Christina Hölzle, Irma Jansen (Hrsg.): Ressourcenorientierte Biografiearbeit
Rezensiert von Prof. C. Dorothee Roer, 29.03.2010

Christina Hölzle, Irma Jansen (Hrsg.): Ressourcenorientierte Biografiearbeit. Grundlagen – Zielgruppen – Kreative Methoden. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2009. 341 Seiten. ISBN 978-3-531-16377-2. 19,90 EUR.
Siehe auch Replik oder Kommentar am Ende der Rezension
Thema
Biografie: das Thema boomt tatsächlich. In Zeiten so rasanten gesellschaftlichen Wandels, der Enttraditionalisierung und Individualisierung mit ungeahnter Geschwindigkeit vorantreibt, ist die Sicht auf Subjekte als biografische AkteurInnen, ist die Beschäftigung mit individuellen Lebenswegen, Lebensentwürfen, biografischen Perspektiven fast ein Muß. Diese Perspektive scheint auch in der Sozialen Arbeit an Boden zu gewinnen. Das ist zu begrüßen, denn der Ansatz bietet die Möglichkeit, die in meinen Augen ebenso unangemessene wie unfruchtbare Deutung der NutzerInnen Sozialer Arbeit als KundInnen zu überwinden und zugleich einem demokratischen Verständnis von Interaktionen im Arbeitsfeld Raum zu schaffen.
Herausgeberinnen und AutorInnen
Die Herausgeberinnen, Psychologin mit Schwerpunkt Klinische Psychologie die eine, (Sozial-) Pädagogin mit dem Schwerpunkt Arbeit mit marginalisierten Menschen die andere, sind Professorinnen an der Fachhochschule Münster, von wo sie auch, bis auf zwei Ausnahmen, ihre Mit-AutorInnen rekrutierten. Das klingt interessant, lädt ein zu der Spekulation, womöglich existiere an dieser Fachhochschule ein kollegialer Diskussionszusammenhang zum Thema Biografiearbeit, dessen Ergebnisse mit „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ vorgelegt würden. Darauf könnte auch der Untertitel „Lehrbuch“ verweisen.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in drei Teile:
- Grundlagen,
- Zielgruppen,
- Kreative Medien.
Es umfasst 20 Einzelbeiträge. Angesichts des Dilemmas, in dem ich mich, wie andere RezensentInnen von Herausgeber-Bänden erlebe, keinen überzeugenden Weg zu finden, jeder einzelnen Arbeit gerecht zu werden, habe ich mich entschieden, mich auf die Grundlagen (Teil I.) zu konzentrieren, sie als den Rahmen zu begreifen, in den sich die Beiträge zu Teil II. und III. einordnen (sollen). Diesen Rahmen werde ich auf seine Stringenz und Eignung als Grundlage für ein Lehrbuch, als das sich die vorliegende Arbeit ja vorstellt, untersuchen. In einem zweiten Schritt werden dann die Einzelbeiträge (nur) hinsichtlich ihrer Passung, hinsichtlich ihres Stellenwerts für das Projekt als ganzes vorgestellt und diskutiert.
Zu Teil I.
Teil I besteht aus je zwei von jeder Herausgeberin verfassten Aufsätzen. Voll Neugier und freudiger Erwartung machte ich mich an die Lektüre, aber schon nach den ersten Sätzen der Einleitung meldete sich Irritation. Da wird einerseits festgestellt, daß theoretische Voraussetzungen und Bezugsrahmen „vielfältig und ungeklärt“ erscheinen. Zu erwarten wäre, daß diese Behauptung im Folgenden erläutert und Überlegungen zur Aufarbeitung des erkannten theoretischen Defizits angestellt würden. Dazu böte sich zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem theoretischen Konzept Biografie in seiner Bedeutung für Biografiearbeit an, Literatur zum Thema ist ja reichlich vorhanden. Nichts dergleichen, im Kurzschlußverfahren wird Biografiearbeit zur „Methode“, zum „methodischen Vorgehen“ erklärt und diese Setzung auch nicht mehr hinterfragt. Woraus diese ‚Methode‘, nachdem sie einmal ins theoretische Off verwiesen ist, ihre Praxis schöpfen soll, läßt sich nun systematisch nicht mehr klären. Wenn der eigene Anspruch einer wissenschaftlichen Fundierung von Biografiearbeit auf der ersten Seite des Buches formuliert und gleich wieder aufgegeben wird, dann wundert nicht daß die Beschreibung von Sinn und Zweck des Gesamtwerks ziemlich vage klingt: „Ziel und Anliegen der Beiträge dieses Buches ist es daher, die gesamten Bereiche auszuleuchten und eine fachliche Orientierung anzubieten.“ Welche Bereiche? Was für eine fachliche Orientierung?
Das theoretische Vakuum rund um die „Methode“ Biografiearbeit, daß die Herausgeberinnen in der Einleitung konstruieren, muß dann aber doch ‚irgendwie‘ gefüllt werden. Das passiert, auch wieder recht vage, im zweiten Beitrag, indem in der Funktionsbeschreibung von Biografiearbeit „[…] der Bezug zu Theorien hergestellt wird, die für das Verständnis von lebensgeschichtlichen Entwicklungen […] bedeutsam sind und deshalb Ansatzpunkte liefern können für die begründete Konzeptualisierung einer konstruktiven Biografiearbeit“ (Hölzle 2009:35). Postulierte Funktionen einer wissenschaftlich nicht eingeordneten Methode werden assoziativ mit ausgewählten psychologischen, vor allem klinisch-psychologischen Ansätzen verknüpft. In diesem tautologischen Verfahren belegt die zunächst unabgeleitete Funktionsbestimmung die vermeintlich theoretische Fundierung von Biografiearbeit und umgekehrt. Ähnlich assoziativ geht Christina Hölzle in ihrem zweiten Beitrag zu Teil I. vor. Nach dem Motto: Biografiearbeit zielt auf erfolgreiche Lebensbewältigung, die klinisch-psychologischen Ansätze der Salutogenese und der Resilienz haben zur Frage der erfolgreichen Lebensbewältigung wichtige Beiträge geliefert, deshalb eignen sie sich zur Illustration?, zur theoretischen Unterfütterung? von Biografiearbeit.
Warum diese und keine anderen Theorien zur Veranschaulichung dessen, was die AutorInnen unter Biografiearbeit verstehen, herangezogen werden, bleibt offen: neben Antonowskys Salutogenese und Resilienz-Ansätzen sind das ‚Identitätstheorien‘ (wesentlich Eriksons), Stress- und Coping-Ansätze, Ressourcen-Modelle und, im Rahmen der Funktionsbestimmung „Kontinuität, Sinnfindung und Lebensplanung“, ein flüchtiger (und unkritischer) Blick auf Ulrich Becks Überlegungen zum Subjekt in der Postmoderne. Ärgerlich ist die Auswahl wegen ihrer Beliebigkeit, wegen der Überholtheit der diskutierten Positionen, vor allem aber wegen des völlig ungeklärten Bezugs der einzelnen Theorien zueinander. Identitätstheorien als Theorien größerer Reichweite umfassen Stress-, Coping-, Ressourcen-Ansätze, die ihrerseits erhebliche thematische Überschneidungen untereinander und mit dem Salutogenese- und Resilienz-Konzept aufweisen. Dieses theoretische Durcheinander führt zu etlichen Wiederholungen und einer prinzipiellen Unschärfe innerhalb des Textes und des gesamten I. Teils. Studierende dürften eine solche Textgestaltung eher verwirren als erleuchten.
Noch eine kritische Anmerkung zum Stichwort: Füllung eines ‚theoretisches Vakuum‘: Durch die assoziative Unterlegung von Biografiearbeit mit vorzugsweise klinisch-psychologischen Theorien bekommt die Methode selber eine klinisch-psychologische Ausrichtung. Problemlagen biografischer AkteurInnen werden individualisiert und pathologisiert: biografische (Selbst-) Reflexion wird auf Sinnsuche verkürzt, Biografiearbeit wird zur Unterstützung in „[…] Krisen und Wendepunkten, die einen deutlichen Bruch zur bisherigen Lebensgeschichte und Lebensführung darstellen und deshalb ‚ […] eine Rückschau erfordern […]‘“ (Hölzle 2009:32). Anlässe für Biografiearbeit seien Verluste oder Trennung von Ursprungsfamilien, einschneidende, traumatisierende Lebensereignisse, Behinderungen, Alter, chronische Erkrankungen oder Lebensverhältnisse (geprägt durch Armut, Vernachlässigung, mangelnden Zugang zu Ressourcen), die die Lebensplanung erschwerten. Trotz allen guten Willens der Verfasserinnen der ‚Grundlagen‘, NutzerInnen Sozialer Arbeit respektvoll gegenüber treten zu wollen, ihnen zuzugestehen, daß auch sie über Ressourcen zur Bewältigung ihrer schwierigen Lebenslagen verfügen, der Grundtenor der Autorinnen klingt anders: Soziale Arbeit im allgemeinen und Biografiearbeit im besonderen richten sich in ihren Ausführungen an hilfsbedürftige Mängelwesen. „“Ein Aufwachsen ohne hinreichende Anerkennung, unter deklassierten Lebensbedingungen […] erschweren oder verhindern es, eine tragfähige Identität, verbunden mit Selbstwert, Anerkennung und Wirksamkeit zu entwickeln. Hier setzt Biografiearbeit […] an“(Jansen 2009:24). Solche Programmatik erinnert mich an vergangen geglaubte Zeiten, als Soziale Arbeit genau wußte, was ihren Klienten fehlt: die (klein-) bürgerlichen Tugenden, die ein unauffälliges Leben unter Bedingungen von Armut ermöglichen. Heute scheinen solche ‚Tugenden im Gewand von ‚Schlüsselkompetenzen‘ daher zu kommen, hier als Kompetenz „biografischer Verknüpfungsfähigkeit und des biografischen Bewusstseins“ (Jansen 2009:22). Biografiearbeit soll die Methode der Wahl sein, um Rat- und Hilfesuchenden im Zuge einer Nach- oder Re-Sozialisation diese Kompetenz zu vermitteln, inhaltliche und normative Ausrichtung ihrer weiteren Personwerdung inklusive. „Durch gezielte Übungen und Anleitungen werden sie darin unterstützt, ihr eigenes Leben in den Blick zu nehmen […] (Hölzle 2009:33). Zugleich soll solche Hilfe „partizipativ, dialogisch und kooperativ“ (Hölzle 2009:33) strukturiert sein. Wie das mit der intendierten Anleitung zum richtigen Verständnis des eigenen Lebens zusammenpassen soll, ist schwer vorstellbar. Kommunikation auf Augenhöhe scheint mir anders zu gehen.
Mit dem skizzierten impliziten Menschenbild und Interventionsverständnis stellt sich „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ als Ansatz vor, der allen anderen, mir bekannten, Arbeiten zur biografie-orientierten oder Rekonstruktiven Sozialer Arbeit diametral entgegen gesetzt ist. In ihnen geht es darum, das Gegenüber gerade als biografischen Akteur wahrzunehmen, als ExpertIn ihres/seines Lebens, das sie/er auf ihre/seine, das heißt, eine der eigenen Welt entsprechende, oftmals widerständige Weise organisiert. Menschen, die unter Bedingungen von Armut, Ausbeutung und Rechtlosigkeit leben, werden so erkennbar als Meister der Bewältigung unzumutbarer Lebensbedingungen. Die Ressourcen, die sie dabei entwickeln und verfeinern, sind freilich nicht die, die zur Gestaltung eines (klein-) bürgerliches Lebens taugten (sind insofern Menschen aus dem bürgerlichen Lager wie den meisten PraktikerInnen in der Sozialen Arbeit fremd), aber sie antworten paßgenau auf die Anforderungen und Möglichkeiten ihres Alltags. Daraus folgt, daß Hilfe ohne die Zentrierung sozialarbeiterischer Intervention um die Aneignungsoptionen der NutzerInnen und um ihre biografischen Erfahrungen und Sinnhorizonte immer obsolet ist.
Neben einer faktisch defizitorientierten, nostrifizierenden Sicht auf die KlientInnen und der Propagierung eines in meinen Augen problematischen Verhältnisses zwischen Professionellen und NutzerInnen Sozialer Arbeit, ist es vor allen die Annahme, soziale Probleme, Armut, Ausbeutung, Ausgrenzung, erfahrenes Unrecht könnten von den Betroffenen durch eine neue Sicht auf die eigene Biografie geheilt werden, die ich als sehr irritierend empfinde. Der Vorschlag, die Heilung der Biografie ließe sich besonders effektiv durch den Einsatz kreativer Medien erreichen, klingt angesichts der wirklichen Probleme der großen Mehrzahl armer und ausgegrenzter Menschen schon fast wie Hohn. Und die Beispiele, die vor allem Irma Jansen dazu beiträgt, sind nicht geeignet, das erlebte Unbehagen zu beseitigen. Etwa (auf S.25) der Fall eines „sichtbar emotional beschädigter Gewalttäter“, der im Rahmen einer fotografisch-biografischen Arbeit mit Strafgefangenen beim Anblick eines Katzenfotos „authentisch sichtbar als berührbares Wesen“ wird, eine „korrigierende Erfahrung im Zeigen von Emotionalität und Berührbarkeit“ macht und „eine Ressource, einen protektiven Faktor in einer, wie er selbst betont, ‚abgeschriebenen Kindheit‘“ entdeckt. Wenn nachhaltige Unterstützung und Hilfe für die ‚typischen‘ NutzerInnen Sozialer Arbeit so leicht zu organisieren wäre!
Eine letzte kritische Anmerkung zum I. Teil. Die Herausgeberinnen vertreten darin unisono die These, Biografiearbeit sei eine genuin sozialarbeiterische Methode. Wie schon gezeigt, tun sie sich aber schwer damit, das wirklich plausibel zu machen: die zur näheren Erläuterung des Ansatzes gewählten Theorien und Konzepte stammen fast durchgängig aus der Psychologie, vorzugsweise der klinischen Psychologie. Die Zielsetzungen oder Funktionen, die Biografiearbeit unterstellt werden, orientieren sich an psychologisch-beraterischen Verfahren. Die Praxis der Biografiearbeit soll verortet sein „in längerfristigen Betreuungs- und Beratungsprozessen“ (Hölzle 2009:32, eine Anforderung an die Methode übrigens, der die Mehrzahl der Anwendungsbeispiele im II. Teil nicht gerecht wird). Dazu passt dann auch, daß die Abgrenzung zwischen Biografiearbeit und Psychotherapie recht schillernd gerät. Irma Jansen erscheint einerseits eine wechselseitige Abgrenzung als „zunehmend schwierig“ (S. 21), andererseits kann sie sich aber auch vorstellen, daß „[…] Biografiearbeit im sozialpädagogischen Kontext […] die Qualität des Lebendigen in der jeweiligen Lebenssituation anregen [kann, D.R.], ohne sich dabei gezielt psychotherapeutischer Verfahren zu bedienen oder zu beanspruchen, vorab definierte, innerpsychische oder zwischenmenschliche Probleme zu lösen“ (Jansen 2009:25). Christina Hölzle hingegen ist der Meinung, Biografiearbeit stelle keine neue Form von Psychotherapie dar, da es ihr, im Unterschied zur Psychotherapie nicht darum gehe, Ursachen gestörten Verhaltens und Erlebens aufdecken zu wollen. Gesetzt den Fall, daß es durchaus psychotherapeutische Verfahren gebe, die sich das auch nicht zum Ziel setzen, was bleibt dann von der intendierten Abgrenzung? Zumal der zweite Unterschied, den die Autorin zwischen Biografiearbeit und Psychotherapie(n) ausmacht, die starke Bindung letzterer an klinische Theorie sein soll. Gesetzt den Fall, auch Biografiearbeit würde, was hier tatsächlich erfolgt, hauptsächlich durch klinische Theorien interpretiert und konkretisiert? Was bleibt dann von der intendierten Unterscheidung zwischen Biografiearbeit und Psychotherapie übrig? Ich finde, daß LeserInnen erwarten können, daß sich in solch wichtigen Fragen die Autorinnen, besonders in Hinblick auf ihre Herausgeberinnenschaft, etwas besser abgesprochen und eine gemeinsame Position vertreten hätten.
Zu Teil II.
Teil II. ist den Zielgruppen der Biografiearbeit? der Sozialen Arbeit? gewidmet. Die meisten Beiträge stellen biografiearbeiterische Angebote an Altersgruppen mit spezifischen Problemen vor. Neben diesen finden sich aber auch einige Arbeiten, die eher Überlegungen zu entwicklungspsychologischen Fragen darstellen, mit Biografiearbeit als Methode also im engeren Sinn nichts zu tun haben. Dazu gehört zum Beispiel die anregende Reflexion von Norbert Rath über die Frage, wann Kinder über (auto-) biografisches Verstehen verfügen. Seine abschließende Warnung vor unzulässigen Vereinfachungen kindlich-(auto-)-biografischer Rekonstruktionen hätte ich gern der Autorin des nächsten Beitrags, Irmela Wiemann über Biografiearbeit mit Adoptiv- und Pflegekindern, ins Stammbuch geschrieben. Deren Argumentation erstaunt immer wieder, so auch in diesem Band, durch das vollständige Fehlen entwicklungspsychologischer Perspektiven.
Der zweite entwicklungspsychologische Beitrag in Teil II. stammt von Peter Schwab und widmet sich den Herausforderungen und Gefährdungen der Personwerdung in der Adoleszenz. Man mag zu den neurobiologischen Tendenzen des Autors stehen wie man will (ich würde sagen: biografische Orientierung und Neuro-Biologie / Neuro-Psychologie gehen wissenschaftlich gesehen nicht wirklich zusammen), man mag über fehlende Aktualität der Theorien zur Adoleszenz hinwegsehen, was mir allerdings nicht mehr vermittelbar erscheint, sind die abschließenden Überlegungen des Autors zu Biografiearbeit mit Menschen in der Adoleszenz. Hier lernen wir, daß Biografiearbeit das Ziel verfolgt, Menschen eine Beziehung zu ihrer Geschichte zu vermitteln, daß Jugendlichen das aber gar nicht gut tut (Begründung: sie wollen sich von ihrer Kindheit lösen), weshalb dann eine „rückblickfreie Biografiearbeit“ (Schwab 2009:164ff) propagiert wird. Wie die aussehen soll, bleibt offen, klar ist nur, daß kreative Medien darin vorkommen sollen.
Das Gros der in Teil II. versammelten Aufsätze handelt aber von Projektarbeiten mit verschiedenen Zielgruppen, wobei die Auswahl der Problemgruppen aus traditionellen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit positiv hervorzuheben ist (z.B. Adoptiv- und Pflegekinder, Kinder psychisch kranker Eltern, jugendliche Mädchen / Jungen im Strafvollzug, Studierende mit Migrationshintergrund, dementiell erkrankte alte Menschen usw.). Leider zieht sich die oft nostrifizierende Sicht auf die ‚typischen‘ NutzerInnen Sozialer Arbeit, die schon in den ‚Grundlagen‘ zu verzeichnen war, auch durch den II. Teil.
Immer wieder habe ich mich beim Lesen gefragt: ist das, was hie beschrieben wird, Biografiearbeit in ihrer methodischen Umsetzung? Frauke Framing und Bernhard Brugger z. B. stellen eine kunsttherapeutische Arbeit mit Kindern psychisch kranker Eltern vor. Ihr Blick auf die Kinder ist sympathisch, ihre Zielsetzungen honorig, wenn auch empirisch nicht überprüft. Inwiefern diese Art kunsttherapeutischer Intervention aber „Biografiearbeit“ ist, also ein bestimmtes methodisches Vorgehen und nicht irgendeines, das bleibt in diesem wie in anderen Beiträgen (etwas bei M. Eichbauer, K. Barth/N. Tumbrink, H. H. Wickel) offen. Ich jedenfalls halte dafür, daß nicht jede Intervention die ‚irgendwie‘ auf etwas zielt, das man als ‚Biografie‘ oder ‚Identität‘ bezeichnen könnte, schon als methodisch biografie-orientiertes Vorgehen gewertet werden könnte und sollte. Und schließlich beanspruchen Christina Hölzle und Irma Jansen ja, eine Methode vorzustellen.
Zugespitzt erscheinen mir die Unklarheiten über den Gegenstand des Bandes in dem Beitrag von Brigitte Bauer. Sie berichtet über ein Projektseminar „Biografieforschung und Biografiearbeit mit MigrantInnen“, in dem es darum gehen sollte, narrative Interviews kennen und durchführen zu lernen. In diesem Text werden letzte Klarheiten über Biografiearbeit in Abgrenzung von Biografieforschung beseitigt. Das narrative Interview wird als „Kernmethode der Biografiearbeit und Biografieforschung“ (Bauer 2009: 210) identifiziert, es „[…] bedient den Einzelfallapproach, wozu auch Biografiearbeit und Biografieforschung zu rechnen sind“ (Bauer 2009:212). Was mit „Einzelfallapproach“ oder Einzelfallanalyse“ gemeint ist, welchen Stellenwert dieses Konstrukt in der Biografiearbeit hat, bleibt ebenso unklar wie das Verhältnis der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene der Deutung narrativer Interviews.
Zu Teil III.
Der Teil III. „Kreative Medien“ versammelt verschiedene Übungen, die teils wenig Bezug zu einem methodisch durchdachten biografischen Arbeiten aufweisen, zum Teil aber durchaus im Rahmen von Biografiearbeit eingesetzt werden können. Dies gilt vor allem für die dem Buch von Hans Ruhe entnommenen Anregungen.
Fazit
- „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ greift ein wichtiges Thema auf, dem die Rezensentin wünscht, daß es endlich in der Sozialen Arbeit in Theoriebildung und Praxis ankommen möge.
- Leider fehlt es dem Band als Ganzem an einem wissenschaftlich überzeugenden inhaltlichen Konzept. Das zu entwickeln, ist den Herausgeberinnen in den „Grundlagen“ nicht gelungen. Aber auch der Fakt, daß die meisten an dem Projekt Beteiligten räumlich nahe bei einander arbeiten, hat sich offenbar nicht verdichtend auf das Produkt ausgewirkt.
- Erstaunlich und schwer erklärlich erscheint mir die Tatsache, daß kein Autor / keine Autorin sich auf die gängige fachliche Diskussion über Rekonstruktive Soziale Arbeit und Biografie (seien es Arbeiten aus dem Kreis um Fritz Schütze oder Gabriele Rosenthal) bezogen und sie weitergeführt hat.
- Auch formal ist „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ nicht sehr überzeugend gearbeitet: der Aufbau ist wenig stringent, das führt zu Wiederholungen und Unbestimmtheiten in der Argumentation.
- Wenn für Lehrbücher gilt, daß sie als Ganzes mehr sein sollten als die Summe ihrer Teile, dann würde ich „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ als solches nicht empfehlen.
Rezension von
Prof. C. Dorothee Roer
Dipl.-Psych., Fachpsychologin für Klinische Psychologie (BDP), Prof. (emer.) FB4 Soziale Arbeit und Gesundheit FH Frankfurt/M.
Arbeitsschwerpunkte: Psychosoziale Versorgung, Psychiatrie im Faschismus, Biografie-Arbeit und Rekonstruktive Soziale Arbeit
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