Otger Autrata, Bringfriede Scheu: Jugendgewalt. Interdisziplinäre Sichtweisen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Klaudia Kornblum, 12.08.2010

Otger Autrata, Bringfriede Scheu: Jugendgewalt. Interdisziplinäre Sichtweisen.
VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2009.
261 Seiten.
ISBN 978-3-531-17040-4.
34,90 EUR.
Reihe: VS research - Forschung, Innovation und soziale Arbeit.
Thema
Jugendgewalt ist ein soziales Phänomen, das im vorliegenden Buch aus der Perspektive verschiedensten Einzeldisziplinen - von der Kriminologie bis zur Friedensforschung - erforscht und beleuchtet wird. Ihre unterschiedlichen Beiträge, Einschätzungen und Bewertungen können Perspektiven zum Umgang mit dem Thema Jugendgewalt erweitern, sich gegenseitig ergänzen und Diskussionen beleben. .
Entstehungshintergrund und Aufbau
Im April 2009 veranstalteten Vertreter des Studienbereichs Soziales der FH Kärnten und des Rottenburg-Feldkirchner Instituts für sozialwissenschaftliche Sozialforschung (RISS) in Feldkirchen eine wissenschaftliche Fachtagung zum Thema Jugendgewalt. Im Sinne einer Ergebnissicherung wurde aus den Vorträgen/ Sichtweisen der verschiedenen WissenschaftlerInnen mit unterschiedlichen disziplinären Orientierungen die vorliegende Veröffentlichung erstellt. Der Leser ist nun eingeladen, sich ein eigenes Bild von den unterschiedlichen Perspektiven der AutorInnen und den dahinterstehenden theoretischen Grundannahmen zu machen und eigene Schlüsse zu ziehen. .
Nach kurzem Vorwort und Einleitung folgen die in ihren Fragestellung und Themen höchst unterschiedlichen Einzelbeiträge folgender Referenten:
- Bringfriede Scheu „Ursachen der Jugendgewalt“,
- Hubert Höllmüller „Jugendgewalt aus sozialphilosophischer Perspektive“,
- Susanne Dungs „Anerkennung und Jugendgewalt“,
- Johannes Stehr „Jugendgewalt-Skandalisierungskonzepte und ideologische Kategorie“,
- Bernd Suppan „Jugendgewalt aus rechtlicher Sicht“,
- Rainer Buck „Sozialpolitik und Jugendgewalt“,
- Gerald Knapp „Jugendgewalt und Jugendwohlfahrt in Österreich sowie
- Otger Autrata „Prävention von Jugendgewalt“.
Inhalt
In ihrem Beitrag betrachtet Bringfriede Scheu den Begriff Gewalt unter sprachgeschichtlicher und wissenschaftlicher Perspektive. In den unterschiedlichen Erklärungsansätzen wird Gewalt als Sozialisationsergebnis, als abweichendes Verhalten, als Lernergebnis oder als Lösungsstrategie für innere Widersprüche betrachtet. Gleichzeitig lässt sich Gewalt als aktive Reaktion auf einen wahrgenommenen Mangel an Partizipation definieren. Nach Scheu müssen sich Strategien im Umgang mit Jugendgewalt auf die Behebung solchen Partizipationsmängel konzentrieren.
Hubert Höllmüllers Beitrag beschäftigt sich mit der Einordnung des Phänomens Jugendgewalt in einer als gewalttätig definierten Gesellschaft. Im Gegensatz zu der als bedrohlich eingeschätzten Jugendgewalt, erscheint die Gewalt, die von Erwachsenen ausgeübt wird, als lediglich individuelles und weniger gesellschaftlich bedrohliches Phänomen. Höllmüller befasst sich mit der dahinter liegenden gesellschaftlichen Funktionalität und untersucht, inwieweit Jugendgewalt als Sprache oder Kommunikationsform beherrschbar sein kann.
Susanne Dungs betrachtet das Thema Jugendgewalt unter ethischer Perspektive. Sie führt aus, dass gesellschaftliche Umstrukturierungsprozesse Anerkennung und Integration fraglicher erscheinen lassen. Gelingt die gesellschaftliche Integration und damit Anerkennung nicht, dann ist auch die Achtung anderer eingeschränkt und Gewalttätigkeiten sind eher möglich.
Johannes Stehrs kritisiert die gesellschaftliche Aufregung über Jugendgewalt als „Moralpanik“. Anstatt repressiv auf Jugendgewalt zu reagieren, schlägt er vor, Jugendliche ernst zu nehmen und an für sie wichtigen gesellschaftlichen Vereinbarungen frühzeitig zu beteiligen.
Rainer Buck überprüft in seinem Beitrag die Wirksamkeit sozialpolitischer Maßnahmen, ins. wie sie versucht, Jugendgewalt nicht entstehen zu lassen bzw. sie durch Instrumente der Sozialpolitik zu reduzieren. Am Schluss seines Beitrags entwickelt er Vorschlage für sozialpolitische Interventionen.
Bernd Suppan stellt fest, dass es auch Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, die Behandlung von Gewalttäterinnen in straf- und zivilrechtlichen Verfahren zu beforschen. Er unterstreicht, dass weder aus der Hell- noch aus der Dunkelfeldforschung ein Anstieg der TäterInnenzahlen zu konstatieren ist, der wiederum einen relevanten Eingriff in die Rechtsordnung bedeuten würde.
Gerald Knapp stellt eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung vor. Die krisenhafte Wirtschafts- und Sozialentwicklung wie auch das hohe Maß an Differenzierung der Lebenswelten schlagen sich auf die Lebens- und Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen nieder. Jugendwohlfahrt (in Österreich), so fordert Knapp, muss auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit neuen Überlegungen reagieren.
Otger Autrata befasst sich mit den empirischen Forschungsergebnissen zum Thema Jugendgewalt und versucht auf dieser Grundlage ein Präventionskonzept zu entwickeln. Jugendgewalt lässt sich nach seinem Verständnis als Resultat eines wahrgenommenen Mangels an Partizipation verstehen. Er untersucht, wie Soziale Arbeit auf Partizipationsprozesse unterstützend und fördernd einwirken kann und damit auch den sozialen Raum mitgestalten kann.
Diskussion
Jugendgewalt bedeutet oftmals leidvolle Erfahrungen für Opfer und TäterInnen und ist ein wichtiges Thema gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Debatten. Jugendgewalt, dargestellt in seinen unterschiedlichen Facetten, ist zugleich – wie im vorliegenden Buch vorgestellt – Thema interdisziplinärer wissenschaftlicher Forschungen, Analysen, Grundlagendiskussionen, Positionen und Definitionen. Der vorliegende Band ist aufgrund der Bandbreite der Diskussion sowie der Unterschiedlichkeit seiner dargestellten Ansätze und Diskussionsbeiträge spannend und bietet einen guten Einblick in die Differenziertheit der aktuellen Fachdiskussion mit ihren durchaus unterschiedlichen Zielsetzungen. Dieses setzt zugleich beim Leser ein hohes Maß an Kenntnissen über Theorien und Modelle voraus, die in diesem Band naturgemäß nur angerissen werden konnten und bei entsprechendem Interesse weiter vertieft werden können.
Ebenso unterschiedlich wie die Fachdiskussion sind Interventionskonzepte, Ansatzpunkte oder auch Präventionskonzepte, die sich aus den verschiedenen Diskussionsbeiträgen ableiten ließen. Beiträge zur konkreten Umsetzung von Maßnahmen kann und will dieser vorliegende Band jedoch nicht vorlegen, eher Beiträge zum grundlegenden, interdisziplinären Verständnis des komplexen Phänomäns Jugendgewalt. Eine abschließende Bewertung oder zusammenfassende Diskussion der dargestellten Beiträge enthält dieser Band nicht.
Fazit
Trotz oder gerade wegen des genannten Einwands bietet der vorliegende Band Studierenden wie auch Berufstätigen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit einen guten, grundlegenden und interdisziplinären Beitrag und viele Ansatzpunkte, um eigene Präventionsmodelle, Konzepte und MitGestaltungsmöglichkeiten im Umgang mit dem Phänomen Jugendgewalt zu entwickeln. Die vorliegende theoretische Diskussion, Klärung von Begrifflichkeiten, Verweise auf Analysen und Forschungsergebnisse bieten eine gute Grundlage und ermöglichen zugleich Ansatzpunkte auch interdisziplinärere Zusammenarbeit zu erkennen und zu gestalten.
Rezension von
Dipl.-Päd. Klaudia Kornblum
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
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