Frank Dammasch, Hans-Geert Metzger u.a. (Hrsg.): Männliche Identität
Rezensiert von Prof. Dr. Eckhard Giese, 06.03.2010

Frank Dammasch, Hans-Geert Metzger, Martin Teising (Hrsg.): Männliche Identität. Psychoanalytische Erkundungen.
Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2009.
202 Seiten.
ISBN 978-3-86099-598-3.
19,90 EUR.
CH: 35,90 sFr.
Thema
„Nach dem Tode des ödipalen Denkers und Vaters der Psychoanalyse Sigmund Freud standen die Mutter und die Mutter-Kind-/Dyade und die weibliche Identitätsentwicklung im Zentrum der psychoanalytischen Konzeptentwicklung. Weitgehend auf der Strecke blieb dabei die klinische und empirische Erforschung der männlichen Entwicklung“, heißt es im Klappentext zu dem vorliegendem Buch.
Tatsächlich ist Männlichkeit in den letzten Jahrzehnten zu einer randständigen Thematik geworden; Männlichkeit steht andererseits im Vordergrund vieler (Medien-) Veröffentlichungen zu sozialen Pathologien wie Gewaltexzessen und verstümmelter Emotionalität.
Das vorliegende Buch ist mit seinen zwölf Einzelbeiträgen – einer von diesen von einer Autorin, ein weiterer unter weiblicher Mitwirkung verfasst - eine facettenreiche (Psycho-) Analyse heutiger Männlichkeit und ihrer Probleme. Das mit 202 Seiten Umfang mittelschwere Buch erweist sich als gehaltvoll und anregend. Auch für Nicht-psychoanalytiker/-innen ist es gut verständlich, aber keine schnelle Lektüre.
Die Bestandsaufnahme
Männlichkeit ist in die Krise geraten. Die Frage „warum Männer offensichtlich so defensiv, veränderungsresistent und wenig flexibel“ reagieren; warum sie den Krisenerscheinungen von Männlichkeit in ihrer Mehrzahl so gleichgültig gegenüber stehen, hat auch den Rezensenten selbst beschäftigt (Giese, 2005). Die schwache Performance des männlichen Geschlechts gibt mittlerweile auch Frauen zu denken (Scheub, 2010).Schließlich ist die „patriarchale Dividende“ unwiderbringlich dahin ; der weibliche Anteil nicht zuletzt in psychosozialen Berufen steigt ebenso wie in solchen Studiengängen, in denen Frauen früher gering repräsentiert waren (Tiermedizin, Jura). Es ist etwas in der gesellschaftlichen Entwicklung, das Mädchen und Frauen gut tut und Jungen/ Männer zurückfallen lässt – doch was ist es?
Die
Herausgeber Dammasch,
Metzger und Teising
entfalten im Eingangskapitel „Männliche
Identität“ ein
Krisenpanorama der Männlichkeit und damit auch quasi eine
Agenda für das vorliegende Buch. Die aktuelle
Geschlechterforschung sei Kind der Frauenbewegung, und so mag sich
zum Teil die Dominanz feministischer Blickweisen erklären (die
andere Erklärung: ein traditionell geringes Interesse von
Männern an der Forschung von Männlichkeit und damit an sich
selbst).
Eine
„geschlechtersensible Erziehung und das Verändern von
Rollenklischees sind „in pädagogisches Handeln umgesetzte
Werte weiblich dominierter Erziehung geworden„(S.7). Während
aber für Mädchen die Eroberung ehemals männlicher
Verhaltensrepertoires und gesellschaftlicher Räume Gewinn
versprechend ist, konstatieren die Herausgeber, dass Jungen den
Bemühungen um ihre ´stärkere Verweiblichung´
Widerstand entgegen bringen.
Frank
Dammasch referiert unter
dem Titel „Die Angst
des Jungen vor der Weiblichkeit“
die bekannten Daten zu den besonderen Gefährdungen (Autismus,
ADS, Suchtverhalten, Gewaltneigung ), von denen Jungen deutlich
stärker betroffen sind als Mädchen und Frauen, denen zudem
ein produktiveres Hilfesuchverhalten eigen ist. Diese Unwucht in den
Entwicklungschancen beider Geschlechter dringt erst langsam in das
Bewusstsein der Öffentlichkeit, die nach wie vor von der
Dominanz älterer Männern in Führungspositionen von
Wirtschaft und Politik geblendet ist.
Für die
unsicherere Geschlechteridentität von männlichen
Jugendlichen referiert Dammasch
viele Belege und wirft die Frage auf, warum diese sich diese von den
bisexuellen androgynen Identitätsentwürfen einer
feministischen Pädagogik angezogen fühlen sollten (S.19).
Wie eh und je sind männliche Jugendliche auch heute
damit beschäftigt, ihre Männlichkeit über besonders
männlich konnotierte Verhaltensweisen, Rituale, Sprachstile und
Kleiderordnungen abzusichern. Der soziologisch-pädagogische
Diskurs hierzu vernachlässige die Bedeutung des Körperbildes
und der Psychosexualität, indem das psychosoziale Selbst mit
dem psychischen Selbst gleichgesetzt wird. Dabei entwickeln gerade
solche Jungen, die in einen „weiblichen Biotop“
aufwachsen (S.20) eine besondere Tendenz, zwar weibliche
Interaktionsmuster zu beherrschen, aber gleichzeitig besonders mit
„männlich phallischen und destruktiv zerstörerischen
Themen“ aufgeladen zu sein.
Die Bedeutung der Triangulierung
Eine gelingende Triangulierung , das heißt das positive Erleben von Männlichkeit und Weiblichkeit sowohl in Mutter wie in Vater (bzw. Vaterersatz) wird in dem gesamten Buch als Voraussetzung einer gelingenden ´integrierten Männlichkeit´ betont . Dies bedeutet, dass sowohl eine liebevolle Hinwendung des Vaters zum weiblichen Geschlecht wie auch eine positive Männlichkeitserfahrung bei der Mutter die Voraussetzung für eine gelingende männliche Entwicklung darstellen. Mütter, deren verborgene oder offene Botschaft darin besteht: Werde bloß nicht wie dein Vater! können wahrscheinlich keinen wirklich positiven Beitrag zur männlichen Identitätsbildung bei ihren Söhnen leisten. Es scheint, dass die modernen Bedingungen des Aufwachsens mit der weitverbreiteten Vaterentbehrung eine schwierige Prognose für Jungen und Männer eröffnen.
Der
Beitrag Philobatische
Tendenzen bei Jungen
von Hans Hopf
behandelt Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen und
wirkt anhand des Beispiels ADHS besonders aktuell. Ein
Grundunterschied in der Form der Weltzugewandheit - der
´Philobatismus´ (die klassisch männliche
Bevorzugung von Distanz, um Näheängste zu kontrollieren,
der tendenziell Bindung vermeidende Selbstentwurf in den Raum-
versus weiblicher ´Oknophile´, die „weibliche“
Idealisierung von Objekten bei Bevorzugung von Berührung und
Nähe ) dient als Raster für die Erklärung von
Geschlechtsunterschieden. Ausgangspunkt ist ein Grimmsches Märchen,
nämlich „Von einem der auszog das Fürchten zu
lernen“. Der Autor referiert seine eigene Untersuchung von ca.
300 spontan erinnerten Träumen von Mädchen und Jungen. Es
zeige sich, dass Jungen signifikant häufiger von Bewegungen,
von Abenteuern und grandiosen Fantasien träumen. Nach Chodorow
sind schon allerfrüheste
Beziehungserfahrungen für Mädchen anders als für
Jungen. „Diese werden verfrüht in eine Autonomie
entlassen, für die sie nicht vorbereitet sind“ (S. 41) „Das
grundlegende männliche Selbstgefühl ist Separatheit “,
wird Chodorow (1985)
zitiert.
Es findet sich das
Fallbeispiel eines Jungen, der innerhalb einer übersexualisierten
Mutter-Sohn-Beziehung als ruhelos und undiszipliniert wahrgenommen
wurde – heute würde man ADHS diagnostizieren und Ritalin
verabreichen!? (S. 42).
Fehlende
Vaterschaft kann in hyperphallisches Verhaltenen münden ; in den
Wunsch „mit
der Mutter narzisstisch zu verkleben oder sich zu individuieren…“
(S. 42).
Die
´Flucht in Computerwelten´,wie sie fast ausschließlich
männliche Jugendliche praktizieren, wird so gedeutet: Computer
mögen paßgenau den Mangel ausgleichen., “ der
durch frühe Bindungs –und Beziehungsstörungen
entstanden ist“ „(S. 47). „Ein
´gesunder männlicher Philobatismus´ zeigt sich in
der Freude an der Entdeckung, im Interesse an Technik und an Zahlen
an den Dingen und der Bewegung“ (S. 48)
und sei als solcher Ausdruck einer normalen Geschlechterdifferenz.
Für den fehlgehenden Philobatismus unserer Tage reklamiert der
Autor individuelle und situationale Gründe und fragt „Kann
der Junge bei Erzieherinnen und Lehrerinnen mit dem ruhigen,
introvertierten und anhänglichen kleinen Mädchen
konkurrieren?“ (49).
Schließlich seien viele Erzieherinnen und Lehrerinnen mit den
hyperaktiven vaterlosen Jungen von heute völlig überfordert.
Es gelte:„Mädchen
können nicht der Maßstab sein, an denen Jungen gemessen
werden“ .
Männlichkeit im öffentlichen Duskurs
Die
fast ausschließlich negative Diskursivierung von Männlichkeit
ist auch Thema des Beitrages von Josef
Christian Aigner zu
„Männern in
öffentlicher Erziehung“.
Es imponiert die schlichte Datenlage, das heißt, das fast
völlige Fehlen von Männern in Kindertagesstätten in
Deutschland und der immense Rückgang männlichen schulischen
Lehrpersonals in Deutschland wie in Österreich: Vaterlos
aufwachsen, in ´männerfreien Zonen´ sozialisiert ,
anschließend von einer Therapeutin begleitet und wohlmöglich
im Sorgerechtsprozess von einer Familienrichterin der Mutter
zugesprochen werden, ist keine seltene´Männlichkeits-erfahrung´.
Der
Dekonstruktivismus der vergangenen Jahrzehnte habe jede positive
Aussage über Männlichkeit (und Weiblichkeit)in Frage
gestellt; ´Misandrie´(Mänerfeindlichkeit) rückt
männliche Kindergärtner reflexartig in die Nähe der
Pädophilie ; verbindliche, emotionale annehmende und
´trotzdem´ männliche Männer seien öffentlich
wenig präsent.
Der Rückzug der Männer aus den Beziehungsberufen
Der
Rückzug von Männern aus den sozialen Berufen und
insbesonders der psychoanalytischen Ausbildung
ist ein Thema eines
Beitrages von Heribert Blaß. So
waren 2006/2007 nur noch rund 23% der Psychologiestudierenden
männlichen Geschlechts (zu meiner Studienzeit betrug das
Verhältnis etwa 50: 50). Auch in der psychoanalytischen
Ausbildung dominieren Frauen mit 81% gegenüber 19% der Männer
(S.67). Es ist von einer Feminisierung der Medizin und der
Psychotherapie zu sprechen. Der Empathievorteil, der Frauen generell
unterstellt wird und ein im Durchschnitt eher auf Sachen denn auf
Personen gerichtetes Interesse von Männern; die eher räumliche
Systeme als soziale Signale verarbeiten, werden hier mit Bezug auf
Susan Pinker (2008)
referiert – der epochale Rückzug von Männern aus
Geistes- und Sozialwissenschaften und den ’Beziehungsberufen’ ist
damit freilich noch nicht gänzlich aufgeklärt.
Die
verbreitete These vom Veralten der Psychoanalyse mache auf Männer
mehr Eindruck als auf Frauen. Der „Entwertung der Couch als Ort
von Bedächtigkeit und Langsamkeit“ steht die Aufwertung
des Coachs als Synonym von Schnelligkeit und Effektivität
gegenüber (S. 74). Das suchend tastende Vorgehen der
Psychoanalyse und die moderneren Konzepte von Containing und
Anlehnung mögen zu einem Rückgang der Attraktivität
der Psychoanalyse für Männer geführt haben, die „mit
der Fusionsangst in den Afokalbereichen des Arbeitens schlechter
umgehen können als Frauen“. Holding und Contaning haben in
der Psychoanalyse von heute deutlich mehr Gewicht als noch vor 30.
Jahren. So sei der Eindruck entstanden Psychoanalyse sei eine eher
mütterlich ausgerichtete Form der Behandlung (S.77).
Die Verweigerung der Vaterschaft
In seinem Beitrag „Der Übergang von Mann zum Vater und die Fantasie der Unsterblichkeit“ problematisiert Hans-Geert Metzger die moderne Verweigerung von Väterlichkeit.Hinter der Angst vor der Vaterschaft wird eine Unsterblichkeitsfantasie vermutet, die sich der Teilnahme an der generationalen Abfolge verweigere (S.82). Eigene Bedürfnisse zurückzustellen und Verzicht zu üben, eigene Freiheiten aufzugeben…findet zunehmend weniger Zustimmung - es scheint, dass Männer von heute noch stärker die Elternschaft scheuen als junge Frauen. Die Angst vor der Endlichkeit der eigenen Existenz kann Vaterschaft verhindern; in anderen Fällen reagieren Männer auf die Konfrontation mit den Älterwerden durch junge Partnerinnen und neue Kinder.
Männlichkeit im Wandel der Epochen
Eike Hinze untersucht den Einfluss der Zeitgeschichte auf Männlichkeitsvorstellungen. Am Beispiel kurzer Vignetten zeigt er das ganze Panoptikum von Männlichkeitserfahrungen und Männerbildern des 20. Jahrhunderts, das sich in Individuen konfliktreich abbildet. Die sich rasch wandelnden Modelle von Männlichkeit machen die Identitätsfindung schwer. Der Raum, den Jungen sich erproben können, schrumpft, und der therapiebedürftige Mann trifft im Bedarfsfall immer seltener auf einen männlichen Therapeuten - ein weiteres Krisenpanorama.
Noch etwas, was Männer nicht können?
Im Beitrag von Martin Teising geht es um männliche Identität im Prozess des Alterns. Die männliche Variante des „forever young“ - z.B. in Gestalt des unaufhörlichen Raubbaus am eigenen Körper und einer rigide Arbeitsorientierung - wird gerade auch im Alter immer unbekömmerlicher, sie könne von Männern im Verlauf des Alterns immer schwerer aufrecht erhalten werden (104). Der Beitrag veranschaulicht am Beispiel eines immerhin 80 jährigen Analysanden, wie ein Trauer-Befreiungsprozess eintreten kann, der einen zufriedenen Rückblick auf das Leben mit dem Eingeständnis eigener Fehler ermöglicht – und der Analytiker mag aufgrund eigener Betroffenheit gerade auch bei älteren Patienten im Gegenübertragungsprozess auch mit der Tatsache des eigenen Alterns konfrontiert sein.
Gewalt und Männlichkeit
Nils
Döller und Mirjam Weisenburger
thematisieren „Männlichkeitsentwicklung zwischen Konstruktion und destruktiver Aggression“,
ein Thema von bleibender und durch dramatische Gewaltakte wie den
Schulamoklauf von Winnenden immer wieder aktualisierte Thematik.
Ausgangsfeststellung in diesem Beitrag ist die Tatsache, das bis
heute bei Abhandlungen z.B.über jugendliche Aggressivität
die Geschlechtsspezifik häufig unterbelichtet bleibt.
Die Autorinnen bieten eine dichte Zusammenschau freudianischer
und nachfreudianischer Konzepte zur Aggression/Destruktion von
Melanie Klein
über Winnicott
bis zu Kohuts
Konzept der narzisstischen Wut. Auch in diesem modernen Entwürfen
fehle eine systematische Auseinandersetzung mit dem Vater und dem
Geschlecht des Kindes.
Die
Arbeiten des amerikanischen Vater-Forschers James
M.Herzog (referiert wird
u.a.eine 10 jährige Längsschnitt- Studie mit acht intakten
Familien) greifen die Unterschiede der Mutter und Vatererfahrung im Hinblick auf den Umgang mit Aggressionen auf. Bei
Herzog
fungiert der Vater als Modulator und Organisator des Affektsystems,
während die Mutter „durch ihre homöostatische
Einstimmung mehr den Aspekt der Sicherheit verkörpert“
(ebd. S.118) Herzog hat
beobachtet, dass Mädchen eher den Vätern den eigenen
Spielmodus beibringen, während sich Söhne dem väterlichen,
etwas raueren Spielverhaltens anpassen und sich von ihm führen
lassen.
Vaterabwesenheit habe die Folge, dass Jungen
möglicherweise aggressive Auseinandersetzungen mit
Gleichaltrigen nicht bestehen und andererseits Schwierigkeiten bei
der Entwicklung von Lernstilen haben, welche Anpassung erfordern
(119). Dem Vater wird für die Befähigung von Jungen, ihre
Aggression zu kontrollieren, eine herausragende Bedeutung zugewiesen.
Wenn die Vatererfahrung fehlt, so wird mit Bezug auf Jungen-Gangs auf
Jamaika argumentiert, flüchten diese in omnipotente Fantasien
über männliche Größe und Potenz ( S.121): Die
fehlende Vatererfahrung beraube der Möglichkeit, realistische
Vorstellungen über Männlichkeit zu erleben und zu
verinnerlichen.
Ein integratives Konzept von Männlichkeit
Ika
Quindeau entwirft ein
integratives Konzept von Männlichkeit.
Anders als der Psychoanalyse Jahrzehnte lang von feministischer Seite
unterstellt wurde, fand die Entwicklung der Männlichkeit in der
psychoanalytischen Theoriebildung bis vor kurzem wenig Beachtung.
Man könnte sagen: Die Grundform der Psyche wurde weiblich
gedacht „Männlichkeit bleibt also übrig , wenn sich
der Junge von den weiblichen Introjekten befreite“ (S. 131). Den
Freud´schen Konzeptionen von Männlichkeit wird eine
bemerkenswerte Differenziertheit des Geschlechtsbegriffes zugemessen
(133), so findet sich bei Freud
durchaus eine Unterscheidung biologischer, psychologischer und
soziologischer Wirklichkeitsebene. Die männliche psychosexuelle
Entwicklung sei quasi auf eine Halbierung der Sexualität
angelegt, indem Männer auf ihre passiv – rezeptiven
sexuellen Wünsche verzichten lernen.
Anders
als beim Mädchen, das nach der kleinianischen Auffassung in der
Verarbeitung des ödipalen Konfliktes zu dem Wunsch gedrängt
werde, den väterlichen Penis in sich aufzunehmen (S. 135), sei
die Hinwendung des Jungen zum Vater nicht durch Lust , sondern durch
Angst angetrieben. Anders als Mädchen oder Frauen, denen die
Aneignung männlicher Verhaltensweisen heute quasi ins Stammbuch
geschrieben wird, seien weibliche Anteile für männliche
Analysanden bis heute stark angstbesetzt. Die Folge: Passivität;
der Wunsch, sich anzulehnen bis hin zu der Phantasie, penetriert zu
werden, werden verdrängt bzw. treten als Symptome wie z. B. der
Erektionsstörung zutage(139)
Die Tatsache, dass die
erste und wichtigste Bezugsperson des Jungen ein anderes Geschlecht
hat, hat nach Quindeau in der klassischen psychoanalytischen
Theoriebildung dazu geführt, das für die Entwicklung von
Männlichkeit eine Art Desidentifizierung (140) angenommen werde:
„Angesichts der Entdeckung dass er keine Mutter sein könne, wendet sich der Junge von der Mutter ab“ (S.143). Der Gegenvorschlag der Verfasserin besteht darin, die psychosexuelle Entwicklung für beide Geschlechter zu konzipieren und dabei eine vielschichtige Geschlechtsidentität beider zu entwerfen, statt von einer scharf vom weiblichen abgegrenzten Männlichkeit auszugehen (S.145).
Die Bedeutung der Muttererfahrung
In
einem eigenen Kapitel wird ein Klassiker von Ralph
R. Greenson zur „Beendigung der Identifizierung mit der Mutter und ihrer besonderen Bedeutung für den Jungen“ aus dem Jahre 1967 abgedruckt. Es geht um die schon erörterte Problematik, warum männliche Identität offenbar so viel anfälliger ist als die weibliche. Es geht um die schon erörterte
Problematik, warum männliche Identität offenbar so viel
anfälliger ist als die weibliche.
Zunächst gilt:
das Mädchen muss wie der Junge seine Identifizierung mit der
Mutter aufgeben aber „seine Identifizierung mit der Mutter
hilft ihm (ihr) seine Weiblichkeit zu begründen" (S. 152).
Sodann heißt es: „Jedes
Geschlecht beneidet das andere, doch scheint der verdecktere Neid des
Mannes…hinsichtlich der Geschlechtsidentität besonders
zerstörerisch zu wirken.„(153) Sowohl Transvestitismus wie auch Fetischismus sind nicht zufällig fast ausschließlich männliche Abweichungen. Schließlich gilt im Sinne von Margreth Mead „Frauen mögen an ihrer Attraktivität zweifeln, aber ihre Weiblichkeit sind sie sich ganz sicher“(154). Schließlich gilt im Sinne von
Margreth Mead
„Frauen mögen an ihrer Attraktivität zweifeln, aber
ihre Weiblichkeit sind sie sich ganz sicher „(154).
Der Untertitel des Abschlußkapitel „Das Unbehagen an der Männlichkeit“ von Michael Diamond lautet: „Die Internalisierung und Anerkennung der >Mutter<.“ Abgesehen davon, dass im Rezensenten an dieser Stelle die nicht weiter zu verfolgende Frage aufkommt, ob dies analog auch für die weibliche psychosexuelle Entwicklung gilt, erscheint die Formulierung fast programmatisch. Diamond gibt zunächst einen Überblick über den Gang der psychoanalytischen Theorienbildung zum Thema Männlichkeit. Eine ´reduktionistische und monolithische Auffassung´ habe Männlichkeit in Ablehnung all dessen konzipiert, was als weiblich konstruiert wird (vgl.das Kap.von Quindeau). Immerwährende psychosexuelle Anpassungen und Neuanpassungen würden dem Mann das ganze Leben über abverlangt – überhaupt vermittelt das Kapitel den Eindruck, dass gelingende Männlichkeit ein komplexes, fragiles, ja anstrengendes ´Projekt´darstellt! Übersteigerte, erstarrte Männlichkeit (der „phallische Charakter“) ist gerade nicht Ausdruck einer ideal gedachten Entwicklung – sie äußert sich vielmehr in „Rücksichtslosigkeit, Frauenfeindlichkeit und dem exzessiven Bedürfnis, die eigene Potenz zur Schau zu stellen…„(S.165). Eine gesunde Genitalität öffnet dem Mann innere Räume und eine „nicht penis-dominierte Sinnlichkeit“ (S.166). Diamond verwirft das schon bei Quindeau kritisierte Modell der männlichen Entwicklung, das von der Notwendigkeit der Verwerfung femininer Identifizierungen und eine Gegenidentifizierung mit dem Vater ausgeht – diese Konzeption gebe vielmehr eine problematische Spaltung, ja eine „schwere Pathologie“ zu erkennen(S.172).
Fazit
Der Rezensent hat das Buch mit neuen Einsichten aus der Hand gelegt. Männlichkeit wird hier nicht gefeiert, sondern gerade auch in ihren kritischen, problematischen Aspekten analysiert – eine Haltung, die auch von wissenschaftlichen Diskursen über Weiblichkeit zu erwarten ist. Dass der Duktus der Untersuchungen unpolemisch und keineswegs überpointiert ausgefallen ist, dürfte die Zugänglichkeit auch für ein weibliches Leserpublikum erhöhen – das Buch ist ohne Schaum vor dem Mund geschrieben und vermeidet unfruchtbare Schuldzuschreibung an „die Frauen“. Eher im Gegenteil lautet die Botschaft (S.12) „Eine stabile männliche Identität braucht die eigene Weiblichkeit nicht zu fürchten“. Zwischen weiblich und männlich konnotiertem Verhalten hin und her changieren zu können, ist die Zielvorstellung einer reifen männlichen Identität. Damit diese von möglichst vielen Jungen und Männern erreicht werden kann, bedarf es sicherlich der kritischen Revision der gängigen Konzepte in den „Gender Studies“ wie auch praktischer Konsequenzen in Erziehung, Bildung und Gesellschaft.
Literatur
- Chodorow (1985): Das Erbe der Mütter. München.
- Giese, Eckhard (2005): Die Befreiung der Geschlechter in fünfzehn Schritten. In: Lutz, R. (Hrsg.) Befreite Sozialarbeit Oldenburg
- Pinker, Susan (2008): Das Geschlechter-Paradox. München.
- Scheub, Ute (2010) Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist. Pantheon.
Rezension von
Prof. Dr. Eckhard Giese
Dipl. Psych.
Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften, Fachhochschule Erfurt
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Zitiervorschlag
Eckhard Giese. Rezension vom 06.03.2010 zu:
Frank Dammasch, Hans-Geert Metzger, Martin Teising (Hrsg.): Männliche Identität. Psychoanalytische Erkundungen. Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2009.
ISBN 978-3-86099-598-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8111.php, Datum des Zugriffs 16.05.2022.
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