Monika Specht-Tomann: Biografiearbeit in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 31.12.2009

Monika Specht-Tomann: Biografiearbeit in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege. Springer (Berlin) 2009. 153 Seiten. ISBN 978-3-540-88778-2. 19,95 EUR. CH: 31,00 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-662-54392-4 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Entstehungshintergrund
Wer mehr über das Leben kranker Mitmenschen weiß, kann Hilfe gezielter anbieten. Diese biografieorientierte Sicht bietet Anknüpfungsmöglichkeiten für die Lebens- oder auch Krankengeschichte von Betroffenen. Und Hilfen können wirksam werden über lebensgeschichtliche Fragen und kreative Anregungen. Das Buch zeigt auf, dass mit biografischer Arbeit ein anregender Prozess eingeleitet werden kann für gesunde und kranke Menschen. Gleichwohl ist dies ein höchst individueller Prozess, der professionelle Aufmerksamkeit, profundes Fachwissen und sensible BegleiterInnen benötigt. Die damit verbundenen Herausforderungen richten sich vor allem an die begleitenden Berufsgruppen des Sozial- und Gesundheitswesens und der Seelsorge.
Autorin
Monika Specht-Tomann ist Psychologin, Physiotherapeutin und Autorin von Fach- und Sachtexten. Sie ist tätig in der Aus- und Fortbildung von Gesundheitsberufen.
Aufbau und Inhalt
Der Band enthält 4 Kapitel.
Das erste Kapitel Grundlegendes zur Biografiearbeit gibt eine Einführung in die Biografiearbeit. Nach einer Standortbestimmung zu Geschichten als Lebensbegleiter gibt Monika Specht-Tomann Einblicke in die Funktion und Wirkweise des biografischen Ansatzes.
Im zweiten Kapitel Die Bedeutung des biografischen Ansatzes in der Kranken- und Altenpflege liefert Monika Specht-Tomann eine Annäherung an die Ausnahmesituation Krankheit und beleuchtet zunächst psychosoziale Elemente des Alters- und Krankheitsprozesses. Weiterhin geht die Autorin ein auf situative Bedürfnisse und Gegebenheiten des Alters, sie bezieht dabei auch Institutionen wie Hospiz- und Palliativeinrichtungen in ihre Betrachtungen mit ein.
Mit dem dritten Kapitel Biografiearbeit in der Praxis: Grundlagen, Methoden und Praxisbeispiele widmet sich Monika Specht-Tomann den Grundhaltungen der BegleiterInnen und gibt zahlreiche praxisnahe Beispiele zur Anwendung von Biografiearbeit mit kranken, alten und/oder sterbenden Menschen.
Beispiele aus der Praxis der Biografiearbeit zeigt das vierte Kapitel anhand der Themen
- „Chronik meiner Erkrankung“,
- „Mein Leben, meine Wurzeln“
- „Meine Sprache - meine Welt“ und
- „Mein Leben - meine Ernte“.
Das Kapitel schließt ab mit Hinweisen zur Burnout-Prophylaxe bei Pflegekräften durch die Anwendung von Biografiearbeit.
Zielgruppe
Dieses Buch ist gedacht für Menschen, die sich für die Lebensgeschichten anderer interessieren und die nach einem systematischen Zugang hierfür suchen. Besonders eignet es sich für LeserInnen mit einschlägigen Vorkenntnissen in Gesprächsführung und beruflichem Interesse an Biografien, ist aber nicht darauf beschränkt. Der Band ermöglicht fachliche Anregungen und Anknüpfungspunkte für Pflege und Gesundheitswissenschaften, für Gerontologie und Geriatrie, für Sozialwissenschaften und für Theologie. Das Buch kann im Rahmen berufsbezogener Kompetenzentwicklung sowohl in Aus- als auch in Fort- und Weiterbildungen Anwendung finden. Es eignet sich auch für ein Schulungsprogramm mit Ehrenamtlichen.
Diskussion
Der Band enthält viele gute, lesenswerte Ansätze und einzelne verbesserungswürdige Elemente.
Grundsätzlich positiv hervorzuheben sind die zusammenfassenden Merksätze am Ende jedes Teil-Kapitels. Dies zeigt den roten Faden des Bandes immer wieder klar auf.
Besonders gelungen sind die Ausführungen in Kap. 3.1.1 zu den hilfreichen Grundhaltungen der BegleiterInnen. Hier nennt die Autorin konkrete Fragen zur persönlichen Überprüfung, die inhaltlich und didaktisch wertvoll sind.
Die Ausführungen zu Schmerz und Angst (S. 96-97), zu den Schattenseiten (S 97 ff.), die Beispiele für religiöse Texte sowie für autobiografische Orte in Kap. 3 sind beispielhaft anregend.
Im vierten Kapitel sind die Leitfragen, die Lebensgeschichten und die Hinweise zur Biografiearbeit als Burnout-Prophylaxe besonders lesenswert.
In einigen Bereichen ist das Buch verbesserungswürdig. So sind die Bezüge zum Phasenmodell nach Kübler-Ross (S. 31 ff. sowie S. 60 ff.) zwar zu würdigen, laufen jedoch in dieser etwas schematischen Darstellung Gefahr, missverstanden zu werden. Es fehlen Hinweise auf die Variabilität der Phasen sowie auf individuell unterschiedliche Reihenfolgen und Wiederholungen der Phasen (vgl. Spiralmodell nach Schuchardt 1984) beim Durchleben.
Der Exkurs zum Thema Alter in Kap. 2 (S. 41 ff.) sowie die gerontologisch orientierten Passagen (S. 48-59) sind notwendig, dürften aber kürzer und prägnanter sein.
Dem Teilkapitel „Das narrative Interview“ (S. 80) fehlen Forschungsbezüge, die genannten Fragen und Orientierungshilfen sind gut gelungen.
Der Band enthält an verschiedenen Stellen Fotos als Hinweise für die praktische Arbeit. Der Druck bildet die Fotos jedoch nur z.T. gut ab. Zeichnungen wie auf S. 96/97 oder S. 107 sind hierfür besser geeignet.
Fazit
Der Band ist vor allem für LeserInnen mit grundlegenden Vorkenntnissen interessant geschrieben und gut lesbar. Er gibt anregende Einblicke in die vielfältigen Facetten von Biografiearbeit anhand praxisbezogener Beispiele. Den guten Gesamteindruck noch verbessert hätten konkrete Hinweise zur Erstellung eines Konzeptes (z.B. Zeitbedarf, Ein- bzw. Ausschlusskriterien sowie Grenzen) sowie zu den Rahmenbedingungen (z.B. Räume, Finanzierung) die systematische Biografiearbeit in Institutionen ermöglichen.
Ungeachtet der o.g. Anmerkungen kann der Band als Lektüre für Biografiearbeit gern empfohlen werden.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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