Brigitte Geißler-Piltz, Susanne Gerull (Hrsg.): Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich
Rezensiert von Elke Ziegler, Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner, 13.02.2010

Brigitte Geißler-Piltz, Susanne Gerull (Hrsg.): Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich. Wissen, Expertise und Identität in multiprofessionellen Settings. Budrich Academic Press GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2009. 179 Seiten. ISBN 978-3-940755-35-3. 24,90 EUR.
Thema
Im Gegensatz zu vielen Studien über multiprofessionelles Handeln im Gesundheitsbereich, die sich allesamt um Medizin und Pflege drehen, widmet sich das vorliegende Buch erstmals der bisher nur am Rand erwähnten Sozialen Arbeit und ihrer brennenden Problematik. Vorgestellt werden die Resultate eines Forschungsprojektes über Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich (2005-2009), das die Alice Salomon Hochschule Berlin in Kooperation mit der Universität Helsinki Finnland und der Fachhochschule Nordwestschweiz durchführte.
Der Fokus des deutschen Forschungsprojektes lag anfänglich auf der Fragestellung, wie Kompetenzen und Wissen im beruflichen Alltag von SozialarbeiterInnen erworben und erweitert werden, welchen Stellenwert Wissen einnimmt und wie die eigene Kompetenz eingeschätzt wird. Bewusst orientierte man sich dabei an Schwachpunkten der Profession. Im Verlauf ergaben sich weitere Schwerpunkte, wie die Frage nach Supervision, dem veränderten Wissensbegriff und seiner subjektiven Definition. Gegenüber dem Aspekt Supervision in der finnischen und Innovation in der schweizerischen Studie begegnet in der deutschen Forschungsarbeit zentral stets das Thema fehlender Anerkennung Sozialer Arbeit im Gesundheitsbereich. Es stellt sich daher die Frage nach ihrer beruflichen Identität und Rolle, auch im Hinblick auf die sich etablierende Klinische Sozialarbeit, die um eine eigenständige Position neben Medizin, Psychologie und Pflege bemüht ist. MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit, so ein Ergebnis der Forschung, werden oft als Personen wertgeschätzt, nicht aber ihre Profession. Sie leisten demgegenüber jedoch bedeutsame und notwendige Arbeit.
Herausgeberinnen
Die Herausgeberinnen dieses Sammelbandes lehren beide an der Alice Salomon Hochschule Berlin und bilden das deutsche Forschungsteam der Studie.
Brigitte Geißler-Piltz, Professorin für Sozialmedizin in der Sozialen Arbeit und wissenschaftliche Leiterin des Masterstudiengangs Klinische Sozialarbeit (Kooperation mit der Hochschule Coburg), die u.a. zur Geschichte beratender Sozialer Arbeit und ihren Wurzeln bei Alice Salomon, zu Supervision, Beratung und sozialer Gruppenarbeit lehrt und forscht, beschäftigt sich in verschiedenen Veröffentlichungen mit Fragen des Wissens und der Expertise Sozialer Arbeit im Gesundheitsbereich.
Susanne Gerull, Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, widmet sich in ihrer Lehre und ihren Büchern den Themen Armut, niederschwellige Sozialarbeit und Gender; einen breiten Raum nehmen zudem Forschungsmethoden und Sozialarbeitsforschung ein. Gemeinsam veröffentlichten die beiden Autorinnen bereits 2006 und 2007 Artikel zum vorliegenden Thema.
Aufbau
Nach einer Einführung zu wesentlichen Problemen und Herausforderungen Sozialer Arbeit im Gesundheitswesen wird das Forschungsdesign skizziert. Der umfassende Mittelteil widmet sich den Ergebnissen der deutschen Studie zu den Aspekten Wissen/Expertise, Weiterbildung, Supervision sowie professionelle Identität, die jeweils durch einen Aufsatz von fachlichen ExpertInnen eingeleitet werden. Abgerundet werden die Aussagen durch Berichte der finnischen und der Schweizer Studie.
Inhalt
Im einführenden Kapitel skizziert
Brigitte Geißler-Piltz die aktuelle Lage der Sozialen
Arbeit im Gesundheitswesen. Obwohl Soziale Arbeit im
Gesundheitsbereich auf eine lange Tradition zurückblickt und sie
mit ca. 40.000 VertreterInnen die zweitgrößte Gruppe aller
in der Sozialen Arbeit Tätigen ausmacht, wird sie im Vergleich
zu anderen Berufsgruppen des Gesundheitsbereichs in Fachdiskussion
und Forschung höchstens im Hintergrund wahrgenommen. Etwas
anders steht es um die Klinische Sozialarbeit – klinisch im
Sinne von (psychosozial) behandelnd, in direkter Interaktion mit
KlientInnen. Klinische SozialarbeiterInnen fühlen sich besonders
der sozialen Dimension von Gesundheit verpflichtet und arbeiten in
der interdisziplinären Versorgung von KlientInnen mit komplexen
Problemlagen mit (vgl. Geißler-Piltz, Pauls & Mühlum,
2005, S.12f.). Dies bedingt, dass sie schwierigen Gefühlen wie
Trauer oder Schmerz professionell begegnen.
Gesellschaftlicher Wandel, ungleiche Teilhabe an Ressourcen und
folglich mehr Armutsrisiken erhöhen das Erkrankungsrisiko vieler
Menschen. Diese stellt eine Herausforderung für die Soziale
Arbeit dar hinsichtlich ihrer Fertigkeiten und wie diese zu fördern
sind. Steigende Zahlen chronisch-degenerativer Erkrankungen, die
demografische Entwicklung und verkürzte stationäre
Aufenthalte sowie vermehrte Auslastung im ambulanten Bereich sind
weitere Aspekte, die danach rufen, kurz, effizient und wirksam
beraten und begleiten zu können. Diese Fertigkeit beanspruchen
zudem gerne andere Berufsgruppen im Kontext Klinik für sich und
nehmen Soziale Arbeit nur von ihrer rechtlich-administrativen Seite
her wahr. Kein Wunder, dass SozialarbeiterInnen mit ihrem
Selbstverständnis hadern, ihre Fertigkeiten in Frage stellen und
sich anderen Gesundheitsberufen unterlegen fühlen. Hinzu kommt,
dass Soziale Arbeit traditionell eine Frauendomäne ist (aktuell
30% Männer) und ihre Aufgaben oft mit jener den Frauen
obliegende, weniger wesentlichen Beziehungs- und Gefühlsarbeit
assoziiert werden. In Anbetracht dessen fragt die Autorin, ob in der
streng hierarchischen, von der Medizin dominierten Klinik Soziale
Arbeit ihre eigenen Zuständigkeiten und Kompetenzen unter Beweis
stellen kann. Und sie fordert alle LeserInnen indirekt zu einer
Reflexion hierzu auf.
Auf dieser Grundlage skizziert Susanne Gerull im folgenden Kapitel das Forschungsdesign der deutschen Studie. Zu Forschungsbeginn 2005 standen folgende Fragen im Vordergrund:
- Wie können Kompetenzen und Wissen von SozialarbeiterInnen erworben und erweitert werden?
- Welchen Stellenwert nimmt Wissen ein?
- Wie wird die eigene Kompetenz eingeschätzt?
Es interessierte, ob die dem medizinischen Modell von Gesundheit/Krankheit korrespondierenden Methoden SozialarbeiterInnen nützlich sind oder ob das informelle „learning on the job“ sie besser rüstet. Für die bundesweite quantitative Befragung von SozialarbeiterInnen des Gesundheitswesens rekurrierte man auf den finnischen Fragebogen, der an deutsche Verhältnisse angepasst wurde. Ausgewertet wurden 307 Fragebögen (Rücklauf von 47,6%). 78,5 % der Befragten waren Frauen. Im Verlauf der Auswertung stellten sich neue Fragen, die mittels einer ergänzenden qualitativen Befragung angegangen wurden, zu den Themen:
- (4) Supervision als wichtigstes Instrument der Praxisreflexion,
- (5) veränderter Wissensbegriff mit subjektiven Definitionen der Interviewten,
- (6) berufliche Identität in multiprofessionellen Arbeitssettings.
Interviewt wurden 16 SozialarbeiterInnen – Frauen und Männer, aus Ost- und Westdeutschland, mit verschiedenen Berufs- und Supervisionserfahrungen.
Susanne Gerull fasst die Forschungsergebnisse zum ersten Schwerpunkt Wissen und Expertise auf der Grundlage der Ausführungen von Fritz Böhle zusammen: Die eindeutige Tendenz der Trennung von wissenschaftlichem/theoretischem sowie Erfahrungs-/Handlungswissen und die gleichzeitige Abwertung des zweiten, auch „implizit“ genannten Wissens in Deutschland wird durch die Studie belegt. MedizinerInnen auf der Chefetage haben den SozialarbeiterInnen angeblich einen großen Schatz an theoretischem Wissen voraus. Erfahrungswissen wird von SozialarbeiterInnen zwar von Fachwissen unterschieden und als wichtig für den beruflichen Alltag vor allem hinsichtlich des Bewältigens unbekannter, komplexer Situationen angesehen. Demgegenüber ist es jedoch nicht einfach, diese weniger logisch-analytische als vielmehr körperlich fundierte Intelligenz, so Böhle, genau zu fassen. Als das bisherige theoretische Kenntnisse ergänzendes Wissen und subjektivierendes Handeln steht es an zweiter Stelle. Die Studie belegt auch ein interessantes Verständnis von Expertise als bereichsspezifisches Wissen einer Person, die ihr Wissen kommuniziert und vernetzt im Austausch mit VertreterInnen anderer Berufssparten. Abschließend regt die Autorin durch eine Hypothese sowohl MedizinerInnen als auch SozialarbeiterInnen zum Denken an: „Wird das Fachwissen von manchen unserer Interviewten als höherwertig angesehen, weil die ihnen hierarchisch oft überlegenen ÄrztInnen hier einen Vorsprung zu haben scheinen? Entstehen Minderwertigkeitsgefühle, weil die der Sozialen Arbeit inhärenten Kompetenzen so wenig greifbar erscheinen?“ (S. 43f.) Somit ist nach einer Definition des Basiswissens Sozialer Arbeit als Voraussetzung der Klärung beruflicher Identität zu fragen.
Brigitte Geißler-Piltz und Birgit Griese heben im zweiten Schwerpunkt Aus- und Weiterbildung zwei Punkte der Studie hervor: Gemäß der zeitgenössischen Idee einer „Wissensgesellschaft“ oder eines „life long learning“ belegen die Forschungsresultate eine „auffällige Weiterbildungsaktivität der SozialarbeiterInnen“ (selbstgesteuertes Lernen) und „ihre relativ hohe Unzufriedenheit mit dem Erststudium“ (institutionell eingebundenes Lernen) (S. 75). Das grundständige Studium sei zu verschult und vermittle nicht, was der Berufsalltag erfordere. Bei genauem Hinsehen beschäftigt das Thema Berufsrelevanz die unterschiedlichsten Disziplinen, so die Autorinnen. Hierin kann auf einen Diskussionsvorsprung der Sozialen Arbeit hingewiesen werden. Von daher werden Postulate an die Hochschulen gestellt, die in die Auseinandersetzung um eine Fachsozialarbeit und Masterstudien zur Aneignung von Fall- und Feldkompetenz nach dem Beispiel der Klinischen Sozialarbeit gipfeln. Vielfach sind SozialarbeiterInnen in diesem Prozess sich selbst überlassen, und um sich das nötige Wissen zu schaffen und Anerkennung zu finden, stürzen sie sich in den Dschungel vielfältiger Weiterbildungsangebote. Ihre Arbeitgeber motivieren zwar in der Regel eher zu Weiterbildung als dass sie sich quer dazu stellen, doch heißt das noch nicht, dass die erworbene Kompetenz und Persönlichkeitsentwicklung honoriert wird. Ein Schritt in diese Richtung versucht die Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit, die Wissens- und Kompetenz-Richtlinien für bestimmte Berufsfelder festlegt. Unter dem Gender-Aspekt ist darauf hinzuweisen, dass Frauen in der Suche nach einer Balance zwischen Persönlichem, Familie und Beruf weniger in Weiterbildung investieren als Männer, die oft ökonomisch vorteilhaftere Positionen innehaben. Den Frauen hilft Weiterbildung, um aus zugeschriebenen Zuständigkeiten auszubrechen und sich persönlich zu entwickeln, evtl. Selbständigkeit anzustreben.
Im dritten Schwerpunkt Supervision,
nach Monika Klinkhammer eine „prozessorientierte,
dialogische Beratungsform, die der Unterstützung und Begleitung
der beruflichen (Selbst-)Reflexion dient“ (S. 82), werden deren
Funktionen der Klärung und Förderung von Handlungskompetenz
sowie der Steigerung der Leistungsfähigkeit unterschieden.
Supervision gelangte über die psychosomatische Medizin in den
Kontext der Klinik und ist bis heute um ihre Akzeptanz bemüht.
Aufgrund der professionsgeschichtlichen Nähe zur Medizin war sie
lange Zeit vor allem psychoanalytisch ausgerichtet. Im Zuge
struktureller Entwicklungen verbreitet sich jedoch nun der
systemische Ansatz. Gemäß Brigitte Geißler-Piltz
nahmen nur 31,4 % der Befragten innerhalb der letzten 12 Monate an
Supervision teil - vor allem an Teamsupervision, dann Fallsupervision
und nur sehr exklusiv an Einzelsupervision, die selbst finanziert
werden muss. Im qualitativen Teil der Studie wird das Problem der
Supervision im hierarchischen, medizinisch dominierten
Gesundheitsbereich herausgeschält. Idealerweise dem
herrschaftsfreien Dialog verpflichtet, stellt sie sich hier oft als
Fortsetzung des hierarchisch geordneten Systems dar: Die meisten
SupervisiorInnen sind PsychologInnen und ÄrztInnen. Oft ist
der/die Vorgesetzte zugleich der/die SupervisorIn des Teams.
SozialarbeiterInnen ziehen die Teamsupervision unter ihresgleichen
vor, wo jede und jeder geschätzt wird. Supervisionserfahrung im
multiprofessionellen Kontext wird dagegen mit Skepsis begegnet. Die
Vielfältigkeit Sozialer Arbeit und ihre unklare Stellung
erschwert die Bildung beruflicher Identität. Soziale
Platzanweisung durch andere Berufsgruppen geschieht nicht selten. Zum
Teil wird dies aus eigenem Verhalten heraus begründet, wenn
beispielsweise Konflikte in Gegenwart anderer Berufsgruppen nicht
angesprochen werden.
Nichtsdestoweniger erachtet die
Autorin Supervision für das Funktionieren multiprofessioneller
Kooperation als überlebensnotwendig. Unterschiedliche
Beratungsformate sind gefordert, Leistungssupervision (um
kostengünstiger zu arbeiten) und Coaching (zur Klärung der
beruflichen Rolle). Auch wenn die Studienresultate ihr keinen
wesentlichen Beitrag zur Klärung der beruflichen Rolle/Identität
Sozialer Arbeit zugestehen, sieht die Autorin Supervision als
wichtiges Instrument zur Klärung von Identität, Expertise
und Eigenständigkeit Sozialer Arbeit an. Sie gilt als
„selbstreflexive Auseinandersetzung mit persönlichen
Haltungen, Wahrnehmungen und Fähigkeiten unter Einbezug der
berufsspezifischen Erfahrungs- und Wissensbestände und im Rekurs
auf theoretisches Wissen“ (S. 107). Die supervisorische Haltung
des Nicht-Wissens, der Neugier und Wertschätzung, leite
innovative Prozesse und eine alltägliche Identitätsarbeit
(zur Bildung beruflicher Identität) ein.
Im vierten Schwerpunkt Professionelle Identität belegt die Studie laut Susanne Gerull das ausgeprägte Selbstbewusstsein vieler SozialarbeiterInnen in punkto professionelle Identität, die sie mit ihrer Expertise und ihrem Wissen verbinden. Die identitätsstiftende Funktion eines Masterstudiums in Klinischer Sozialarbeit und die daraus folgende vermehrte Anerkennung in multiprofessionellem Rahmen wird ebenfalls konstatiert. Die Mehrzahl der Befragten strebt nach eindeutiger beruflicher Identität, was durch schwer zu erbringende Nachweise der Wirksamkeit Sozialer Arbeit, ihre Bandbreite und Vielgestaltigkeit, die Alltäglichkeit der sozialen Dimension und ihre Inanspruchnahme durch Medizin und Pflege erschwert ist. Diese Offenheit der Identität erleben die meisten SozialarbeiterInnen als verunsichernd. Heiko Kleve sieht in der Identitätsdiskussion Sozialer Arbeit ein „Evergreen der Verunsicherung“. Er konnotiert diese Offenheit dagegen positiv und spricht der Sozialen Arbeit postmodern eine identitätsoffene Identität zu. „Die These von der offenen Identität anerkennt die Notwendigkeit, dass es in zahlreichen Kontexten äußerst wichtig erscheint und sehr angemessen ist, Identität zu zeigen.“ (S. 114). Identität ist also (arbeits-)kontextbezogen unterschiedlich und stets permanent vorläufig. SozialarbeiterInnen sind eingeladen, sich mit der Identitätsoffenheit auseinanderzusetzen, die nichts anderes als Ambiguitätstoleranz bedeutet. Sie sind nicht umsonst diejenigen, die immer dann tätig werden, wenn andere Professionen aufgrund der Komplexität der Problemstellung ihre Tätigkeit eher beenden. Hochschulen sind aufgerufen, das Thema Bildung beruflicher Identität aufzugreifen, wozu es wiederum SozialarbeiterInnen in der Ausbildung benötigt.
Abschließend geben Johanna Björkenheim, Synnöve Karvinen-Niinikoski und Jari Salonen einen Einblick in die finnische Studie (2003). Es handelt sich um eine Befragung von SozialarbeiterInnen aus kommunalen Diensten und dem Gesundheitsbereich. 716 Fragebögen wurden ausgewertet (Rücklauf von 45,3%). Der zentrale Aspekt der Forschung, die Supervision, wurde im Finnland der Nachkriegszeit bald als bedeutsam für Soziale Arbeit anerkannt. Durch sie wurde deren berufliche Expertise und persönliche Entwicklung vorangetrieben, und Soziale Arbeit etablierte sich in den letzten 25 Jahren auf universitärer Ebene (Masterabschluss nach 5 Jahren). Supervision ist heute im Gesundheitsbereich, in dem 20% der SozialarbeiterInnen arbeiten, gut etabliert. Ungefähr 60% der Befragten hatten in den letzten 12 Monaten Supervision. Im Gesundheitsbereich dominierte die Einzelsupervision, und in der Reflexion wird die individuelle Entwicklung betont.
Holger Schmid und Matthias Hüttemann skizzieren ihre Forschung zur Sozialen Arbeit in den Spitälern der Deutschschweiz (2008). Der nochmals angepasste Fragebogen widmete sich zentral der Fragestellung, welche Faktoren sich auf die Bereitschaft und Fähigkeit zur Innovation auswirken. Innovation wurde verstanden als „Potential, an der Arbeitsstelle Neues entwickeln und einsetzen zu können“ (S. 153). Die Studie hatte einen Rücklauf von lediglich 37%. Die ausgewerteten 233 Fragebögen belegten, dass Innovation durch gezielte Unterstützung der Kooperation, verstanden als Austausch und zurückhaltender Umgang mit Wissen und Können, gefördert würde. Interessant ist, dass SozialarbeiterInnen in Weiterbildung höhere Bereitschaft zu Kooperation mitbringen. Neben Innovation und Kooperation bestünde ein weiterer Anspruch an Professionalität in der Gültigkeit und Aktualität des geteilten Wissens, das erforscht werden müsste, um so externen Faktoren, wie Arbeitsbelastung und sozialer Zuschreibung professionspolitisch entgegenzuwirken.
Fazit
Soziale Arbeit im multiprofessionellen Kontext des Gesundheitswesens ist angesichts zunehmender Spannung und Komplexität angehalten, ihre Expertise offensiv nach außen zu vertreten, zu dokumentieren und zu konturieren. Dies bedingt, dass SozialarbeiterInnen ihrer Kompetenz vertrauen. Und, so Brigitte Geißler-Piltz und Susanne Gerull abschließend, Soziale Arbeit würde durch steigende Expertise und höheres Selbstbewusstsein auf eine weniger abweisende Umgebung treffen. Diese Ausführungen zu einem brisanten Thema verdeutlichen den hohen Wert dieser Publikation über Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich, die gemäß den Autorinnen „fällig, wenn nicht längst überfällig ist.“ (S. 18)
Der Komplexität des Themas entspricht seine detaillierte Ausführung. Die Veröffentlichung benennt ein aktuelles Problem im Bereich Sozialer Arbeit in seinen Facetten erstmals scharf. Und es bleibt dabei nicht stehen. PraktikerInnen – und Studierende – Sozialer Arbeit werden zum Denken angeregt, ihr spezifisches Wissen und ihre Kompetenzen zu benennen und ihre berufliche Rolle identitätsoffen zu definieren. Das Buch macht Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Mut dazu. Gleichzeitig gibt es Anstöße für Berufspolitik, Professionalisierungsdebatte und Wissenschaft, sich einzelnen Aspekten des Themas vertiefend zu widmen. Hierzu werden interessante und innovative Ideen und Gedanken mit auf den Weg gegeben, beispielsweise Expertise als bereichsspezifisches Wissen zu verstehen sowie als „shared desicion making“ oder Identität als identitätsoffene zu begreifen. So würde sich beispielsweise zukünftig auch ein kritischer Blick in andere Professionsentwicklungsprozesse lohnen. Auch dort kämpfen manche Berufsgruppen, wie beispielsweise in Feldern der Beratung, um ein schärferes Profil und die damit verbundene Anerkennung von außen – und dies disziplinübergreifend. Das Problem betrifft daher möglicherweise insbesondere Soziale Arbeit, jedoch keineswegs alleine Soziale Arbeit. Gerade auch die Hochschulen sind herausgefordert, den Prozess der Klärung von Expertise und beruflicher Identität in Bachelor- und Masterstudiengängen zu unterstützen und zu fördern. Nicht zuletzt gäbe das Buch auch VertreterInnen anderer Berufsgruppen im Gesundheitsbereich wertvolle Impulse und einen Diskussionsansatz, wie sich multiprofessionelle Kooperation gestalten könnte. Von daher wird man durch die Lektüre des Buches geradezu angestachelt, sich die Konsequenzen dieses innovativen Ansatzes in Praxis, Professionalisierungsdebatte, Forschung und Hochschulausbildung auszumalen. Es bleibt in jedem Falle spannend.
Das Buch schließt nicht, ohne zuvor Informationen zu allen AutorInnen zu geben und viel Literatur zu den einzelnen Themenaspekten aufzulisten.
Rezension von
Elke Ziegler
M.A. Klinische Sozialarbeiterin,
Liz. Theologin,
Dipl. Systemberaterin,
Zert. Bewegungspädagogin
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Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner
Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit für den Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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Zitiervorschlag
Elke Ziegler, Silke Birgitta Gahleitner. Rezension vom 13.02.2010 zu:
Brigitte Geißler-Piltz, Susanne Gerull (Hrsg.): Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich. Wissen, Expertise und Identität in multiprofessionellen Settings. Budrich Academic Press GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2009.
ISBN 978-3-940755-35-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8669.php, Datum des Zugriffs 06.02.2023.
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