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Karin Schwarz: Schwangerschaftsabbruch

Rezensiert von Prof. Dr. Ulrike Busch, 03.11.2009

Cover Karin Schwarz: Schwangerschaftsabbruch ISBN 978-3-902460-94-3

Karin Schwarz: Schwangerschaftsabbruch. Eine rechtliche und gesellschaftspolitische Analyse. ProLibris Verlagsgesellschaft (Weizenfeld) 2009. 129 Seiten. ISBN 978-3-902460-94-3. 30,00 EUR.

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Thema

Im Mittelpunkt des Buches stehen historische und aktuelle Befunde zu rechtlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten des Schwangerschaftsabbruchs. Fokus bildet die Situation in Österreich, verbunden mit Exkursen auf deutsche Besonderheiten und Diskussionen auf der Ebene der Europäischen Union.

Autorin

Die Autorin studierte Rechtswissenschaften und Sozialwirtschaft in Linz und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz.

Entstehungshintergrund

Das Buch fußt offensichtlich auf der ausgesprochen erfolgreichen Magisterarbeit der Autorin. K. Schwarz begründet ihr spezifisches Interesse an mit dem Schwangerschaftsabbruch verbundenen Fragestellungen und ihre Absicht, historische, rechtliche, gesellschaftspolitische, philosophische und sozialwissenschaftliche Aspekte miteinander zu verknüpfen.

Aufbau

In den ersten drei Kapiteln steht eine detaillierte Darstellung historischer und aktueller strafrechtlicher Bestimmungen und politischer Bewegungen in Österreich im Zentrum. Im V. Kapitel diskutiert die Autorin Begründungszusammenhänge im Diskurs „Selbstbestimmungsrecht der Frau vs. Recht auf Leben“. In den Folgekapiteln wendet sich K. Schwarz spezifischen Fragen im Kontext von Pränataldiagnostik, spezifischen Beeinträchtigungen und medizinrechtlichen Diskussionen zu. Die Veröffentlichung schließt mit einer Betrachtung internationaler Meinungsbildungsprozesse und Stellungnahme, insbesondere auf der Ebene der Europäischen Union sowie eines Rechtsvergleichs zwischen Deutschland, Frankreich und Polen.

Inhalt

Die historische Betrachtung der Rechtsentwicklung zum Schwangerschaftsabbruch in Österreich wird mit einer Darstellung des 18. und 19. Jahrhunderts eingeleitet. Strafrechtliche Verschärfungen werden in den Kontext medizinischer Erkenntnisse zur Beurteilung des Embryos gestellt. Die Strafrechtsbestimmungen von 1852 waren gültig bis 1975. Erste Veränderungen im 20. Jahrhundert sind mit den Diskursen der 20er Jahre verbunden. Zwar kam es nicht zu einer Anerkennung einer medizinischen Indikation, wohl aber der Akzeptanz eines Schwangerschaftsabbruchs bei Gefahr für das Leben der Frau in Folge eines Notstandes nach §2 StGB. Zwischen 1933 und 1945 vorgenommene Änderungen fanden im Kontext einer rassistischen und selektiven Bevölkerungspolitik statt. Erst in den 50er und 60er Jahren waren erste Liberalisierungen, so die Einführung der medizinischen Indikation 1962, erreichbar. Eine Zäsur ist mit der Neufassung der StGB im Jahr 1975 verbunden. Im Kontext politischer Erneuerungen wurde eine kombinierte Fristen- und Indikationenregelung verankert, die ausführlich dargestellt wird. Die Autorin verbindet die strafrechtlichen Veränderungen mit konkreten Ausführungen zu politischen Debatten zwischen „Lebensschützern“ und verschiedenen politischen Kräften und Strömungen in Österreich bis heute (zur Bedeutung der 1. Novelle des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes von 2005).

Im Folgenden setzt sich K. Schwarz detailliert mit politischen und ethisch-philosophischen Diskursen zum Selbstbestimmungsrecht der Frau in Relation zum Schutz der ungeborenen Lebens auseinander. Sie beschreibt, wie der Fetus als unabhängiges Rechtssubjekt deklariert wird, in dessen Folge der Staat den Schutzauftrag übernimmt. Differenzierte Sichtweisen verschiedener AutorInnen auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau werden in ihrer Verbindung mit gesellschaftlichen Forderungen der Frauenbewegung insbesondere seit dem Ende der 60er Jahre betrachtet. Kritisch wird, ausgehend von verschiedenen Modellen zur Festlegung des Beginns menschlichen Lebens, das Recht des Embryos auf Leben analysiert. K. Schwarz betrachtet Aspekte des Grundrechts, der Menschenwürde und medizinethische Debatten.

In den Kapiteln VI bis VIII werden spezifische Fragestellungen im Kontext der Pränataldiagnostik herausgearbeitet. Einführend werden Ziele und Methoden der pränatalen Diagnostik sowie Entscheidungskonflikte von Frauen und Paaren und Beratungsbedarfe überblicksartig beleuchtet. Ein Exkurs ist auf eine konkrete Auseinandersetzung mit der Sichtweise auf Beeinträchtigungen, insbesondere anhand der Lebensoptionen und Fördermöglichkeiten von Betroffenen von Trisomie 21 und Spina bifida, gerichtet. Juristisch und ethisch aktuelle Fragestellungen von „wrongful birth“ werden anhand konkreter Verfahren und Urteile des Obersten Gerichtshofes analysiert.

Die abschließenden Kapitel stellen das Thema in den Zusammenhang internationaler Entwicklungen, insbesondere in der Europäischen Union und eines Ländervergleiches. In der zusammenfassenden Würdigung wird durch die Autorin nochmals die hochpolitische Bedeutung der Debatten herausgestellt, um letztlich mit einem ambitionierten Plädoyer für das Recht auf reproduktive Gesundheit, das auch das „Recht auf einen medizinisch bestmöglich durchgeführten Schwangerschaftsabbruch“ einschließt, zu enden.

Diskussion

In den letzten Jahren ist es relativ ruhig geworden in den fachlichen Debatten zum Schwangerschaftsabbruch. Es ist zu würdigen, dass K. Schwarz mit diesem Buch ein nach wie vor umstrittenes Thema wieder aufgreift und in den Kontext jüngerer gesellschaftlicher, medizinischer und vor allem rechtlicher Entwicklungen insbesondere Österreichs stellt. Viele Ähnlichkeiten zur Situation in Deutschland sind offenkundig. Auf sachliche Weise setzt sich die Autorin mit unterschiedlichen Standpunkten und Urteilsbegründungen auseinander, ohne ihre Haltung in dieser Frage zu verleugnen. Manche Darlegungen, insbesondere zu den pränataldiagnostischen Methoden, sind möglicherweise der Anlage der Arbeit als Magisterarbeit geschuldet und wären für interessierte LeserInnen verzichtbar, da eigentlich bekannt oder leicht aus anderen Quellen zu recherchieren. Schade ist, dass das ausgesprochen bedeutsame Buch von L. Boltanski zur „Soziologie der Abtreibung“ (vgl. die Rezension) keine Berücksichtigung gefunden hat.

Fazit

Obwohl das Buch den Fokus auf Österreich setzt, enthält es vielfältige Argumentationen, die von darüber hinausgehender Bedeutung sind. Es ist insbesondere für an juristischen Aspekten interessierte LeserInnen durchaus eine Empfehlung.

Rezension von
Prof. Dr. Ulrike Busch
Professorin für Familienplanung
Hochschule Merseburg (FH)
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Es gibt 2 Rezensionen von Ulrike Busch.

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ISSN 2190-9245