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Gila Friedrich: Identität - ein geschichtsloses Konstrukt?

Rezensiert von Dr. Juliane Noack Napoles, 11.03.2010

Cover Gila Friedrich: Identität - ein geschichtsloses Konstrukt? ISBN 978-3-8258-1464-9

Gila Friedrich: Identität - ein geschichtsloses Konstrukt? Pädagogische Überlegungen zum Identitätsbegriff einer technisierten und zunehmend digitalisierten Kultur. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2008. 183 Seiten. ISBN 978-3-8258-1464-9. 19,90 EUR. CH: 30,90 sFr.
Reihe: Bildung und Technik - Band 6.

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Thema

Das zentrale Thema der 2008 erschienenen Publikation „Identität – ein geschichtsloses Konstrukt? Pädagogische Überlegungen zum Identitätsbegriff einer technisierten und zunehmend digitalisierten Kultur“ Band 6 der Reihe Bildung und Technik (Hrsg. Werner Sesink) ist die Entwicklung der gesellschaftlichen Existenz des Individuums unter den Bedingungen einer von den Neuen Medien zunehmend geprägten Kultur. Die leitende Fragestellung formuliert Gila Friedrich wie folgt: „Inwiefern und inwieweit verändern die Neuen Medien Vorstellungen von Identität bzw. motivieren eine bestimmte Ausprägung aktueller Identitätstheorien“ (S.9). Bei dieser Arbeit handelt es sich um die Dissertation der Autorin an der Technischen Universität Darmstadt.

Aufbau und Inhalte

Der Hauptteil der Arbeit, wiederum in ein einleitendes Vorwort und das Resümee eingebettet, ist in vier Kapitel unterteilt –

  1. das Ganzheitskapitel,
  2. das Identitätskapitel,
  3. das Spiegel-Kapitel und
  4. das Theater-Kapitel.

Im Mittelpunkt des Ganzheitskapitels, so die Autorin, stehe die Symbolkraft des „Netzes“, in dem das Internet als Spannungsfeld extremer Polarisierungen in Erscheinung trete: „Beschreibbar wird der paradoxe Halt einer Kultur, die auf der gesellschaftlichen Ebene gleichzeitig Globalisierung wie Pluralisierung vorantreibt, auf der individuellen Ebene gleichzeitig Flexibilität (biographische und räumliche Mobilität) wie auch Verbindlichkeit verlangt. Eine Kultur, die existentielle Begrifflichkeiten (wie Wirklichkeit, Leben, Zeit, Raum) vervielfältigt und über das Netz verbreitet, dadurch gleichzeitig aber die prinzipielle Zugänglichkeit zu den Objektivationen vielfältigster und divergierender Vorstellungen erlaubt und somit auch Vermittlungschancen bereit stellt.“ (S.9)

Im Identitätskapitel thematisiert die Autorin die wechselseitige Passung von Identität und Neuen Medien über das Konzept der Einheit, welche aktuell als eine, an Identitätsprozesse herangetragene und zu lösende, Konstruktionsleistung in Erscheinung trete.

Im Spiegel-Kapitel gerate der Spiegel und die mit ihm in Verbindung stehenden und an ihm gewonnenen Reflexionsprozesse und –wirkungen in den Blick, die sowohl für identitäts- als auch für medientheoretische Überlegungen zentral seien.

Und schließlich reflektiere das Theater-Kapitel die Identitätsfrage sowohl aus der entwicklungspsychologischen wie der soziologischen Perspektive, um dann beide in eine übergreifende, d.h. kulturelle Perspektive zusammen zu führen.

Diskussion

Bemerkenswert ist nun, dass die Kapitel jeweils für sich stehen, d.h. sie sind abgeschlossen und dementsprechend könne „die Lektüre an einem beliebigen Hauptthema ansetzen.“ (S.10), wie auch die Bezeichnung jeder dieser Themenbereiche als GanzheitsKAPITEL, als IdentitätsKAPITEL, als Spiegel-KAPITEL und als Theater-KAPITEL zeigt. Besonders eindrucksvoll offenbart sich dies am Identitätskapitel, das in nahezu gleicher Fassung bereits in das 2006 erschienene Buch „Subjekt – Raum – Technik“ Band 5 der Reihe Bildung und Technik (Hrsg. Werner Sesink) herausgegeben von Werner Sesink Eingang gefunden hat.

Die Kapitel bzw. Themenfelder einzeln betrachtet sind sehr dicht, regen zum weiteren Nachdenken an und beinhalten interessante Perspektivwechsel. Insofern sind sie sehr spezifisch, sodass die Antwort auf die Frage, wie Neue Medien bestimmte Ausprägungen von Identitätstheorien beeinflussen, nicht explizit dargelegt wird. Es lassen sich zwar mögliche Antworten aus der Dichte der jeweiligen Kapitel herleiten, zu welchen Schlüssen die Autorin in ihrer Dissertation gekommen ist, macht sie meines Erachtens jedoch nicht ganz deutlich.

Zudem scheinen sich die Kapitel im Rahmen einer Arbeit mit konkreter Fragestellung nicht ganz abschließen zu lassen, was sich daran zeigt, dass für jedes Kapitel dann doch ein besonderer Status beansprucht wird. Die Ausgangsfrage, inwiefern und inwieweit die Neuen Medien Vorstellungen von Identität verändern bzw. bestimmte Ausprägungen aktueller Identitätstheorien motivieren, sei zwar für das Identitätskapitel zentral, bilde aber auch in den drei weiteren Kapiteln das Hauptmotiv der analytischen Auseinandersetzung. Die Themenfelder „Ganzheit“, „Spiegel“ und „Theater“ würden, so die Autorin, die thematischen Schnittfelder von Identität und Neuen Medien bilden und gleichzeitig den Rahmen der Fragestellung abstecken. Gleichsam nimmt das Ganzheitskapitel in ihrer Arbeit nicht nur deshalb eine Sonderstellung ein, „weil hier die Geschichtlichkeit bzw. Geschichtslosigkeit auch begrifflich im Zentrum der Betrachtung stehen. Vielmehr umklammert es die Überlegungen der anderen Kapitel im Sinne eines in seiner Doppeldeutigkeit zu verstehenden Ausgangs: Als erstes (1.) Kapitel erhebt es durchaus den Anspruch theoretischer Unbedingtheit oder Basisüberlegungen, von denen aus weitere Überlegungen anheben oder überhaupt erst vertieft werden können. Gleichzeitig aber sind darin enthaltende Frage- und/oder Problemstellungen erst durch die gedankliche Auseinandersetzung mit den Themenfeldern der anderen Kapitel überhaupt nur möglich geworden …“ (S.168) Und das Theater-Kapitel schließe über den in den anderen drei Kapiteln entfalteten Hintergrund – und zwar über den Kulturbegriff – an.

Fazit

Wenn man sich darauf einstellt, eigenständige, in sich abgeschlossene Beiträge zu den jeweiligen Themen Ganzheit, Identität, Spiegel und Theater zu lesen, die durch gelegentliche Querverweise miteinander „verlinkt“ sind, dann ist die vorliegende Arbeit sehr bereichernd. Hat man jedoch ein weniger postmodern orientiertes Interesse an der Titelfrage “Identität – ein geschichtsloses Konstrukt?“, d.h. erwartet man eine eher chronologisch aufgebaute Auseinandersetzung mit ihr, nachvollziehbar beispielweise an der Textstruktur, so erfüllt die vorliegende Arbeit diese Erwartungen eher nicht. Vielleicht sind dies aber auch falsche Erwartungen an die vorliegende Arbeit, die andererseits jedoch durch den Titel des Buches geweckt werden, ebenso wie die Erwartung der im Untertitel angekündigten “pädagogischen Überlegungen zum Identitätsbegriff“. Zumindest dieser Anspruch, pädagogische Überlegungen anzustellen, wird im einleitenden Vorwort relativiert, wenn es dort heißt: „Vielmehr richten sich die Ergebnisse der Analyse an ein pädagogisch motiviertes Interesse und dienen der Anregung einer Standortbestimmung.“ (S.10) Diese Einschränkung finde ich angesichts des Buchdeckeltexts jedoch misslich, wo dargelegt wird, dass mit den Ideen der Ganzheit und der Identität zwei fundamentale Leitvorstellungen, die mit dem pädagogischen Bildungsbegriff assoziiert sind, hinsichtlich der von den Neuen Medien ausgehenden Umdeutungen neu durchdekliniert werden.

Rezension von
Dr. Juliane Noack Napoles
Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne der Universität zu Köln
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Es gibt 12 Rezensionen von Juliane Noack Napoles.

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ISSN 2190-9245