistungen nicht zugleich
Formen der „diskreteren Diskriminierung“ Einzug gehalten
hätten, weil Frauen von vielen Maßnahmen, die
vordergründig eine Verbesserung anzeigen, letztlich negativ
tangiert sein? So stellten zum Beispiel die Veränderungen des
Instrumentenprofils und hier vor allem die Einschnitte bei der
Förderung der beruflichen Weiterbildung in Verbindung mit der
ohnehin häufigeren unterwertigen Beschäftigung von Frauen
sowie dem starken Wachstum des weiblich dominierten
Niedriglohnsegments eine Entwicklung dar, die „[…] die
Qualität der Erwerbsintegration von weiblichen Hilfe Beziehenden
negativ berührt.“ (S. 152).
Teil III: „Akteure der Arbeitsmarktpolitik zwischen Aufgabenerfüllung und Steuerungswandel“
Holger Schütz thematisiert die „Neue und alte Regelsteuerung in der deutschen Arbeitsverwaltung“. Er versuchte in seinem Beitrag eine Antwort auf die Frage zu formulieren, inwieweit Organisationsmodelle und Steuerungsmodi der Arbeitsverwaltung die Umsetzung der deutschen Arbeitsmarktpolitik bestimm(t)en oder beeinfluss(t)en? Dazu zeichnet er die Kontinuitäten und Veränderungen dieser Steuerungsmodi nach und formuliert auf dieser Basis die These, dass trotz der reformbedingten signifikanten Änderungen in den Steuerungsprämissen die Steuerungspraxis in der Agentur für Arbeit auch heute noch von einem – wenn auch neuartigen – System der Regelsteuerung bestimmt werde: „Im Zuge der BA-Reform ab 2003 haben die örtlichen Agenturen im SGB III dezentrale Gestaltungskompetenzen eingebüßt, was zu einer zunehmenden Uniformisierung der lokalen Vermittlungsmodelle führt [7]. Dies erscheint Schütz als eine Fehlentwicklung angesichts vielfältiger regionaler Unterschiede in den Problemlagen, für deren Bearbeitung und Lösung auch eine hinreichende Vielfalt der Politikstrategien und Organisationsmodelle nötig sei. Die jüngere Reformpraxis sei stattdessen von einem stark sozialtechnologischen Steuerungsoptimismus geprägt, dem offenbar die Annahme zu Grunde liege, die Arbeitsmarktpolitik sei um so erfolgsträchtiger, je engmaschiger und standardisierter die Ziele und lokalen Umsetzungsprozesse konzipiert, geplant und kontrolliert werden.“ (S. 174 f.).
Volker Hielscher
und Peter
Ochs
setzen sich in ihrem Beitrag „Das
prekäre Dienstleistungsversprechen der öffentlichen
Arbeitsverwaltung“
mit dem Kernbegriff der „Dienstleistung“ auseinander, der
für sie im Zentrum der arbeitsmarktpolitischen Rhetorik der
Hartz-Reformen steht. Da man faktisch wenig über die Praxis der
Leistungsprozesse in der Arbeitsverwaltung wisse, insbesondere, ob
diese Praxis dem formulierten Dienstleistungsanspruch auch
tatsächlich gerecht werde, haben sich die Autoren vorgenommen,
der Klärung der Frage nachzugehen „[…] was die
Substanz einer Dienstleistung in der öffentlichen
Arbeitsverwaltung ausmacht bzw. ausmachen könnte und worin sich
ein entsprechender gesellschaftlicher und individueller
Dienstleistungsanspruch begründet.“ (S. 178). Zu diesem
Zweck werden die Ergebnisse einer empirischen Studie herangezogen,
die die neue Kunden- und Dienstleistungsmetaphorik mit den faktischen
Asymmetrien im Dienstleistungsverhältnis unter den gegenwärtigen
Rahmenbedingungen innerhalb der Arbeitsverwaltung kontrastiert [8].
Sie gehen dazu auf die Entwicklung des Dienstleistungsdiskurses
innerhalb der Arbeitsverwaltung ein, betrachten die Besonderheiten
personaler Dienstleistungen (Stichwort: Koproduktion) und erläutern,
warum der „Kunde“ (in der Arbeitsagentur) letztlich eben
kein Kunde ist: „In besonderer Weise wird das Kundenkonzept für
die öffentliche Arbeitsverwaltung brüchig, wenn man auf das
Zwangsverhältnis rekurriert, das durch die rechtlichen
Grundlagen zwischen Arbeitslosen und Arbeitsverwaltung konstituiert
wird.“ (S. 183). Ihr Fazit ist folgerichtig: „Die Form
einer Gesprächssituation „auf Augenhöhe“ war
empirisch nur in wenigen Fällen zu finden. Der aushandelnde
Interaktionstypus war vor allem dadurch geprägt, dass die
Sanktionspotenziale und die formale Prozessführung im Gespräch
zurückgetreten sind und beide Seiten sich auf ein aushandelndes
Prozedere für das Integrationsziel und für beiderseitige
Beiträge zu diesem Ziel eingelassen haben.“ (S. 188).
Der Aufsatz von
Petra
Kaps
mit dem Titel „Die
Rolle der Kommunen in der Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik“
schließt inhaltlich an die Ausführungen von Matthias
Knuth
an. Nach einer kurzen Einleitung, in der sie die verschiedenen
Aktivitäten kommunaler Beschäftigungspolitik in Abgrenzung
zur Bundesebene darlegt, geht sie auf die Daten zu Arbeitslosigkeit
und Sozialhilfe und deren Entwicklung seit den 1970er Jahren ein, die
besonders ab Mitte der 1980er Jahre ein stetiges Ansteigen der
arbeitslosigkeitsbedingten Fallzahlen anzeigen.
Im
Abschnitt „Kommunale Beschäftigungspolitik unter dem
Bundessozialhilfegesetz“ schildert Kaps
die rechtlichen Grundlagen sowie die Praxis und die Probleme der
kommunalen Beschäftigungspolitik auf Basis der §§ 18
ff. BSHG („Hilfe zur Arbeit“) [9]
bis zum Jahr 2004. Mit der Einführung der „Grundsicherung
für Arbeitsuchende“ hat sich die Rolle der Kommunen in der
Beschäftigungspolitik fundamental verändert. Dies gilt
sowohl für die rechtlichen Grundlagen (mit dem SGB II wurde
neben dem SGB III ein neues Gesetz für hilfebedürftige
Erwerbsfähige geschaffen) als auch für die praktische
Arbeit vor Ort, die seit 2005 entweder in Form der
Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) zwischen Bundesagentur und Kommunen
oder in kommunaler Alleinzuständigkeit (69 Optionskommunen)
stattfindet.
Für Kaps hat sich damit zugleich „[…]
das bisherige Zielsystem kommunaler Beschäftigungspolitik
verschoben. Fiskalpolitische Motive, die Hilfebedürftigen durch
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in die
Zuständigkeit der Bundesagentur zu verweisen, sind hinfällig
geworden. […] das Ziel der Integration in Beschäftigung
am ersten Arbeitsmarkt dürfte angesichts der realisierbaren
Arbeitseinkommen, der Minijobregelung, der Hinzuverdienst- und
Zumutbarkeitsregelungen des SGB II sowie der Entscheidung,
AufstockerInnen dem Rechtskreis des SGB II zuzurechnen, nur noch
geringe Bedeutung für kommunale Politik einnehmen. Hingegen
dürften sozial integrative Zielstellung an weiterhin eine
wichtige Rolle spielen.“ (S. 201).
Besaßen die
Kommunen zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes umfangreiche
Möglichkeiten, mit den Instrumenten der „Hilfe zur Arbeit“
eine eigenständige Beschäftigungspolitik für
SozialhilfeempfängerInnen zu betreiben, dann ist mit der
Einführung des SGB II die Trägerschaft für die aktiven
Leistungen an die Bundesagentur für Arbeit übergegangen.
Lediglich in den Optionskommunen ist die lokale Beschäftigungspolitik
als eigenständiges kommunales Handlungsfeld erhalten geblieben
und zum Teil ausgebaut worden. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften
fallen eigenständige beschäftigungspolitische Aktivitäten
der Kommunen nun in den Bereich der freiwilligen kommunalen Aufgaben,
so dass gerade bei hohen Belastungen der kommunalen Haushalte die zum
Teil über lange Jahre aufgebauten und genutzten
Arbeitsstrukturen, Instrumente und Maßnahmen in ihrer
bisherigen Existenz bedroht sind.
Tanja Klenk
stellt
in ihrem Beitrag „Vom
Arbeitsförderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II und III -
Pfadwechsel in der korporatistischen Arbeitsverwaltung?“
die Entwicklung der Selbstverwaltung in der Arbeitsverwaltung seit
Gründung der Bundesrepublik dar. Die verwaltungspolitische
Einordnung dieses Verwaltungsmodells, d. h. ihr „anstaltlicher
Charakter“ wird zu Beginn des Artikels mit den
Selbstverwaltungsstrukturen anderer Sozialversicherungsträger
sowie den Strukturen der Arbeitsverwaltung anderer Länder
kontrastiert. Für Klenk
leitete sich der anstaltliche Charakter dabei nicht funktional (etwa
aus der Finanzierungsstruktur) ab. Vielmehr ließen sich die
Selbstverwaltungsstrukturen als Indikator für das Verhältnis
der arbeitsmarktpolitischen Interessengruppen deuten. Die
Organisationsstrukturen seien insofern Gegenstand machtpolitischer
Auseinandersetzungen, die zum einen den Interessengegensatz zwischen
Beschäftigten und Arbeitgebern und zum anderen mögliche
Konflikte zwischen Staat und Verbänden sowie zwischen
Beschäftigten und Arbeitslosen widerspiegelten.
Klenk
skizziert zur Untermauerung dieser These die wichtigsten
geschichtlichen Stationen der Entwicklung der Selbstverwaltung in der
Arbeitsverwaltung. So gehörte das ‚Gesetz zur Errichtung
der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung‘ zu den umstrittensten Gesetzen der
Anfangsjahre der Bundesrepublik. Zwischen den Arbeitsmarktakteuren
bestand zwar Konsens darüber, dass die Arbeitsverwaltung wie
zuvor von einem teilautonomen Träger unter Beteiligung der
Tarifverbände durchgeführt werden sollte. Umstritten war
dagegen der Umfang des Einflusses staatlicher Akteure. Die
Tarifparteien hatten sich auf eine bi-paritätische
Selbstverwaltung ohne staatliche Beteiligung verständigt. Der
Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums jedoch knüpfte an
die Strukturen der ehemaligen Reichsanstalt an und sah eine
drittelparitätische Gremienstruktur vor allem auf der
Verwaltungsebene vor, wie sie dann auch in das Gesetz übernommen
wurde und in ihren Grundzügen bis heute gültig ist.
Zugleich veränderte diese Gremienstruktur ihren Charakter
insbesondere ab 2002. Galt die Selbstverwaltung in der
Arbeitsverwaltung bis dato als „Säule der
korporatistischen Interessenvermittlung“, so brachten die
Hartz-Gesetze einschneidende strukturelle Veränderungen in der
Selbstverwaltung mit sich: „Auf der zentralen Ebene der BA (ab
nun: Bundesagentur) wurde die bisherige dreistufige Leitungsstruktur
der Bundesanstalt (Präsident, Vorstand, Verwaltungsrat)
abgeschafft. Die Bundesagentur wird seitdem von einem hauptamtlichen
Vorstand und einem ehrenamtlichen Verwaltungsrat geleitet. Der neue
dreiköpfige Vorstand, dessen Mitglieder auf Zeit von der
Bundesregierung berufen werden, hat die Aufgabe des ehemaligen
Vorstands sowie des Präsidenten übernommen. Aufgabe des
Verwaltungsrats, des einzig noch verbliebenen Selbstverwaltungsorgans
auf zentraler Ebene, ist die Beratung und Kontrolle der Tätigkeit
des Vorstandes (§§ 371 und 381 SGB II). Die Mitgliederzahl
des Verwaltungsrats wurde zudem von 51 auf 21 verringert.“ (S.
215).
Nach Klenk
sind es aber nicht nur das veränderte Verhältnis von
Vorstand und Verwaltungsrat oder die neuen Regelungen zur Bestellung
der Organe, die den Strukturbruch bewirken. Zur Abkehr vom tradierten
Steuerungsmodell komme es vielmehr durch die Einführung des SGB
II, obwohl dieses keine Regelungen enthält, die die
Selbstverwaltungsstrukturen der Bundesagentur unmittelbar betreffen.
Durch die Aufteilung der EmpfängerInnen arbeitsmarktpolitischer
Leistungen auf zwei unterschiedliche Rechtskreise (SGB II und III)
und ihre gleichzeitige Zuordnung zu unterschiedlichen Institutionen
habe sich jedoch die Struktur der Interessenvermittlung in der
Arbeitsverwaltung grundlegend verändert: „Die BA setzt das
mit dem vierten Hartz-Gesetz eingeführte steuerfinanzierte
Arbeitslosengeld II als Auftragsangelegenheit des Bundes um und
handelt dabei ohne Selbstverwaltung. […] die Gestaltung der
Leitungsstrukturen der Arbeitsgemeinschaften lässt das SGB II
offen. […] Anders als bei den Trägern des SGB III sieht
das SGB II keine institutionell abgesicherte Beteiligung von
Interessenverbänden vor.“ (S. 216).
So
veränderten die Selbstverwaltungsreformen die konkrete
Ausprägung des Selbstverwaltungsmodells der BA, das
tripartistische Verwaltungsmodell würde dadurch aber noch nicht
grundsätzlich infrage gestellt werden. Zugleich konstatiert
Klenk,
dass es durch die Einführung von Hartz IV zu einem Bruch mit dem
tradierten Selbstverwaltungmodell gekommen sei, weil die Verwaltung
der Leistungen eines Großteils der erwerbsfähigen
Leistungsempfängerinnen nun außerhalb der verbandlich
gesteuerten Arbeitsverwaltung wahrgenommen würde. In der mittel-
bis langfristigen Perspektive geht Klenk
deshalb davon aus, dass es dauerhaft zu einem Nebeneinander eines
korporatistisch gesteuerten Versicherungsbereichs und einem
nicht-korporatistisch gesteuerten Fürsorgesystem kommt. Diese
Entwicklung habe zugleich zu einer Neujustierung des Verhältnisses
zwischen den Interessenverbänden geführt. Insbesondere die
Rolle von Gewerkschaften und den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden
habe sich verändert: „War die Arbeitsverwaltung bislang
die Domäne der Tarifparteien, so haben durch die Einführung
von Arbeitslosengeld II die Wohlfahrtsverbände als Träger
der Maßnahmen der Arbeitsförderung ein stärkeres
Gewicht in der Repräsentation der Interessen erwerbsfähiger
Arbeitsloser erhalten und stellen hier das Repräsentationsmonopol
der Gewerkschaften in Frage.“ (S. 217, Herv. i. O.).
Der Beitrag von
Wolfgang
Schroeder
und Andreas
D. Schulz
(„Arbeitsmarktpolitik
und Sozialpartner“)
knüpft inhaltlich an die Ausführungen von Klenk
an. Seit den Anfängen der tripartistischen Arbeitsmarktpolitik
im Jahre 1927 prägen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände
die Strukturen und Inhalte der staatlichen Arbeitsmarktpolitik in
Deutschland mit. Dies gilt sowohl indirekt (über Parteien,
Ministerien etc.), vor allem aber direkt im Rahmen der
Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit. Die Autoren
analysieren Geschichte und Struktur dieses Arbeitsmarktkorporatismus
aus zwei Perspektiven, nämlich aus der Sicht der beteiligten
Akteure (Binnenperspektive) und aus der Sicht der sich wandelnden
Umwelt- und Akteurskonstellationen (Außenperspektive): „Es
wird also einerseits die Bedeutung der Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände anhand der verbandlichen (Macht-)Ressourcen
und -strategien beleuchtet und andererseits die wechselnden
Anforderungen sowie die damit einhergehenden Verschiebungen zwischen
den Akteuren in der Arbeitsmarktpolitik analysiert.“ (S.
221).
Als entscheidender Einschnitt wird auch hier die
Vorbereitung und Umsetzung der Hartz-Gesetze betrachtet. Der
Hartz-Kommission kam – vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen
aus den diversen „Bündnissen für Arbeit“ – nach
Ansicht der Autoren nämlich auch die Rolle zu, „[…]
die Blockaden der Verbände im triparitätischen
Selbstverwaltungsgremium der Bundesanstalt für Arbeit aufzulösen
und den Stillstand in den Arbeitsmarktreformen zu überwinden.“
(S. 233). Die Hartz-Kommission brach insofern mit dem bisherigen
Verbandskorporatismus in der deutschen Arbeitsmarktpolitik, da viele
Kommissionsvertreter als Personen und weniger als Mitglieder von
Verbänden angesprochen wurden, weshalb „[…] nicht
nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeber versuchten in
der Folge mit Gewalt in die Kommission zu gelangen.“ (S.
233).
Für die Autoren signalisieren diese
Entwicklungen drei zentrale Auswirkungen der Hartz-Reformen auf die
deutsche Sozialpolitik: 1) einen weiteren Einflussrückgang der
Verbände im Sozialstaat; dieser wurde damit 2) sukzessive zur
„Chefsache“ von Regierung und Parteien, womit sich 3)
zugleich der Ort für sozialpolitische Verhandlungs- und
Aushandlungsprozesse von den Verbänden hin zu den
Parteiführungen verlagerte: „Ein Zeichen hierfür ist
der politische Bedeutungsverlust der Selbstverwaltung auf der
Bundesebene, die als Verwaltungsrat mehrheitlich technische Aufgaben
eines Aufsichtsrats wahrnimmt. Noch eindeutiger ist die Abschaffung
der sozialen Selbstverwaltung auf Landesebene.“ (S. 234).
Stefanie Kremer
und Silke
Bothfeld
fragen in ihrem Beitrag „Reflexive
Regulierung von Beschäftigungsbedingungen: Königsweg oder
Sackgasse?“
nach den Veränderungen institutioneller Regulierung des
deutschen Beschäftigungssystems und ihren arbeitsmarktlichen
Auswirkungen. Seit Mitte der 1980er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit
in Deutschland stark an, breitete sich der Niedriglohnsektor
zunehmend aus und schwand die Bedeutung von Flächentarifverträgen.
Dabei wurden nicht nur die Institutionen sozialer Sicherung, sondern
auch der traditionell hohe Standard bei der Regulierung der
Beschäftigungsbedingungen als eine Belastung insbesondere für
das Beschäftigungswachstum in den unteren Einkommensbereichen
interpretiert: „In Deutschland folgten die jüngsten
Arbeitsmarktreformen dieser Denkart, indem sie die Ausweitung von
atypischer Beschäftigung durch eine direkte oder indirekte
arbeitsrechtliche Deregulierung betrieben.“ (S. 239). Daraus
ergibt sich für die Autorinnen die Frage, ob „[…]
diese Deregulierung mit einem endgültigen Abschied von den
einmal erreichten sozialen Standards gleichzusetzen [ist], weil sie
zwangsläufig zu einer Verminderung des Sozialschutzes führt?
Oder sind neue Formen eines Kompromisses zwischen einem betrieblichen
Bedarf an Flexibilität des Arbeitskräfteeinsatzes und einem
effektiven ArbeitnehmerInnen-Schutz denkbar?“ (ebd.).
Dabei gibt die in der Rechts- und Politikwissenschaft geführte
steuerungstheoretische Debatte, die auf Formen der „reflexiven
Regulierung“ und des „prozeduralen Rechts“
rekurriert, die theoretische Folie der beschriebenen
Veränderungsprozesse ab: „Im Kern zeichnet sich die
Strategie der reflexiven Regulierung durch die Zurückhaltung des
Gesetzgebers gegenüber von den Beteiligten selbst zu
verhandelnden Lösungen aus und überantwortet somit die
Wahrung öffentlicher Interessen an dezentrale Akteure, zwischen
denen auch politische Differenzen bestehen können.“
(ebd.).
Die Autorinnen vertreten dabei die These, dass das
Konzept des reflexiven Rechts zwar ein Potenzial für eine
gerechte und effektive Regulierung von Arbeitsverhältnissen
bietet, dieses Konzept zugleich aber substantielle
Verteilungskonflikte tendenziell unterschätze. Insbesondere
dürfe sich das Ziel arbeitsrechtlicher Regulierung nicht auf die
Senkung der Arbeitskosten und damit auf die Nachfrage nach
Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt reduzieren lassen. Nachdem die
Autorinnen den Ansatz der reflexiven Regulierung vorgestellt und
anhand zweier Fallbeispiele aus dem kollektiven (Flächentarifvertrag)
und dem individuellen Arbeitsrecht (Leiharbeit) erläutert haben,
geht es ihnen darum, die praktischen (Aus-)Wirkungen dieser Strategie
zu illustrieren.
Grundsätzlich erscheint ihnen der
Weg, Kompetenzen an gesellschaftliche Akteure zu verlagern, die eine
höhere Problemkenntnis aufweisen und kurzfristig spezifische
Regelungsmechanismen entwickeln können, plausibel. Empirisch
bestätige sich jedoch, „[…] dass es auch für
die Entwicklung eines reflexiven Rechts eine Herausforderung
darstellt, die Sicherung der Letztverantwortung im Rahmen des
Sozialstaatsprinzips mit der notwendigen Unvoreingenommenheit des
Gesetzgebers zu vereinbaren.“ (S. 249). Das Beispiel der
Tarifautonomie habe gezeigt, dass die Delegation lange Zeit gut
funktioniert habe, das Problem der veränderlichen
Machtverteilung gesellschaftlicher Akteure aber in dem Moment an
Bedeutung gewinne, da das System der Flächentarifverträge
erodiert und aufgrund dieser und anderer paralleler Entwicklungen die
Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefährdet sei. Das
(neuere) Beispiel der Reform der Arbeitnehmerüberlassung
illustriere dagegen „[…] den (gescheiterten) Versuch,
eine „Selbständerung“ der Unternehmen bei der
Bewältigung von kurzfristigen Arbeitskräftebedarf zu
erwirken, ohne dabei jegliche
soziale Qualität der Regulierung preiszugeben.“ (ebd.;
Herv. i. O.)
Manon Irmer
und Aysel
Yollu-Turk
beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Die
europäischen Institutionen als Drahtzieher der
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland? Zur Bedeutung der europäischen
Beschäftigungsstrategie und des Europäischen Sozialfonds im
arbeitsmarktpolitischen Geschehen“
mit dem europäischen Kontext nationaler Arbeitsmarktpolitiken
nach 1997. Mit der Unterzeichnung des Vertrages von Amsterdam haben
die europäischen Mitgliedstaaten anerkannt, dass die
Beschäftigungspolitik eine Angelegenheit von gemeinsamem
Interesse ist und dass die beschäftigungspolitischen Maßnahmen
auf nationaler Ebene mittelbare und unmittelbare Konsequenzen für
die anderen Mitgliedstaaten besitzen. Zur Koordinierung ihrer
Aktionen stehen den EU-Mitgliedsstaaten institutionalisierte
Verfahren zur Verfügung, die unter der Überschrift der
„Europäischen Beschäftigungsstrategie“ (EBS)
zum Einsatz kommen. Der komplementäre „Europäische
Sozialfonds“ (ESF) von 1957 fungiert als wichtiger Impulsgeber
der EBS, indem er Maßnahmen finanziert, die zur Zielerreichung
der EBS beitragen.
Es geht den Autorinnen nun um die
Klärung der Frage, ob die europäischen Instanzen mit Hilfe
der EBS und des ESF die deutsche Beschäftigungspolitik
tatsächlich beeinflusst haben bzw. weiterhin beeinflussen? Auf
Basis einer Dokumentenanalyse, die die jeweiligen relevanten Akteure
(Rat der Europäischen Union und Europäische Kommission) und
Steuerungsmechanismen (die offene Methode der Koordinierung (OMK) als
Form der „weichen Steuerung“) genauer darstellt, gehen
sie der Frage nach, inwieweit die EBS in Deutschland greift, um
abschließend die Rolle des ESF in Deutschland insbesondere im
Hinblick auf die Realisierung der EBS zu beleuchten.
Innerhalb der EBS zeige sich dabei, dass zwischen dem Rat und
den Mitgliedstaaten eine Prinzipal-Agenten-Beziehung bestehe: „Diese
Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass der Rat als Prinzipal seine
beschäftigungspolitischen Forderungen nicht rechtlich
durchsetzen kann. […] Der Erfolg dieses Steuerungsinstruments
(der OMK, MB) hängt somit stark vom politischen Willen und
Engagement der einzelnen Mitgliedsländer ab.“ (S. 264).
Deutschland habe sich hierbei durch die Festlegung von sechs
nationalen Prioritäten einen erheblichen Spielraum in der
Berichterstattung geschaffen, wodurch die Wirkung der OMK geschwächt
werde. Darüber hinaus rückten beschäftigungspolitische
Themen zu Gunsten wirtschaftspolitischer Maßnahmen in den
Hintergrund. Dieses Ergebnis zeige sich auch bei der Betrachtung der
Empfehlungen, die der Rat an Deutschland gerichtet hat.
In ihrem
resümierenden Schlussbeitrag („Arbeitsmarktpolitik
– ein emanzipatorisches Projekt in der sozialen
Marktwirtschaft“)
nehmen die Herausgeber Bothfeld,
Sesselmeier
und Bogedan
die in den Einzelbeiträgen formulierten Kernthesen noch einmal
auf. Der von ihnen konstatierte „paradigmatischen Wandel in der
Arbeitsmarktpolitik“ lässt sich danach bereits in den
Grundzügen der Arbeitsmarktpolitik nachweisen, weil sich neben
dem wohlfahrtsstaatlichen Arrangement auch die ihm zu Grunde
liegenden Wertvorstellungen und die Steuerungsstrukturen verändert
hätten. Die Analyse des Instrumentariums zeige ebenso einen
weitreichenden Wandel, der an den Veränderungen der
Ausgabenpolitik, der Neudefinition von Zugangsrechten und an einer
neuen strategischen Zielausrichtung deutlich werde. Bei der
arbeitsmarktpolitischen Steuerung zeigten sich neben starken
Kontinuitäten z. B. in der Organisation der Arbeitsverwaltung
auch drastische Veränderungen im Zuge einer
betriebswirtschaftlichen Überformung der Organisation der
Agenturen und der Arbeitsvermittlungsprozesse. Diese Entwicklungen
werden von den Autoren kritisch betrachtet, weil sie insbesondere dem
sozialpolitischen Charakter der Leistungsprozesse nicht angemessen
Rechnung tragen würden.
Ihr Fazit: „Mit anderen
Worten: die Gesamtschau der Entwicklungen in der Arbeitsmarktpolitik
verdeutlicht eher gewachsene Uneinheitlichkeit und Inkonsistenz als
einen gelungenen Übergang zu einem neuen Modell der
Arbeitsmarktpolitik, das den Anforderungen eines im strukturellen
Wandel begriffenen Beschäftigungssystems bei gleichzeitiger
Rücksicht auf historisch gewachsene und kulturell verankerte
Sicherheitserwartungen gerecht werden würde.“ (S. 270).
Auf Basis dieses „strukturellen Dilemmas“ entwickeln die
Autoren abschließend eine Grobskizze möglicher
Reformoptionen.
Fazit
Die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in den Jahren nach der Einführung des AFG stellt sich, wie sämtliche Beiträge belegen, wechselhaft dar, was auch an den bis heute anhaltenden Gesetzesnovellen und Reformen des bzw. im SGB II und SGB III – zum Teil im Jahres- oder gar Monatsrhythmus – im Bereich der Arbeitsförderung deutlich wird. Eine Entwicklung, die mit der Umsetzung der Hartz-Gesetze seit 2005 nicht etwa gestoppt wurde, sondern weiter an Dynamik gewonnen hat und für die (besonders auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise und ihrer möglichen arbeitsmarktpolitischen Implikationen) vorläufig kein Ende absehbar ist.
Wer sich über diese Entwicklung, ihre arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Grundlagen und Auswirkungen und deren Bewertung kundig machen will, dem ist der vorliegende Band uneingeschränkt zu empfehlen. Dies gilt wegen seiner klaren Systematik und wegen der Breite des gebotenen Themenspektrums sowie der inhaltlichen Tiefe und Aktualität der Einzelbeiträge. Sie bieten vor allem dem thematisch vorgebildeten Leser eine detaillierte und zugleich erschöpfende Darstellung des „Standes der Kunst“ im Politikfeld der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland.
[1] In einigen Fällen handelt es sich um komprimierte und zugleich aktualisierte Darstellungen der Autoren zum gleichen Thema, die zum Teil in anderem Zusammenhang ausführlich besprochen wurden. Wir verweisen deshalb auf die entsprechenden Rezensionen.
[2] Knuth erklärt „Pfadabhängigkeit“ dabei wie folgt: „Wenn man einen Baum klettert, dessen Stamm sich verzweigt, dann ist es durchaus möglich, von einem Zweig zum anderen überzuwechseln – aber je weiter man sich schon vom Stamm entfernt hat, desto mühsamer und teurer (im Sinne der Entwertung früherer Anstrengungen) wird diese Übung […] Pfadwechsel sind möglich, verursachen aber ökonomische, soziale und politische Kosten […] Pfadwechsel führen nicht in beliebige Richtungen, sondern sie münden in andere bereits vorgezeichnete Pfade, die ihre eigene Entwicklungslogik aufweisen.“ (Knuth, S. 66; vgl. den Beitrag unten).
[3] Vgl. dazu ausführlich Mohr (2007): Soziale Exklusion im Wohlfahrtsstaat, Wiesbaden (https://www.socialnet.de/rezensionen/4940.php) und zu „Workfare“ in: Wyss (2007): Workfare, Zürich (https://www.socialnet.de/rezensionen/5783.php).
[4] Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom Dezember 2007 die gültige, in § 6c SGB II geregelte Trennung der Aufgabenwahrnehmung zwischen Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) und zugelassenen kommunalen Trägern (zkT > „Optionskommunen“) für verfassungswidrig erklärt, weil es sich hierbei um eine grundgesetzlich nicht vorgesehene Form der „Mischverwaltung“ handele. Der Gesetzgeber muss nun – bis zum Ende der Laufzeit der so genannten „Experimentierklausel“ (Ende 2010) – eine neue Regelung etablieren: Entweder, indem eine grundgesetzkonforme Lösung gefunden wird (wie immer diese aussehen mag) oder andersherum dadurch, dass das Grundgesetz dem Status Quo angepasst wird.
[5] Diese betrifft insbesondere die deutliche Stärkung von vermittlungsorientierten Maßnahmen wie etwa der Einschaltung privater Vermittler oder der Einsatz von Lohnkostenzuschüssen.
[6] Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Holger Schütz unten.
[7] Vgl. dazu ausführlich in Schütz (2008), https://www.socialnet.de/rezensionen/6553.php
[8] Vgl. dazu ausführlich in Hielscher/Ochs (2009), https://www.socialnet.de/rezensionen/7715.php
[9] Vgl. dazu ausführlich auch: Kaps (2005), https://www.socialnet.de/rezensionen/4121.php
Rezension von
Prof. Dr. Michael Buestrich
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
Website
Es gibt 35 Rezensionen von Michael Buestrich.
Zitiervorschlag
Michael Buestrich. Rezension vom 07.11.2009 zu:
Silke Bothfeld, Werner Sesselmeier, Claudia Bogedan: Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft. Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch II und III. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2009.
ISBN 978-3-531-16887-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8095.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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