Carsten Wippermann, Marc Calmbach et al.: Männer
Rezensiert von Angela Schmidt-Bernhardt, 20.08.2010

Carsten Wippermann, Marc Calmbach, Katja Wippermann: Männer. Rolle vorwärts, Rolle rückwärts - Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2009. 223 Seiten. ISBN 978-3-86649-289-9. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 49,90 sFr.
Thema
Thema des Buches sind die Wandlungen von Geschlechtsidentitäten und Rollenbildern von Männern in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Entstehungshintergrund
Die Studie ist im Rahmen eines Forschungsprogramms des Sinus-Instituts im Auftrag der Abteilung „Gleichstellung“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entstanden. Ziel des Programms ist es, das Spannungsfeld von Rollenbildern und Einstellungen zur Gleichstellung von Männern und Frauen aus der subjektiven Perspektive der Männer und Frauen sichtbar zu machen. In diesem Rahmen werden einerseits Mentalitätsmuster zur Geschlechtsidentität, andererseits unterschiedliche Verhaltensmuster in Paarbeziehungen bei der Erledigung von Aufgaben im Haushalt untersucht. Eine soziologische Grundlage bildet das Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus, das Gruppierungen von Menschen anhand ihrer Wertorientierungen vornimmt. In der Kombination von Grundorientierung und sozialer Lage lassen sich zehn gesellschaftliche Milieus ausmachen, deren Grenzen fließend sind.
Aufbau und Inhalt
Die Studie bietet in einem
Eingangskapitel eine Zusammenfassung der Ergebnisse zu
Befindlichkeiten und Orientierungen von Männern. Diese
Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln anhand der zehn
verschiedenen Milieukategorien ausdifferenziert dargelegt. Am Schluss
runden Fazit und Ausblick das Bild ab.
Ein Überblick über
die zentralen Befunde kann mit der Studie vertraut machen:
- Das Thema ‚Gleichstellung‘ hat bei Männern den Rang des sozial Erwünschten erreicht. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine akzeptierte soziale Norm in beinahe allen Alters-, Bildungs- und Berufsgruppen. Im Detail wird deutlich, dass die Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern zu Gleichstellung von Brüchen und Ambiguitäten geprägt sind. Dies wird an Beispielen zur Aufgabenverteilung im Haushalt innerhalb der Partnerschaft verdeutlicht, die zeigen, dass Einstellungen und Verhaltensweisen nicht durchgängig übereinstimmen.
- Das Spektrum an Geschlechtsidentitäten ist breit gefächert und reicht vom ‚Mann als dem Haupternährer der Familie‘ über den ‚Lifestyle-Macho‘ hin zum ‚postmodernen-flexiblen Mann‘. Verdeutlicht wird dies an der Einstellung dazu, was einen sympathischen Mann beziehungsweise eine sympathische Frau ausmacht.
- Die Studie zeigt, dass Männer im Unterschied zu früheren Generationen bereit und in der Lage sind, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Im Sinne der Reziprozität der Perspektive versetzen sie sich in die Lage von Frauen und nehmen deren Ansprüche und Bedürfnisse ernst.
- Aus den Untersuchungen geht hervor, dass es bei Männern eine ausgeprägte Reflexion und einen privaten Diskurs über das Männerbild und das paradigmatische Modell des Mannes gibt.
- Es lässt sich ein Widerspruch zwischen Gleichstellungsbekundungen und konkretem Verhalten ausmachen. In vielen Milieus sind flexible Rollenbilder in der Praxis noch nicht angekommen. Verdeutlicht wird das an den Befunden zu den Wunschvorstellungen von Partnerschaft und Familie einerseits und den gelebten Familienmodellen – konkretisiert an der realen Aufgabenverteilung im Haushalt - andererseits. Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei den Familienmodellen auseinander: Das gleichgestellte Familienmodell wird weitgehend favorisiert, aber durchaus nicht weitgehend gelebt. Haushaltsaufgaben sind weitgehend nach traditionellem Muster aufgeteilt. Den meisten Männern erscheint eine gleichgestellte Rollenaufteilung als Ideal, eine teiltraditionelle Rollenverteilung hingegen als praktisch, leichter und ökonomisch-rational.
- Für die Kluft zwischen Einstellung und Verhalten werden vielfältige Gründe ausgemacht: strukturelle Barrieren des Arbeitsmarktes; mangelnde positive Leitbilder vom ‚Neuen Mann‘; Reproduktion des traditionellen Rollenbildes vom starken Mann auf Seiten der Frauen.
- Im Gegensatz zu den
Vorgängergenerationen erleben sich die Männer im Dilemma
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dies gilt in besonderem
Maße für die Generation der 35-50-Jährigen, denen es
bewusst ist, dass ihr Engagement im Beruf zu Lasten der Familienzeit
geht. Ein Großteil der Männer erlebt die eigene soziale
Realität als paradox: Im Beruf werden von ihnen traditionelle
Verhaltensmuster verlangt, als da wären volle Verfügbarkeit
und Flexibilität im Einsatz für den Job; hinsichtlich der
Familiensituation sind sie bereit, genau diese traditionellen
Strukturen zu hinterfragen und mehr für die Partnerin und die
Kinder da zu sein.
Handlungsmuster, die aus diesem Dilemma heraus führen, sehen nur sehr wenige Männer. - Männer sehen sich weiterhin als ‚Hauptverdiener‘ innerhalb der Familie; im Gegensatz zu den Frauen haben sie nach eigener Einschätzung nicht das Recht, die Rolle des Zuverdieners innerhalb der Familie einzunehmen. Hier liegt innerhalb der Partnerschaft und Familie Sprengstoff, da viele Männer sich von den Frauen, die ihnen vorwerfen, die alte Rollenverteilung zu perpetuieren, in ihrem Dilemma unverstanden fühlen.
- Der Begriff des ‚Neuen Mannes‘ wird weitgehend als Leerformel empfunden. Die Mehrheit der Männer distanziert sich vom alten Rollenbild, nach dem persönliches Glück vor allem in Beruf und Karriere zu finden sei; konkrete Vorbilder für das Füllen der Chiffre vom ‚Neuen Mann‘ sind jedoch kaum vorhanden.
Veranschaulicht durch zahlreiche
Schaubilder legen Wippermann, Calmbach und Wippermann
differenziert die genauen Ergebnisse der Studie dar. Wesentlich ist
dabei, dass die Unterschiede hinsichtlich der Einstellung zu
Gleichstellung und der Umsetzung von Gleichstellung nicht allein
entlang der klassischen Merkmale ‚Alter, soziale Schicht,
Lebenslage‘ klassifizierbar sind, sondern in engem Zusammenhang
mit Wertorientierung und Lebensstil stehen. Unterschieden wird hier
zwischen drei Grundorientierungen: Traditionelle Werte,
Modernisierung, Neuorientierung. Kombiniert mit sozialer Lage und
sozialer Schicht ergeben sich die sozialen Milieus. Entsprechend
erarbeitet die Studie die wesentlichen Unterschiede entlang der
Kategorie der sozialen Milieus.
Ohne an dieser Stelle auf Details
eingehen zu können, soll auf folgende Differenzierungen
hingewiesen werden:
- Am geringsten ist das Interesse an Gleichstellung in der modernen Unterschicht und im gehobenen konservativen Milieu.
- In der gesellschaftlichen Mitte ist die Loslösung von festen Rollenbildern am ausgeprägtesten.
- Die Wahl eines bestimmten Familienmodells ist weniger eine Frage der sozialen Lage als vielmehr eine Frage von Lebensstil und Wertorientierung.
- Das Spektrum an milieuspezifischen Vaterrollen ist breit gefächert und geht vom konservativen Vater, über den traditionsverwurzelten Vater, den DDR-nostalgischen Vater, den etablierten Vater, den postmateriellen Vater, den Hedonisten hin zum Experimentalisten.
Diskussion und Fazit
Die vorgelegte Studie wirft ein differenziertes Bild auf männliche Identitätsfindung im Wandel der gesellschaftlichen Strukturen. Deutlich wird zum einen insbesondere das Nebeneinander einer Vielfalt männlicher Rollenbilder. Hervorragend ist zum anderen herausgearbeitet, in welchem Maße die heutigen Männer sich in einer Umbruchsphase zwischen alten und neuen Rollenbildern und Verhaltensmustern erleben.
Das Thema ‚Gleichstellung‘ spaltet, so ein Fazit aus der Studie, heute nicht mehr ausschließlich Frauen und Männer sondern die verschiedenen Milieus und Lebenswelten. Nachdenklich macht bei der Lektüre das Fazit, dass die Transformation zum ‚Neuen Mann‘ radikal privatisiert sei, will heißen, dass es Männern weniger um gesellschaftliche Entwicklungen in der Gleichstellungsfrage geht, als vielmehr um private, im Familienkreis auszuhandelnde Lösungen.
Wie die Transformation von Beziehungen, Partnerschaften, Familien sich weiter entwickeln wird, bleibt eine spannende Frage, die nach Lektüre der Studie von Wippermann, Calmbach, Wippermann noch viele Antworten bereithalten kann.
Ein Manko der Studie soll jedoch nicht unerwähnt bleiben: Das Augenmerk wird nicht auf Männer mit Migrationshintergrund gerichtet; in den genannten Milieukategorien tauchen sie nicht auf. Hier wäre eine Lücke zu schließen.
Empfehlenswert ist das Buch für alle, die an der Analyse von Verzahnung gesellschaftlicher und individueller Entwicklungen interessiert sind; für alle, die sich mit Genderstudien und Geschlechterverhältnissen beschäftigen; für alle, die eigene Lebensentwürfe im größeren Kontext verstehen und entwickeln möchten.
Rezension von
Angela Schmidt-Bernhardt
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg im Fachbereich Erziehungswissenschaft
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