Dominique Moïsi: Kampf der Emotionen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 08.01.2010

Dominique Moïsi: Kampf der Emotionen. Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen.
Deutsche Verlagsanstalt
(München) 2009.
240 Seiten.
ISBN 978-3-421-04332-0.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 34,90 sFr.
Originaltitel: The geopolitics of emotion.
Unsere Hoffnung auf dem Fundament eurer Angst bauen
Diese Metapher kann man als den Prototyp des Ausdrucks von Einfluss, Macht und Fehlleitung von Einstellungen und Haltungen von Menschen bezeichnen, die andere Menschen zu beeinflussen versuchen oder sie sogar dominieren wollen. Philosophen, Psychologen und Anthropologen setzen sich immer wieder mit der Bedeutung auseinander, die Gefühle, Stimmungen, Affekte und Erregungen für das menschliche Leben haben. Der Mensch als emotionales Wesen wird einerseits als Gegensatz zum zôon logon, dem verstandes- und vernunftbestimmten Lebewesen betrachtet, andererseits hat die Gehirnforschung mit den bildgebenden Verfahren, etwa dem Magnetresonanztomographen oder der Elektroenzephalographie zu Tage gefördert, dass offensichtlich sogar beim wirtschaftlichen Handeln die Gefühle über denen des rationalen, verstandesgemäßen Denkens stehen; genau so, wie sie die gängigen Auffassungen korrigiert hat, dass Frauen emotionaler und Männer rationaler wären und handelten. In einem großangelegten Forschungsprojekt, das an der Freien Universität in Berlin Forscher aus den verschiedenen Disziplinen zusammen bringt, kommen interessante Ergebnisse heraus; etwa, dass Emotionen ein wichtiger Teil menschlicher Bildung und Entwicklung sei, ja, dass Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Gefühle zu zeigen, auch nicht fähig zur Kommunikation und zum sozialen Denken und Handeln wären.
Entstehungshintergrund und Autor
Während die griechischen Stoiker von einer Passion als einer „unvernünftigen und naturwidrigen Bewegung der Seele“ ausgehen, sieht Aristoteles im Pathos Gefühle, die mit Schmerz und Lust, mit Zorn, Mitleid, Begierde, Neid, Furcht, Mut und Freude verbunden sind. Im historischen, philosophischen Diskurs werden die Ausprägungen und Bedeutungen von Gefühlen überwiegend dem individuellen menschlichen Dasein zugeordnet; Gefühle als Bedeutungselemente für historisches und kulturelles Handeln der Menschen sind eher selten Bestandteil des intellektuellen Denkens (vgl. dazu: August Nitschke u.a., Hg., Überraschendes Lachen, gefordertes Weinen. Gefühle und Prozesse. Kulturen und Epochen im Vergleich, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2009, 773 S., siehe socialnet Rezensionen unter https://www.socialnet.de/rezensionen/8331.php). Noch weniger reflektiert werden die Zusammenhänge, wie im transkulturellen Kontext Emotionen die globale Politik beeinflussen und bestimmen.
Das vom französischen Politikwissenschaftler Dominique Moïsi mit dem Titel „The Geopolitics of Emotion“ in New York veröffentlichte Buch hat mit der etwas reißerischen Titelung der deutschen Ausgabe als „Kampf der Emotionen“ Anklänge an Samuel P. Huntingtons „Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“, das mit der ebenfalls missverständlichen Übersetzung als „Kampf der Kulturen“ Aufsehen und kontroverse Diskussionen fand. Die etymologischen Zusammenhänge mit Huntingtons Provokation lassen sich für die Entstehung des ursprünglichen Titels „The Clash of Emotions“ ebenfalls aufzeigen. Hier aber enden bereits die Ähnlichkeiten. Moïsis Schlüsselbegriff für die Einschätzung der Bedeutung von Emotionen im historischen, kulturellen und globalen Kontext ist „Selbstvertrauen“. Denn es sind drei grundlegende emotionale Befindlichkeiten, die „Zuversicht“ ermöglichen oder verhindern: Angst, Hoffnung und Demütigung. Aber lässt sich die An- oder Abwesenheit von „Zuversicht“ als ethnische und nationale Eigenschaft erkennen und messen – und damit auch vergleichen? Moïsi ist der Meinung, dass dies möglich ist. Dabei unternimmt er nicht den Versuch, eine „Geschichte der Emotionen“ zu schreiben; vielmehr legt er ein „Essay über die Globalisierung und die Notwendigkeit (vor), sich mit Emotionen zu befassen, um unsere im Wandel begriffene Welt zu verstehen, ein Versuch, die Globalisierung gewissermaßen in ihrer emotionalen Dimension zu vermessen“.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Kapitel setzt er sich mit „Globalisierung, Identität und Emotionen“ auseinander, indem er auf die Interdependenzen, Instabilitäten und globalen Spannungen verweist, die als universelle Prozesse sowohl individuell als auch institutionell und transnational sich als Angst, Demütigung und Hoffnung auswirken. Geopolitisch lässt sich ein „emotionales Muster unserer Welt“ zeichnen. Dabei kommt er zu einer Kartierung, die sicherlich im wissenschaftlichen Diskurs Widerspruch finden wird: Während in Asien, bezogen auf die Bewältigung von Weltkrisen, eher die Hoffnung vorherrschte, zeigten sich in den arabischen Ländern Gefühle der Demütigung und eines mangelnden Selbstvertrauens, und im Westen bestimme die nackte Angst das emotionale Gefüge der Menschen.
Im zweiten Kapitel skizziert er eine „Kultur der Hoffnung“, indem er auf die (ökonomische!) Entwicklung in China und Indien zeigt und „Chindia“ im globalen Entwicklungsprozess eine zukunftsträchtige Rolle zuweist. Allerdings belässt er es bei seinem Optimismus, Asien als den Kontinent der Hoffnung zu bezeichnen, bei Utopien, die bei der aktuellen Lage in der Welt der Einlösung warten.
Die Auswirkungen einer „Kultur der Demütigung“ zeigt er im dritten Kapitel auf. Weshalb Moïsi z. B. die Bedeutung der Religion in den emotionalen Prozessen nur am Beispiel des Islam in den arabischen Ländern diskutiert und die „zunehmende Radikalisierung in der islamischen Welt“ als Ursache für die emotionalen Gefühle der Demütigung und Erniedrigung nennt, wird ihm vermutlich viel Kritik einbringen. Zwar unterliegt er nicht der (allzu plumpen) Versuchung, den Islam mit Islamismus oder gar Terrorismus gleichzusetzen; doch mit seiner Einschätzung, „dass die besten Kenner der arabischen Welt und Kultur überwiegend westliche Experten sind“, übersieht er die zunehmende intellektuelle und selbstbewusste Bedeutung von muslimischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei ihrer Suche nach der islamischen Identität gute Strecken des sicherlich mühsamen Weges der Hoffnung zurück legen (vgl. dazu z. B.: Kai Hafez, Heiliger Krieg und Demokratie. Radikalität und politischer Wandel im islamisch-westlichen Vergleich, transcript Verlag, 2009, in: socialnet Rezensionen unter https://www.socialnet.de/rezensionen/8667.php).
Zwar könne Angst auch Hoffnung hervorbringen, doch eine „Kultur der Angst“ im vierten Kapitel als ein westliches, europäisches und nordamerikanisches Phänomen zu bezeichnen, hilft bei der Analyse der Gefühlshaushalte in der Welt wenig. Bezweifelt werden darf auch, dass die Überwindung der (westlichen) Angst ausgerechnet mit der „Wiedererweckung des amerikanischen Traums“ möglich sein solle. Für den Rezensenten stellt sich dieses Kapitel als das schwächste der durchaus interessanten und bedenkenswerten „Gefühls-Analyse“ dar.
So kommt es auch, dass Moïsi seiner Kategorisierung und globalen Kartierung in die emotionalen Eigenschaften „Angst, Demütigung und Hoffnung“ im fünften Kapitel „Grenzfälle“ benennt, bei denen die Charakterisierung überwiegend in eine der Gefühle nicht greift; wobei freilich zu fragen ist, ob bei einer Länder-, regionalen und kontinentalen Analyse „komplizierte Mischungsverhältnisse“ nicht ebenso vorfindbar sind, wie z. B. bei: Russland, Iran, Israel, Afrika (welche Länder und Regionen?), Lateinamerika (dto).
Mit dem sechsten Kapitel schließt er seinen Versuch, „die Welt und das kollektive Verhalten der Nationen unter dem Aspekt gewisser Emotionen zu verstehen“, mit zwei Szenarien ab, wie die Welt seiner Meinung nach im Jahr 2025 verfasst sein könnte. Diese Gedankenspiele, wie sich die Welt entwickele, falls die Angst das bestimmende Gefühl sei, und im Gegensatz dazu, wenn sich die Hoffnung durchsetzte, zeigen durchaus Scharm. Sie fordern heraus zu einem real-utopischen und gleichzeitig positiv-subversiven Denken, bei denen die emotionalen und rationalen Gefühle vorherrschen, dass die Menschheit in der globalisierten Welt nur dann sich weiterentwickeln wird, wenn sie vom Bewusstsein des humanen Wandels getragen wird und auf den Bewusstseinszuständen Hoffnung und Zuversicht basiert.
Fazit
Ob der Titel von Dominique Moïsis Buch „Kampf der Emotionen“ aus einem verlagskalkulatorischen Gefühl entstanden ist, sei dahin gestellt. Der Originaltitel „The Geopolitics of Emotion“ jedenfalls klingt weniger aufreizend – und missverständlich. Obwohl der Rezensent mit einigen Zuordnungen und Kartierungen in Moïsis Weltkarte der Emotionen nicht einverstanden ist, kann der (natürlich nicht erstmalige) Versuch, die Bedeutung von Gefühlsäußerungen und –einstellungen im Zusammenhang mit der globalisierten Weltpolitik zu befragen, als eine geopolitische Initiative begrüßt werden – weil Emotionen positives und negatives Denken und Handeln der Menschen überall auf der Welt bestimmen und den Menschen als zôon politikon, als politisches Lebewesen bestimmen und ihn zu einem sprach- und vernunftbegabten Lebewesen befähigen, mit Emotion und Ratio.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 08.01.2010 zu:
Dominique Moïsi: Kampf der Emotionen. Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen. Deutsche Verlagsanstalt
(München) 2009.
ISBN 978-3-421-04332-0.
Originaltitel: The geopolitics of emotion.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8839.php, Datum des Zugriffs 29.03.2023.
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