Franz-Reinhard Habbel , Andreas Huber (Hrsg.): Web 2.0 für Kommunen und Kommunalpolitik
Rezensiert von Prof. Dr. Klaus Lenk, 04.02.2010
Franz-Reinhard Habbel , Andreas Huber (Hrsg.): Web 2.0 für Kommunen und Kommunalpolitik. Neue Formen der Öffentlichkeit und der Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Bürger.
Hülsbusch
(Boizenburg) 2008.
ISBN 978-3-940317-36-0.
D: 27,50 EUR,
A: 28,27 EUR,
CH: 43,90 sFr.
Reihe: Web 2.0.
Thema
Unter der Sammelüberschrift „Web 2.0“ bzw. „Social media“ haben sich im Internet bestimmte Formen der Kommunikation und Organisation in explosionsartiger Weise (weiter-)entwickelt. Sie betreffen Zusammenarbeit, insbesondere im Wissensaustausch, ferner soziale Vernetzung und mehrseitige Kommunikation. Das Buch sieht das Gemeinsame an diesen Formen der Kollaboration und Kommunikation in der besonderen Einbindung der Nutzer, die als unentgeltliche Informationslieferanten an der Erstellung der Internetangebote beteiligt seien („User Generated Content“). Der Anspruch des Buches geht dahin aufzuzeigen, wie das Web 2.0 für die Erneuerung des Staates und die Verbesserung des Kontakts mit dem (sic!) Bürger eingesetzt werden kann.
Diese Ausdrucksweise: „Angebot“, „Einsetzen des Web 2.0 für etwas“ steht in einem nicht thematisierten Kontrast zu dem einzigen englischsprachigen Text in der Sammlung, der vom Bestsellerautor David Weinberger („Everything is miscellaneous. The Power of the New Digital Disorder“) stammt. Dieser gibt zwar keine klare Antwort auf die selbst gestellte Frage, wohin die Reise geht, vermittelt aber auf vier Seiten sehr plastisch das Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlich freien und nutzergetriebenen Weiterentwicklung und Neuerfindung von Nutzungsformen des Internet einerseits und den institutionellen Interessen der Wirtschaft und auch der Verwaltung bzw. Politik andererseits.
Aufbau und ausgewählte Inhalte
Seinem Anspruch will das Buch mit insgesamt 24 Beiträgen auf nur 170 Seiten gerecht werden. Die Beiträge können hier nicht im einzelnen besprochen werden Sie betreffen so unterschiedliche Dinge wie
- Kommunalwahlkampf,
- lokale Internetmagazine,
- E-Partizipation,
- Bürgerhaushalt,
- E-Inklusion,
- Kulturmanagement,
- Stadtentwicklung,
- Soziale Netzwerke in Behörden, und natürlich
- Blogs und politische (Video-)Kommunikation in der klassischen Einweg-Konstellation.
Zum Teil geht man von technischen Systemen wie Bluetooth aus und demonstriert ihren möglichen Nutzen. Hinzu kommen etliche Anwendungsreportagen in der in der Fachpresse üblichen Manier, teils verkoppelt mit der Selbstdarstellung von Lösungsanbietern. Hier werden Beispiele dafür benannt, wie nützlich es sein kann, Bürgerinnen einzubeziehen, um schneller den klappernden Kanaldeckel oder den neuen Mitarbeiter zu finden – das geht so weit, dass Information über die Wasserqualität an Badestränden unter dem Oberbegriff „Klimarettung 2.0“ abgehandelt wird.
Diskussion
Vieles ist von Hoffnung getragen, atmet Aufbruchgeist. Derartige Bücher veralten allerdings sehr schnell, vor allem, wenn die artikulierten Hoffnungen durch Umsetzungsprobleme und sonstige Nachteile getrübt werden.
Von einigermassen bleibendem Wert sind jene Beiträge, die gut über Zusammenhänge informieren, so die Einleitung der beiden Herausgeber, ferner die Beiträge zum Kulturmanagement (Frank) und zu Sozialen Netzwerken in Behörden (Kaczorowski). Auch die Beiträge zur E-Partizipation (Albrecht/Westholm) und zu Bürgerhaushalten (Märker/Wehner, Lübcke/Lührs) sind sehr lesenswert, wenngleich sie gegenüber anderen Veröffentlichungen der Autoren nicht viel Neues bringen – handelt es sich doch durchweg um Dinge, die bereits entwickelt wurden, bevor Web 2.0 als Schlagwort die Runde machte. Manche interessanten Einfälle finden sich verstreut in Beiträgen, die von Medienschaffenden gezeichnet sind; so die Rückführung des Blogging auf die lange Tradition des Schreibens für die Öffentlichkeit, angefangen bei Mark Aurel (Beitrag Klima/Wawer) – es hätte nahe gelegen, die altehrwürdige Institution der Stadtschreiber auch zu erwähnen.
Zu einem wichtigen Thema der Kommunalpolitik, der kulturellen Integration der lokalen Gesellschaft, findet sich in einem Beitrag über „E-Inklusion“ leider nicht das, was man erwarten könnte, nämlich Nutzung der Chancen zu erweiterter Kommunikation im Interesse gesellschaftlicher Kohäsion. Vielmehr geht es nur um möglichst viel Internetnutzung, und dies bezogen auf die schon lange bekannten öffentlichen und privaten Informations- und Transaktionsangebote.
Die Bilanz ist mithin durchwachsen. Für eine erste Information eignet sich das Buch durchaus, und es vermittelt manche Anregung. Die Diskussion geht freilich rasch weiter, und so denkt man inzwischen über Manches nach, was noch nicht Gegenstand des Buches war. Vielversprechend ist beispielsweise die Einbeziehung von BürgerInnen in die Messung und Bewertung kommunaler Leistungen im Alltag, also in das Performance Measurement, über die Aufstellung des Haushalts hinaus. Auch können vorhandene Systeme des Wissensmanagements durch Ansätze des Web 2.0 verbessert werden.
Aber die im Buch genannten wie auch weitere Möglichkeiten des Web 2.0 haben auch Nachteile, und darüber erfährt man fast nichts (ausgenommen den Beitrag von Genner über Blogs). In den USA werden diese schon breit diskutiert: Welches Potential an Zeit und Aufmerksamkeit wird durch Web 2.0-Entwicklungen gebunden, und welche anderen wichtigen Agenden leiden darunter? Wie lassen sich die hohen Ansprüche des Publikums an Korrektheit der von öffentlichen Stellen gelieferten oder gebündelten Information einlösen? Wie reagieren Politiker, wenn es sich im Wege des Crowdsourcing herausstellt, dass andere Problemlösungen möglich wären als diejenigen, die sie propagieren? Und zögern nicht manche Kommunalverwaltungen, sich zu engagieren, weil sie das rasche Veralten mancher Entwicklungen und damit Fehlinvestitionen fürchten?
Fazit
Weil derartige Dinge nicht besprochen werden, dürfte der Band für die Kommunalpolitik letztlich nur eine bescheidene Hilfe sein. Auf der inneren Titelseite firmiert der „Innovators Club – Deutschlandforum Verwaltungsmodernisierung“ mit. Wirklich innovatives Verhalten unserer Kommunalverwaltungen erzielt dieser Club nur dann, wenn er von den Problemen ausgeht, denen sich die kommunale Praxis ausgesetzt sieht, und wenn er dann im Lichte dieser Probleme aufzeigt, welche kommunikativen und organisatorischen Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung nahe liegen.
Rezension von
Prof. Dr. Klaus Lenk
Universität Oldenburg
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Zitiervorschlag
Klaus Lenk. Rezension vom 04.02.2010 zu:
Franz-Reinhard Habbel , Andreas Huber (Hrsg.): Web 2.0 für Kommunen und Kommunalpolitik. Neue Formen der Öffentlichkeit und der Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Bürger. Hülsbusch
(Boizenburg) 2008.
ISBN 978-3-940317-36-0.
Reihe: Web 2.0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8798.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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