Ruth Bonita, Robert Beaglehole et al.: Einführung in die Epidemiologie
Rezensiert von PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, 06.03.2010

Ruth Bonita, Robert Beaglehole, Tord Kjellström: Einführung in die Epidemiologie.
Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2008.
2., vollst. überarbeitete Auflage.
312 Seiten.
ISBN 978-3-456-84535-7.
29,95 EUR.
CH: 49,90 sFr.
Reihe: Lehrbuch Gesundheitswissenschaften. Originaltitel: Basic epidemiology. Aus dem Englischen von Karin Beifuss.
Thema
Die Epidemiologie als Wissenschaft von der Verbreitung der Krankheiten in der Bevölkerung ist eine (wenn nicht die) Kerndisziplin der Gesundheitswissenschaften, und auch in Medizinstudiengängen als Teil des Querschnittsbereiches „Epidemiologie, Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik“ fest verankert. Umso defizitärer ist die relativ geringe Zahl aktueller deutschsprachiger Fachlehrbücher, die sich exklusive diesem Bereich widmen.
AutorInnen
Dr. Ruth Bonita ist emeritierte Professorin und Dr. Robert Beaglehole emeritierter Professor der Faculty of Medical and Health Sciences an der University of Auckland, Neuseeland. Beide waren u. a. mehrere Jahre in wichtigen Positionen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) tätig, so als Direktorin des Department of Surveillance in the Noncommunicable Disease Cluster (Bonita) und Direktor des Department of Chronic Disease and Health Promotion (Beaglehole). Dr. Tord Kjellstrom ist Professor am National Institute of Public Health in Stockholm, und zurzeit u. a. Visiting Fellow am National Centre for Epidemiology and Population Health der Australian National University, Canberra.
Entstehungshintergrund
Als der Gesundheitsbehörde der Vereinten Nationen und zentralen Institution der globalen Gesundheitsberichterstattung gehört Epidemiologie zum Kerngeschäft der WHO. Mit diesem Buch, dessen englischsprachige Erstauflage 1993 bei der WHO erschienen ist und international wohl bereits als ein Standardwerk gelten konnte, liegt nun die deutsche Übersetzung der vollständig überarbeiteten 2. Auflage (http://whqlibdoc.who.int/publications/2006/9241547073_eng.pdf) vor. Wie die Erstauflage soll sie vor allem die Aus- und Weiterbildung und die Forschung im Bereich der Public Health stärken.
Aufbau und Inhalt
Die 11 Kapitel des Buches, die dem Vorwort und der Einführung der Autoren folgen, lassen sich in fünf Bereiche einteilen.
- in Kapitel 1 („Was ist Epidemiologie?“) stellen die Autoren den geschichtlichen Hintergrund der Epidemiologie dar, ihre Definition und ihren Anwendungsbereich, ihr Verhältnis zur Public Health sowie besondere Erfolge epidemiologischer Tätigkeit (z. B. die Ausrottung der Pocken, die Identifikation des Rauchens als Hauptursache des Lungenkrebs und die Veranschaulichung der Folgen des schweren akuten respiratorischen Syndroms im ökonomischen und sozialen Feld);
- in den Kapiteln 2-5 wird in die methodischen Grundlagen der Epidemiologie im Hinblick auf „Das Messen von Gesundheit und Krankheit“, die verschiedenen „Typen epidemiologischer Studien“ und ihren Fehlerquellen, grundlegende Begriffe und Instrumente der Biostatistik sowie der – in den letzten Jahren wieder zunehmend diskutierten – Frage der „Kausalität in der Epidemiologie“ eingeführt, womit sie einen der beiden Kernbereich des Buches darstellen;
- im zweiten Kernbereich werden in den Kapiteln 6-9 als typische epidemiologische Anwendungsfelder die Prävention, die Überwachung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, die Klinische Epidemiologie sowie die Umwelt- und Arbeitsepidemiologie beschrieben;
- Kapitel 10 enthält Ausführungen zur Einbettung der Epidemiologie in die Gesundheitspolitik und die Gesundheitsplanung (nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Planungsrealität zuweilen, wenn nicht sogar zumeist weniger rationalen, sequenziellen Ansätzen von Planungsmodellen, sondern der Logik politischer Prozesse und Psychologie politischer Akteure folgt);
- in Kapitel 11 schließlich wird für die kritische Lektüre epidemiologischer Studien und für die Planung epidemiologischer Forschungsprojekte dem/der Leser/in jeweils ein Leitfaden an die Hand gegeben.
Alle Kapitel beginnen mit einigen grundlegenden Thesen und bedienen sich extensiv verschiedener Präsentationsformate wie Tabellen, Abbildungen und Kästen. Inhaltlich können aus meiner Sicht die folgenden Punkte der Rezeption des Buches dienlich sein:
- methodische Aspekte werden im Rahmen der Anwendungsfelder in der Regel beispielhaft wieder aufgegriffen, so etwa das Thema Dosis-Wirkungs-Beziehung, das in der Umwelt- und Arbeitsepidemiologie sicherlich gut platziert ist , jedoch z. B. für Verhaltensprävention ebenso relevant ist (hier hilft ggf. das gut sortierte Sachregister);
- das Buch ist auch in dem Sinne aktuell, dass neuere Entwicklungen ausführlicher dargestellt, so etwa die Bangkok-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO im Kapitel zur Gesundheitspolitik, der mehr Raum eingeräumt wird als der vielzitierten Ottawa-Charta.
Diskussion
Das Buch zeichnet sich durch einen klaren inhaltlichen Aufbau und eine kompakte und bemerkenswert unformale Darstellungsweise aus. So kommt selbst das Kapitel zu den biostatistischen Grundlagen, das in dieser Auflage von O. Dale Williams stammt, mit einem Minimum an Formeln aus (ersetzt allerdings deshalb auch kein Statistiklehrbuch, was aber selbstverständlich auch nicht sein Anspruch ist). Zahlreiche Beispiele, die – dem internationalen Background der Autoren entsprechend – tatsächlich aus aller Welt stammen, veranschaulichen sowohl die Geschichte der Epidemiologie als auch die aktuellen Methoden, Ergebnissen und Politikfelder. Jedes Kapitel wird durch eine Liste vertiefender Literatur abgeschlossen.
Sowohl die Einheitlichkeit des Layouts als auch die Formatierungen von Text, Abbildungen, Tabellen und Kästen empfinde ich als sehr angenehm, und die jedem Kapitel nachgestellten Lernfragen und ihre als Anhang dokumentierten Antworten als hilfreich. Die Empfehlungen für „Die ersten Schritte in der epidemiologischen Praxis“ (Kapitel 11) sind auch für bereits länger epidemiologisch Tätige, die in der Hektik ihres Alltages mit der Neigung ringen, vor allem Abstracts zu rezipieren, sicherlich lesenswert.
Weniger als kritischer denn beschreibender Hinweis sei erwähnt, dass das Buch einige Konzepte der Epidemiologie nicht hinterfragt. So habe ich auch durch Lektüre dieses Buchs nicht verstanden, warum in der Epidemiologie die Begriffe „ökologische Studie“ und „Korrelationsstudie“ synonym verwendet werden (sind Korrelationen auf der Individualebene nicht relevant?). Ebenso erschließt sich mir der Grund der (zumindest tendenziellen) Identifikation von Primordial- mit Verhältnisprävention und Bevölkerungsbezug weiterhin nicht (verweist „primordial“ nicht einfach nur auf die Vermeidung des Entstehens von Risikofaktoren, unabhängig von den Mitteln?). Allerdings würden solche Fragen den Rahmen eines Einführungstexts womöglich doch sprengen (wiewohl ich sie für grundlegend halte).
Fazit
Ein als Lehrbuch im Sinne seines Titels ohne nennenswerte Einschränkungen empfehlenswertes Werk.
Rezension von
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke
Stv. Leiter der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover
Website
Mailformular
Es gibt 13 Rezensionen von Thomas von Lengerke.