Christa Diegelmann, Margaret Isermann (Hrsg.): Ressourcenorientierte Psychoonkologie
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 19.06.2010

Christa Diegelmann, Margaret Isermann (Hrsg.): Ressourcenorientierte Psychoonkologie. Psyche und Körper ermutigen. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2010. 259 Seiten. ISBN 978-3-17-020905-3. 29,90 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-17-028664-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Die Diskussion um adäquate Versorgungskonzepte in der Onkologie ist zeitlos aktuell und hat viele Facetten. Mit diesem Band stellen die Herausgeberinnen eine Zusammenschau verschiedener Ansätze und Erfahrungen vor. Im Gegensatz zu vielen anderen Veröffentlichungen steht hier eine stringente Ressourcenorientierung im Mittelpunkt. Die Ressourcenorientierung hat in der Onkologie eine vergleichsweise junge Geschichte, basiert auf neuesten Forschungsergebnissen u.a. aus der Stressforschung und der Neurobiologie.
Auf der Ebene der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten gibt es regelmäßig neue Erkenntnisse zu erfolgversprechenden Therapien. Gleichwohl fehlte es bislang an ergänzenden und integrativen Behandlungsverfahren, die einen verstehensbezogenen, aktivitätsfördernden und vor allem ressourcenorientierten Blick auf das Trauma einer Krebserkrankung vermitteln.
Der vorliegende Band widmet sich dieser Herausforderung, er ist entstanden im Zusammenhang mit dem interdisziplinären Symposium „Psyche und Körper ermutigen – Ressourcenorientierte Psychoonkologie“, das große Resonanz fand.
Was fördert den Bewältigungsprozess bei einer Krebserkrankung, welche Ansätze unterstützen Resilienz? Wie können positive Emotionen durch ausgewählte therapeutische Verfahren aktiviert bzw. reaktiviert werden, was verstärkt sie und wie wirken sich diese Mechanismen aus? Mit welcher/n therapeutischen Haltung/en und in welchem Setting kann Ressourcenförderung erfolgreich gelingen? Diesen und weiteren zentralen Fragen geht der vorliegende Sammelband nach, gibt einen aktuellen Überblick über theoriegestützte Zugänge und praxisbezogene Erfahrungen.
Zu den Herausgeberinnen
Dipl.- Psych. Christa Diegelmann ist psychologische Psychotherapeutin, EMDR/VT Supervisorin und Lehrtherapeutin.
Dipl.-Psych. Margarete Isermann ist psychologische Psychotherapeutin, EMDR Supervisorin.
Beide Herausgeberinnen leiten gemeinsam das ID-Institut für Innovative Gesundheitskonzepte in Kassel, Christa Diegelmann als Fortbildungsleiterin, Margarete Isermann als Forschungsleiterin. Sie sind langjährig Dozentinnen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen mit den Schwerpunkten Traumatherapie und Psychoonkologie.
Aufbau
Das Buch enthält ein Vorwort mit Einleitung von den Herausgeberinnen, weitere vier thematische Schwerpunkte mit Unterkapiteln sowie ein Stichwortverzeichnis
Die Zielsetzung des Bandes besteht darin, einen Überblick zu geben über eine explizit ressourcenorientierte Perspektive in der Arbeit mit traumatisierten bzw. krebskranken Menschen.
Der 259-seitige Band ist in fünf Teile gegliedert:
- Der Band beginnt mit einer Einführung in das Thema.
- Im zweiten Teil werden Trends, Konzepte und Perspektiven in der Onkologie anhand von zwei Beiträgen dargestellt.
- Der dritte Teil befasst sich mit ressourcenorientierten Konzepten für die Psychoonkologie anhand von sechs Beiträgen.
- Mit dem vierten Teil wird der Schwerpunkt gelegt auf Psyche ermutigen.
- Die Aufmerksamkeit im fünften Teil ist gerichtet auf Körper ermutigen.
Teil I: Einführung
Christa Diegelmann und Margarete Isermann führen in die Thematik ein und begründen die Notwendigkeit vielfältiger und interdisziplinärer Herangehensweisen an die Entwicklung psychischer Widerstandskraft (Resilienz).
Teil II: Trends, Konzepte und Perspektiven in der Onkologie
Jörg Beyer stellt Trends und Perspektiven in der Onkologie vor. Er fokussiert zum einen auf eine stärker an der individuellen Situation der Betroffenen ausgerichteten Behandlung, zum anderen auf die Bedeutung und neue Erkenntnisse zur Früherkennung und zur Tumortherapie.
Christof Müller-Busch erläutert neue Entwicklungen in der Palliativmedizin und Schmerztherapie. Er gibt zunächst Einblicke in die dynamische Entwicklung von Versorgungsangeboten in der Palliativmedizin, nachfolgend in ausgewählte Elemente von Schmerzdiagnose und Schmerztherapie.
Teil III: Ressourcenorientierte Konzepte für die Psychoonkologie
Gerald Hüther beschreibt mit Psycho-somatik und Somato-psychik – Die untrennbare Einheit von Körper und Gehirn eine neurobiologische Sicht von Heilungsprozessen und Selbstheilungskräften. Der aufgezeigte Zusammenhang und die wechselseitige Abhängigkeit körperlicher und psychischer Prozesse sind insofern ermutigend, als psychische Veränderungen, insbesondere die (Re-) Aktivierung emotionaler Zentren, eine hilfreiche körperliche Wirkung bei Krankheit entfalten können.
Der Beitrag von Margarete Isermann zu Krebs und Stress: Hinweise aus der Psychoneuroimmunologie für therapeutisches Handeln vermittelt aktuelle Einsichten in die Wirkmechanismen von Stress auf das Immunsystem. Anhand von exemplarischen Elementen zur Stressreduktion bei PatientInnen zeigt sie die Chancen aktivierender ressourcenorientierter Therapie zur Bewältigung auf.
Das Kapitel von Christa Diegelmann zu TRUST: Impulse für einen integrativen Behandlungsansatz – Salutogenese, Resilienz und Positive Psychologie als Fundament beschreibt die Grundzüge eines integrativen ressourcenorientierten Behandlungsansatzes. Zentrale Elemente dabei sind Salutogenese (Antonovsky), Resilienz und Positive Psychologie. Diegelmann vertritt ein therapeutisches Verständnis, das TRUST neben den Möglichkeiten des therapeutischen Verfahrens auch als Haltung auf Seiten der TherapeutInnen versteht – mit positiv ansteckender Wirkung.
Friederike Siedentopf geht ein auf die Integration psychosomatischer Aspekte in die medizinische Behandlung. Am Beispiel der Arbeit in einem Brustzentrum zeigt sie Chancen eines innovativen Behandlungskonzeptes mit vertrauensvoller Kommunikation auf, das nicht nur den betroffenen Frauen ein differenziertes Behandlungsangebot macht, sondern auch die arbeitsbezogenen Belastungen der Teams berücksichtigt.
Christa Diegelmann und Margarete Isermann stellen in ihrem Beitrag auf dem Weg zu einer Ressourcen- und Resilienzdiagnostik erprobte Assessment-Instrumente zur differenzierten Einschätzung individueller Ressourcen-Erfahrungen vor. Eine so ausgerichtete Diagnostik erweitert übliche klinische Diagnoseverfahren um positive emotionenbezogene Elemente und ermöglicht auf dieser Basis differenziertere Behandlungsverläufe.
Der Beitrag von Ibrahim Özkan zu Krebs und Migration: Interkulturelle Sensibilisierung für die psychoonkologische Arbeit verdeutlicht die Notwendigkeit eines interkulturellen Verständnisses bei schwerer Krankheit. Er stellt Grundzüge kausaler Krankheitskonzepte und häufig vorkommender Problembereiche bei der Arbeit mit erkrankten MigrantInnen vor.
Teil IV: Psyche ermutigen
In diesen Bereich führt das Kapitel von Luise Redemann vom Umgang mit eigenem Schmerz in der Begleitung von schwerkranken Menschen ein. Sie nimmt dabei persönlich Stellung zu Leiden, Trauer und Verlust. Reddemann ermutigt, die mit dem Sterben eines nahe stehenden Menschen verbundenen Gefühle anzunehmen, um menschlich und professionell daran wachsen zu können.
Der Beitrag von Anja Mehnert ist der erste von vier Beiträgen, die sich mit Sinnfindung, Spiritualität und Trauer beschäftigen. Mehnert stellt therapeutische Konzepte für sinnbasierte Interventionen vor, die zur Verarbeitung von Belastungen im Krankheitsverlauf besonders geeignet sind.
Christa Diegelmann erläutert TRUST-Interventionen zur Ressourcenförderung und Resilienzstärkung in der Psychoonkologie. Sie gibt anhand von drei Fallvignetten konkrete Einblicke in die therapeutische Arbeit, wie mit dem ressourcenorientierten Ansatz eine Förderung von Resilienz gelingen kann. Die vorgestellten Techniken, Interventionen und Übungen zeigen exemplarisch Wege einer schonenden Krisenbearbeitung und Traumakonfrontation auf.
Der Beitrag von Caroline Heinle befasst sich mit psychoonkologischen Akutinterventionen: Die Anwendung von TRUST im stationären Setting innerhalb eines zertifizierten Brustzentrums. Sie macht aufmerksam auf die enorme Bandbreite von Betroffenheit bei den Patientinnen und damit verbundene Herausforderungen an die Profis. Nicht spezielle Techniken sind entscheidend, sondern vielmehr die Haltung der Profis. Die Hoffnung auf Heilung nicht zu zerstören, eine respektvolle Haltung zu Emotionen wie Angst und Sorgen und zum Phänomen der Betroffenheit sind dabei wesentliche Merkmale.
Die Perspektive onkologischer Rehabilitation steht im Mittelpunkt des Kapitels von Astrid Biskup. Sie erläutert CIPBS im Rahmen der spezialisierten psychoonkologischen Rehabilitation (SPOR). Die von Biskup vorgestellten Behandlungsbausteine vermitteln Einblicke in das CIPBS-Behandlungskonzept, das der (Wieder-)Erlangung von Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Betroffenen hohe Priorität einräumt.
Hanna Wollschläger und Matthias Brieger erläutern mit von Buchstaben und Bildern – Hilfreiche Werkzeuge in der Psychotherapie mit TRUST einen für die Arbeit mit Erwachsenen innovativen Zugang. Die literaturbasierte therapeutische Arbeit mit Texten aus Büchern bzw. Bilderbüchern ist mit kranken Kindern erfolgreich erprobt. Wollschläger und Brieger eröffnen mit diesem kreativen Zugang neue Trigger für den Zugang zu Ressourcen.
Sprechende Steine im Ritual als Ressource bei Schwerkranken sind das Thema des Beitrags von Hannelore Eibach. Dieses Ritual will vermitteln, dass mit körperlicher Bedrohung auch Hoffnung auf tragende Kräfte verbunden sein kann.
Petra Moser stellt in ihrem Beitrag woher nehmen Sie Ihre Kraft? Spiritualität im Alltag die Chancen aktiv gelebter spiritueller Verbundenheit im Alltag vor und gibt Anleitung für eine „alltagstaugliche“ Übung.
Das Kapitel von Daniela Tausch zu wenn das Buffet abgeräumt wird… – Hoffnung vermittelnde Metaphern verdeutlicht die ressourcenfördernde Wirkung hilfreicher Bilder und Metaphern im Alltag von Menschen, die Schweres zu bewältigen haben.
Eine Auseinandersetzung mit Erkrankung, Sinnfragen und Spiritualität liefert der Beitrag von Brigitte Dorst. Sinnfragen benötigen Antworten und zeigen sich besonders in Krisensituationen, bei Verlust oder schwerer Krankheit. Daher benötigen TherapeutInnen eine spirituell ausgerichtete Grundhaltung mit Elementen wie Achtsamkeit, echte Anteilnahme und Ermutigung.
Teil V: Körper ermutigen
Die Beiträge in diesem Schwerpunkt stellen körperbezogene Phänomene in den Vordergrund, die bei einer Krebserkrankung und psychoonkologischer Betreuung eine wichtige Rolle spielen, bislang aber noch wenig thematisiert werden.
Susanne Ditzerläutert in ihrem Beitrag psychoonkologische Beratung und Begleitung von PatientInnen mit tumorbedingter Fatigue aktuelle Erkenntnisse zum häufig unterschätzten und noch wenig bekannten Symptomkomplex von Fatigue.
Die Rolle von Ernährung, Sport und Bewegung bei Krebs in Prävention, Therapie und Rehabilitation steht im Mittelpunkt des Kapitels von Anke Kleine-Tebbe. Sie gibt konkrete Hinweise mit handlungsleitenden Empfehlungen u.a. zum Lebensstil bei Krebs.
Mit dem eher selten aufgeworfenen Thema Krebs und Sexualität: Mut zu Zärtlichkeit und Lust befasst sich Ulrike Völkel in ihrem Beitrag. Sie plädiert für das Auffinden neuer Wege in der Wahrnehmung von Sinnlichkeit und Lust zugunsten eines positiven Lebensgefühls, auch bei schwerer Krankheit.
Kerstin Schwabestellt mit GuoLin-Qigong ein Verfahren vor, das aus der Traditionellen Chinesischen Medizin stammt und mit dessen Hilfe Patientinnen eigenverantwortlich an ihrer Gesundung arbeiten können.
Gabriele Schilling vermittelt in ihrem Beitrag mit Feldenkrais Körper und Psyche ermutigen: Die bewusste Körperwahrnehmung in den Alltag integrieren konkrete Übungen für die bewusstere Körperwahrnehmung im Alltag mit dem Ziel, diese in nahezu automatisierte Bewegungsabläufe zu überführen.
Eine Einführung in zapchen – Entwicklung von Wohlbefinden inmitten von allem, was ist: Sanfte Übungen mit dem Körper aus tibetisch/westlichen Heilweisen steht im Mittelpunkt des Textes von Cornelia Hammer. Diese wenig bekannte sanfte körperbezogene Arbeit fördert den Bewältigungsprozess und hilft Ängste bzw. Spannungen zu reduzieren.
Mit der Energetische(n) Psychotherapie – Bifokale multisensorische Neurostimulation: Techniken und Strategien im Umgang mit Angst, Schmerz und Trauma bei KrebspatientInnen befasst sich der Beitrag von Servatia Geßner-van Kersbergen. Dieses Behandlungsverfahren stützt sich ebenfalls auf die Traditionelle Chinesische Medizin in Verbindung mit weiteren Verfahren wie z.B. Hypnotherapie und NLP. Es kann sowohl in der Behandlung als auch zur Selbsthilfe eingesetzt werden, die Autorin beschreibt einen exemplarischen Handlungsablauf.
Elvira Muffler thematisiert hypnotherapeutische Interventionen zur Symptomlinderung in der Onkologie. Sie zeigt anhand von Interventionen auf, wie Angst, Übelkeit, Schmerzen und Atemnot behandelt werden können. Hypnotherapie kann aufgrund der hohen Suggestobilität durch das Belastungspotenzial einer schweren Erkrankung gut angewendet werden.
Hannelore Eibach stellt in ihrem Beitrag Dann nehmen wir die Höhe dazu: Körpererfahrung durch Morgen- und Abendritual praktische Übungen für körperbezogene Rituale vor. Diese Übungen zielen auf eine erhöhte Balancefähigkeit bei schwerer Krankheit ab.
Zielgruppen
Das Buch wendet sich an Professionelle, die mit onkologischen PatientInnen arbeiten bzw. arbeiten wollen, speziell an PsychotherapeutInnen. Es bietet eine Vielzahl theoretisch fundierter und praxisnaher Beiträge für erfahrene KollegInnen und für AnfängerInnen.
Die Texte sind niveauvoll und gut lesbar geschrieben. Der Band eignet sich sowohl für Profis mit einschlägigen Vorkenntnissen als auch für interessierte Neulinge in der Materie.
Diskussion
Formal und inhaltlich ist das Buch gut gelungen. Eine kleine Anmerkung zu Formalia sei erlaubt: Die Reihenfolge der Kurzbeschreibungen in der Einleitung ist an mehreren Stellen nicht identisch mit der Reihenfolge der Texte. Dies schmälert den erfreulichen Gesamteindruck jedoch nur unwesentlich.
Der Band gibt in beeindruckender Weise Einblicke in die Breite des Themas und macht aufmerksam auf neue Chancen, Erkenntnisse und vielfältige Möglichkeiten für die professionelle Arbeit. Es ist kein klassisches Lehrbuch, sondern vermittelt theoriefundierte Konzepte, konkrete Verfahren und praxisbezogene Hinweise.
Fazit
Die professionelle Arbeit mit krebskranken Menschen braucht ein differenziertes Instrumentarium. Mit diesem lesenswerten Band werden neuartige Vorgehensweisen einer breiten professionellen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Integration dieser Erkenntnisse in die Versorgungslandschaft ist ausdrücklich zu begrüßen.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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