Joachim Baur: Die Musealisierung der Migration
Rezensiert von em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin, 07.01.2010

Joachim Baur: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation.
transcript
(Bielefeld) 2009.
404 Seiten.
ISBN 978-3-8376-1264-6.
34,80 EUR.
CH: 59,00 sFr.
Reihe: Kultur- und Museumsmanagement.
Thema und Hintergrund
Migration ist ein sehr altes und weltweites Phänomen. Abgesehen von kleinräumigen Wanderungen wie z.B. Arbeitswanderungen vom Land in die Stadt, Ausbildungs- oder Heiratswanderungen hat es, seit Menschengedenken, schon immer auch die verschiedensten Formen von grenzüberschreitenden Wanderungen gegeben. Migration und kulturelle Vielfalt prägen heute insbesondere die modernen Gesellschaften, in denen sie zu einem herausgehobenen politischen und gesellschaftlichen Thema geworden sind. Das historische und politische Selbstverständnis von Einwanderungsgesellschaften wird immer wieder hinterfragt.
Joachim Baur legt hier eine Studie vor, die sich dem Wechselverhältnis von Geschichte, Migration und Museum widmet und die Entstehung, Konzeption sowie expositorische Arbeit von drei ›klassischen‹ Einwanderungsmuseen in den USA, Kanada und Australien vergleichend untersucht. Baur verfolgt mit seiner Studie drei Ziele: „erstens die vertiefte Analyse dreier Museen; zweitens die Bestandsaufnahme und Untersuchung alternativer Prozesse und Formen der Musealisierung der Migration in drei verschiedenen Kontexten und drittens die Diskussion der übergreifenden These von der Inszenierung und multikulturellen Re-Vision der Nation im Einwanderungsmuseum.“ (S. 323)
Diese Arbeit ist 2008 als Dissertation an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Tübingen angenommen worden.
Autor
Dr. Joachim Baur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und lehrt Museumswissenschaft an der Universität Tübingen.
Aufbau und Inhalt
Abgesehen vom Vorwort, Anhang und Sachregister besteht das Buch aus sechs Kapiteln.
In der Einleitung mit dem Titel „Die Musealisierung der Migration. Besichtigung einer Konjunktur“ erläutert der Autor die „Ausgangslage“ und den Aufbau der Arbeit.
„Koordinaten des Einwanderungsmuseums“ betitelt Baur das nächste Kapitel, in dem die „Grundlagen, Forschungsperspektive und Methode“ der Studie aufgezeigt werden.
In den folgenden drei Kapiteln werden die drei ausgewählten Museen analysiert:
- Das Ellis Island Immigration Museum (Titel: Amerikanische Ansichten),
- das Museum Pier 21 in Halifax (Canada‘s Immigration Museum) sowie
- das Immigration Museum Melbourne.
Die Darstellungen betreffen im ersten Teil die Produktion des jeweiligen Museums und im zweiten Teil dessen Präsentationen. Da diese Museen unterschiedlich entstanden sind und sich unterschiedlich entwickelt haben, sowie die vorhandene Literatur laut Angaben des Autors recht ungleich ist, sind nicht nur die Inhalte, sondern auch die Umfänge der Darstellungen unterschiedlich.
In dem abschließenden sechsten Kapitel mit dem Titel Kreuzungen, Knotenpunkte, Anschlussstellen führt der Autor die Erkenntnisse seiner vergleichenden Analysen zusammen und diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Er zeigt sodann Anschlüsse für weitere Studien zur Musealisierung der Migration auf und skizziert abschließend seine Vision von einem „Migrationsmuseum“.
Der Anhang enthält archivalische Quellen, eine Übersicht der vom Autor geführten Interviews, „Konzeptpapiere und graue Literatur“, die bei den Museen vorliegen und dort einzusehen sind, sowie verwendete Literatur und Websites, auf die zugegriffen wurde.
Zielgruppe
Die Studie wendet sich laut Verlagsangaben an Kulturwissenschaftler, Kulturpolitiker und Museumsmacher.
Fazit
Das Buch ist übersichtlich gegliedert. Der Text ist optisch durch mehrere Fotos aufgelockert. Die Ausführungen sind sprachlich sehr präzise. Die Recherchen sind sehr solide. Die Argumente des Autors sind umsichtig und zeigen, dass er über hervorragende Kenntnisse über die gegenwärtige Museumsdiskussion und über die aktuelle europäische Migrationspolitik verfügt. Er vergleicht die drei Museen souverän, erläutert seine gewonnenen Ergebnisse differenziert und ordnet sie in den Diskurs über die Musealisierung der Migration ein, der aktuell im europäischen Raum stattfindet. Dadurch liefert dieses Buch für die gegenwärtigen Debatten in Europa sicherlich einen sehr anregenden Impuls, so dass nicht nur die vom Verlag als Zielgruppe genannten Kulturwissenschaftler, Kulturpolitiker und Museumsmacher das Buch mit Gewinn lesen können, sondern ebenso alldiejenigen, die an dem Wechselverhältnis von Geschichte, Migration und Museum interessiert sind.
Rezension von
em. Prof. Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule BW Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen
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