Burkhard Pechmann: Rückzug und Aufbruch
Rezensiert von Prof. Dr. Christiane Burbach, 28.09.2010

Burkhard Pechmann: Rückzug und Aufbruch. Seelsorgliche Hinführungen zu Menschen im Alter. Evangelische Verlagsanstalt (Leipzig) 2009. 202 Seiten. ISBN 978-3-374-02720-0. D: 16,80 EUR, A: 17,30 EUR, CH: 32,70 sFr.
Entstehungshintergrund und Thema
Das Buch ist aus der Praxis der Seelsorge und Begleitung alternder Menschen entstanden und für Menschen geschrieben, die ältere Menschen begleiten, beraten und seelsorgliche Gespräche mit ihnen führen. Es sucht neue Deutungshorizonte für Erfahrungen des Älterwerdens und des Alters auf, Be-Deutungen, die sich nicht einfach nur verrechnen lassen als ein Nicht-Mehr, was der einfache Vergleich mit der Phase des vorhergehenden Erwachsenenalters nahe legen könnte. Alter, so hat es der Seelsorger verschiedener Hannoverscher Alteneinrichtungen erfahren, ist sowohl Rückzug als auch Aufbruch. Das Buch enthält ältere und moderne Bilder und Fotos über alte Menschen, Andachtsbilder zu verschiedenen theologischen Topoi und sowie Gebete, Meditationen und Gesangbuchverse. Es wechseln sich argumentative und meditative Texte ab. Sinnvolle Unterüberschriften erhöhen die Lesbarkeit und erlauben den Zugriff auf der Basis selektiver Lektüre. Viele Beispielgeschichten lassen die Erfahrungen anschaulich werden. Seelsorgliche Fragestellungen und mögliche Ziele werden dargestellt.
Aufbau und Inhalt
Bereits in der Einleitung werden interessante Aspekte der Herangehensweise erkennbar. Z.B. wird zwischen alternden Frauen und alternden Männern unterschieden. Es wird als Gliederung des Buches eine Perspektive aufgemacht, die die Spur der Loslösung, der Vertiefung verfolgt, Erfahrungen der Erniedrigung auslotet und Entlastungen und schließlich auch die Erlösung zur Sprache bringt.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den Tarnungen des Alters, das Ausweichen z.B. durch Haare färben und Liften, Anti-Aging Maßnahmen, die das Richtig - Altsein aufschieben, andererseits aber auch neuen Druck erzeugen. Als hilfreich hingegen wird das Annehmen des Alters betrachtet, wie es sich z.B. in Dürers Kupferstich seiner Mutter von 1514 zeigt.
Das zweite Kapitel thematisiert verschiedene Loslösungen: die von der Aktivität des Lebens, den Reinigungs- und Ordnungsprozeduren des Erwachsenen und auch von den Grenzen des standesgemäßen Lebens. Freiheiten zur Passivität, zur Verwahrlosung und u.U, auch zur Boshaftigkeit werden genutzt. Der Seelsorger plädiert dafür, den Spuren ungelebten Lebens nachzuspüren und den Sinn solchen Verhaltens zu ergründen zu suchen.
Das dritte Kapitel sucht Erfahrungen der Tiefe zu ergründen: das Erleben verschiedener Ängste, das Aushaltenmüssen seelischer und körperlicher Schmerzen. Erwogen werden Entlastungen durch das Aussprechen und auch im Sich-Verbinden mit den Ängsten und Schmerzen Jesu in der Meditation.
Erniedrigungserfahrungen des Alters werden im vierten Kapitel thematisiert. Ausgebreitet werden Zahlen, Daten Fakten und Beispielsgeschichten der Altersarmut. Den Gründen der Verarmung, den Abstiegen in wirtschaftlicher, sozialer und persönlicher Hinsicht wird nachgegangen. Welchen Reichtum an nicht materiellen Gütern kann dieser Armut entgegengesetzt werden? Erfahrungen der Scham über körperliche Unzulänglichkeiten, die sich einstellen, das Beschämtwerden z.B. durch Ausgrenzung stellen einen weiteren Aspekt der Erniedrigung dar, wie auch die Erfahrung von Niederlagen, die an die Substanz gehen. Der Seelsorger sucht hier Sinnzusammenhänge zur Loslösung von der Welt der Aktivität und der Siege, der dem Sterben vorausgeht.
Schließlich wird auch der Aspekt der Entlastungen im Alter beleuchtet. Entlastet werden ältere Menschen durch Panzerungen, Barrieren und Schutzmechanismen, die sie im Alter u.U. noch verstärken, um ihrer Schutzlosigkeit entgegenzuwirken. Spirituellen Schutz können hier auch die Bekreuzigung, das (Psalm-)Gebet oder die Schutzmantelmadonna bieten. Auch die Wut, die zur Wiederherstellung des eigenen Stolzes und der Würde eingesetzt wird, kann als entlastend empfunden werden, ebenso wie der Trotz gegen alle möglichen Angebote und Maßnahmen, die eine Alteneinrichtung anbietet.
Im letzten Kapitel wird unter der Überschrift „Erlösungen“ zunächst das Thema „Demenz“ bearbeitet. Demenz könnte als eine Erkrankung verstanden werden, die aus den bisher relevanten Bezügen herausführt und einen Übergang schafft in eine unbekannte Welt, so der Autor. Nachgezeichnet werden die Stadien der Erkrankung und der Umgang mit den Menschen selbst und ihren Angehörigen. Es folgt das Thema „Glanz“. Glanz wurzelt für den Autor in der Gegenwart Gottes und ist gelegentlich auch auf den Gesichtern alter und sterbender Menschen nach Erteilung des Segens oder nach einer Salbung wahrzunehmen. Als „Morgenglanz der Ewigkeit“ ist er ein Vor-Schein der Auferstehung, der die alten Menschen entgegen gehen.
Eine Predigt fasst wesentliche Gedanken über das Altwerden und die Seelsorge mit älteren Menschen zusammen.
Fazit
Das Buch sollte unbedingt von Menschen gelesen werden, die professionell mit alten Menschen arbeiten. Es eignet sich jedoch auch, um sich auf das eigene Altsein und Sterben vorzubereiten.
Rezension von
Prof. Dr. Christiane Burbach
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