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Annika Eder: Familiäre Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit

Rezensiert von Prof. Dr. Konrad Maier, 25.02.2010

Cover Annika Eder: Familiäre Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit ISBN 978-3-8300-3053-9

Annika Eder: Familiäre Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit. Eine Sekundäranalyse des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2008. 362 Seiten. ISBN 978-3-8300-3053-9. 78,00 EUR.
Schriftenreihe Studien zur Familienforschung - Band 21.

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Entstehungshintergrund

In den 1980er Jahren wurde Arbeitslosigkeit als neues soziales Problem wahrgenommen. Zentrale Fragestellung waren die „individuellen und gesellschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit“ (so ein viel zitierter Buchtitel: Kieselbach/Wacker 1985). Dabei wurde die umfangreiche Arbeitslosenforschung der 1930er Jahre rezipiert. Der Fernsehfilm „Vaters Los – Arbeitslos“ hat damals die öffentliche Diskussion stark beeinflusst. In den 1990er Jahren wurde das ‚Belastungsparadigma‘ zunehmend abgelöst durch das ‚Bewältigungsparadigma‘. Zugleich wurde die Lebenslage ‚Arbeitslosigkeit‘ ergänzt und teilweise ersetzt durch das Phänomen der ‚Prekarität‘ (Castel; Mutz). Im 21. Jahrhundert wird Arbeitslosigkeit zunehmend thematisiert unter der Perspektive des „Forderns und Förderns“ und damit die Integration in das Erwerbsleben um – fast – jeden Preis.

Thema und Adressaten

Annika Eder greift in einer soziologischen Dissertation der Universität Erlangen-Nürnberg das für die Soziale Arbeit zentrale Thema ‚familiäre Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit‘ wieder auf und überprüft die diesbezüglichen Theorien der Arbeitslosenforschung anhand einer Sekundäranalyse des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Die Arbeit wendet sich an die zahlenmäßig begrenzte Community der sozialwissenschaftlichen Arbeitslosen- und Familienforschung, was nicht zuletzt im exorbitanten Preis von nahezu 80 Euro sichtbar wird.

Inhalt

Auf der Basis der unfangreichen Literatur aus den 1930er und 1980er Jahren und den wenigen neueren Veröffentlichungen werden Hypothesen formuliert, die anhand des Datenmaterials des sozio-ökonomischen Panels („SOEP“) in der Form einer Sekundärauswertung der Daten der Jahre 2000-2004 überprüft werden. Grundlage der Untersuchung sind die Fragebogenerhebungen bei ca. 350 17-19 jährigen Jugendlichen, deren Väter oder Mütter arbeitslos sind im Vergleich zu ca. 2000 Jugendlichen, deren Eltern in das Erwerbsleben integriert sind.

Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Arbeitslosigkeit führt unabhängig vom Geschlecht zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Dabei scheint das geringere Nettoeinkommen als zentrale Wirkursache, alles spricht jedoch dafür, dass auch andere, psycho-soziale Faktoren wirksam sind.
  • Die väterliche Arbeitslosigkeit führt zu Belastungsreaktionen der Mutter, die mütterliche Arbeitslosigkeit führt nur insofern zu Belastungen für den Vater, als das Haushaltseinkommen sinkt. Eine Erklärung findet dieser Unterschiede durch die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern.
  • Mädchen leiden unter der väterlichen Arbeitslosigkeit stärker als Söhne, weil durch die Präsenz des Vaters die Kontrolle steigt und sich in einem kontrollierenden und bestrafenden Erziehungsstil äußert; bei den Söhnen führt die väterliche Arbeitslosigkeit eher zu einem Autoritätsverlust des Vaters. Die mütterliche Arbeitslosigkeit hat keine unmittelbaren Beziehungsfolgen, ein gesunkenes Haushaltseinkommen führt jedoch zu zunehmenden Konflikten.
  • Väterliche Arbeitslosigkeit führt – wiederum überwiegend in Folge eines gesunkenen Haushaltseinkommens – deutlich zu einem Rückzug der Kinder aus Cliquenbeziehungen. Mütterliche Arbeitslosigkeit verstärkt diesen Effekt insbesondere bei gering qualifizierten Frauen, eine pessimistische Situationsdeutung der Mutter fördert Rückzugstendenzen. Nicht beeinträchtigt sind dagegen die Paarbeziehungen zu Freundin oder Freund.
  • Väterliche Arbeitslosigkeit führt signifikant zu einem höheren Fernsehkonsum und zu rückläufigen Sportaktivitäten. Eine Auswirkung mütterlicher Arbeitslosigkeit auf das Freizeitverhalten wird nur durch ein geringeres Haushaltseinkommen spürbar, das wiederum zu einem Rückgang sportlicher Aktivitäten führt.
  • Insgesamt weisen die Kinder arbeitsloser Eltern schlechtere schulische Leistungen auf. Dies kann jedoch auch damit erklärt werden, dass bildungsferne Eltern stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Unmittelbar leiden Realschüler und Gymnasiasten eher unter der Arbeitslosigkeit der Eltern als Hauptschüler. Bei Alleinerziehenden reagieren die Söhne stärker mit einer beeinträchtigten Durchschnittszensur auf die mütterliche Arbeitslosigkeit als Töchter.

Diskussion

Das große Verdienst dieser Arbeit liegt darin, dass die umfangreiche Literatur zu familiären Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit insbesondere aus den 1930er und 1980er Jahren systematisch gesichtet und aufbereitet wird und dass zentrale Thesen dieser Forschung anhand des sozioökonomischen Panels erhärtet werden. Dabei rücken finanzielle Beeinträchtigungen gegenüber psychosozialen Faktoren in den Vordergrund, was aber durch die Methode und das vorliegende Datenmaterial begründet sein kann.

Die Methode der Sekundärauswertung von Daten, die unabhängig von der Fragestellung erhoben worden sind, birgt vielfältige Nachteile in sich:

  • So wird väterliche Arbeitslosigkeit angenommen, wenn der Vater vor der Befragung nicht mindestens 12 Monate vollzeit-beschäftigt war. – Eine kurzfristige Arbeitslosigkeit (z.B. bei Arbeitsplatzwechsel) kann jedoch ebenso wie eine Teilzeitbeschäftigung im Arrangement mit dem Ehepartner durchaus unproblematisch oder sogar erwünscht sein.
  • Inwiefern die Belastung mit der Dauer bzw. der Häufigkeit von Arbeitslosigkeit ansteigt ist mit dieser Methode nicht erfassbar. Die einfache Kategorie ‚Arbeitslosigkeit‘ kann das soziale Problem der Krise des Erwerbssystems nicht mehr adäquat erfassen ohne die Betrachtung prekärer Arbeitsverhältnisse und prekärer Erwerbslaufbahnen.
  • Die Bewältigungsstrategien, wie auch für die Bewältigung förderliche Umweltfaktoren, bleiben ebenso unberücksichtigt, wie die Frage nach möglichen positiven Wirkungen elterlicher Arbeitslosigkeit.
  • Die Beschränkung der Befragung auf 17-19 Jährige lässt die Situation der jüngeren Kinder nur sehr bedingt in Erscheinung treten. Die Komplexität und der Umfang der familialen Folgen elterlicher Arbeitslosigkeit lassen sich vermutlich nur mit komplexen qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung adäquat erfassen.
  • Die Arbeit bleibt voll dem Belastungsparadigma verhaftet: Die Bewältigungsstrategien wie auch für die Bewältigung förderliche Umweltfaktoren bleiben ebenso unberücksichtigt wie die Frage nach möglichen positiven Wirkungen elterlicher Arbeitslosigkeit.

Fazit

Das Buch gibt einen guten Überblick über die – überwiegend älteren – Forschungen zu familiären Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit. Die Aussagekraft für die Soziale Arbeit wird eingeschränkt durch die Ausgrenzung des Bewältigungsparadigmas und eine traditionelle Definition von Arbeitslosigkeit, die das zunehmende Problem und die Dynamik von prekären Erwerbsverläufen nicht berücksichtigt.

Rezension von
Prof. Dr. Konrad Maier
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Es gibt 7 Rezensionen von Konrad Maier.

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Zitiervorschlag
Konrad Maier. Rezension vom 25.02.2010 zu: Annika Eder: Familiäre Konsequenzen elterlicher Arbeitslosigkeit. Eine Sekundäranalyse des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2008. ISBN 978-3-8300-3053-9. Schriftenreihe Studien zur Familienforschung - Band 21. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8320.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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