Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Eckhard Feddersen, Insa Lüdtke (Hrsg.): Entwurfsatlas Wohnen im Alter

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 03.11.2010

Cover Eckhard Feddersen, Insa Lüdtke  (Hrsg.): Entwurfsatlas Wohnen im Alter ISBN 978-3-7643-8870-6

Eckhard Feddersen, Insa Lüdtke (Hrsg.): Entwurfsatlas Wohnen im Alter. Birkhäuser (Basel ) 2009. 247 Seiten. ISBN 978-3-7643-8870-6. 49,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Wohnen im Alter hat etwas Zwiespältiges. Mit Wohnen verbindet man in der Regel eine selbständige Lebensführung in eigenen Räumlichkeiten. Doch mit dem Alter nimmt abrupt oder unmerklich diese Fähigkeit zur Bewältigung des Alltags ab und es werden zunehmend Hilfen von vertrauten Personen oder beruflich Helfenden in Anspruch genommen, die für diese Zwecke die Hilfebedürftigen in ihren Wohnungen aufsuchen. Oft werden in dieser Phase parallel hierzu verschiedene Wohnanpassungs- und Sicherungsmaßnahmen (Sanitärbereich, Treppenlifter, Notrufanlage etc.) vorgenommen. Wenn dann die Gebrechlichkeit und oft auch die Vereinsamung zunehmen und keine Familienangehörigen im Nahbereich als Helfer zur Verfügung stehen, wird oft ein Umzug in eine Wohnung oder ein Apartment einer Einrichtung altengerechten Wohnens mit angeschlossenen Versorgungsleistungen in Erwägung gezogen (Betreutes Wohnen oder Wohnen mit Service). Und wenn dann besonders bei den allein lebenden Hochaltrigen krankheitsbedingte kognitive Minderleistungen (Demenzen) vermehrt auftreten, ist der Verbleib in einem Pflegeheim als Lebensraum und Schutzzone zugleich angezeigt. Für diese verschiedenen Phasen des Alterns gilt es angepasste Individual- und Gemeinschaftsräumlichkeiten zu schaffen, die ein ausgewogenes Maß an Privatsphäre und zugleich auch an Öffentlichkeit ermöglichen.

In der vorliegenden Veröffentlichung werden Beispiele für diese verschiedenen Wohn- und Pflegeeinrichtungen aus der Sicht der Architektur vorgestellt.

Herausgeber und Autoren

Bei den Herausgebern und Autoren handelt es sich überwiegend um Architekten, doch u. a. auch Sozialplaner, Pflegende und Fachleute aus der Immobilienbranche haben mitgewirkt: Eckhard Feddersen, Insa Lüdtke, Dr. Helmut Braun, Dr. Stefan Dreßke, Maria Dwight, Dietmar Eberle, Angelika Hausenbiegl, Bernhard H. Heiming,

Matthias Hürlimann, Katharina Hürlimann-Siebke, Dr. Maria-Therese Krings-Heckemeier, Yasmine Mahmoudieh, Johanna Myllymäki-Neuhoff, Georg W. Reinberg, Beth Tauke, Nikolaos Tavridis, Dr. Rudolf Welter und Harms Wulf.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation ist grob in einen Textteil (Grundlagen und Prozesse) mit 17 meist kurz gefassten Beiträgen und einen Darstellungsteil von Architekturbeispielen mit insgesamt 39 Projekten aus dem Bereich „Wohnen im Alter“ mit Kurzbeschreibung, Fotos und Grundrissen aufgeteilt.

Im einführenden Textteil, der ca. ein Drittel der Veröffentlichung umfasst, werden in übersichtsartigen Beiträgen u. a. folgende Aspekte der Thematik Wohnen im Alter beschrieben:

  • Der Wandel des Wohnens im Alter in modernen Gesellschaften angesichts erhöhter Lebenserwartung und Ausdünnung der sozialen Netzwerke (Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft u. a.)
  • Demographische Auswirkungen zunehmend alternder Gesellschaften auf die erforderlichen Versorgungsstrukturen
  • Neue Wohnformen wie z. B. Betreutes Wohnen oder Wohnen mit Service
  • Wandlungen in den Seniorensiedlungen („Retirement Communities“) in den USA
  • Die Lebenswelt Demenzkranker in stationären Einrichtungen
  • Darstellung einer speziellen Sterbeeinrichtung (Hospiz) mit seinen Versorgungsleistungen und Räumlichkeiten
  • Vorsorge in der Grundrissplanung bezüglich der Alterung der Bewohnerschaft
  • Aspekte der Innenarchitektur und des so genannten Produktdesigns (Möblierung u. a.)
  • Gärten für Senioren unter dem Blickwinkel altersgerechter Freiraumgestaltung besonders für Demenzkranke
  • Die Rolle des Architekten im so genannten „Planungsmarkt Pflege und Wohnen“
  • Planen und Entwerfen von Einrichtungen für Demenzkranke
  • Lebenszyklus und Energiebilanz von Wohngebäuden
  • „Wohnungswirtschaft“ und „Pflegewirtschaft“ – die Funktion von Betreiber, Träger und Bauherren (Investoren u. a.)
  • Projektsteuerung und Kostenmanagement bei Seniorenimmobilien
  • Qualitätsmanagement und Zufriedenheitsstudien

Der Darstellungsteil mit Architekturbeispielen aus dem Bereich Wohnen im Alter ist in folgende Rubriken unterteilt, wobei jede Einrichtung mit vielen Fotos und Grundrissen präsentiert wird:

  • Mehrgenerationen-Wohnen: Bei dieser relativ seltenen Wohnform mit eher Nischencharakter werden Beispiele aus Bonn (Umbau und Erweiterung einer Klosteranlage), Wien (futuristischer Erweiterungsbau eines selbst verwalteten Wohn-, Kultur- und Integrationsprojektes) und Zürich (Wohnüberbauung einer Neubausiedlung am Stadtrand) vorgestellt.
  • Betreutes Wohnen – Wohnen mit Service: Hier werden Architekturbeispiele aus Frankfurt am Main (Cronstetten-Haus), einem Vorort von Oslo (Wohn- und Begegnungszentrum Tarnasen), Liverpool (Brookside House), Bad Rappenau („Stadtcarré“), Emerald in den Niederlanden, Hamburg (Elbschloss Residenz), Palm Beach Florida, Siedlungsgebiet der Amischen in Ohio und eine Seniorenresidenz in Fukuoka-City in Japan gezeigt.
  • Wohn- und Pflegeheime: 12 Beispiele Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien, Japan, Tschechien, Schweden und Finnland
  • Zielgruppenorientiertes Wohnen: Hier werden Wohnprojekte für Frauen und für Homosexuelle aus den Niederlanden, Norwegen, der Schweiz, den USA, Japan und Deutschland (Berlin) vorgestellt.
  • Wohnen für Demenzkranke: In diesem Abschnitt werden drei Beispiele aus Deutschland (Nürnberg), Frankreich (Le Creusot) und der Schweiz (Wetzikon) präsentiert.
  • Integratives Wohnen – quartiernahe Angebote: Bei diesen Wohnkonzepten wird auf eine Einbeziehung der unmittelbaren Nachbarschaft in das soziale Leben der Wohn- und Pflegeeinrichtungen Wert gelegt, mit Beispielen aus Österreich, Dänemark, Luxemburg und Deutschland (Wernigerode und Ennepetal).

Diskussion

Architektur ist neben funktionalem Bauwesen oft zugleich auch dem Selbstverständnis nach Kunst. Der Architekt zeigt in den Entwürfen seine Kreativität, sein schöpferisches Können. Doch diese ästhetische Selbstverwirklichung darf im Bereich Wohnen und Pflegen alter und meist auch gebrechlicher Menschen nur eine nachrangige Bedeutung besitzen. In diesem Segment steht die Optimierung der Person-Umwelt-Passung unter räumlichen Aspekten im Mittelpunkt. Räumlichkeiten und deren Ausgestaltung dienen somit vordringlich der Kompensation der körperlichen und geistigen Gebrechen und Beeinträchtigungen. Das heißt zugleich auch Vorrang von Arbeitsabläufen in räumlicher Optimierung. Ästhetik und die schöpferischen Impulse sind hierbei oft störende Elemente, die das Gefühl der Geborgenheit und das Wohlfühlen beeinträchtigen können. Den hier vorgestellten Entwürfen ist deutlich die Ferne vom Thema alter Mensch mit Hilfe- und Pflegebedarf anzumerken. Sie wirken in vielen Beispielen kalt und wenig heimelig. Man kann sich nicht so recht vorstellen, jahrelang diese Räumlichkeiten als ausschließliche Lebenswelt in der letzten Lebensphase zu nutzen. Es kann in diesem Kontext nur angeregt werden, zuerst die Kernelemente des Milieus für pflegebedürftige und demenzkranke Personen eindeutig herauszuarbeiten, um anschließend hiervon Leitlinien für die Raumstruktur und Innengestaltung abzuleiten.

Fazit

Der vorliegende Entwurfatlas Wohnen im Alter vermag nicht zu überzeugen, da wesentliche Gestaltungselemente für gebrechliche Personen unzureichend Berücksichtigung gefunden haben. In dieser Publikation überwiegt leider die Kreativität der Architekten mit ihren ästhetischen Vorstellungen. Die Belange einer vordringlich kompensatorischen und bedürfnisorientierten Funktionalität des Raumes kommen dementsprechend zu kurz.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
Website
Mailformular

Es gibt 224 Rezensionen von Sven Lind.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 03.11.2010 zu: Eckhard Feddersen, Insa Lüdtke (Hrsg.): Entwurfsatlas Wohnen im Alter. Birkhäuser (Basel ) 2009. ISBN 978-3-7643-8870-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8805.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht