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Michael Bayer, Gabriele Mordt et al. (Hrsg.): Transnationale Ungleichheitsforschung

Rezensiert von Prof. Dr. Roland Verwiebe, 18.11.2009

Cover Michael Bayer, Gabriele Mordt et al. (Hrsg.): Transnationale Ungleichheitsforschung ISBN 978-3-593-38581-5

Michael Bayer, Gabriele Mordt, Sylvia Terpe, Martin Winter (Hrsg.): Transnationale Ungleichheitsforschung. Eine neue Herausforderung für die Soziologie. Campus Verlag (Frankfurt) 2008. 356 Seiten. ISBN 978-3-593-38581-5. 39,90 EUR. CH: 49,90 sFr.

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Thema

Bayer, Mordt, Terpe und Winter haben kürzlich einen Sammelband im noch relativ neuen Feld der transnationalen Ungleichheitsforschung vorgelegt, in dem sie elf überwiegend konzeptionell und theoretisch orientierte Beiträge versammeln. Das wichtigste Referenzwerk für dieses Buch ist der ebenfalls 2008 von Berger und Weiß herausgegebene Sammelband „Transnationalisierung sozialer Ungleichheit“ (VS-Verlag).

Aufbau und Inhalt

Der erste Beitrag des Sammelbands stammt von Kreckel. Dieser diskutiert die Konturen einer „Soziologie der sozialen Ungleichheit im globalen Kontext“. Der Beitrag ist in Form von knapp einem Dutzend Thesen verfasst, die der Autor als Anregung für eine Re-Aktualisierung der Soziologie sieht. Anknüpfungspunkte sieht er hierfür vor allem bei den Wirtschaftswissenschaften, die sich im Unterschied zu den Soziologen, zunehmend mit globalen Ungleichheiten beschäftigen.

Danach überprüfen Müller und Schindler in ihrem gelungenen Beitrag die bekannte Polarisierungsthese von Milanovic zum Anstieg der globalen Ungleichheit. Auf Grundlage aktueller Daten von 2008 gelangen die Autoren zu einer Ablehnung der These einer globalen Polarisierung von Einkommen und Wohlstand.

Bornschier zeigt anschließend, dass materielle Ungleichheiten zwischen den Staaten verschiedener Weltregionen von Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dramatisch angestiegen sind. Für die Ära der Globalisierung konstatiert der Autor eine weitere Zunahme der Ungleichheit innerhalb und zwischen den meisten Ländern. Indien und China betrachtet er im Unterschied zu Müller und Schindler als Sonderfälle, deren Entwicklung mit denen anderer (ehemaliger) Entwicklungsländer schwer vergleichbar ist.

Hradil versucht sich im Anschluss an einer Aktualisierung der Theorie von Kuznets zur Dynamik nationaler Einkommensverteilung. Einen anderen theoretischen Akzent setzt Klinger. Sie diskutiert die theoretische Relevanz von Klasse, Geschlecht und Ethnie für eine globale Ungleichheitsforschung. Programmatisch heißt es am Anfang des folgenden, sehr guten Beitrags von Löw: Wer die Frage nach den Bedingungen einer weltgesellschaftlichen Öffnung der Soziologie stellt, formuliert implizit auch die Frage nach den räumlichen Dimensionen der Forschung. Dazu schlägt sie vor den Begriff scale als Basiskategorie zu verwenden um soziale Phänomene auf verschiedene skalierbare Ebenen beziehen zu können. Diese skalierbaren Ebenen haben relationalen Charakter und können sich auf territoriale Einheiten, auf räumlich soziale Prozesse oder auf Organisationseinheiten beziehen. Das Theorem der skalierbaren Ebene nutzt Löw auch, um den Raumbezug in einer auf globale Prozesse hin orientierten Ungleichheitssoziologie zu konzeptionalisieren: Das Globale und das Lokale konstituieren sich demnach gegenseitig. Lokale Orte sind der Ort der Produktion globaler Verflechtungen und umgekehrt beeinflussen globale Verflechtungen lokale Arrangements.Sackmann untersucht einen ebenfalls zentralen Aspekt der Ungleichheitsforschung, die Alterskategorie, im Hinblick auf ihre Relevanz für eine sich stärker auf den globalen Maßstab hin orientierende Soziologie. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass auch zukünftig bestimmte historische Generationen einen starken Einfluss auf globale gesellschaftliche Prozesse haben werden. Die sogenannten 1968er dienen ihm hier als ein Beispiel für eine zeitgeschichtliche Generation, die in vielen Ländern der Erde erfahrbar war. Dazu kommt, dass ein demographisches Übergewicht einer bestimmten Altersgruppe in Ländern wie den USA oder China weltweite ökonomische Folgen haben kann, zum Beispiel dann, wenn Alterssicherung primär über börsennotierte Pensionsfonds erfolgt.

„Soziale Ungleichheiten in Marktwirtschaften“ titelt Berger seinen Beitrag, der sich mit der Generierung von Einkommensungleichheiten auseinandersetzt. Er argumentiert dabei in Anlehnung an die Arbeitsmarkttheorie von Sørensen, dass die Generierung von Einkommensungleichheit durch die institutionelle Verfasstheit von Arbeitsmärkten zustande kommt. In einer Gesellschaft, in der das Marktprinzip vollständig durchgesetzt ist, würde es keine Ungleichheiten jenseits der auf Leistungsunterschiede basierenden Lohndifferenzen geben. Ob vor dem Hintergrund dieses konzeptionellen Vorschlags angenommen werden kann, dass mit der Globalisierung (Durchsetzung des Marktprinzips) die Ungleichheit innerhalb oder zwischen Gesellschaften sinkt, lässt Berger offen.

Den Stellenwert ökonomisch generierter Ungleichheit thematisiert auch Hanf in seinem spannenden Beitrag. Er analysiert in Anlehnung an Schumpeters Theorie der zyklischen wirtschaftlichen Entwicklung und in direkter Reaktion auf die zuvor beschriebenen Ideen von Berger den Stellenwert von Innovationen für die Generierung von Ungleichheit. Ein zentrales Argument ist bei Hanf, dass Lohnverteilungen in innovativen Märkten (Unternehmen) anders verlaufen als in Märkten (Unternehmen), die sich in einem Gleichgewichtszustand befinden. Erfolgreiche Innovationen können kurzfristig enorme Gewinne abwerfen und auch Lohnzuwächse nach sich ziehen. Allerdings, so Hanf, sind davon nicht alle Beschäftigen äquivalent zu ihrem Anteil an der Durchsetzung der Innovation beteiligt. Personen in oberen Positionen (Management) können häufig sehr viel höhere Einkommenszuwächse durchsetzen, als ihnen eigentlich „zusteht“ und ohne, dass diese Positionsinhaber notwendigerweise an den Innovationen beteiligt waren. Letztlich werden wir hier dann Zeuge der Generierung von Zusatzgewinnen. Hanf macht damit auf eine wichtige Quelle der Generierung von Ungleichheiten innerhalb von Unternehmen aufmerksam. Auch in diesem an sich sehr lesenswerten Beitrag wird allerdings ein Bezug zum Thema des Sammelbands beziehungsweise zu einer emergenten transnationalen Ungleichheitsforschung nicht deutlich.

Der letzte Beitrag dieses Sammelbands stammt von Shamit. Dieser beschäftigt sich mit der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Seine Kernthese lautet, dass die Ideen einer sozialen Verantwortung von Unternehmen Teil einer neo-liberalen Strategie zur Neukonfiguration des Verhältnis von Markt und Gesellschaft. Ziel dieser Strategie ist, so seine These, die Grenze zwischen Markt und Gesellschaft aufzuheben. Zentrale ethische Fragen, die traditionell das Anliegen von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften waren, sollen innerhalb des Marktes neu formuliert werden. So relevant auch der Erkenntniszuwachs aus diesem Beitrag zum Zusammenhang von Ethik, Wirtschaft, Demokratie und Gesellschaft ist, einen Bezug zum Thema des Sammelbands wird vermisst.

Fazit

Insgesamt versammelt der vorliegende Band von Bayer, Mordt, Terpe und Winter überwiegend lesenswerte Beiträge von renommierten Kollegen der Sozialstrukturforschung. Darin liegt zweifellos die Stärke des Werks. Ein substantieller Beitrag zu einer emergenten transnationalen Ungleichheitsforschung ist allerdings nicht gelungen. Dafür fehlen empirisch orientierte Beiträge und Beiträge von Autoren, die in diesem Feld länger engagiert sind. Da die Herausgeber schließlich auf ein zusammenfassendes Kapitel verzichtet haben und einige Aufsätze allenfalls einen indirekten Bezug zur übergeordneten Fragestellung des Sammelbands herstellen, fällt der Gesamteindruck etwas weniger positiv aus, als man es sich vom Renommee der einzelnen Beitragenden erhofft hätte.

Rezension von
Prof. Dr. Roland Verwiebe
Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam
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Es gibt 2 Rezensionen von Roland Verwiebe.

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ISSN 2190-9245