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Normand Baillargeon: Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 27.01.2010

Cover Normand Baillargeon: Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung ISBN 978-3-570-50093-4

Normand Baillargeon: Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung. Riemann Verlag (München) 2008. 384 Seiten. ISBN 978-3-570-50093-4. 18,00 EUR.

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Wider die Vernunftfeindlichkeit

Endlich, werden die einen sagen, die in der medialträchtigen Manipulieralltäglichkeit unseres gesellschaftlichen und politischen Alltags das Grundübel von Demokratie- und Politikverlust sehen (vgl. dazu auch die in Socialnet rezensierten Bücher: Lisa Rosen / Schgahrzad Farrokhzad, Hg., Macht – Kultur – Bildung. Festschrift für Georg Auernheimer, Waxmann-Verlag, 2008; Edeltraud Koller / Barbara Schrödl / Anita Schwantner, Hg. Exzess. Vom Überschuss in Religion, Kunst und Philosophie, transcript Verlag, 2009; Christian Pundt, Medien und Diskurs. Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens, transcript, 2008); unglaublich, werden sich die anderen aufregen, die in jeder Form von Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ein Sakrileg und eine Unanständigkeit sehen. Endlich macht sich einer auf, die Formen von Manipulation, Täuschung, Verarsch… so zu erklären, dass sie allgemeinverständlich und logisch nachvollziehbar sind – und damit auch den Normalbürger Denkwerkzeuge in die Hand zu geben, Bluff in der öffentlichen Meinung von Tatsachen unterscheiden zu können. Denn der Mensch ist ein zôon politikon, ein politisches Lebewesen, weil er, das wusste schon Aristoteles, sprach- und vernunftbegabt ist; und in seinem Bewusstsein von Freiheit, da halten wir uns an Immanuel Kant, nur das wirklich wissen (und glauben) könne, was sich dem Denken verdankt.

Entstehungshintergrund und Autor

Der an der kanadischen Universität in Montreal lehrende Pädagoge und Philosoph, Normand Baillargeon, macht sich Sorgen über den Erkenntniszustand der Menschheit, mit anderen Worten, über die Denk- und Vernunftfähigkeit. In den zahlreichen Neo-Religionen, New-Age-Bewegungen und esoterischen Aktivitäten komme, so der Autor, eine naive und vernunftfeindliche Einstellung zum Ausdruck. Mehr noch beunruhigt ihn die mediale Entwicklung in der Gesellschaft: Medienkonzentration, Profitorientiertheit, Manipulation. Dem „Vormarsch von Dummheit und Aberglauben, von Propaganda und Manipulation“ lässt sich, das ist seine Botschaft, nur mit den Instrumenten des kritischen Denkens und der reflektierten Distanz entgegen treten. Dabei beansprucht er mit seiner Arbeit keine Neuerfindung oder Neudefinition des gesellschaftlichen Zustandes; er will die Zustände mit ausgewählten Beispielen benennen und in einer für den Alltagsgebrauch nützlichen Sprache ausdrücken.

Aufbau und Inhalt

Dabei beginnt er mit einer interessanten Passage aus dem Buch von Carl Sagan (1934 – 1996), dem „Quatsch-Detektor“ (Der Drache in meiner Garage oder Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven, München 1997). Wenn man will, sind die dort aufgeführten neun Parameter ein Maßstab für Baillargeons Sorgen. Der etwas reißerisch klingende und auch irgendwie manipulativ anmutende Teiltitel der deutschen Ausgabe „Crash-Kurs“ hat in der französischsprachigen Originalausgabe keine Entsprechung: „Petit cours d’autodéfense intellectuelle“.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Kapitel werden mit dem „Werkzeugkasten des kritischen Denkens“ die Instrumente diskutiert, die als „Worte“ in der Vielfalt von Bedeutungen, Mehrdeutigkeiten, Illusionen und Definitionen über uns kommen. Wie entstehen sie? Welche Logik steckt dahinter? Welche Absicht? Manipulation? In zahlreichen, an Paralogismen und historischen Lehrsätzen orientierten Beispielen nimmt uns der Autor mit auf die abenteuerliche Reise von Behauptung und Beweis, von richtigen und falschen Analogien und führt uns zum zweiten Manipulationsinstrument: Zahlen und Ziffern. Es ist die „Zahlenblindheit“, es sind die Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Statistiken, Korrelationen und Standardabweichungen, die sich in den Ergebnissen, Interpretationen und Präsentationen von Meinungsumfragen niederschlagen. Man muss kein Mathematiker sein, um die Chancen zu erkennen, die sich für eine manipulative Politik dabei auftun, und die Gefahren für eine objektive Meinungsbildung.

Im zweiten Kapitel geht es darum, die im ersten Teil aufgezeigten Grundlagen für Manipulation und manipulative Einflussnahme auf konkrete Situationen umzusetzen. Selbstredend ist dabei erst einmal die Erkenntnis notwendig, dass für die (Be)Wertung von Informationen und Meinungen Wissen gehört. Nicht immer reflektiert wird dabei allerdings, dass bei der Unterscheidung von vermeintlichem und tatsächlichem Wissen die Quellenkritik notwendig ist.

Der Autor nimmt sich im zweiten Teil drei ausgewählte Quellen vor, die er mit dem vorher diskutierten Werkzeugen des Denkens untersucht: Persönliche Erfahrung, Wissenschaft, Medien. Dabei stützt er sich auf die platonische, in unserem westlichen Denken und Philosophieren grundgelegte Definition, dass Wissen eine wahre und wohlbegründete Überzeugung ist. Da sind wir bei der immer wieder missverstandenen und ideologisch missbrauchten Auffassung, dass Glauben und Wissen sich voneinander unterscheiden – oder dass das eine über das andere bestimmt und es dominiert.

Die persönlichen Erfahrungen sind ohne Zweifel eine wichtige Quelle für unsere Denk-, Verhaltensweisen und Überzeugungen; sie bedürfen aber auch der kritischen Betrachtung, um nicht (An-)Schein mit Sein zu verwechseln. Denn die Art und Weise, wie wir etwas wahrnehmen, unterliegt vielfältigen Prägungen, Einflüssen, Wünschen, Hoffnungen, Befürchtungen… Ebenso die Quelle der Erinnerung. Erleben wir nicht oft genug, dass wir beim Erinnern die positiven Erlebnisse überhöhen und die negativen in die Schublade des Vergessens stecken – oder umgekehrt? Also ist auch das Erinnern ein vorsichtig zu betrachtender Gast bei der Konstruktion unserer Überzeugungen. Da ist es angezeigt, vorsichtig zu sein, wenn aus diesen wackeligen Wissensquellen ein Urteil und eine Meinung gebildet werden soll; freilich nicht in der Weise, dass daraus der „Kritikaster“ entsteht oder der „Nihilist“. Es ist wichtig, die verschiedenen Denkmuster, wie etwa die kognitive Dissonanz, den Forer- und den Pygmalioneffekt zu kennen und über die verschiedenen wissenschaftlichen Experimente Bescheid zu wissen, die unsere Wissenstheorien begründen. Wir sind bei der Epistomologie angelangt, und damit bei der Frage, wie intensiv, verlässlich und objektiv die kritische Untersuchung der Wissenschaft, ihrer Prinzipien, Methoden und Schlussfolgerungen ist. Die Aufmerksamkeit darauf erscheint vor allem deshalb wichtig zu sein, weil in unserer „wissenschaftlichen Welt“ die wissenschaftlichen Ergebnisse als absolutes Wissen dargestellt werden, die eine unantastbare Wahrheit beinhalten. Allzu selten wird dabei zwischen wissenschaftlichen, proto- und pseudowissenschaftlichen Aussagen unterschieden; und es entstehen dabei Meinungen und Politiken, die einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standhalten. Baillargeon schlägt dafür das Seach-Modell vor, was bedeutet, nach der Aussage zu suchen (S), den Beweis zu eruieren (e), mit anderen Hypothesen zu arbeiten (ar) und alle Hypothesen zu checken (ch), um wissenschaftliche Hypothesen, Aussagen und Theorien zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Schließlich nimmt sich der Autor die Medien vor, die ohne Zweifel als die größte Quelle von tatsächlichen und manipulierten Informationen, Meinungsbildungen und Manipulationen genannt werden müssen. Dabei ist die Gradwanderung zwischen Information und Propaganda, zwischen demokratischen und autoritären Strukturen, gerade bei den Medien ein gefährlicher Balanceakt. Mit einunddreißig nützlichen Tipps plädiert der Autor für den kritischen Umgang mit den Medien; durchaus ein Muster für die notwendige, schulische und außerschulische Bildungsaufgabe.

Fazit

Der Ritt durch die Ebenen und Berge, die gepflasterten, asphaltierten Straßen und unebenen Wege, die Hinweis- und Verbotsschilder, die unsere Suche nach Wahrheit und Manipulation begleitet haben, hatten ja zum Ziel, zu einer intellektuellen Selbstverteidigung zu kommen. Dass dies nicht mit Rezepten möglich ist und auch nicht mit Ja-Ja- oder Nein-Nein-Antworten, hat uns der Sagansche Quatsch-Detektor gezeigt. Dem Autor ist es gelungen, diese schwierige, anspruchsvolle und intellektuelle Anforderung an unseren Verstand anschaulich darzustellen und Mut zu machen, kritisch hinzuschauen, wenn „unumstößliche“ Wahrheiten verkündet, „alternativlose“ politische Programme schmackhaft gemacht werden sollen, oder einfach die „alltägliche“ Nachricht gesendet wird; denn wie war das Aristoteles? Logos ist Vernunft, Rede und Sprache; und weil der Mensch ein zôon politikon, ein politisches, sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen ist, deshalb ist es existenziell wichtig zu verstehen, dass „nur die Vielfalt und der Facettenreichtum seriöser Information (uns) erlauben, die Welt zu begreifen und angemessen zu handeln“.

Für Medienkritik, für das Durchschauen von Manipulationstechniken und –methoden, in der Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung, stellt das Buch „Intellektuelle Selbstverteidigung“ eine Fundgrube dar und hält zahlreiche Aha-Erlebnisse bereit.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1678 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 27.01.2010 zu: Normand Baillargeon: Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung. Riemann Verlag (München) 2008. ISBN 978-3-570-50093-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8909.php, Datum des Zugriffs 03.12.2024.


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