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Markus Rimser: Coaching im Spannungsfeld der Lebensberatung

Rezensiert von Peter Schröder, 19.11.2009

Cover Markus Rimser: Coaching im Spannungsfeld der Lebensberatung ISBN 978-3-631-57057-9

Markus Rimser: Coaching im Spannungsfeld der Lebensberatung. Guiding - ein integratives Modell psychosozialer Beratung. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2008. 199 Seiten. ISBN 978-3-631-57057-9. 39,00 EUR.
Reihe: Betriebspädagogik - Band 6.

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Thema

Die Formatvielfalt in der Beratungsbranche droht unübersichtlich zu werden: Supervision, Coaching, Mediation, Organisationsberatung, Consulting, Psychotherapie, allgemeine Lebensberatung, Mentoring sind nur einige Beispiele eines dicht besiedelten Feldes. Sich darin zu orientieren ist mühsam – und das nicht nur für Klienten! Da aber, wenn man kundigen Autoren Glauben schenken darf, der Bedarf an psychosozialer Beratung ständig steigt, sind Orientierungshilfen wertvoll. Das wird von den jeweiligen Verbänden vor allem dadurch versucht, dass sie Standards für Professionalität festlegen. Das vermeidet Beliebigkeit in Arbeitsbereichen, in denen die Berufsbezeichnungen (Supervisor, Coach, Mediator etc.) nicht gesetzlich geschützt sind. Eine zweite Hilfe sind Publikationen, die die Beratungslandschaft umfassend beschreiben (wie z.B. Reichel, Beratung, Psychotherapie, Supervision, vgl. die Rezension). Einen dritten, eher administrativen Weg hat Österreich beschritten: den Weg der gesetzlichen Regelung des Beratungsmarktes: Wer in Österreich Beratung anbietet, muss - seit nunmehr zwanzig Jahren - eine Qualifikation als „Lebens- und Sozialberater“ nachweisen. Die Ausbildung hat einen erheblichen Umfang: neben 584 Stunden theoretischer Grundausbildung müssen weitere 750 Stunden im Rahmen eines Pflichtpraktikums absolviert werden. Die Grundausbildung nimmt 5 - 6 Semester, das darüber hinaus andauernde Praktikum noch weitere 2 - 4 Semester in Anspruch. Akademische Vorbildung ist nicht erforderlich, kann aber bei entsprechender Fachrichtung zu einer Verkürzung der Ausbildungsdauer führen.

Ob auch Coaches diese Ausbildung nachweisen müssen, ist offenbar umstritten, denn nur ein geringer Prozentsatz der österreichischen Coaches verfügt über eine solche Qualifikation, denn es ist die Frage, ob die (eher dem sozialpädagogischen Milieu entstammende) Ausbildung im wirtschaftlichen Kontext anschlussfähig ist. Coaching hat unterschiedliche Wurzeln, ein Strang aber wurzelt tief im betriebswirtschaftlich orientierten Management, und hier vor allem im Bereich der Personalführung und –entwicklung sowie der Human-Relations- und Human-Ressources-Bewegung. So sehr die „interkulturelle Begegnung“ zwischen sozialer Beratungsarbeit und wirtschaftlichem Führungsgeschäft für beide Seiten fruchtbar ist, so wenig braucht Coaching im Wirtschaftskontext zwangsläufig eine sozialberaterische Grundqualifikation. Rimser beschreibt den entstehenden Konflikt deutlich: die Lebens- und Sozialberater werden im Businessbereich nicht ernstgenommen, sind aber die formal einzig legitimen Beratungsanbieter. Es konnte nicht lange dauern, bis ein konzessionierter Lebens- und Sozialberater einen Coachinganbieter, der diese Qualifikation nicht aufweist, anzeigte – genau das ist geschehen und hat den „kompetenz- und gewerberechtlichen Konflikt“ (S. 10) eskalieren lassen. Was als administrative Orientierungshilfe gemeint war, hat die speziellen Bedingungen des Coachings nicht erfassen können - und nun? In dieser Situation schlägt der Autor eine Neuorganisation des Beratungsfeldes vor: nämlich die Einführung des neuen Formates „Guiding“, das integrativ die auseinanderdriftenden Lager verbinden soll.

Autor

Markus Rimser hat Betreibswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie Betriebspädagogik an der Universität Klagenfurt studiert und mit der vorliegenden Arbeit promoviert. Er arbeitet als Personalentwickler und Coach, ist aber auch ausgebildeter Lebens- und Sozialberater sowie Lehrtrainer für Coaching und Lebensberatung.

Inhalt

Wie bei Dissertationen üblich, weist das Buch eine sehr differenzierte Gliederung auf. Das erste, einleitende Kapitel stellt die Ausgangssituation wie oben beschrieben dar, gibt einen Überblick über die Gliederung und formuliert die Motivation des Autors zu dieser Arbeit: ein „Plädoyer für ein friedliches, methodisches und interdisziplinäres Miteinander“ möchte Rimser halten.

Das zweite Kapitel beschreibt das Feld, indem es dieses in drei Beete einteilt: zum einen das der psychosozialen Beratung, zum anderen das der Lebens- und Sozialberatung und zum dritten das des Coachings. Im ersten Beet unterscheidet er die Formate Unternehmensberatung, Consulting und Fachberatung, Personalentwicklung, Organisationsberatung und –entwicklung, Management, Mentoring, Training, Mediation, Supervision, Psychotherapie. Alle Formate werden ausführlich beschrieben, die Verbindungslinien und Unterschiede werden deutlich markiert. Die (nichtösterreichischen LeserInnen kaum vertraute „Lebens- und Sozialberatung“ wird in ihrer geschichtlichen Entwicklung beschrieben, Methoden, Interventions- und Prozessformen werden beschrieben, die Anwendungsgebiete und das Ausbildungscurriculum dargestellt. Ein ähnliches Raster liegt auch der Darstellung des Formates Coaching zugrunde.

Das dritte Kapitel referiert die Problemstellung und die anstehenden Forschungsfragen. Folgende Szenarien ergeben sich aus der oben geschilderten Situation in Österreich:

  1. „Coaching benötigt eine Gewerbeberechtigung der Lebens- und Sozialberatung – nur Lebens- und Sozialberater dürfen Coaching anbieten.“ (S. 70)
  2. „Coaching ist eine Form der Lebens- und Sozialberatung, und alles Coaches, die keinerlei derartige Qualifikation im Sinne der Gewerbeordnung vorweisen können, müssen sich im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens zum konzessionierten Lebens- und Sozialberater upgraden.“ (S. 71)
  3. Auch nicht als Lebens- und Sozialberater legitimierte Coaches bieten weiterhin am Markt ihre Dienste an. (S. 72)

Im vierten Kapitel wird der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit dargestellt, nämlich das Konzept der Schlüsselqualifikationen nach Dieter Mertens. Diese werden ausführlich dargestellt und auf dem heute allgemein akzeptierten Raster von Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen abgebildet. Dabei wird überprüft, welche Schlüsselqualifikationen speziell in der Beratung benötigt werden.

Das fünfte Kapitel bietet die „Erkenntnistheoretische und methodologische Positionierung“ des Autors, die – nicht weiter überraschend – konstruktivistische Theorien zugrundelegt. Rimser unterscheidet den „radikalen Konstruktivismus“ (Glasersfeld, Maturana, von Foerster, Watzlawick u.a) von dem „sozialen Konstruktivismus“ (Gergen) und von dem „systemtheoretischen Konstruktivismus“ (Luhmann, Willke).Für die Methodologie ergibt sich daraus die Präferenz interpretativer Verfahren der Sozialforschung.

Mit der methodischen Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit befasst sich das sechste Kapitel und leitet damit über in den empirischen Teil. Die zentralen Forschungsfragen ergeben sich aus den oben genannten Szenarien:

  • „These 1: Die in Österreich gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater vermittelt ungenügend Qualifikation … für einen Coachingeinsatz.
  • These 2: Lebens- und Sozialberater haben aufgrund der gesetzlichen LSB-Ausbildung keinerlei Qualifikation, Methoden Knowhow und Praxiserfahrung, welche von Coachingklienten erwartet werden.
  • These 3: Lebens- und Sozialberater finden als Berater von Mitarbeitern und Unternehmen von Seiten der Auftraggeber keine Anerkennung.
  • Fragestellung 1: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten finden sich in Philosophie, Methodik, Anwendung, Zielgruppe und Setting von Lebens- und Sozialberatung bzw. Coaching?
  • Fragestellung 2: Welche Inhalte, Methoden bzw. Kriterien könnte ein mögliches Upgraden von Coaches für die Bewältigung des psychosozialen Beratungsbedarfs beinhalten?
  • These 4: Anlassfälle und Themen im Coaching haben sich vom wirtschaftlichen in den psychosozialen Bereich verändert.
  • These 5: Coachingausbildungen bieten keinerlei Kompetenz im Umgang mit Krisen und psychosozialen Beratungsthemen.“ (S. 110)

Es folgt die Darstellung der Datenerhebung, der Datenaufbereitung und –auswertung.

Im siebten Kapitel werden die qualitativen Interviews ausgewertet. Die befragten Experten werden vorgestellt, die Auswertungskriterien offengelegt, und das Kapitel mündet in die Frage nach dem Verbesserungspotential von Coaching- und von Lebensberaterausbildungen.

Kapitel 8 gibt, auf der Basis der zuvor geschilderten Untersuchungsergebnisse, Antworten auf die oben zitierten Forschungsfragen und Thesen. Im Fazit wird eine „lose-lose-Situation“ konstatiert: der Bedarf nach psychosozialer Beratung ist auch im Bereich der Wirtschaft gestiegen, die Lebens- und Sozialberater sind in diesem Milieu aber nicht akzeptiert, die dort heimischen Coaches dagegen verfügen nicht über eine angemessene psychosoziale Ausbildung.

Aus diesem Dilemma will das neunte Kapitel (und die ganze Arbeit) einen Ausweg zeigen: Rimser schlägt die Einführung eines neuen, „integrativen“ Formates vor: „Guiding“ versucht beide notwendigen Kompetenzen zu vereinen: die psychosozialen und die betriebswirtschaftlich orientierten Personalentwicklungskompetenzen. Ich zitiere die Definition: „Guiding versteht sich als psychosoziale Begleitung von Menschen, die in der Ausübung von beruflichen Rollen mit Problemstellungen konfrontiert sind, welche über den Beruf hinaus auch Aus- und Folgewirkungen auf andere Lebensbereiche haben.“ (S.170)

Es folgen ein zehntes Kapitel mit Zusammenfassung und Ausblick sowie ein Anhang mit dem verwendeten Interviewleitfaden und das Literaturverzeichnis.

Diskussion

Um das Fazit vorwegzunehmen: Ich habe das Buch mit Gewinn gelesen, wenn ich auch in der Konsequenz nicht mit dem Autor übereinstimme. Der Gewinn liegt in der Vergewisserung über die unterschiedlichen Beratungsformate und in dem Bezug psychosozialer Beratungsarbeit auf die Schlüsselqualifikationen. Gerade weil die Übergänge zwischen den Beratungsformaten in der Praxis oft fließend sind und BeratungsanbieterInnen oft über mehrere Qualifikationen verfügen, ist es gut, wenigstens in der Theorie Grenzlinien ziehen zu können – und seien sie auch konstruiert. (Nicht zufällig überlappen sich die in der Graphik S. 19 dargestellten Beratungsformate gegenseitig – einzig die Mediation weist - in dieser Graphik! - keine Schnittmengen mit anderen Formaten auf.)

Die Grundfragestellung nach dem Verhältnis von Lebens- und Sozialberatung und Coaching ist eine speziell österreichische. Das braucht, da der Rahmen ein administrativer ist, letztlich auch eine administrative Klärung. Gleichwohl kann man natürlich fachliche, also nichtadministrative Konsequenzen ziehen. Vor einigen Jahren war die Fragestellung auch in Deutschland sehr präsent, ob man nicht (analog zum Psychotherapiegesetz ) ein Beratungsgesetz brauche, um ein Mindestmaß an Professionalität zu gewährleisten und die Beliebigkeit von Formaten zu vermeiden. Im Augenblick scheint das nicht weiter diskutiert zu werden, aber vermutlich ist die Frage nicht gestorben, sie schläft nur. Insofern ist es, auch für ein Gremium wie die „Deutsche Gesellschaft für Beratung“ (DGfB), hilfreich, die österreichische Diskussion gut wahrzunehmen und eigene Konsequenzen daraus zu ziehen. Zugleich aber spiegelt die Arbeit eine gegenüber Deutschland unterschiedliche Situation im Coaching: bei fast allen Feststellung Rimsers zu den Defiziten des Formates Coaching würden die meisten Coaches hier wohl heftig widersprechen, denn deutsche Coachingausbildungen, die nachprüfbaren Standards entsprechen, basieren selbstverständlich auf der Vermittlung grundlegender psychosozialer Beratungskompetenz. Umgekehrt mag es stimmen, dass Lebens- und Sozialberater nicht per se über die Kompetenzen verfügen, die im Kontext von Wirtschaftsunternehmen gefragt und gefordert sind. Das ist in Deutschland bei z.B. Supervisoren ähnlich: sie verfügen über hohe Beratungskompetenz im sozialen Feld, aber nicht unbedingt über ausreichende Kenntnisse betriebswirtschaftlicher und organisationaler Zusammenhänge, nicht unbedingt über ein Konzept von Führungshandeln in ökonomischen Kontexten, nicht unbedingt über ein Konzept von Karriereförderung etc. Das ist der Grund, warum – analog zum österreichischen LSB – in Deutschland der Supervisor im Bereich der Wirtschaft kaum anschlussfähig ist.

Das führt in Deutschland deshalb nicht zu stressigen Situationen, weil es keine staatliche Konzessionierung bestimmter Beratungsformaten gibt, sondern z.B. Supervision und Coaching friedlich nebeneinander leben können. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich zu einem anderen Ergebnis komme als der Autor. Noch sind die Curricula der Coachingausbildungen in Bewegung, und möglicherweise gelingt es ja in absehbarer Zukunft, Essentials einer solchen Ausbildung zu formulieren, an denen sich alle Ausbildungsinstitute orientieren. Dazu gehört grundlegende psychosoziale Beratungskompetenz ebenso wie ein grundlegendes Verständnis der Bedingungen, unter denen Professionals im Bereich von Wirtschaft oder Verwaltung arbeiten. Dazu gehört eine Verständigung über das zugrundliegende Menschenbild und die ethischen Grundentscheidungen ebenso wie ein methodisches Konzept, dass die Förderung von Bewusstheit und Reflexion ebenso ermöglicht wie das Training erfolgreicher Strategien von Problemlösungen. Darüberhinaus werden Ausbildungsinstitute ihre eigenen Schwerpunkte haben: sie werden von verschiedenen konzeptionellen Hintergrundannahmen ausgehen, werden mit unterschiedlichen Methoden arbeiten (NLP, TA, Gestalt etc.) und für bestimmte Coachingfelder besonders qualifizieren. Die Konsequenz wäre also für mich nicht die, ein neues Beratungsformat wie „Guiding“ zu etablieren, sondern das Format Coaching weiter zu professionalisieren.

Was die spezielle österreichische Situation angeht, frage ich mich, warum nicht Coachingausbildungen entwickelt werden, die dem Standard der Lebens- und Sozialberatung entsprechen, aber eben einen besonderen Schwerpunkt auf die Vermittlung coachingspezifischen Wissens und Könnens legen. Das in Verbindung mit der eigenen professionellen Herkunft der AusbildungsteilnehmerInnen wird ausreichenden „Stallgeruch“ mit sich bringen, um auch im Wirtschaftskontext akzeptiert zu werden. Was den zeitlichen und inhaltlichen Auswand betrifft, orientiert sich Rimser für die Guidingausbildung ohnehin an den Anforderungen der Lebens- und Sozialberatungsausbildung. Also: Warum dann Guiding, warum nicht - ein konzeptionell neu bedachtes und überarbeitetes - Coaching? Noch ein neues Format macht das Feld, das Rimser gerade übersichtlich darzustellen versucht hat, wieder ein Stück unübersichtlicher. Das kann man leicht vermeiden!

Fazit

Ein gutes Buch für Menschen, die Lust haben, sich konzeptionell mit unterschiedlichen Beratungsformaten zu befassen und Coaching im Feld der psychosozialen Beratung zu verorten.

Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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ISSN 2190-9245