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Erika Steinert, Almut Quittenbaum (Hrsg.): Häusliche Gewalt verhindern - innovative Wege!

Rezensiert von Prof. Dr. Hanne Schaffer, 21.01.2010

Cover Erika Steinert, Almut Quittenbaum (Hrsg.): Häusliche Gewalt verhindern - innovative Wege! ISBN 978-3-631-57266-5

Erika Steinert, Almut Quittenbaum (Hrsg.): Häusliche Gewalt verhindern - innovative Wege! Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2009. 94 Seiten. ISBN 978-3-631-57266-5.
Reihe: Görlitzer Beiträge zu regionalen Transformationsprozessen - Band 4.

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Entstehungshintergrund und Thema

Dieser Band dokumentiert eine vom Institut für Transformation, Wohnen und soziale Raumentwicklung (TRAWOS) der Hochschule Zittau/Görlitz im Jahr 2007 gemeinsam mit dem Verein für grenzüberschreitende Vernetzung Sozialer Arbeit (GÜSA) durchgeführte Tagung zum Thema häusliche Gewalt. Alle Beiträge der Autorinnen und Autoren werden außer in deutscher Sprache und auszugsweise synchron innerhalb der jeweiligen Textbeiträge auch in polnischer, zum Teil englischer und tschechischer Übersetzung präsentiert.

Thema

Im Zentrum der Beiträge steht eine Ist-Analyse: was ist seit Gründung der ersten Frauenhäuser vor rund 30 Jahren erreicht worden? Zwar wurde auf politischer Ebene ein Paradigmenwechsel erreicht und die Gewaltausübung gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung bekämpft, aber andererseits hat die Gewalt gegen Frauen eher zugenommen. Es stellt sich also auf der Handlungsebene eher die Frage, welche neuen und innovativen Wege zur nachhaltigen Eindämmung häuslicher Gewalt ergriffen werden können.

Aufbau

  1. Erika Steinert eröffnet den Band mit einem Überblick über 30 Jahre Frauenhausarbeit in Deutschland. Danach folgt ein Beitrag von Sabine Stövesand, die Community Work als neuen Präventionsansatz in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen vorstellt.
  2. Daran anschließt der Artikel von Hanjo Protze, einem Polizeioberrat an der Hochschule der Sächsischen Polizei zur häuslichen Gewalt in der deutschen Euroregion Neiße.
  3. Ewa Janion schildert Daten zur häuslichen Gewalt in Polen.
  4. Zdena Prokopova und Branislawa Vargova stellen Hilfeformen und innovative Projekte in der Tschechischen Republik vor.
  5. Andrea Stiebitz und Karina Gottschlich stellen die Arbeit an ihrer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt in Oberlausitz-Niederschlesien vor.
  6. Beatrice Hawelky widmet sich den aktuellen Hilfen für Opfer häuslicher Gewalt im Frauenhaus.
  7. Schließlich präsentiert Jana Walther die Ergebnisse die Arbeitsgruppenergebnisse auf der Tagung zum Thema Hilfenetzwerke zur Eindämmung häuslicher Gewalt.
  8. Almut Quittenbaums Beitrag mit den Ergebnissen der Podiumsdiskussion und aus den Fachforen rundet den Band ab.

1. 30 Jahre häuslicheGewalt! Viel erwartet – wie viel erreicht?

Erika Steinert beginnt ihren Beitrag mit einem Rückblick auf die Ausgangssituation der Frauenhausbewegung in Deutschland vor rund 30 Jahren. Sie streicht acht Punkte bei ihrer Bestandsaufnahme heraus:

  1. Häusliche Gewalt wurde erfolgreich öffentlich skandalisiert. Die Notwendigkeit der Arbeit in Frauenhäusern wird inzwischen gesellschaftlich anerkannt, wenn auch nicht finanziell überall gesichert.
  2. Sowohl Prävention als auch Nachsorge sind als wichtige Bausteine professioneller Arbeit anerkannt. Es reicht bei weitem nicht aus, Zufluchtsstellen für misshandelte Frauen zu schaffen, sondern die Betroffenen bedürfen vielfältiger Beratung und konkreter Hilfen in rechtlichen, finanziellen und psychosozialen Problemlagen.
  3. Ein Paradigmenwechsel in der Betrachtung häuslicher Gewalt wird durch das neue Gewaltschutzgesetz sowie durch eine breitflächige Installation von einschlägigen Präventions- und Nachsorgeeinrichtungen deutlich.
  4. Eine zunehmende Professionalisierung durch die Vernetzung einschlägiger Institutionen im Arbeitsbereich ist zu konstatieren.
  5. Zunehmend wird in den Frauenhäusern auch die Arbeit mit den von häuslicher Gewalt mit betroffenen Kindern in das Hilfsangebotsspektrum integriert.
  6. Durch regionale und kulturspezifische Analysen sind die Handlungsbedarfe besser einzuschätzen und die Betroffenen erhalten eine differenziertere und professionellere Unterstützung als jemals zuvor.
  7. Entgegen dieser im Grunde positiv zu beurteilenden professionellen Fortentwicklung hat die Nachfrage nach Hilfe und Unterstützung in den Frauenhäusern in den letzten Jahren eher zugenommen. Häusliche Gewalt geht in der Mehrzahl von den männlichen Partnern und Ehemännern aus und stellt weltweit die am meisten verbreitete Menschenrechtsverletzung dar. Am häufigsten betroffen ist die Altersgruppe der 21 bis 45jährigen Frauen, zumeist Mütter.
  8. Häusliche Gewalt – in all ihren Formen, also als körperliche oder sexuelle Gewalt hat verschiedene psychische und soziale Ursachen. In den Debatten der letzten Jahre werden auch vermehrt und gerade im internationalen Vergleich gesellschaftliche Faktoren dieser Gewalt diskutiert. Offensichtlich wird dabei der tiefgreifende Rollenwandel der Frauen als Hintergrund des Phänomens. Obwohl Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen gegenüber den Männern deutlich aufgeholt haben, bleibt es gesamtgesellschaftlich bei einer nach wie vor bestehenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zum Nachteil der Frauen. Solange, so die Autorin, die „Heime und Herde weitgehend männerfrei bleiben“ stelle sich auch keine Geschlechtergerechtigkeit ein.

Abschließend widmet sich Erika Steinert noch einem kurzen Ausblick. Für die künftige professionelle und politische Strategie hält sie es für unabdingbar, das Hilfe- und Kontrollszenario fortzuführen, die Prävention zu stärken und das Gemeinwesen stärker in die Verantwortung mit einzubeziehen. Grundsätzlich sollte dabei die Prävention schon viel früher beginnen als bisher (auch in Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen) damit ein gesellschaftliches Klima der Ächtung von Gewalt etabliert werden kann. Das bestehende Hilfenetz erreicht die Frauen bislang nur suboptimal. Den Einrichtungen im Gesundheitswesen sowie dem gesamten Gemeinwesen kommen dabei weitere Schlüsselrollen zu.

2. Community Work – Neue Wege in der Prävention von Beziehungsgewalt

Sabine Stövesand stellt gleich eingangs fest, dass Gewalt in Partnerschaften trotz jahrzehntelanger professionellen Engagements nach wie vor ein ungelöstes soziales Problem darstellt. Neben den bisherigen methodischen Angeboten, wie Einzel- und Gruppenarbeit, Beratungsstellen, Frauenhäusern und Täterprogrammen sowie vielen Fachkonferenzen sollen in diesem Beitrag nachbarschaftsbezogene Handlungsansätze, wie in den Metropolen Hamburg und Boston/USA bereits erprobt, vorgestellt werden.

Wie die im Jahr 2004 vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zur Gewalt im Nahraum veröffentlichte Repräsentativstudie belegt, sind nicht nur die Betroffenheitsraten im innereuropäischen Raum relativ hoch, sondern Partnergewalt kommt in allen sozialen Schichten vor und geht in der Regel vom männlichen Beziehungspartner aus. Wenig Aufmerksamkeit aber erhält dabei die Rolle der direkt oder indirekt beteiligten Dritten, also der Menschen im unmittelbaren Wohn- und Lebensumfeld der betroffenen Frauen und Kinder. Gerade an dieser Stelle existiert also nach wie vor eine Lücke, die unter dem Aspekt einer besseren Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes geschlossen werden müsste. Dazu müssten nachhaltige Unterstützungsstrukturen in der Nachbarschaft gezielt gefördert werden. Weil Beziehungsgewalt überwiegend zuhause stattfindet, hängt der Schutz bedrohter und betroffener Personen in nicht geringem Maße von der Reaktion oder Nicht-Reaktion der Nachbarschaft ab. Dies kann den Täter ermutigen oder entmutigen. Gleichzeitig sind Nachbarn und Nachbarinnen in Krisensituationen diejenigen, die am schnellsten intervenieren können. Es geht also um eine nachbarschaftsorientierte Mobilisierung sozialer Unterstützung und Kontrolle. Von hoher Relevanz dabei ist die Veröffentlichungsbereitschaft des Opfers und die Veränderungsbereitschaft des Täters: von ihren subjektiven Einsätzungen und Erfahrungen wird es abhängen, welche Reaktionen sie erwarten, Bagatellisierung und Abwehr oder Ernstgenommenwerden.

Exemplarisch für diese nachbarschaftsorientierte Interventionsarbeit wird ein Gemeinwesenprojekt in Hamburg, St. Pauli vorgestellt. Impuls zu diesem Projekt liefert der Fall einer mit ihren fünf Kindern ins Frauenhaus geflüchteten Frau, die dank einer solidarischen Nachbarschaft eine langwierige und gefährliche Trennungssituation innerhalb der eigenen Wohnung durchstand. Eine einschlägige Recherche fördert eine ähnliche Projektidee in Boston zutage. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, Befragungen und gezielte Angebote, die die Gewalt gegen Frauen thematisieren, gelingt es, eine nachbarschaftliche Frauengruppe zu etablieren, die sich den Namen Tarantula gibt. Anschließend und vergleichend wird das in Boston bereits bestehende und von Aimee Thompson begründete Projekt „Close to home“ vorgestellt. Als Hauptbarriere dieses Projekts erweist sich, die Nachbarinnen zu einem so tabubesetzten Thema wie häusliche Gewalt miteinander ins Gespräch zu bringen. In Form von sog. „kitchen table groups“ mittels einer themenzentrierten Gesprächsbegleitung treten die Frauen themenbezogen miteinander in Interaktion. Aus diesen Gruppen heraus konnten schließlich Frauen für gezielte Schulungen gewonnen werden und setzten als Aktivistinnen die Arbeit fort. Als besondere Technik wird in diesen Gruppen die Herstellung von Kurzfilmen genutzt, die durchaus auch nachbarschaftsübergreifend eingesetzt werden.

Als Elemente einer gelingenden Praxis nennt Stövesand abschließend folgende acht Punkte:

  1. Explizite Entscheidung eines Trägers, das Thema aufzugreifen und Ressourcen bereit zu stellen.
  2. Erforschung des Gemeinwesens und Aktivierung der Bewohner/innen
  3. Aufbau nachbarschaftlicher Aktionsgruppen
  4. Verbreiterung der Netzwerke, Öffentlichkeits- und Bewusstseinsarbeit
  5. Gezielte Vernetzung und Kooperationen auf Stadtteilebene
  6. Individuelle Beratungsangebote vermitteln
  7. Etablierung einer kontinuierlichen Organisationsarbeit
  8. Entwicklung politischer Bündnisse und Forderungen

Als kritische Punkte dieser gemeinwesenorientierten Arbeit merkt Stövesand letztlich an, dass und auf welche Weise soziale Kontrolle ausgeübt werden soll, die potentiell mögliche Instrumentalisierung dieses Vorgehens und als mögliche politische Folge der Abbau staatlicher Förderung, etwa der Frauenhausarbeit.

3. Ist-Stand häuslicher Gewalt in der deutschen Euroregion Neiße – aus polizeilicher Sicht

Hanjo Protze als inzwischen lehrender Polizist mit jahrzehntelanger praktischer Einsatzerfahrung weist gleich eingangs seines Beitrags darauf hin, dass die Polizei häufig erstes Glied der Interventionskette in einer Akutsituation sei. Umso bedeutsamer sind deshalb Handlungssicherheit, Konsequenz und Vernetzungsbereitschaft. Er sieht die beginnenden Probleme professioneller Arbeit bereits bei der Definition des Begriffs „häusliche Gewalt“. Strafrechtlich betrachtet stellt sich häusliche Gewalt als eine Vielzahl unterschiedlicher Straftatbestände dar, die von Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und Nötigung, Freiheitsberaubung und Erpressung über Sexualstraftaten bis hin zu versuchten und auch vollendeten Tötungsdelikten reichen können. Die sächsische Polizei geht realistischer Weise von einer hohen Dunkelziffer aus, da die Anzeigebereitschaft in diesem Bereich aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise unterschiedlicher Abhängigkeiten vom Täter, nicht sehr ausgeprägt ist. Trotzdem wird im Jahr 2006 ein über zehnprozentiger Anstieg der Anzeigen verzeichnet. Nach Protzes Meinung liegen die Gründe hierfür in einer durch professionelle Arbeit erzielten, erhöhten Sensibilisierung der öffentlichen Wahrnehmung des Problems. 80 % der Opfer in Sachsen waren weiblichen Geschlechts, jedoch wurden im Jahr 2006 auch 306 Männer als Opfer registriert. In diesem Zusammenhang weist der Autor auch auf besondere Grausamkeiten in Einzelfällen und heftige Gewaltexzesse hin. Die referierten Zahlen bestätigen überdies die Vermutung, dass häusliche Gewalt im ländlichen und nachbarschaftlich stärker kontrollierten Raum weniger häufig vorkommt als in städtischen Ballungsgebieten. Da die Polizei häufig als Erstkontakt sowohl zu Täter als auch Opfer in Erscheinung tritt, ist ihre Verantwortung für eine wirksame und anhaltende Beendigung der Gewalt, die Sanktionierung derselben und die Weiterverweisung an geeignete professionelle Stellen besonders hoch zu veranschlagen. Umso wichtiger ist also auch die Verankerung der Thematik bereits während der Ausbildung, aber auch als obligatorischer Baustein bei Weiterbildungen. Im Bemühen um weitere Professionalisierung hat die Polizei Opferschutzbeauftragte an allen Polizeidirektionen benannt, auch wenn die polizeiliche Praxis bis heute zeigt, dass es noch Defizite bei der Ausschöpfung des Beratungsspektrums gibt. Die Zusammenarbeit und die kontinuierlichen Schulungen der Polizei durch Personal aus den Frauenhäusern beurteilt Protze als weiterhin notwendig und überaus positiv.

4. Häusliche Gewalt in Polen

Ewa Janion beginnt ihren Beitrag mit der Feststellung, dass häusliche Gewalt in Polen die häufigste Straftat darstellt. Seit einigen Jahren wurden verschiedene Maßnahmen eingeführt, die den Opfern Schutz und Hilfe garantieren sollen. Neben den verschiedenen Sozialdiensten, die in diese Arbeit einbezogen sind, hebt sie die Bedeutung der Nichtregierungsorganisationen hervor.

Anschließend wird der Versuch unternommen, häusliche Gewalt zu definieren. Neben den rechtlichen, psychologischen und sozialen Aspekten häuslicher Gewalt verweist sie auch auf einen moralischen Aspekt der Tat. Die Gewaltausübung ist demnach vor allem die Machtausübung eines Stärkeren gegenüber einem Schwächeren und gerade dieser Aspekt soll im Gewissen des Täters als auch bei den Zeugen außerhalb als besonders verdammungswürdig erscheinen und zur Opferhilfe veranlassen.

Die Datenlage ist in Polen relativ ungesichert. Es existieren lediglich die Einsatzzahlen der Polizei, die nicht immer nach Deliktarten differenzieren. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die meisten Opfer häuslicher Gewalt Frauen (56,4%) und Kinder (36,5 %) sind.

Wie dies auch bereits bezogen auf westliche Länder festgestellt wurde, schützen folgende Mythen und stereotype Aussagen zur Familie die Täter:

  • häusliche Gewalt ist eine Privatsache und niemand von außen soll sich einmischen
  • häusliche Gewalt wird vor allem in sozial schwachen Familien verübt
  • wenn jemand geschlagen wird, hat er/sie es verdient
  • wenn er schlägt, heißt das, dass er sie noch liebt
  • besser einen Mann der schlägt, als keinen Mann haben
  • das Kind gehört mir und ich kann mit ihm machen, was ich will
  • die Polizei soll sich nicht in Familienprobleme einmischen
  • die Opfer häuslicher Gewalt akzeptieren ihre Situation
  • die Ursache häuslicher Gewalt ist Alkohol
  • es gibt keine Vergewaltigung in der Ehe

Anschließend an diese Mythen wird der strafrechtliche Rahmen bei familiärer Gewalt erläutert. Seit 2005 existiert ein Gesetz zur Zurückdrängung der Familiengewalt. Es ermöglicht dem Gericht, statt den Täter vorläufig zu verhaften, Polizeiaufsicht anzuordnen, unter der Bedingung, dass der Täter die Wohnung verlässt. Allerdings kann dies nur als vorübergehende Lösung erachtet werden. Denn in dem Fall, dass der Täter Eigentümer der Wohnung ist, kann er diese während seiner Wegweisung die Wohnung verkaufen und die Frau zum Auszug zwingen.

Bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt sind in Polen vor allem die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Gemeinde, die Sozialhilfestellen, das Gesundheitswesen und die Nichtregierungsorganisationen beteiligt. Die Gemeinden sind verpflichtet, besonders auf alkoholbelastete Familien zu achten. Beratungsangebote und Zufluchtstellen werden vor allem von den Nichtregierungsorganisationen bereit gestellt. Staatlicherseits wurde seit 1994 die Prozedur der „Blauen Karte“ eingeführt. Die Initiative soll dazu beitragen, dass die verschiedenen Programme und Institutionen zur Eindämmung der familialen Gewalt besser vernetzt werden.

Abschließend bewertet Ewa Janion die bisherigen Interventionsbemühungen als unzureichend. Die gerichtlichen Urteile gegen die Täter fallen oft zu milde aus bzw. münden in einer Bewährungsstrafe. Dies zwingt die Opfer meist, mit dem Täter weiterhin unter einem Dach zu leben. Außerdem fehlen besonders die Zufluchtsmöglichkeiten. Innovative Wege zur Eindämmung häuslicher Gewalt stehen in Polen erst am Anfang.

5. Hilfeformen und innovative Projekte in der Tschechischen Republik

Zdena Prokopova und Branislava Marvonaova Vargova liefern in ihrem Beitrag nur ein kurzes Statement zur aktuellen Situation in Tschechien. Den Autorinnen zufolge hat häusliche Gewalt in Tschechien bis vor kurzem noch als rein privates Problem gegolten und erst durch den großen Einsatz von Nichtregierungsorganisationen – federführend darunter ROSA e.V. - konnte eine markante Änderung, auch gesetzlicher Art erreicht werden. Erst seit 2004 gilt häusliche Gewalt als Straftat und seit 2006 kann der Täter für zehn Tage der häuslichen Wohnung verwiesen werden. Nach wie vor fehlen allerdings ein Nationaler Aktionsplan gegen häusliche Gewalt, ein Stalking-Gesetz, Maßnahmen für Kinder, die mit betroffen sind und eine kostenlose Notrufnummer für Opfer häuslicher Gewalt.

6. Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt Oberlausitz-Niederschlesien

Nach Andrea Stiebitz und Karina Gottschlich stellen die seit 2002 geschaffenen Interventionsstellen eine wichtige Ergänzung bei der Beratung von weiblichen wie männlichen Opfern häuslicher Gewalt dar, da sie auch wichtige Kooperations-, Vernetzungs- und Fortbildungsarbeit leisten. Diese Interventionsstellen sind nicht wie die bisherigen einschlägigen Angebote auf eine reine „Komm-Struktur“ ausgerichtet, sondern nehmen von sich aus und möglichst unmittelbar nach einem Polizeieinsatz Kontakt zu den Betroffenen auf. Dieses pro-aktive Vorgehen entlastet also die Opfer von der Barriere der ersten Kontaktaufnahme. Eine möglichst zeitnahe Beratung von Opfern häuslicher Gewalt nach der Wegweisung des Täters bzw. der Täterin ist deshalb dringend geboten, weil sonst die zivilrechtlichen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft werden können. Interventionsstellen nehmen eine Art Lotsenfunktion ein, sie sind Schnittstelle zwischen Polizei und Justiz und bauen Brücken zwischen Beratungs- und Hilfeeinrichtungen. Nach dieser allgemeinen Vorstellung von Aufgabe und Funktion der Interventionsstelle wird der konkrete Interventionsverlauf sowie die Kooperations- und Vernetzungsarbeit an der Interventionsstelle in Oberlausitz-Oberschlesien geschildert. Bei der Durchführung von Fortbildungen liegt der Schwerpunkt bei den Berufsgruppen Polizei, Ärzte und Sozialarbeiter/innen.

7. Hilfen für Opfer häuslicher Gewalt im Frauenhaus

In dem Beitrag von Beatrice Hawelky geht es zunächst um die finanziell prekäre Situation der Frauen(schutz)häuser in Deutschland. Einige sind von Schließung bedroht oder sogar bereits geschlossen worden, in anderen Häusern werden die Stellen des psychologischen Fachdienstes gestrichen. Und dies obwohl der Bedarf mit über 40.000 Schutz suchenden Frauen pro Jahr ungebrochen hoch ist. Danach wird speziell die Situation im Görlitzer Frauenhaus geschildert. Neben den üblichen Beratungsangeboten für die Frauen werden im „Domizil“ auch die Kinder in die sozialpädagogische Arbeit mit einbezogen. Darüber hinaus wird Vernetzungsarbeit mit den kirchlichen, kommunalen und freien Fach- und Beratungsdiensten gepflegt. Hawelkys Beitrag endet mit dem Appell, die Finanzierung von Frauenschutzeinrichtungen zur staatlichen Pflichtaufgabe zu erheben. Durch eine immer wieder gefährdete Basisfinanzierung können weder die anstehende und dringend notwendige Vernetzungsarbeit fortgesetzt, noch neue innovative Konzepte entwickelt werden.

8. Ein Hilfenetzwerk zur Eindämmung häuslicher Gewalt – die Arbeit der AG 4

Jana Walter stellt in ihrem Beitrag die Arbeit einer vom Präventionsrat der Stadt Görlitz installierten Arbeitsgruppe vor. Anliegen dieser Arbeitsgruppe sind Vernetzung, Informationsaustausch und Optimierung der Interventionen bei häuslicher Gewalt. Ein Schwerpunkt ist die Organisation von Informationsveranstaltungen zum Gewaltschutzgesetz. Daneben werden Veranstaltungen und Informationsbroschüren zu verschiedenen Themen erarbeitet, z.B. zu sexuellem Missbrauch, zu Sucht und häuslicher Gewalt etc. Darüber hinaus wurde ein Sozialtraining für gewaltbereite Männer fachlich begleitet. Inzwischen ist die Gründung einer eigenen Interventionsstelle in Görlitz geplant.

9. Ergebnisse der Podiumsdiskussion und der Fachforen

Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion diskutierten die Entwicklungsperspektiven zur Verhinderung häuslicher Gewalt in der Euroregion Neiße. Almut Quittenbaum fasst dazu die wesentlichen Ergebnisse und Forderungen zusammen. Übereinstimmend kommen die Teilnehmerinnen aus Deutschland, Tschechien und Polen zu der Einschätzung, dass gelungene Gewaltprävention auf einer breiten bürgerschaftlichen Ebene stehen muss, die durch informelles und ehrenamtliches Engagement gekennzeichnet ist. Bürger/innen sollen durch Aufklärung, Schulung und Weiterbildung zunehmend in die Präventionsarbeit eingebunden werden. Noch herrscht bei den eingreifenden Organen nicht ausreichend Rechtssicherheit zur Ausübung ihrer Schutzaufgaben. In den Fachforen zu Good-practice-Ansätzen in der Gewaltprävention, zu gemeinwesenorientierten Ansätzen und zur grenzüberschreitenden Netzwerkkommunikation werden darüber hinaus noch verschiedene und spezifischere Forderungen erarbeitet. Bezüglich der Good-practice-Ansätze wird die Gründung eines Kompetenz- und Kommunikationszentrums angeregt, welches einzelne Projekte vernetzt und den Austausch ermöglicht. Gemeinwesenarbeit muss „von unten“ initiiert und „von oben“ gewollt und finanziert werden. Regionale Ansätze wurden anhand von konkreten Projekten, wie etwa dem Mehrgenerationenhaus in Görlitz diskutiert. Die grenzüberschreitende Netzwerkkommunikation benötigt weiterhin vor allem Dolmetscherdienste und gezielte Schulungen von Mitarbeiterinnen. Die Herausgabe eines fachspezifischen deutsch-polnisch-tschechischen Wörterbuches mit gezielten Redewendungen und Fachbegriffen wird angeregt.

10. Ergebnisse der Evaluationsstudie

Im letzten Beitrag des Bandes werden noch die Ergebnisse der Tagungsevaluation von Almut Quittenbaum präsentiert, die überaus positiv ausfällt. 2/3 der Teilnehmenden kommen aus Deutschland, die übrigen aus Polen und Tschechien, die überwiegend dem Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit zuzuordnen sind. Die Veranstaltung zeigt einen hohen Bedarf an Wissenszuwachs zu den verschiedenen Facetten häuslicher Gewalt und zu den Möglichkeiten ihrer Eindämmung und Prävention.

Diskussion

Der Band ist eine Tagungsdokumentation und als solche für allgemein am Thema Interessierte nur eingeschränkt nutzbar, denn zu exemplarisch und zu spezifisch ist das Fachwissen, das hier vermittelt wird. Die beste Ist-Analyse und den besten Überblick über das Thema „Häusliche Gewalt“ liefert der Beitrag von Erika Steinert. Die Vorstellung, was gemeinwesenorientierte Prävention bei häuslicher Gewalt bedeuten kann entwickelt am klarsten Sabine Stövesand. Die Beiträge aus Polen und Tschechien sind für all jene Praktikerinnen von Interesse, die gerne anhand eines Blicks über den Grenzzaun die eigene Arbeit bzw. den Stand der deutschen Sozialen Arbeit in diesem Arbeitsfeld einschätzen möchten. Anregend für Praktikerinnen sind sicher die vielen Praxisbeispiele und Erfahrungen der Kolleginnen im In- und Ausland.

Fazit

Das Buch ist sicher lesenswert für alle Praktikerinnen, die sich vor allem über den Stand der Sozialen Arbeit im Bereich „häusliche Gewalt gegen Frauen“ und zu neuen Projekten der Gewaltprävention unter dem Aspekt eines regionalen Netzwerkansatzes informieren wollen. Für Studierende und allgemein am Thema interessierte Leser/innen ist der Band zu selektiv und vom Fachwissen her zu voraussetzungsreich angelegt.

Rezension von
Prof. Dr. Hanne Schaffer
Diplom-Soziologin, Dr. rer soc, Professorin für Soziologie in der Sozialen Arbeit an der Kath. Stiftungsfachhochschule München
Arbeitsschwerpunkte: Gender, Empirische Sozialforschung, Gewalt gegen Kinder.
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Es gibt 8 Rezensionen von Hanne Schaffer.

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ISSN 2190-9245