Ap Dijksterhuis: Das kluge Unbewusste
Rezensiert von Diplom Sozialpädagogin Sabine Stahl, 30.03.2010
Ap Dijksterhuis: Das kluge Unbewusste. Denken mit Gefühl und Intuition. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2010. 240 Seiten. ISBN 978-3-608-94560-7. 19,90 EUR. CH: 31,90 sFr.
Thema
„Denken mit Gefühl und Intuition“ heißt der Untertitel des Buches. Es geht um die Rolle des Unbewussten in unserem Alltag. Entscheidungen zu treffen ist oft verbunden mit langem Grübeln und Abwägen der verschiedenen Seiten. Die Frage, ob es nicht besser ist, das Unbewusste entscheiden zu lassen ist eine, die das ganze Buch begleitet. Eine Vielzahl von Studien führt den Leser durch die aktuellen Annahmen der Psychologie zum Thema „Denken und Fühlen“.
AutorIn oder HerausgeberIn
Ap Dijksterhuis, geboren 1968, Promotion in Nijmegen 1996, 2000 Dozent in Amsterdam. Derzeit Professor für Sozialpsychologie an der Radboud Universität Nijmegen in Holland. Er war Research Fellow der Royal Dutch Academy of Arts and Science in Amsterdam. Herausgeber des European Journal of Social Psychology. Die Theorie des unbewussten Nachdenkens ist eines seiner bekanntesten Forschungsgebiete.
Aufbau
Vorwort von Gerhard Roth.
- Das Bewusstsein: ein sinkender Stern.
- Das Unbewusste.
- Die unbewusste Wahrnehmung.
- Die unbewusste Meinung.
- Unbewusste Entscheidungen.
- Unbewusste Kreativität.
- Unbewusste Aktivität – Teil I.
- Unbewusste Aktivität – Teil 2.
- Das nutzlose Bewusstsein?
Ein Wort zum Schluss.
Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis.
1. Das Bewusstsein: ein sinkender Stern
„Das eingebildete Bewusstsein“ als Überschrift beschreibt die viel größere Bedeutung des Bewusstseins, die wir ihm beimessen, als es tatsächlich hat. Das Bewusstsein als „Krone der Evolution“ wird im ersten Kapitel auf seinen „realen Platz“ verwiesen. Dijksterhuis geht auf verschieden Irrtümer ein. Irrtum 1: Das Bewusstsein als Sitz der Vernunft impliziert auch, dass wir durch langes und gründliches Nachdenken zu den besten Ergebnissen kommen. Irrtum 2: Bewusstsein ist eine typisch menschliche Eigenschaft. Irrtum 3: Das Nichtvorhandensein von Bewusstsein ist nicht bzw. schwer vorstellbar. Das Bewusstsein zu verlieren erzeugt Angst, die eigentlich unbegründet ist. Denn wo kein Bewusstsein, da kein Grund für Angst. Irrtum 4: Das Bewusstsein gibt in unserem Gehirn den Ton an. Diesem Irrtum widmet Dijksterhuis ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Das anarchistische Gehirn“. In unserem Gehirn gibt es keinen Chef im Sinne eines „Fädenziehers“, eher eine Art „Pressesprecher“. Er wird über Entscheidungen informiert, ist aber an der Lösungsfindung nicht unmittelbar beteiligt. Das Bewusstsein erzeugt also häufig die Illusion, dass es unser Verhalten und unsere Entscheidungen steuert. Eine Studie von Aronson & Mills untersuchte Aufnahmerituale von Studentenverbindungen. Je grausamer diese waren, umso verbundener fühlten sich die Studenten danach. Diese Verbundenheit erklärten sich diese aber mit anderen Argumenten (nette Menschen, tolle Verbindung) und nicht mit den Ritualen. Nisbett & Wilson ließen Versuchsteilnehmer aus vier identischen Unterhosen die beste aussuchen. Die Argumente der Teilnehmer waren blanker Unsinn (z.B. besserer Stoff, etc.). Ausgesucht wurde meist die am weitesten rechts liegende. Menschen treffen also Entscheidungen und suchen im Nachhinein nach passenden Erklärungen. Das Bewusstsein vergleicht Dijksterhuis auch mit einem Abakus, während das Unbewusste mit einem Computer zu vergleichen sei. Als „cartesische Katastrophe“ nach Köstler bezeichnet der Autor die Annahmen Descartes, dass Körper und Geist strikt getrennt sind und dass jede mentale oder psychische Aktivität bewusst ist.
2. Das Unbewusste
„Das Unbewusste nach Descartes und vor Freud“ als Überschrift beschreibt auch den Inhalt des Kapitels. Dijksterhuis bezeichnet das „moderne Unbewusste“, als dass, was die aktuelle psychologische Wissenschaft darunter versteht. Der Sitz des Bewusstseins im Gehirn wurde schon vielfach benannt, hat sich aber immer wieder als falsch herausgestellt. In diesem Teil beschreibt der Autor einen geschichtlichen Abriss der verschiedensten Ideen und Annahmen u.a. von Locke, Leibniz, Norris, Kant Wundt, Nietzsche, etc. Danach folgt im Kapitel „Sigmund Freud und Hieronymos Bosch“ eine Unterscheidung von Freuds Verständnis des Unbewussten und dem oben erwähnten „modernen Unbewussten“. Dijksterhuis räumt ein, dass die allgemeinen theoretischen Ansichten Freuds über das Unbewusste „gar nicht so falsch“ waren. Die „Klinische Arbeit“, die ihn ja bekannt gemacht hat, aber einige gravierende Mängel aufweist. Freud stellte das Unbewusste häufig als primitiv dar und unterschied in Vorbewusstes und Unbewusstes. Aktive Unterdrückung und Verdrängung waren zentrale Thesen. Diese Annahmen sind mittlerweile alle überholt. Es gibt so gut wie keine wissenschaftlich haltbaren Beweise für Verdrängung, vielmehr ist bekannt, dass traumatisierte Menschen unter ihren Erinnerungen leiden. Die Unterscheidung in das „gute und kluge Bewusstsein“ und das „schlechte und dumme Unbewusste“ sollte also endgültig überholt sein. „Das moderne Unbewusste“ besteht aus unbewussten psychischen Prozessen, die unser Verhalten beeinflussen. Das Unbewusste verrichtet die Arbeit und informiert das Bewusstsein über das Resultat ist eine Annahme, die im Folgenden anhand einiger Beispiele erläutert wird:
- Cocktailparty-Effekt.
- Thin-Slices-Verhalten.
- Experiment über den Sitz des Denkens von Watt.
- Unbewusstes Wissen.
Dijksterhuis beschreibt am Ende des Kapitels worum es in diesem Buch geht und worum nicht. Nach einer Erläuterung der Kapitel verweist er darauf, dass dieses Buch kein Selbsthilfe Buch sei und kein Buch über das Freudsche Unbewusste. Sondern ein Buch über Psychologie, das Einsichten in menschliches Verhalten vermittelt.
3. Die unbewusste Wahrnehmung
„Was alles sehen wir?“ ist die einleitende Frage zu diesem Kapitel und wird erläutert mit der Alltagssituation, im Auto eine bekannte Strecke zu fahren, ohne z.B. Veränderungen (ein neues Geschäft) unterwegs wahrzunehmen. Trotzdem kommt man am Ziel an, d.h. wir nehmen wohl mehr wahr als uns bewusst ist. Dies machen sich z.B. auch Werbebotschaften zunutze. Wenn unser Unterbewusstes also mehr wahrnimmt so stellt sich die Frage, ob es auch sensibler ist. Fechner & Weber untersuchten im 19. Jhd. die Sensibilität der Wahrnehmung. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der gerade noch wahrnehmbare Unterschied (sie gaben ihren Versuchspersonen Gewichte in die Hände und diese sollten unterscheiden welches schwerer war) eine relative Größe ist und das die verschiedenen Sinnesorgane hinsichtlich ihrer Sensibilität große Unterschiede aufweisen. Peirce & Jastrow nutzten diese Erkenntnisse und erforschten zusätzlich die Frage, wie sicher sich die Probanten in ihren Beurteilungen waren. Diese Untersuchungen waren die Vorläufer zur Auseinandersetzung mit der „subliminalen Wahrnehmung“. Darunter versteht man eine Wahrnehmung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Bewusstseins. Dijksterhuis unterscheidet zwei Arten des Umgangs mit diesem Thema: 1. es gibt wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema und 2. jede Menge abenteuerlicher Gerüchte. Debner & Jacoby konnten in einem aufwändigen Experiment zeigen, dass subliminale Wahrnehmung existiert und im Folgenden werden Beispiele dafür benannt:
- Mere-Exposure-Effekt.
- Negativitätseffekt.
- Evaluative Konditionierung.
Anscheinend spielt subliminale Wahrnehmung hauptsächlich bei grundlegenden Lernprozessen eine Rolle und hilft uns u.a. Gefahren schnell zu erkennen. Auf den folgenden Seiten werden mehrere Beispiele für Unsinniges zum Thema aufgeführt. Den Ursprung der Behauptungen sieht Dijksterhuis 1957, als Vicary behauptete Kinobesucher mit Kurzeinblendungen im Kino zu mehr Konsum von Coke und Popcorn veranlasst zu haben. Vicary selber gab einige Jahre später zu, dass die Untersuchungen gefälscht waren. Weiter geht es mit angeblich rückwärts zu hörenden Botschaften in Musikstücken (Beatles, Judas Priest, House Musik, etc.) über versteckte Botschaften in Filmen, Wahlwerbespots von Bush und der Selbsthilfeindustrie mit Anleitungen zu mehr Selbstvertrauen, etc. Die meisten Untersuchungen zeigten, dass das Konsumenten- und Wählerverhalten sich durch subliminale Botschaften nicht beeinflussen lassen. Dijksterhuis weist darauf hin das „unbewusste Wahrnehmung die Summe der gewöhnlichen, bewussten Wahrnehmung und der subliminalen Wahrnehmung“ ist. Am Ende des Kapitels werden noch einige Wahrnehmungslücken erklärt. Die „Unaufmerksamkeitsblindheit“ beschreibt, dass wir Dinge übersehen, auf die unsere Aufmerksamkeit nicht gerichtet ist. Populärstes Experiment von Simon & Chabris dazu ist der „Gorilla“, der durch ein Basketballspiel läuft. Da die Versuchspersonen damit beschäftigt sind, die Ballabgaben zu zählen, „übersehen“ ihn die meisten. Die „Veränderungsblindheit“bezieht sich auf übersehene Veränderungen in bekannter Umgebung.
4. Die unbewusste Meinung
Damit eine bewusste Meinung mit unserer unbewussten Meinung übereinstimmt müssen zwei Vorraussetzungen erfüllt sein. Wir müssen wirklich wissen, welche Meinung wir haben und warum wir sie haben. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist wurde z.B. in dem Experiment „Liebe auf der Hängebrücke“ nachgewiesen. Unmittelbar nach dem überqueren einer gefährlichen Hängebrücke ist die Bereitschaft sich zu verlieben durch die Aufregung erheblich größer, als nach einer Pause zwischen der Überquerung und der Begegnung mit einem potenziellen Partner. Wir treffen also oft eine „unbewusste Wahl“ und meinen nur zu wissen, warum wir uns so entschieden haben. Ebenso verhält es sich mit schnellen Entscheidungen, wenn wir jemandem begegnen. In zahlreichen Tests wurde nachgewiesen, dass der erste Eindruck tatsächlich entscheidend ist. So wurde in einem Versuch mit 70% Übereinstimmung der Politiker ausgewählt, der am kompetentesten „aussah“. Über Inhalte des Wahlprogramms war nichts bekannt. Selbst bei der Wahl des Wohnortes oder sogar der Partner lassen sich Übereinstimmungen mit den Anfangsbuchstaben des eigenen Namens feststellen. Diese sind zwar nicht signifikant, aber dennoch vorhanden. Im Folgenden wird unter dem Titel „Archäologie oder Architektur?“ die Entstehung einer solchen Meinung untersucht. Intensives Nachdenken führt demnach keineswegs immer zum besseren Ergebnis, sondern häufig zu ambivalentem Verhalten. Bewusstes Denken ist nicht geeignet um Zugang zur unbewussten Meinung zu bekommen. Nach der „unbewussten Meinung graben“ hat also kaum Erfolg. Dies ist zum Beispiel bei Forschungen über Diskriminierung relevant. Menschen wollen nicht diskriminieren, tun es aber trotzdem. Hier spielt bei allen Ergebnissen die unbewusste Meinung die entscheidende Rolle. Wir wissen also oft nicht, welche Meinung wir von etwas haben, aber diese unbewusste Meinung beeinflusst unser Verhalten.
5. Unbewusste Entscheidungen
Dijksterhuis beschreibt hier ein eigenes Erlebnis eines Wohnungskaufs, bei dem er kurz entschlossen und schnell zugegriffen hatte, ohne sich das Bad anzusehen. Im Nachhinein plagten ihn heftige Zweifel ob er nicht einen großen Fehler gemacht hatte. Er hat es in den nächsten sechs Jahren allerdings nie bereut. Wir haben oft die Idee eine möglichst große Auswahl und ein breites Angebot wäre erwünscht und würde uns einen großen Wahlfreiraum lassen. Hier werden Experimente beschrieben, in denen das Gegenteil zum Ausdruck kommt. Zuviel Angebot führt eher zu einer Art Lähmung. Im Grunde gibt es „Drei Arten zu wählen“, d.h. man kann Entscheidungen in drei Kategorien einordnen. Schnelle Entscheidungen (ohne Nachdenken), unbewusste Entscheidungen (einen Nacht darüber schlafen) und bewusste Entscheidungen (Vor- und Nachteile abwägen, analysieren, etc.). Der „cartesische Irrtum“ ist zu denken, dass bewusste Entscheidungen „besser“ sind. Hier beschreibt Dijksterhuis ein anschauliches Beispiel beim Kauf einer wertvollen Kunststatue bei der trotz gegenteiliger Gutachten Experten unerklärliche Zweifel an der Echtheit hatten. Erst später stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um eine Fälschung handelte. Bei längerem Nachdenken neigen wir anscheinend dazu uns Argumente auszudenken, die uns verleiten eine „schlechtere“ Entscheidung zu treffen. Wir entwickeln „Dumme kleine Theorien“ auf die wir sonst gar nicht kommen. So hofft man beim Roulette Spiel auf rot, weil dreimal hintereinander schwarz kam, aber „Wahrscheinlichkeit hat kein Gedächtnis“. An dieser Stelle kommen noch einige schöne Beispiele für diese „Theorien“. Auch das Phänomen, etwas zu wissen ohne zu wissen warum und wie das unbewusste Denken funktioniert, wird im Folgenden erläutert und mit Beispielen untermauert. Schopenhauer z.B. glaubte auch, dass das Unbewusste weiter denkt, während sich das Bewusste anderen Dingen zuwendet. In Versuchen konnte nachgewiesen werden, dass die „unbewusst Denkenden“ die besseren Entscheidungen trafen, im Vergleich mit „schnellen“ und „bewussten“ Denkern. Die „unbewusst Denkenden“ mussten, bevor sie eine Entscheidung trafen z.B. noch ein Puzzle bearbeiten und dann ihre Entscheidungen mitteilen; die „schnellen“ sofort und die „bewussten“ hatten so viel Zeit wie sie wollten. Schon ein paar Minuten unbewusstes Denken wirken sich positiv auf komplexe Entscheidungsprozesse aus. Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Meinung, gerade bei komplexen Entscheidungen sei es sinnvoll, möglichst lange nachzudenken, kamen die Forscher zu anderen Ergebnissen. Besonders bei einfachen und weniger wichtigen Entscheidungen (z.B. der Kauf neuer Topflappen) ist es besser, bewusst nachzudenken (weiße Topflappen werden schneller schmutzig als bunte). Während bei komplexen Entscheidungen das unbewusste Nachdenken zu den besseren Ergebnissen führt, bei denen auch nach längerer Zeit eine größere Zufriedenheit festgestellt werden konnte. Bei komplexen Entscheidungen lassen sich drei Phasen unterscheiden:
- Sammeln relevanter Informationen.
- Entscheidung (am besten unbewusst).
- Präzisionsarbeit mit dem Bewusstsein (gibt es einen Haken).
6. Unbewusste Kreativität
Newton, Einstein, Bohr, Freud, Skinner, Wundt sind nur einige der Top-100 Liste der Wissenschaftler von Simmons. Sie alle waren in ihren Gebieten Genies. Über Newton und Einstein sind Aussagen bekannt, die darauf hinweisen, dass ihnen das unbewusste Denken durchaus bekannt war. Ebenso bei Picasso, Mozart und Schriftstellern wie Houseman gibt es Anekdoten über ihre Kreativität, die sich „plötzlich“ äußerte. Das „Aha-Erlebnis“ ist wohl der bekannteste Effekt, den Jeder schon selbst erlebt hat. Um dieses näher zu untersuchen ging man unter anderem der Frage nach, ob man nur durch eine Pause (schlafen), wieder frischer an die Sache herangeht oder ob man wirklich unbewusst denkt. In verschiedenen Versuchen (u.a. Bowers) konnte nachgewiesen werden, dass unbewusstes Denken ein allmählicher Prozess ist und wir anscheinend wirklich unbewusst denken. Das „Eigensinnige“ am Unbewussten ist, dass es manchmal nicht zugänglich ist. Es leitet Informationen nicht immer in wünschenswerter Weise an das Bewusstsein weiter. Es scheint nicht auf Kommando zu arbeiten, sondern eher in Zuständen der Alltagsträumerei zu funktionieren.
7. Unbewusste Aktivität – Teil 1
Dijksterhuis möchte zu Beginn dieses Kapitels zwei Missverständnisse klären. Das erste ist die Vorstellung, der Entwicklung des Menschen liege ein „wohldurchdachter Plan“ zugrunde. Das zweite, dass der Mensch sich sehr lange getrennt von den übrigen Arten und individuell entwickelt habe und sich deshalb von Tieren sehr stark unterscheide. Im Weiteren unterscheidet der Autor zwischen „Sehhandeln“ und „Denkhandeln“. „Sehhandeln“ ist ein Begriff von Hofland und beschreibt die menschliche Eigenschaft zur Nachahmung (z.B. Gähnen). „Denkhandeln“ beschreibt ideomotorisches Verhalten, also die direkte Beziehung aus Denken und Verhalten (z.B. Pendeln). Nachahmung ist auch eine Art „Sozialer Sekundenkleber“. O‘Toole & Dubin konnten in Versuchen mit Müttern und Babys nachweisen, dass nicht, wie angenommen, die Mütter zuerst den Mund öffnen, um das Baby zum Nachahmen anzuregen, sondern umgekehrt. Menschen imitieren also unbewusst und auch belangloses Verhalten wie z.B. mit dem Fuß zu wippen. Zu den Verhaltensarten, die wir häufig imitieren gehören Mimik, Körperhaltung, Gesten und sprachliche Eigenheiten. Menschen, die uns nachahmen bewerten wir als sympathischer. Bei Paaren konnte dieser Effekt ebenfalls beobachtet werden. Interessant sind in diesem Zusammenhang Erkenntnisse zum Autismus. Autistischen Kindern scheint diese Nachahmungstendenz zu fehlen. Im Folgenden werden die Forschungen von Bargh zum Priming beschrieben. Priming ruft assoziiertes Verhalten hervor und zeigt deutlich, dass wir von unserer sozialen Umgebung stark beeinflusst sind. Durch Priming lassen sich auch Stereotype aktivieren, die dann nicht nur Verhalten sondern auch Meinung verändern können. Die Wirkung des Priming hält in der Regel nicht lange an. Trotzdem zeigen die Ergebnisse deutlich, dass wir häufig unbewusst durch unterschiedliche Einflüssen hin und her gerissen werden. Dies erscheint vielen Menschen bedrohlich.
8. Unbewusste Aktivität – Teil 2
„Das Paradox“ im letzten Kapitel ist, dass wir unser Bewusstsein für vieles offensichtlich nicht brauchen. Dennoch wird uns das Verhalten oft kurz vor der Ausführung bewusst. Die Frage nach der Rolle des Bewusstseins bei komplexen Verhaltensweisen ist wissenschaftlich noch nicht abschließend zu beantworten. Libet konnte nachweisen, dass bewusste Prozesse immer das Resultat unbewusster Prozesse sind. Demnach initiiert das Unbewusste das Verhalten und das Bewusstsein trifft ein paar 100 Millisekunden danach die „Entscheidung“. Dijksterhuis beschreibt im Folgenden einige Einwände gegen diese ausführlich beschriebenen Forschungsergebnisse. „Die Illusion des freien Willens“ wird durch Ergebnisse von Wegner untermauert. Menschen wenden offensichtlich eine Menge einfacher Regeln an, um eine einfache Ursache-Wirkung-Beziehung zu konstruieren:
- Prioritätsprinzip: das Timing zwischen den Ereignissen hat hierfür eine entscheidende Bedeutung.
- Konsistenzprinzip: eine stimmige Beziehung zwischen Ursache und Wirkung muss bestehen.
- Exklusivitätsprinzip: eindeutige Zuordnung von Ursache und Wirkung.
Aufgrund dieser Erklärungen neigen Menschen auch dazu „Okkulte Phänomene“ hinter Wirkungen zu vermuten, denen sie eine eindeutige Ursache zuordnen. Beim Tische rücken z.B. spielt das Exklusivitätsprinzip (Jeder denkt, er sei völlig passiv) eine entscheidende Rolle.
9. Das nutzlose Bewusstsein?
Im letzten Kapitel führt Dijksterhuis ein kurzes und eindrucksvolles Plädoyer für den Sinn und die wichtige Bedeutung des Bewusstseins und seiner unverzichtbaren Funktion.
Diskussion
Dijksterhuis gelingt es einerseits zu zeigen, dass ohne das Unbewusste nichts in unserem Alltag entschieden wird und gleichzeitig deutlich zu machen, dass ohne Bewusstsein das Leben keine Lebensqualität hätte. Damit stellt er deutlich eine „Sowohl-als-auch“ Haltung dar und verabschiedet sich von einer „Entweder-oder“ Antwort in dieser Diskussion.
Fazit
Ein absolut wichtiges und lesenswertes Buch. Dijksterhuis gelingt es, das Unbewusste vom Freudschen Staub befreit darzustellen und wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu diesem Thema auf leicht verständliche und humorvolle Weise zu präsentieren. Trotz allem verfällt er nicht in eine Lobeshymne auf das Unbewusste. Er stellt vielmehr klar, was zu welchem Zeitpunkt aufgrund eindeutiger Forschungsergebnisse seine Relevanz und Bedeutung hat und wann eben nicht. Er räumt mit gängigen Klischees auf, wie dem der vermeintlich notwendigen Quälerei, um wirklich gute Bücher zu schreiben. Das Schlusswort ist schon deshalb lesenswert. Ein „Muss“ für alle, die immer noch glauben, alles sei vom Bewusstsein gesteuert und für die, die schon wissen, dass es nicht so ist und noch gute Argumente dafür brauchen. Hochinteressante Ergebnisse im Zusammenhang mit hypnosystemischen Ansätzen und Erkenntnissen aus der Hypnotherapie.
Rezension von
Diplom Sozialpädagogin Sabine Stahl
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Es gibt 5 Rezensionen von Sabine Stahl.
Zitiervorschlag
Sabine Stahl. Rezension vom 30.03.2010 zu:
Ap Dijksterhuis: Das kluge Unbewusste. Denken mit Gefühl und Intuition. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2010.
ISBN 978-3-608-94560-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/8949.php, Datum des Zugriffs 15.10.2024.
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