Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Nikolaus Werz (Hrsg.): Demografischer Wandel

Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 02.11.2009

Cover Nikolaus Werz (Hrsg.): Demografischer Wandel ISBN 978-3-8329-3211-4

Nikolaus Werz (Hrsg.): Demografischer Wandel. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2008. 155 Seiten. ISBN 978-3-8329-3211-4. 19,00 EUR.
Reihe: Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das Thema Demographischer Wandel ist eigentlich kein Thema mehr, was überraschend daher käme oder gar neu wäre. Allenthalben diskutieren wir in den Sozialwissenschaften unter der Veralterung (manchmal sogar: Überalterung), unter Schrumpfung und Migration die Veränderungen der Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung. Kommunen und Städte entwickeln inzwischen Konzepte, wie man mit diesen Phänomenen strategisch umgeht, welche Folgen schrumpfende Städte oder Regionen für die Entwicklung einer Gesellschaft haben, wie Kommunen als Gemeinwesen noch gestaltbar sind, in denen es immer mehr Alte und kaum noch Kinder gibt. Und wir erkennen immer deutlicher, dass sich attraktivere Städte und städtische Agglomerationen deutlicher abheben von immer mehr Regionen, die von den Menschen verlassen werden.

Die deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft hat sich in Kooperation mit dem Rostocker Zentrum für Demographischen Wandel in einer Tagung diesem Themenspektrum gewidmet. Die Dokumentation dieser Tagung liegt nunmehr als Buch vor.

Herausgeber, Autorinnen und Autoren

Nikolaus Werz ist Vorsitzender der DGfP und hat einen Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Rostock inne.

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes kommen zum größten Teil aus dem Universitätsbereich oder anderen bekannten Institutionen, die sich mit Fragen der Bevölkerungs- und Gesellschaftspolitik beschäftigen; der prominenteste unter ihnen dürfte wohl Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sein.

Aufbau und Inhalt

Nach einer kurzen Einleitung des Herausgebers führt Hermann Lübbe mit einem brillanten historischen Überblick in die Wissenschaft der Demographie und ihre Geschichte ein, wobei deutlich wird, dass die Politikwissenschaft sich des Themas inzwischen angenommen hat, aber doch noch nicht so richtig. Seine Auseinandersetzung mit der Statistik, mit der Bevölkerungspolitik und mit den Fragestellungen der Bevölkerungslehre machen deutlich, wie multifaktoriell das Geschehen in der Bevölkerungsentwicklung diskutiert werden muss - angefangen vom generativen Verhalten bis zu den neusten Entwicklungen von Migration, Wanderungsbewegungen und Veralterungsprozessen.

J. W. Vaupel und K. G. von Kistowski gehen in ihrem Beitrag "Die neue Demographie und ihre Implikationen für Gesellschaft und Politik" der Frage nach, welche sozialpolitischen und gesellschaftlichen Konsequenzen die steigende Lebenserwartung, die Plastizität des Alters und das niedrige Geburtenniveau für die gesellschaftliche Organisation der Arbeit, für die Sicherungssysteme, die sozialstaatlichen Unterstützungssysteme im allgemeinen und für die Alten und für den Umgang mit ihren Ressourcen hat, die immer bedeutsamer werden, weil sie anders alt werden als Generationen zuvor.

Unter dem Titel "Bleibt alles anders." gehen M. Kreyenfeld und D. Konietka auf die "Geburten- und Familienentwicklung in Ost- und Westdeutschland" ein. Vor allem nach dem veränderten generativen Verhalten in Ostdeutland nach der Wende wird die Bevölkerungsentwicklung auch unter dem Aspekt des Transformationsprozesses diskutiert.

Wird das Alter der Bevölkerung ein politisches Ordnungsproblem? fragt R. Schmidt unter dem Titel "Die Jungen regieren". Wie kann man vor allem auf lokaler Ebene die Ressourcen der Alten im Sinne von governance nutzen und wie lässt sich ein Generationenvertrag gestalten, der den Alten die Möglichkeit gibt, in Aushandlungsprozessen ihre Interessen zu realisieren, was die Gestaltung der Infrastruktur und des Sozialen in einer Kommune anbelangt. Auch mit dem historischen Rückblick wird deutlich, dass die Alten nicht immer die gleichen Alten waren.

T. Mayers Beitrag "Generationen Verhältnisse im demographischen Wandel" thematisiert das Generationenverhältnis auch unter den Bedingungen veränderter Generationenabfolgen. Kritisch diskutiert Mayer mögliche Reaktionen des Arbeitsmarktes, der Unternehmen oder aber auch der Politik.

S. Schoon nennt seinen Beitrag "Parteiendemokratie und demographischer Wandel am Beispiel Ostdeutschlands". Schrumpfung und Abwanderung und das veränderte generative Verhalten haben ja in den ostdeutschen Regionen zu einer Entleerung ganzer Räume geführt; gleichzeitig waren die demokratischen Parteien dort noch nicht so etabliert, dass sie sich einflussreich mit dem Thema der Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft vertraut hätten machen können. Diese Diskussion ist umso brisanter, als dass sich in Ostdeutschland gerade abzeichnet, dass nicht-demokratische Parteien stärker werden und sich dieser Themen annehmen; insofern ist sein Plädoyer für die Verknüpfung von Parteienforschung und demographischem Wandel im Sinne argumentativer Diskurse nur wünschenswert.

Der Beitrag von K. Kopycka über die "Reform des polnischen Bildungssystems - eine expansive Strategie des Staates gegenüber dem demographischen Wandel?" beschäftigt sich mit der Frage, welche Konsequenzen der Geburtenrückgang z. B. für das Schulsystem und seine Institutionen hat. Bildungsinstitutionen sind Schlüsselinstitutionen und deshalb kommt ihren Veränderungen gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu. Was ist, wenn weniger Schüler von der gleichen Anzahl Lehrer und der gleichen Organisations- und Infrastrukturausstattung versorgt werden? Sie werden besser versorgt und stehen noch mehr im Blickpunkt von Leistung und Kontrolle. Das ist wohl das Fazit, dass mit der Schulreform in Polen verbunden wird.

Sicherheitspolitische Aspekte des globalen demographischen Wandels diskutiert S. Angenendt. Sicher stellen sich Sicherheitsfragen in Entwicklungsländern und Schwellenländern anders als in modernen Industriestaaten - haben die einen es noch mit Bevölkerungszunahmen zu tun, während die anderen schrumpfen. Es geht in diesem Beitrag um Nahrung, Gesundheit und Bevölkerungsdichte im Raum,um Verteilungskonflikte von Lebensbedingungen und -chancen, die als problematisch angesehen werden. Führt etwas die Entwicklung von Megacities und größeren verstädteteren Agglomerationen zu neuen Konflikten und Sicherheitsrisiken, zumal sie mit Wanderungsbewegungen, Stadt-Landgefälle und Veränderungen der Infrastruktur des Wohnens, des Arbeitens, der Kultur und des Lebens überhaupt und den damit verbundenen Verteilungsfragen verbunden sind?

Den Schluss dieses Bandes bildet der Beitrag von W. Schäuble, der sich mit der Frage "Was ist eigentlich Integration?" auseinandersetzt, wobei eher die politische Dimension des Integrationsbegriffs traktiert wird, der ja auch in der Migrationsforschung schillernd ist. Schäuble konzentriert sich auf die Frage der Migration und seine innen- und sozialpolitischen Dimensionen bei dieser Debatte und kommt dabei auch auf die in der Tat schwieriger werdenden Probleme wachsender Desintegration der zweiten und dritten Generation zu sprechen, die sich in ihren Integrationsbemühungen von der ersten erheblich unterscheidet. Es ist eher eine politische als eine politikwissenschaftlich geführte Debatte, die hier dargestellt wird.

Diskussion

Der Band enthält sehr unterschiedliche Facetten einer politikwissenschaftlichen - zum Teil auch soziologischen - Debatte des demographischen Wandels in Deutschland. Die hier dokumentierte Tagung hat ein breites Forum von fachwissenschaftlichen Ansätzen zusammengeführt, die auch auf Aspekte verweisen, die bisher - zumindest an prominenter Stelle - nicht diskutiert wurden.

Die Beiträge zeichnen sich zum Teil durch ihre Tiefenschärfe der Analyse aus, zum Teil auch durch die breite Dokumentation von empirischen Ergebnissen und Argumentationssträngen.

Fazit

Ein gelungenes Buch. Für andere Disziplinen, die sich aus ihrer Sicht mit der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und ihren Konsequenzen beschäftigen, ist das Buch eine gute Hinführung zu einer anderen fachwissenschaftlichen Debatte, die man aber auch dringend benötigt.

Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em. Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
Mailformular

Es gibt 172 Rezensionen von Detlef Baum.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 02.11.2009 zu: Nikolaus Werz (Hrsg.): Demografischer Wandel. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2008. ISBN 978-3-8329-3211-4. Reihe: Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8436.php, Datum des Zugriffs 11.11.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht