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Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung!

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 30.12.2009

Cover Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung! ISBN 978-3-89574-690-1

Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung! Essays zur Idee und Geschichte. Verlag Dr. Köster (Berlin) 2008. 296 Seiten. ISBN 978-3-89574-690-1. 27,80 EUR.
Reihe: Karlsruher Forschungsstudien - Deutschland und Europa - Band 3.

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Bildung tut not – Bildung in Not!

Wussten Sie, dass die Bildungsausgaben in Deutschland seit 1975 real stagnieren und sogar sinken? Diese fiskalische Rechnung steht in krassem Widerspruch zu den euphorischen Bekenntnissen von Bildungspolitikern, dass Bildung in Deutschland als „Humankapital“ angesehen werden müsse und jeder gesellschaftlichen Förderung bedürfe. Im 2. Nationalen Bildungsbericht der Bundesregierung (2008) wird an oberer Stelle formuliert, dass „eine hohe Bildungsbeteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen“ Voraussetzung für nationales und gesellschaftliches Wohlergehen sei. Die Bestandsaufnahmen, wie sie z. B. mit den nationalen und internationalen (Schul-)Vergleichsuntersuchungen vorgenommen werden, wie auch die Analysen von Gesellschaftswissenschaftlern und Bildungsexperten, jedoch machen deutlich: Das Ziel einer Bildung kann nur der Mensch sein! Nicht die Effektivität, der wirtschaftliche Nutzen, die Funktionsfähigkeit, der Wirtschaftsstandort. Das klingt jetzt wohl allzu idealistisch, oder? Da hätten wir erst einmal die aristotelische Auffassung von paideia, Bildung: Den Menschen gut machen! Ihn gewissermaßen an seinen Verstand zu messen und an seine Fähigkeit erinnern, ein gutes Leben zu führen. Was ja nicht bedeutet, sich in einer Tonne – und nur dort! – wohl zu fühlen oder „bildend zu leiden“; sondern Bildung als das zu leben, was sie ausmacht: Sie befreit – von Entfremdung, Fremdbestimmung und vermeintlichen Sachzwängen.

Wer mit dem Zustand der Welt und sich selbst nicht zufrieden ist, muss philosophieren!

Der 1940 in Berlin geborene Wissenschaftsjournalist, Publizist und Historiker Eberhard Straub legt 2008 eine Sammlung von Essays vor, die, so kann man annehmen, die Essenz seiner über die Jahrzehnte hinweg und in Büchern, Aufsätzen, Berichten und Kommentaren publizierten Auffassungen über die (deutsche) Bildung darstellen. Er reflektiert die historischen, gesellschaftlichen, politischen und alltäglichen Konzepte, Meinungen und Entwicklungen des deutschen Bildungswesens, von der Schule bis zur Hochschule, von der Berufs- bis zur Erwachsenenbildung und fragt – hintersinnig und provozierend – nach der inneren Freiheit menschlicher Bildung. Damit begibt sich Straub, wie der Herausgeber der „Karlsruher Forschungsstudien“, Bernhard Vogt, (in deren Reihe als Band 3 das Buch erscheint), im Editorial schreibt, in die „Niederungen der aktuellen (Bildungs-, JS) Politik“ und nimmt uns mit auf ein Panoptikum von Merkwürdigkeiten und Wirklichkeiten, bei denen einem manchmal das (ungewollte) Lachen im Halse stecken bleibt.

Aufbau und Inhalt

Eberhard Straub gliedert seine „Bildungsreise“ durch die Institutionen und Katakomben von Bildung und Erziehung in drei Teile.

Im ersten Kapitel lässt er sich aus über "Bildungsträger und andere ’Tempel’“, wobei er als Maßstab seines Nachdenkens über Bildung die Geschichte nimmt: „Die wichtigste Bildungsmacht ist die Geschichte“; und gewissermaßen als weitere „Lebens“- Mächte heranzieht: Die Hoffnung auf ein gelingendes Leben, Freiheit und Glück. Nicht leidlich, sondern unleidig wettert er dabei gegen die wissenschaftlichen Großbetriebe, in denen Werte wie „Selbstbildung“ kaum noch Chancen haben; da werden (übrig gebliebene) Universitätsgründungen, wie etwa die Wuppertaler Gesamthochschule, das Institute for Advanced Study in Princeton gelobt; da erinnert er die Erlanger Professoren und Studierenden an ihre Geschichte als „Bastion des lutherischen Neuhumanismus“; und er wirft eine Replik auf die Universität, wie sie sich ihm darstellt, als „Trainingscamp für den Arbeitsmarkt“. In all den Bemerkungen, die bis in die „Höhen“ der Kulturaufbewahrungen und –präsentationen, etwa in der Münchner Glyptothek, und zurück zu den „Tiefen“ der Gesangsvereine auf dem Dorf reichen, klingen sowohl nostalgische und wehmütige Erinnerungen, als auch ein provokantes „Trotzdem“.

Im zweiten Kapitel tönt die Fanfare: „Zur Freiheit der Wissenschaften“. Es sind Lehrstücke aus dem Panoptikum der menschlichen Befindlichkeiten – als Individuum, soziales Wesen, Glücksritter und Clown. Da werden so unterschiedliche Gestalten und damit Wirker diskutiert, wie: Ignatius von Loyola mit den jesuitischen Tugenden und Mächten, wie Don Quijote mit den prägenden, abendländischen Tugenden, wie Ritterlichkeit, Poesie, hohe Ideale und Phantasie; da klingt die Musik von Georg Friedrich Händel herüber, „ein Englischer Römer deutscher Herkunft“, und damit Töne, die die deutsche (Bildungs-) und Identitätssuche beeinflussen sollten. Alexander von Humboldt, Richard Wagner, natürlich wird Goethe nicht vergessen, sie dienen dem Autor dazu, seinen Grundgedanken zu entfalten: „Wissenschaft und Kunst ohne Menschenbild helfen dem Menschen nicht und der Welt, in der er leben muss“.

Das dritte Kapitel stellt „Schmuckstücke und Nützlichkeiten im Bildungswesen“ heraus. Bei der Suche nach dem „bürgerlichen Bildungsideal“ freilich bleiben Irritationen nicht aus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dabei Straub die „Ritter“-Gäule, mit den gepanzerten und martialisch gerüsteten Reitern, als Musterbeispiele für eine zeitgemäße Attacke ansieht. Die "alte humanistische Bildungsidee“ allerdings braucht im Zeitalter der Globalisierung eine Erweiterung, um „den geistigen Horizont unserer Bildung … interkulturell auszuspannen“ (vgl. dazu die Rezension zu Jörn Rüsen u.a., Hrsg., Interkultureller Humanismus, 2009). Mit der Philippika gegen die Marktgängigkeit beim wissenschaftlichen und universitären Arbeiten – „Der Markt verbraucht, was er braucht“ – lässt Straub seinen Aufregungen freien Lauf, deutlich! Und, irgendwie dann doch wie ein erhobener pädagogischer Zeigefinger, kommt der Rat, den er sich bei Karl Marx ausleiht: „Nicht was er treibt, sondern wie er das, was er treibt, behandelt, zeichnet den gebildeten Menschen aus“; voila!

Fazit

Die Aufsätze, die Eberhard Straub bei den zahlreichen Gelegenheiten als Historiker, Redakteur und (Bildungs-) Reisender vorgetragen und publiziert hat, werden im Buch mit dem Fanfarenruf „Deutschland Deine Bildung!“ zu einem Panoptikum und einem Appell für die „Freiheit der Wissenschaft“ und damit der Bildung. Ob der Blick, den Straub dabei im wesentlichen nimmt, eher einer zurück, in jedem Fall historisch bestimmt ist und damit als Perspektive für ein künftiges, globales Bildungsdenken und -handeln geeignet ist, mag die Diskussion darüber entscheiden; eine solche, bei den (bildungs- und gesellschafts-)politischen Auseinandersetzungen über das, was Bildung in unserem lokalen und globalen Gemeinwesen sein soll, jedenfalls wäre der Veröffentlichung zu wünschen.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1689 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245