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Detlef Pech (Hrsg.): Jungen und Jungenarbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 06.08.2010

Cover Detlef Pech (Hrsg.): Jungen und Jungenarbeit ISBN 978-3-8340-0591-5

Detlef Pech (Hrsg.): Jungen und Jungenarbeit. Eine Bestandsaufnahme des Forschungs- und Diskussionsstandes. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2009. 267 Seiten. ISBN 978-3-8340-0591-5. 19,80 EUR. CH: 34,60 sFr.

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Thema

Der Band thematisiert verschiedene Arbeitsfelder rundum die Themen „Jungen“ und „Jungenarbeit“.

Herausgeber

Detlef Pech (Jahrgang 1970) hat Pädagogik und Sozialwissenschaften studiert. Er ist Professor für Grundschulpädagogik/Sachunterricht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind: Perspektiven von Kindern auf Gesellschaft, Thematisierung von Holocaust/Nationalsozialismus in der Arbeit mit Kindern sowie Jungen und Jungenarbeit.

Entstehungshintergrund

Der genaue Entstehungshintergrund des Bandes wird nicht deutlich. Allgemein schreibt Detlef Pech in der Einleitung, dass der Band bei in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten zu den Themen „Perspektiven von Jungen auf ihren eigenen Alltag, ihre(n) Lebensentwürfen(n)“ ansetzt (S. 6). Aber es fällt keine Aussage darüber, warum/aus welchem Anlass es zu diesem Band gekommen ist. Auch informiert Pech nicht, warum und wie welche AutorInnen für die Veröffentlichung angesprochen wurden.

Aufbau und Inhalt

Der Band ist aufgegliedert in kleinere Blocks mit jeweils zwei bis drei Artikeln.

Der erste Artikel im ersten Block („Jungenarbeit und Konzeptionen der Geschlechterarbeit und Pädagogik“) von Michael Cremers und Mart Busche beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie die Verschränkung von sozialen Ungleichheitskategorien wie Klasse und Geschlecht („intersektionale Perspektive“) als Ansatzpunkt für die praktische Arbeit mit Jungen gelingen kann. Der nächste Artikel (von Astrid Kaiser) thematisiert Jungenarbeit in der Schule.

Tim Rohrmann untersucht in einem ersten Artikel des nächsten Blocks („Jungenarbeit und pädagogische Institutionen“) die Jungenarbeit in Kindergärten und Kindertagesstätten. Er stellt – vor dem Hintergrund der Bedeutung der frühen Kindheit für die männliche Sozialisation – eklatante Mängel, „blinde Flecken und Widerstände“ (S. 55) in der pädagogischen Praxis fest. Detlef Pech verweist in seinem Beitrag u.a. darauf, dass schulischer Regelunterricht und Jungenarbeit in Konflikt stehen: „Wenn Jungenarbeit tatsächlich auf Persönlichkeitsentwicklung und nicht auf die Herstellung öffentlicher Interessen zielt, sehe ich erhebliche Konfliktlinien mit der Institution Schule“ (S. 76). Benedikt Sturzenhecker adressiert im letzten Beitrag dieses Blocks Potentiale, die Kinder- und Jugendhilfe für die Jungenarbeit bietet.

Der dritte Block umfasst zwei Artikel zum Thema „Professionelle Akteure der Jungenarbeit“. Der Beitrag von Uli Boldt mit dem zweideutigen Titel „Männerarmut in Schulen – (k)ein Problem für die Jungen?“ hinterfragt die in der Jungenarbeit etablierte Prämisse, wonach Jungenarbeit von Männern gemacht werden soll. Leider enthält dieser Beitrag ein unvollständiges und grafisch schlecht umgesetztes Diagramm, welches den Betrachter mehr verwirrt als informiert (vgl. S. 105). Im folgenden Beitrag denkt Corinna Voigt-Kehlenbeck über „Gender-Crossing“ – also über die „gegengeschlechtlliche“ Arbeit - nach. Ihre Ausgangsfrage ist, was männliche bzw. weibliche Fachkräfte bedenken sollten, wenn sie mit dem jeweils eigenen bzw. dem anderen Geschlecht arbeiten (S. 119ff).

In Block vier wird in zwei Beiträgen thematisiert, welche Bedeutung der Alltag von Jungen für Jungenarbeit haben kann. Nach Ansicht von Stephan Höyng muss erstens „zunehmend vorbildhafte praktische Arbeit ins Blickfeld gerückt werden, zweitens muss eine Analyse der sich schnell verändernden wirtschaftlichen und sozialen Situation der Jungen stattfinden und drittens müssen die Ziele und Ansätze der Hilfsangebote jeweils an der spezifischen Lebenslage der Jungen ausgerichtet werden“ (S. 143), damit Pädagogen angemessene Konzepte für die Jungenarbeit entwickeln können. Jürgen Budde unterzieht die Feststellung, dass Jungen „die Bildungsverlierer“ seien, einer differenzierten Analyse. Hierzu beschäftigt er sich mit dem „schulischen Alltag als Herstellungsort von sozialen Positionierungen und Männlichkeitspraktiken“ (S. 156).

Im nächsten Block geht es um Sinnbildungsprozesse von Jungen am Beispiel des „Konsums“ von Gangsta Rap (Michael Herschelmann) und um Bildungsbenachteiligungen von Jungen aus einer menschenrechtsbasierten Perspektive (Mona Motakef).

Zwei Artikel im letzten Block stellen Ergebnisse aus internationalen Forschungen zur Jungenarbeit vor (Ruth Michalek und Thomas Fuhr) bzw. erstellen einen Überblick zum aktuellen Stand der Jungenforschung auf Basis einer ExpertInnenbefragung (Corinna Voigt-Kehlenbeck).

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Beitrag aller Beteiligten des Bandes. Jede/r VerfasserIn konnte hier ein aus seiner/ihrer Sicht wichtiges Thema auf ein bis zwei Seiten bearbeiten. Interessant dabei ist, dass Detlef Pech als Herausgeber begannen, und der sich immer weiter komplettierende Beitrag von einem Verfasser/einer Verfasserin zum/zur Nächsten weitergereicht wurde. Die Überschrift des Beitrags war vorgegeben. Sie lautet: „Eine Didaktik der Jungenarbeit?“

Diskussion

In diesem Band werden eine Reihe von Fragen adressiert. Gefragt wird z.B. nach den Annahmen, die geschlechtsbezogener Arbeit in der Jungenarbeit zugrunde liegen, nach der Tragfähigkeit etablierter Postulate der Jungenarbeit und nach den Befunden der internationalen Forschung zur Jungenarbeit. Ich würde nicht so weit gehen wie die Mitautorin Astrid Kaiser, die davon ausgeht, dass dieses Buch den „gegenwärtigen Forschungs- und Entwicklungsstand von Jungenpädagogik und Jungenarbeit“ aufzeigt (S. 245). Dazu ist es mir zu beliebig bzw. zu unsystematisch. In einer anderen Einschätzung stimme ich Astrid Kaiser hingegen zu. Die einzelnen Beiträge zusammenfassend schreibt sie: „Die einen argumentieren konstruktivistisch, die anderen organisationstheoretisch, die dritten didaktisch. Durch diese unterschiedlichen theoretischen Bezugssysteme fehlen die Verständigung und das Potential zur diskursiven gemeinsamen theoretischen Weiterentwicklung“ (ebd.).

Ich hätte mir gewünscht, dass der Herausgeber seinen AutorInnen eine konkretere Vorgabe gemacht hätte. Dann hätte das Buch eine „Klammer“ gehabt bzw. einen „roten Faden“. Auch die von Corinna Voigt-Kehlenbeck im abschließenden Teil formulierten Fragen hätten bei der Strukturierung des Arbeitsfeldes für das Buch weitergeholfen. Frau Voigt-Kehlenbeck unterteilt in genderbezogene Aufgaben für die entsprechenden Fachkräfte in der Sozialen Arbeit und in der Schule. In der Schule dominieren Fragen nach der Organisation von Lernprozessen und in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik ist die Lebenswelt der Jungen zentral (S. 256). Diese Unterscheidung wäre m.E. eine geeignete Grundlage für die Strukturierung des Bandes gewesen.

Besonders positiv aufgefallen sind mir die Beiträge von Benedikt Sturzenhecker, der die Jungenarbeit in der Kinder- und Jugendarbeit beschreibt und dem es, neben seinem wissenschaftlichen Beitrag als einzigem der VerfasserInnen (sic) wichtig ist, auf das große Engagement der Jungen hinzuweisen und auf die Qualität der Kontakte mit Jungen („Ich schwör!“; S. 97). Positiv kamen bei mir auch die Beiträge von Stephan Höyng und Jürgen Budde an, die sich beide durch eine praxisnahe Vorgehensweise auszeichnen. Hervorzuheben ist sicherlich auch der Artikel von Michael Herschelmann, in dem das „Lebensfeld“ (Gangsta) Rap und die Bedeutungen, die Jugendliche diesem zuschreiben, thematisiert und analysiert wird.

Fazit

Ein Buch mit leider nur geringem Erkenntniswert. Einiges wiederholt sich, weil die einzelnen Themen der VerfasserInnen sich überschneiden. Anderes „beisst“ sich, weil die inhaltlichen Aussagen der Beiträge einander widersprechen. So argumentieren Cremers/Busche für eine „intersektionale Perspektive“, während Kaiser direkt im Anschluss ausgiebig und alleinig auf die Situation von Jungen eingeht. Eindeutige strukturelle Vorgaben für die VerfasserInnen und deutliche theoretische, inhaltliche und methodische Abgrenzungen zwischen den einzelnen Themen hätten dem Buch gut getan. In der vorliegenden Form hat es den Untertitel „Eine Bestandsaufnahme des Forschungs- und Diskussionsstandes“ nicht verdient.

Einzelne Beiträge (s.o.) sind sehr interessant.

Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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Es gibt 55 Rezensionen von Joachim Thönnessen.

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Zitiervorschlag
Joachim Thönnessen. Rezension vom 06.08.2010 zu: Detlef Pech (Hrsg.): Jungen und Jungenarbeit. Eine Bestandsaufnahme des Forschungs- und Diskussionsstandes. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2009. ISBN 978-3-8340-0591-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8519.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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