Christian Dornbusch, Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien
Rezensiert von Prof. Dr. Hubert Minkenberg, 30.06.2003

Christian Dornbusch, Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien. Unrast Verlag (Münster) 2002. 544 Seiten. ISBN 978-3-89771-808-1. 24,00 EUR.
Das Thema
Mit diesem Buch liegt eine erste wirklich umfassende Veröffentlichung zum Thema Rechtsrock vor. Ein Thema, dem in der sozialen Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen in den letzten Jahren leider zunehmende Bedeutung zugekommen ist. Spätestens seit den Anschlägen von Hoyerswerda und Solingen ist auch in der breiteren Öffentlichkeit der Zusammenhang zwischen rechtsradikalen Gewalttaten und der diese verherrlichenden Musik diskutiert worden. Leider ist diese Diskussion geprägt von Unkenntnis, Halbwahrheiten und Verallgemeinerungen. Höchste Zeit also, dass eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens Rechtsrock veröffentlicht wird.
Die Herausgeber
Christian Dornbusch ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus im Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus an der FH Düsseldorf und seit mehreren Jahren tätig in der außerschulischen politischen Jugendbildung. Er ist Autor zahlreicher Buchbeiträge und Artikel zu Thema Neonazismus.
Jan Raabe ist Dipl. Sozialpädagoge und in der Jugendarbeit tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel rund um das Thema extreme Rechte.
An dem Buch sind weitere 22 Autorinnen und Autoren beteiligt, die sich zu Einzelaspekten rechtsradikaler Musik äußern.
Aufbau und Inhalt
Das Buch besteht aus 22 Einzelbeiträgen und gliedert sich in drei große Teile:
Im ersten Teil wird eine umfassende Bestandsaufnahme der Rechtsrockszene vorgenommen.
Im zweiten Teil werden Gegenstrategien vorgestellt.
Der dritte Teil besteht aus einer Sammlung von Verzeichnissen und Registern zum Thema
Im ersten Beitrag liefern die beiden Herausgeber einen ausführlich recherchierten historischen Rückblick auf 20 Jahre Rechtsrockszene, die eine regelrechte Hausse nach der deutschen Wiedervereinigung und ihren absoluten Boom in den Jahren 1997 und 1998 erlebte.
Es folgt eine Chronologie rechtsradikaler Gewalttaten in den Septembermonaten 1999 und 2000 (Michael Weiss), die in erschreckender Weise deutlich macht, wie allgegenwärtig rechte Gewalt geworden ist und wie ohnmächtig der Staat reagiert.
Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit der Ideologie rechter Songtexte (Henning Flad). Hier wird der Zusammenhang zwischen der NSDAP Ideologie und der Ideologie des Rechtsrock an zahlreichen Beispielen nachgewiesen. Hauptinhalte der Rechtsrocktexte sind darüber hinaus Liebe, Deutschland und Alkohol. Idolisiert werden immer wieder Rudolf Hess, Adolf Hitler und die Wehrmacht, denen als ewige Feinde Ausländer und Juden gegenüber gestellt werden.
Die musikalischen Idiome des Rechtsrock sind Gegenstand eines weiteren Beitrags (Georg Seeßlen), wobei der Autor betont, dass es zunächst keinen Unterschied zwischen links- und rechtsgefärbter Musik gab. Liane M. Dubowy stellt die riesige Menge von Rechtsrock-Fanzines vor, die ein wesentliches Kommunikationsmedium der Szene darstellen.
Ein weiteres Kapitel ist der Verbreitung von Rechtsrock im Internet gewidmet.(Uwe Seher, Andreas Speit) Der Cyberspace hat sich mittlerweile zum wichtigsten Distributionssystem der Rechtsrockszene entwickelt. Kontrolle ist hier so gut wie aussichtslos, da die Websites nach Verbot im Ausland weiter betrieben werden.
Im aktuellen Diskurs über zunehmende Gewalt bei Mädchen und Frauen kommt dem Beitrag über Frauen(bilder) in rechten Subkulturen besondere Bedeutung zu. (Kirsten Döhring, Renate Feldmann) Das Portrait von vier Frauenbands der rechten Musikszene illustriert den eigenartigen Spagat zwischen Emanzipation und Mutterkreuzideologie.
Wie sich Rechtsrock in der mecklenburgischen und niedersächsischen Provinz entwickelt und ausdehnt beschreibt Heike Kleffner. Nick Lowles analysiert schließlich die internationalen Verknüpfungen der rechten Musikszene.
Der zweite Block des Buches besteht aus weiteren zahlreichen Einzelbeiträgen zum Thema Gegenstrategien. Grundtenor ist hier, dass der von Schröder beschworene Aufstand der Anständigen völlig ins Leere lief, da Widerstand nur dann Sinn macht, wenn er gesamtgesellschaftlich verankert und getragen ist. Als von den Autoren angeführte Gegenstrategien seien hier genannt: Unterstützung von Jugendinitiativen gegen Rechts, Förderung lebendiger Kulturlandschaften in der Provinz, Bildung und Ausbildung und natürlich die Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse vor allem der Jugendlichen in den neuen Bundesländern, Beseitigung der Arbeitslosigkeit.
Sehr informativ sind die beiden Berichte aus der Praxis von Projekten und Netzwerken gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus (Heinz Lynen von Berg, David Begrich) . Grundtendenz hier ist die Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien und die Verbesserung der diskursiven Auseinandersetzung. Die Problematik der akzeptierenden Sozialarbeit besonders im Arbeitsfeld Rechtsradikalismus ist Thema des Beitrags von Andreas Buderus.
Im dritten Teil des Buches finden wir ein wirklich umfangreiches Glossar zum Thema Rechtsrock, ein nahezu vollständiges Verzeichnis von Rechtsrock-Bands, Rechtsrock- Labels und Rechtsrock-Fanzines und schließlich ein Verzeichnis von Adressen gegen Rassismus und Rechtsextremismus.
Eine ausführliche Auswahlbibliographie beschließt diesen "Service"Teil des Buchs.
Zielgruppe
Diese Veröffentlichung richtet sich umfassend an alle Menschen, die beruflich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun haben: SozialarbeiterInnen, SozialapädagogInnen, LehrerInnen aller Schulformen, HochschullehrerInnen, Mitarbeiter von Erziehungsberatungsstellen etc. Darüber hinaus natürlich an an alle anderen Berufsgruppen, für die Rechtsrock ein Thema sein kann/sollte: Journalisten, Politiker, Wissenschaftler.
Fazit
In diesem Buch wurde eine bisher nicht gekannte, unglaubliche Fülle von Daten und Materialien zum Thema Rechtsrock zusammen getragen und hervorragend dokumentiert. Mit seinem praxisbezogenen dritten Teil hat das Buch Handbuchcharakter und gehört in jede Einrichtung, in der mit Jugendlichen gearbeitet wird. Es stellt einen wesentlichen Baustein in der Rechtsextremismusforschung dar und setzt im Bezug auf die Qualität der Recherche Maßstäbe.
Eher störend wirkt in manchen Beiträgen der anscheinend von der kritischen Theorie angeregte übertheoretisierende sprachliche Duktus.
Erwähnenswert bleibt allerdings, dass sich unter den 24 Autoren zum Thema Rechtsrock kein einziger Musikwissenschaftler befindet und insofern die gesamte musiksoziologische, musiktheoretische und musikhistorische Dimension gar nicht oder verkürzt vorkommt. Nur deshalb ist es noch gerade eben verzeihlich, wenn die Autoren Richard Wagner als unmittelbaren Vorläufer des Rechtsrock darstellen.
Dennoch ist dieses Buch ein Muss für jeden Musikinteressierten.
Rezension von
Prof. Dr. Hubert Minkenberg
Professor für Medienpädagogik/Musikpädagogik
Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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Es gibt 31 Rezensionen von Hubert Minkenberg.
Zitiervorschlag
Hubert Minkenberg. Rezension vom 30.06.2003 zu:
Christian Dornbusch, Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien. Unrast Verlag
(Münster) 2002.
ISBN 978-3-89771-808-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/858.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.
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