Wolfgang Werner: Psychiatrisches Alphabet
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Grundl, 21.12.2009
Wolfgang Werner: Psychiatrisches Alphabet.
Paranus Verlag
(Neumünster) 2009.
80 Seiten.
ISBN 978-3-940636-05-8.
9,80 EUR.
Mit Fotos von Werner Goebel.
Psychiatrie für den Alltag statt „common-sense-psychology“?
Matthias Claudius als Ideengeber für einen am Alphabet Struktur suchenden Streifzug durch die Psychiatrie? Wolfgang Werner, ehem. Chefarzt der Psychiatrischen Klinik im saarländischen Merzig unternimmt diesen wagemutigen Versuch. Mehr Begleitung denn Illustration sind dabei die Werke des Photographen Werner Goebel, dessen schwarz-weiß-Bilder über die vermeintlich einfache Struktur des psychiatrischen Vorgehens hinaus auf die eindrückliche doch (noch?) unüberschaubare Komplexität des Menschlichen verweisen.
Inhalt
Die Reise durch die Psychiatrie unternimmt dabei Werners alter ego Kurt Valentin. Um dem Leser am Ende der Wanderung kein Bild der Psychiatrie vermitteln zu wollen – und sei es ein unvollständiges.
Das Leben ist also weniger eine Psychiatrie-Vorlesung denn ein Fußballspiel. Auf diesem Spielfeld beginnt Werners „ground-hopper-tour“ kreuz und quer durch den Themen-Dschungel psychiatrischer Problemstellungen. Der (Lebens-) Weg des Protagonisten führt dabei von der Aufrichtigkeit über Begleitung und Chaos zum Elfmeter – von der Freiheit über den Hunger zu Kunst und zum Menschen, der keineswegs zufällig im Zentrum des Büchleins zu stehen kommt. Der Ordnung folgt die Pharmakotherapie (oder gibt letztere erstere vor?), an deren Qualität nicht wenige Hoffnungen auf Ruhe, im Sinne eines letztgültigen Lösungsansatzes, - ruhen. Zwischen Sexualität und Treue klingt das Spiel der Schlaglichter in Unvollkommenheit aus, um in der Zuverlässigkeit zu enden.
Was bleibt Ungesagt und Ungesehen? Beinahe alles, nicht zuletzt vieles, das wesentlich für psychisch Kranke und deren Helfende nicht angezweifelt werden kann. Der aus dieser Behauptung durchscheinende Vorwurf an das Büchlein kann dieses jedoch nicht treffen. So zu argumentieren, hieße den Anspruch des Autors zur Gänze mißverstanden zu haben! Wesentliches behandelt das Büchlein in dem Sinn, daß das Menschliche – und innerhalb dessen das Psychische – weit über das Psychiatrische herausragt.
So spannt sich der Ansatz des Büchleins von der Aufrichtigkeit des Eingeständnisses um Nicht-Wissen zur Zuverlässigkeit des Wissen-Könnens. Verschiedene Perspektiven versucht der Autor einzunehmen – in der Hoffnung einem Perspektiven-Monismus entgehen zu können?
Fazit
Der Versuch des Autors das Psychiatrische zu buchstabieren eignet sich weder als „Gute-Nacht-Lektüre“ noch als Denkanstoß für „schlechte Tage“. Der Wert des Psychiatrischen Alphabets ist vielmehr an dem eines Kleinods zu bemessen. Das Buch wirft Schlaglichter auf ein bislang mehr denn unzureichend ausgeleuchtetes Problemfeld, das auszuleuchten nicht Intention des Autors sein kann. Dennoch sind die alphabetisch „geordneten“ Ansichten des Autors weiterführend für alle Irrenden und Suchenden auf dem Spielfeld der Psychiatrie.
Wer dächte nicht an Karl Valentins Diktum: „Wenn wir das vorher gewußt hätten, hätten wir gar nicht hingehen müssen!“
Nach der Lektüre des „Psychiatrischen Alphabets“ weiß man auch nachher nicht – und sollte dennoch hingegangen sein!
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Grundl
Hochschule Niederrhein, Fachbereich Sozialwesen
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Es gibt 15 Rezensionen von Wolfgang Grundl.
Zitiervorschlag
Wolfgang Grundl. Rezension vom 21.12.2009 zu:
Wolfgang Werner: Psychiatrisches Alphabet. Paranus Verlag
(Neumünster) 2009.
ISBN 978-3-940636-05-8.
Mit Fotos von Werner Goebel.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8115.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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