Falko von Ameln, Josef Kramer et al.: Organisationsberatung beobachtet
Rezensiert von Prof. Dr. Marianne Meinhold, 15.12.2009

Falko von Ameln, Josef Kramer, Heike Stark: Organisationsberatung beobachtet. Hidden Agendas und blinde Flecke. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2009. 344 Seiten. ISBN 978-3-531-15893-8. 34,90 EUR.
Autoren
- Dr. Falko von Ameln ist Organisationsberater, Lehrbeauftragter an Universitäten und beratender Herausgeber der Zeitschrift „Gruppendynamik und Organisationsberatung“. Er bietet unter anderem Organisationsberatungen, Seminare und Fortbildungen an.
- Dr. Josef Kramer hat handlungsorientierte Methoden zur Personal- und Organisationsentwicklung erarbeitet. Er ist Vorstand der MSA Management System Anwendung AG, Köln.
- Heike Stark ist freiberufliche Beraterin und moderiert Beratungsprozesse und Teamcoaching.
Zielgruppe
Organisationsberater, Hochschullehrer, Studierende, Führungskräfte, Mitarbeiter, die in Veränderungsprozessen stehen, Coaches, Trainer, Supervisoren, alle Praktiker, die Organisationsberatungen durchführen, erdulden, erlernen oder davon zu profitieren suchen.
Entstehungshintergrund
Bei ihren Forschungen und dem Nachdenken über Organisationsberatung ist den Autoren aufgefallen, dass ihre Erfahrungen selten dem durch Theorien vermittelten Idealbild von Beratung entsprechen. Deshalb haben sie damit begonnen, Fallbeispiele von Beratungen auszuwerten, um die weniger sichtbaren Funktionen und verdeckten Ziele von Beratungen zu erkunden. Als Ergebnis ihrer Erkundungen können sie ein Werk vorlegen, das sowohl den Theorien als auch der komplexen Beratungspraxis gerecht wird.
Aufbau
Organisationsberatung verspricht der Organisation zu einem erweiterten Bild ihrer selbst zu verhelfen, Veränderungsprozesse zu begleiten, die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern, Entscheidungen vorzubereiten oder auffallende Wissenslücken zu füllen. Doch was geschieht tatsächlich im Verlauf einer Organisationsberatung? Welche verborgenen Ziele werden jenseits der vereinbarten Aufträge bearbeitet? Und wie gelingt es, innerhalb von widersprüchlichen Interessen und verwirrenden Machtspielen sinnvolle Verläufe zu sichern? Antworten auf diese Fragen suchen und finden die Autoren, indem sie zunächst die bekanntesten Beratungskonzepte beschreiben(Teil I), sodann die in diesen Konzepten liegenden verborgenen Programme und blinden Flecke analysieren, um anschließend Kriterien für eine professionelle Beratung zu erarbeiten.
Teil I – Potenziale und blinde Flecke von Beratungsansätzen
In sechs Kapiteln werden die klassischen Beratungskonzepte umfassend dargestellt. Es wird deutlich, welches Interventionsverständnis aus dem Menschenbild und den Grundannahmen der jeweiligen Beratungsansätze folgt. Mit diesen Grundannahmen verbinden sich aber auch jeweils typische „blinde Flecke“, die zu einem Scheitern oder zu unvorhersehbaren Verläufen der Beratung führen können. Die Potenziale der einzelnen Beratungsansätze und deren verborgene Leitlinien werden tabellarisch übersichtlich dargestellt. So erfährt man über die am weitesten verbreitete Beratungsform, die Strategieberatung, dass sie der Überzeugung folgt, es gäbe eine optimale Gestaltung der Strukturen und Prozesse von Organisationen, die zu maximaler Effizienz führt. Die dort handelnden Menschen seien planbare Produktionsfaktoren. Tatsächlich aber – so die Autoren – sei menschliches Verhalten nicht determinierbar; Menschen „störten“ die geplanten Abläufe, indem sie immer auch eigene Ziele und Interessen verfolgten. Hingegen bereichere die psychoanalytische Organisationsberatung zwar das Verständnis der Dynamik in Organisationen, führe aber in der Beratungspraxis nur ein Nischendasein. Wegen ihrer Tendenz zur pathologisierenden Beschreibung des Beobachteten sei ihr Vokabular in Wirtschaftskontexten nicht anschlussfähig. Ein weiterer Beratungsansatz - die aus der humanistischen Psychologie stammende Organisationsentwicklung - zeichne sich durch ihr konsequent partizipatives Vorgehen aus und durch ihre Überzeugung, dass Menschen vorrangig intrinsische Motivation für ihre Arbeit entwickeln. Daher führe ein nicht-direktiver Führungsstil zu optimalen Ergebnissen. Diese Grundannahme relativieren die Autoren, indem sie nachweisen, dass Führung situativ angepasst sein müsse und dabei auch direktive Vorgaben zu machen habe, wenn es die Situation verlangt. Ausführlich widmen sich die Autoren den komplexen theoretischen Prämissen der systemischen Organisationsberatung, um anschließend mit leichter Ironie festzustellen, dass deren Vorgehen in der Praxis aber häufig von diesen Grundlagen abgekoppelt bleibe. Mit ihren reflexiven Methoden arbeite die systemische Organisationsberatung an den eigentlichen Themen und Problemstellungen der Organisation vorbei. Kritisch zu bewerten seien ferner die Ausblendung des Handlungsbegriffs und der unterschiedlichen Ausprägungen von Macht.
Teil II - Latente Funktionen und hidden agendas in Beratungsprozessen
Hier wird in weiteren 12 Kapiteln erläutert, wie bei Organisationsberatungen immer noch andere Ziele als die offiziell vereinbarten, mehr oder minder verdeckt das Geschehen beeinflussen:
- Beratung als soziale Anpassungsleistung: Die Beratung durch eine renommierte Beratungsfirma legitimiert die Entscheidungen der Organisation gegenüber Kunden, Aktionären und der Gesellschaft.
- Beratung als Risikoentlastung und Beruhigungsmittel oder als Mittel zum Aufbau organisationaler Fassaden;
- Beratung als Kaffeeklatsch, wenn Beratung von höherer Stelle verordnet wird;
- Beratung als Spielball in mikropolitischen Spielen, in denen Führungskräfte Berater und Beratene gegeneinander ausspielen;
- Beratung als Erziehungs- und Kontrollinstrument, wenn Mitarbeiter Leistungserwartungen zu erfüllen haben, die das ursprünglich Vereinbarte bei weitem übersteigen;
- Beratung als Problemverschiebung – sei es, dass Beratern aufgetragen wird, neuralgische Probleme selbst zu lösen, sei es, dass die Beratung selbst als Problem erlebt wird;
- Beratung als Führungsersatz, wenn Manager die Führungsrolle selbst nicht übernehmen wollen;
- Beratung als Problemabsorptionsstrategie, als Sündenbock für unpopuläre Entscheidungen;
- Beratung als symbolischer Akt oder
- Beratung als Mittel zur Erzeugung von Beratungsbedarf.
Die aufgedeckten, verborgenen Agenden werden jeweils mit zahlreichen Fallbeispielen aus der Praxis veranschaulicht und mit kurzen theoretischen Beiträgen bekannter Gastautoren
erläutert.
Teil III – Professionalität, Erfolg und Scheitern
In den letzten drei Kapiteln wird deutlich, dass blinde Flecke und verdeckte Ziele kein Zeichen fehlerhafter Organisationsberatungen sind, sondern zur Normalität von Beratungsprozessen gehören. Diese „hidden agenda“ im Verlauf einer Beratung zu erkunden und zu nutzen, kann manchmal gelingen. Deshalb ist es sinnvoll, nicht nur einem einzigen Beratungsansatz zu folgen, sondern eine Aufmerksamkeit für die Potenziale anderer Konzepte zu entwickeln. Berater und Kunden von Beratung deuten die Erfolge und Misserfolge von Beratung wahrscheinlich unterschiedlich, zumal Beratungsergebnisse bislang selten evaluiert worden sind.
Diskussion
Trotz berechtigter Kritik an den bekannten Beratungsansätzen enthalten sich die Autoren jeder Polemik. Die kritischen Ausführungen sind jeweils theoretisch gut begründet und bringen Erkenntnisgewinn. Da die Grundannahmen und Potenziale der Beratungsansätze umfassend erklärt werden, können auch Lernende dem Weg der Autoren gut folgen. Ebenso wie sich im Feld von Psychotherapie integrative Konzepte bilden und durchsetzen, werden auch Organisationsberater und –forscher die theoretischen Gebäude und eingefahrenen Routinen erweitern müssen.
Mancher Leser wird bei Wiedererkennen eigener Beratungserfahrungen schmunzeln. Trotz der teils amüsanten, teils erschreckenden Fallbeispiele wird durchgehend ein hohes theoretisches Niveau gewahrt.
Fazit
Die gelungene Integration von einsichtigen Fallbeispielen und passenden theoretischen Abhandlungen macht das Buch sowohl für den Beratungspraktiker wie auch für den forschenden Berater zu einem wertvollen Begleiter. Studierende, Lehrende und Berater profitieren von diesem exzellenten Buch ebenso wie Führungskräfte, die erfahren möchten, was alles im Verlauf von Organisationsberatungen geschehen kann.
Rezension von
Prof. Dr. Marianne Meinhold
deutsche Psychologin, Fachbuchautorin und Professorin und Rektorin der Evangelischen Hochschule Berlin
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