Martin Lehner: Allgemeine Didaktik
Rezensiert von Mag.(FH) DSA MSc Doris Lepschy, 09.02.2010

Martin Lehner: Allgemeine Didaktik. Eine Einführung.
UTB
(Stuttgart) 2009.
240 Seiten.
ISBN 978-3-8252-3245-0.
D: 17,90 EUR,
A: 18,40 EUR,
CH: 31,90 sFr.
Reihe: UTB M (Medium-Format).
Thema
„Allgemeine Didaktik“ dient Lehrenden aus Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung als Handreichung zur strukturierten Reflexion von Lehr-Lern-Situationen und hilft bei der Vorbereitung und Durchführung didaktischen Handelns.
Autor
Martin Lehner, Prof. Priv. Doz. Dr. phil., vormals Vize-Rektor der Fachhochschule Vorarlberg, ist Hochschullehrer an der Fachhochschule Technikum Wien. Er ist Leiter des Instituts für Sozialkompetenz und Managementmethoden, Bereich Didaktik. Nach seiner Tätigkeit als Personalentwickler arbeitete er mehrere Jahre lang als selbstständiger Trainer und Prozess-Coach. Er ist Autor mehrerer Fachbücher und Leiter des Forums für Hochschuldidaktik http://www.dicfo.at/.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in zehn klar strukturierte Kapitel, beginnend mit den Grundlagen. Didaktik wird sowohl als handlungsorientierte Wissenschaft vom Lehren und Lernen beschrieben als auch als Berufswissenschaft der lehrenden Berufe. Eine historische Rückschau (beginnend mit Wolfgang Ratke als ersten deutschsprachigen Didaktiker im 16./17. Jh. bis zur eigenständigen Didaktik der Erwachsenenbildung mit Beginn des 20. Jahrhunderts und der Subjektivitäts- und Teilnehmerorientierung ab Mitte der 70er- Jahre) sowie die Vorstellung spezieller Didaktiken mit dem Fokus auf Fachdidaktiken als „Zusammenhang zwischen der fachwissenschaftlichen Disziplin und der allgemeinen Didaktik“. (S.20). bilden eine gute Grundlage der Thematik. Strukturmodelle und Bindungsgefüge beschreiben den Kontext von Lehr- und Lernsituationen (wie etwa die Schwerpunktsetzung der didaktisch handelnden Personen) und bilden deren Elemente (wie Medien, Methoden und Leistungsbeurteilungen) ab. Neun didaktische W-Fragen werden in Anspielung auf journalistisch- investigative Fragetechniken formuliert Als besondere Herausforderungen werden die skeptische Haltung Lehrender gegenüber Didaktik beschrieben wie auch die Tatsache, dass Didaktik von der „scientific community“ aufgrund des normativen Charakters nur bedingt als „normal science“ eingestuft wird.
Im
zweiten Kapitel widmet sich Lehner
den Reflexionsebenen.
In Erweiterung der 1953 von Weniger
formulierten didaktischen Theorieebenen wird ein „Fünf-Ebenen-Modell
vorgestellt, das zur Vielschichtigkeit der Bildungspraxis passt“.
(S.35) Es beginnt mit Rahmentheorien und Partnerwissenschaften. Lern-
und Entwicklungspsychologie, Gehirnforschung und Neurophysiologie
sowie Sozialisationsforschung werden als Bezugsdisziplinen
dargestellt, wobei am Beispiel Lerntypen gezeigt wird, dass aus dem
so generierten Wissen nicht zwangsläufig eindeutige didaktische
Folgerungen zulässig sind. Seit den 90er- Jahren findet eine
„Verschmelzung der didaktischen Paradigmen“ (S.39)
(Hermeneutik, Rationalismus, Ideologiekritik) statt, welche sich
sowohl in den wissenstheoretischen Grundlegungen als auch in der
Kombination von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden in
der empirischen Lehr- Lern- Forschung widerspiegelt.
Theorien und Modelle bieten Begriffe, Kategorien und Strukturen
damit „Lehrpersonen für didaktische Aufgaben und
Wirklichkeiten „sehfähig“ gemacht werden. (S.39).
Bildungstheoretische Didaktik, Lerntheoretische Didaktik und
Konstruktivistische Didaktik werden ebenso wie „verschwundene
didaktische Theorien (S. 44) (Curriculare/Lernzielorientierte
Didaktik, Kritisch-kommunikative Didaktik,
Informationstheoretisch-kybernetische Didaktik und Dialektische
Didaktik) kurz beschrieben. Didaktische Ansätze in der
Erwachsenenbildung werden als „durch starke Subjektivitäts-
und Telnehmerorientierung gekennzeichnet“ (S.45).
>Konzepte
und Ansätze sind durch ein Zitat von Karl
Popper (1972) beschreibbar:
„Immer wenn wir eine Theorie als die einzig mögliche
erscheint, nimm das als Zeichen, dass du weder die Theorie noch das
zu lösende Problem verstanden hast.“ (S.46, aus Karl
R. Popper: Objektive
Erkenntnis- Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1933, S.178).
Aus mehreren Hundert didaktischen Konzepten hat Lehner
Montessori- Didaktik,
Handlungsorientierten Unterricht, Selbstgesteuertes Lernen,
Problembasiertes Lernen und die Großgruppenmoderation
ausgewählt und genauer beschrieben. Handlungsregeln wie
Leitlinien und Prinzipien werden nach dem Grad der Allgemeinheit
unterschieden und betrachtet. Oftmals konservative Alltagstheorien
von Lehrenden und Lernenden entstanden aus der „Verarbeitung
persönlicher Erfahrungen“ (S.56) bilden den Schluss dieses
Kapitels.
Das dritte Kapitel ist der Professionalisierung gewidmet. Lehner beschreibt Professionalisierung als „Entwicklungsziel für die lehrenden Berufe“ (S. 60), eine Berufswissenschaft. Als Merkmale werden „spezialisiertes Berufswissen, standardisierte Ausbildung, berufliche Interessenvertretung und ausgeprägter Ethos“ genannt. Als Beispiel dafür, dass diese Zuordnung nicht unumstritten ist, wird die seit Jahren laufende Diskussion um die Existenz bzw. Nichtexistenz der eigenständigen Sozialarbeitswissenschaft angeführt. Auch auf gesetzlich ungeschützte Berufsbezeichnungen wie ErwachsenenbildnerIn wird verwiesen. Einen besonderen Stellenwert wird den didaktischen Kompetenzen der Lehrenden zugeschrieben und in mehreren Infotafeln entsprechend aufgearbeitet (didaktische Kompetenzen in der Erwachsenenbildung, Vergleich Kompetenzmodelle). Den abschließenden Punkt dieses Kapitels bildet die Kompetenzentwicklung und des Expertiseerwerbs mit dem Fokus auf Handlungswissen und der „engen„Verzahnung“ von Situation und Handlung“ (S.68).
Didaktische Theorien werden im vierten Kapitel ausführlich mit diversen Infotafeln dargestellt. Die bildungstheoretische Didaktik beschäftigt sich mit der Erschließbarkeit fachlicher Inhalte. Die kritisch-konstruktive Didaktik schließt Unterrichtsplanung mit dem Fokus auf die „Entwicklung der Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeiten der SchülerInnen“ (S. 73) ein. Die lerntheoretische Didaktik entwickelt auf empirischer Basis Planungs- und Analysehilfen für Ziele, Methoden und Medien im Unterricht. Lehrende und Lernende werden als PartnerInnen verstanden. Die konstruktivistische Didaktik begreift Lernen als individuelle Bedeutungszuschreibung im aktiven, situativen und sozialen Kontext und ist als Ermöglichungsdidaktik zu sehen.
Das fünfte Kapitel widmet Lehner dem Begriff Bildung. Bildungsentwürfe aufbauend auf dem humanistischen Konzept individueller Persönlichkeitsentfaltung fokussieren entweder Inhalte und Bildungsgüter oder den Erwerb methodischer Kompetenzen. Bildung als Vorbereitung auf das gesellschaftliche Leben einerseits aber auch die Möglichkeit für Einzelne, sich dem „gesellschaftlichen Verfügungsdruck“ (S. 87) zu entziehen andererseits wird thematisiert.
Die Beschreibung unterschiedlicher Zielgruppen im Kontext unterschiedlicher Lebenswelten (soziale Herkunft, Lernbiografie) bildet den Bogen zu Kapitel 6, das sich mit dem Begriff Lernen auseinandersetzt. Drei Lerntheorien bilden den Beginn des Kapitels. Der behavioristische Ansatz mit dem Individuum als unzugängliche „black box“, der kognitivistische Ansatz mit dem Fokus auf interne Prozesse der Informationsaufnahme und deren Verarbeitung und der konstruktivistische Ansatz mit der Betonung der subjektiven Erarbeitung von Wissen werden explizit dargestellt. Weiters bildet die Herstellung des Bezugs zur Gedächtnis- und Lernforschung didaktisch relevante Erkenntnisse (z.B. Einfluss der Emotionen auf den Lernprozess). Die Unterrichtsforschung steuert die „theoriegeleitete Beschreibung, Erklärung und Optimierung von institutionalisierten Lernprozessen“ (S.94) (Gütekriterien basierend auf empirischen Belegen) bei. Die besondere Rollen von Lernmotivation und Transfer bilden den praktischen Abschluss des Kapitels.
Ziele und Inhalte stellt Lehner im Kapitel 7 ausführlich dar. Ziele werden für Lernabschnitte bzw. – einheiten formuliert und bilden die Grundlage für Planung und Controlling. Die Bedeutung von übergeordneten Normen wird gestreift. Genauer strukturiert werden Lernziele (Lernzielbereich, Abstraktionsniveau, Lernzielstufe, Lernzieldimension, Wissensdimension) und Lehrpläne (Inhalt, Ziel, zeitliche und inhaltliche Ordnung). Didaktische Prinzipien wie die passende Reduktion der Komplexität von Inhalten mit Hilfe besonderer inhaltlicher Anordnung (sachlogisch, arbeitsprozessorientiert, dramaturgisch) werden mit praktischen Strukturhilfen (Advance Organizer, Fachlandkarte, Strukturlegetechnik) ergänzt.
Das achte Kapitel ist den Methoden, differenziert nach Sozial-, Handlungs- und Verlaufsformen, gewidmet. Als grundlegende Methoden werden der Lehrvortrag, das Lehrgespräch sowie Einzel-, PartnerInnen- und Gruppenarbeit beschrieben. Handlungsorientierte Methoden (projektorientiertes Lernen, Gruppenpuzzle) zur Förderung der aktiven Auseinandersetzung mit Lerninhalten sowie medial gestützte Methoden (mit Fokus auf E-learning, asynchrone Lernphasen) werden genau betrachtet. Klassische Lehrtechniken runden das Kapitel ab.
Dem Lernerfolg widmet Lehner das neunte Kapitel. Sowohl die Erhebung der Lernleistungen als auch deren Beurteilung wird auf neun Seiten ausführlich beschrieben.
Das logisch nun folgende letzte Kapitel beschreibt Planung, Analyse und Evaluation. Theoretisch geleitete und empirisch fundierte Handlungsentwürfe lassen sich in prozessorientierte Planung (Dramaturgie) und kompetentenorientierte Planung (Strukturelemente von Lehre) unterscheiden. Anhand der Analyse werden didaktische Aspekte (Zielvorstellung, Gliederungsabsichten, Beziehungsgefüge) sichtbar. Die Bewertung basiert auf inhaltlichen Kriterien (Grundauffassung von Lernen, empirisch fundierte Erkenntnisse). Die Evaluation (inkl. Evaluationsziel, Bewertungsgrundlagen und Aufbereitung und Interpretation des Datenmaterials) „bezeichnet das methodische erfassen und begründete Bewerten von Lehr- Lernprozessen und deren Ergebnissen .“ (S.169)
Im Anschluss bietet Lehner Hinweise zu den Aufgaben, die sich zur Verfestigung des Wissens durch das gesamte Buch ziehen.
Fazit
Martin Lehner zeigt mit „Allgemeine Didaktik“ auf beeindruckende Art und Weise wie es gelingen kann wissenschaftlich fundiertes Wissen mit Praxiserfahrung zu vereinen. Der Transfer in die Berufspraxis von BildungsarbeiterInnen gelingt durchgehend. Aktuelle Bezüge zur Diskussion um die Anerkennung einschlägiger Berufsbilder und Disziplinen zeigen den Bezug des Autors zur aktuellen Situation am deutschsprachigen Bildungsmarkt.
Merksätze, Definitionen und Infoboxen, angereichert mit 14 Tabellen und 30 Abbildungen und durchgehenden Prüfungsfragen bietet dieses Lehrbuch. Auch PraktikerInnen finden sich in den Beschreibungen wieder. „Allgemeine Didaktik“ ist inhaltlich sehr dicht und dennoch fließend und spannend zu lesen.
Rezension von
Mag.(FH) DSA MSc Doris Lepschy
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