Judith Fischer: Verarmungsrisiken im Wandel
Rezensiert von Prof. Dr. Wilfried Hosemann, 19.04.2010

Judith Fischer: Verarmungsrisiken im Wandel. Analyse des Einflusses gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedingungen auf die Beantragung von Sozialhilfe.
Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2009.
441 Seiten.
ISBN 978-3-8300-4383-6.
98,00 EUR.
Schriftenreihe Socialia - Band 103.
Thema
Armut und Armutsrisiken stellen sozialstaatliche Herausforderungen ersten Ranges dar. Für differenzierte Antwortstrategien können empirische Untersuchungen wertvolle Hinweise geben. Die leitende Fragestellung des Buches ist: Wie passen Leistungen der Sozialhilfe zur Zahl und Struktur der Armutsgefährdeten? Die Analyse der Merkmale und der Bedingungen, die im Zusammenhang mit der Beantragung von Sozialhilfe stehen, sollen als Grundlage für Empfehlungen von Maßnahmen gegen Armut genutzt werden können.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist eine Dissertation (2008) aus Österreich, die u.a. auf einer empirischen Untersuchung der Sozialhilfedaten der Stadt Feldkirch basiert.
Aufbau
Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil sowie Empfehlungen. Die empirische Forschung beinhaltet quantitative Analysen, qualitative Inhaltsanalysen sowie Clusteranalysen und bietet eine gestaffelte und verbundene Analysestruktur.
Inhalt
In der Einführung wird die Arbeit theoretisch eingeordnet, das methodische Vorgehen erläutert und die Zielsetzung dargestellt. Im Anschluss wird die Armutsthematik und –problematik eingegrenzt. Die Verarmungsrisiken werden nach folgenden Bedingungen unterschieden:
- Personellen, wie Bildung, Alter, Krankheit
- Gesellschaftlichen, wie Haushaltsform, Geschlecht, Migration
- Wirtschaftlichen, wie Arbeitsmarkt, Erwerbslosigkeit, atypische Beschäftigungen
- Wohlfahrtsstaatlichen, wie Normalarbeitsvorstellungen, sekundäre Armut
Bevor die empirischen Untersuchungsergebnisse dargestellt werden, nimmt die Autorin die Sozialhilfe in Österreich kritisch unter die Lupe. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die theoretischen und empirischen Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen bilden den Abschluss der Forschungsarbeit.
Geboten werden im empirischen Teil Hinweise auf die Zu- oder Abnahme von Merkmalsgruppen, welche Merkmalsgruppen unter den Antragstellern auf Sozialhilfe im Vergleich zur Bevölkerung überrepräsentiert sind, ob sich „Typen der Armutsgefährdung“ identifizieren lassen und deren mögliche Entwicklungen im Untersuchungszeitraum.
Der Wandel der Verarmungsrisiken wird anhand von drei Erhebungsjahre (1987, 1995, 2005) nachvollziehbar. Zusammenfassend einige Ergebnisse. Die Autorin bildet sieben Cluster der Armutsgefährdung:
- Alleinerziehende,
- Arbeitslose,
- Familien mit Kindern,
- Männer mit Unterhalsverpflichtungen,
- Geschiedene,
- Kranke und
- Pflegebedürftige.
Die Ergebnisse zeigen:
- Armutsgefährdet sind insbesondere Frauen, als allein erziehende Mütter und weil sie im zweitgrößten Cluster, den Pflegebedürftigen, die Mehrheit bilden (S. 356).
- Armutsgefährdet sind Mehrpersonenhaushalte mit drei und vier Kindern,
- Migranten,
- allein stehende Personen sowie
- solche mit niedriger Ausbildung und Qualifikation (S. 358).
- Aber auch die Gruppe der kranken Personen bildet ein eigenes Cluster.
Die Analyse über den Zeitverlauf zeigt insbesondere: Die stärkste Veränderung war beim Cluster „Pflegebedürftige“ festzustellen, es nahm aufgrund des eingeführten Pflegegeldes bedeutend ab. Umgekehrt hat sich das Cluster „Männer mit Unterhaltsverpflichtungen“ entwickelt, es bildete sich erst 2005 mit knapp 19 % heraus.
Diskussion
Die Arbeit hat die Vorzüge und die Begrenzungen einer empirischen Forschung: sie muss theoretisch Eingrenzen und sich auf überprüfbare Kriterien und Relationen konzentrieren. Die Vorteile überwiegen meiner Überzeugung nach beträchtlich: auch weil die Limitierungen der herangezogenen Theorien und Konzepte deutlich werden. Die Arbeit bietet einen guten Überblick über gängige Vorstellungen zu Armutsfaktoren und Ansatzpunkte für die Diskussion von Hilfestrategien.
Die besonderen Bedingungen Österreichs schränken die Übertragbarkeit ein. Trotzdem können aus dem Aufbau der Untersuchung und der Diskussion der Ergebnisse hilfreiche Hinweise entwickelt werden. Gerade die Notwendigkeiten sozialräumlich ausgelegter Forschungen, angemessener und vergleichbarer Datengrundlagen und kritischer Analysen der Ergebnisse werden nachvollziehbar.
Empirische Armutsforschung ist dringend erforderlich, um politischen Geisterfahrern entgegentreten zu können.
Fazit
Das Buch empfiehlt sich für Leser, die daran interessiert sind die Armutsdiskussion auf empirische Grundlagen zu stellen, die selber Untersuchungen planen oder die konzeptionelle Verantwortung für Maßnahmen tragen, die Armutsrisiken entgegen wirken sollen.
Rezension von
Prof. Dr. Wilfried Hosemann
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