Armin Krenz: Was Kinderzeichnungen erzählen
Rezensiert von Prof. Dr. Lisa Niederreiter, 10.03.2010

Armin Krenz: Was Kinderzeichnungen erzählen. Kinder in ihrer Bildsprache verstehen. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2010. 3., verb. Auflage. 191 Seiten. ISBN 978-3-8080-0660-3. 15,30 EUR. CH: 24,80 sFr.
Thema
Das vorliegende Buch behandelt in differenzierter Weise Funktion und Bedeutung des Zeichnens für das Kind in seiner Entwicklung und seiner umfassenden Auseinandersetzung mit sich und seiner Lebenswelt. Mit zahlreichen Abbildungen und Auflistungen graphisch vereinfachter bildnerischer Merkmale versehen versteht sich der Band als Hilfestellung und Anleitung zu systematischer Deutung von Kinderbildern und ihrem Erzählwert.
Autor und Entstehungshintergrund
Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf langjährigen auch psychotherapeutischen Erfahrungen des Autors in der Arbeit mit Kindern, ihren Eltern und Professionellen aus Einrichtungen außerfamiliärer Erziehung sowie auf vergleichenden Untersuchungen und Auswertungen von mehreren Tausend Kinderbildern. Der Autor ist seit vielen Jahren lehrender und forschender Fachmann bzgl. kindlicher Ausdrucksformen in der Elementarpädagogik.
Aufbau
Der Band ist in 12 kurze Kapitel gegliedert, welche mit eher alltagssprachlichen themenspezifischen Fragen zu den Eigenarten von Kinderzeichnungen überschrieben sind, die auf einen praxisnahen, wenig systematischen Aufbau oder entsprechende Theorie/Praxis Bezüge schließen lassen.
Inhalt
Das Buch behandelt auf der Basis zahlreicher kleiner Fall- und Bildbeispiele aus der pädagogischen Praxis mögliche Deutungszusammenhänge von stilistischen Bildeigenschaften und deren wahrscheinlichen Aussagewert für das zeichnende Kind.
Vorab werden hierzu in Kapitel zwei allgemeine psychologische und pädagogische Hinweise zur wichtigen Funktion des Zeichnens für die kindliche Entwicklung gegeben, wobei dies nicht auf einem vertieft wissenschaftlichen Niveau geschieht.
In den Kapiteln drei und vier werden Zuordnungen von seelischen Bedeutungen zu bestimmten zeichnerischeren Grundbewegungen (z.B. stehen, hüpfen, kriechen…) sowie zu den zwanzig differenzierbaren graphischen Kritzelzeichen (Grapheme: Wellenlinie, Schleife, Kurvenlinie…) vorgenommenen. Dieses Herzstück des Buches sensibilisiert gerade den Laien für die hohe Ausdifferenziertheit und die mögliche (seelische) Bedeutung graphischer Spuren bereits in den Kritzelzeichnungen kleiner Kinder, die noch wenig Abbildcharakter aufweisen. Bei der Deutung der einzelnen Grapheme unterscheidet der Autor zwischen Bedeutung, Ausdrucks- und Erzählwert.
In den folgenden Kapiteln werden weitere Eigenschaften von Kinderbildern (Farben, Symbole, Raumaufteilung, Umgang mit den Bildern) vorgestellt und auf ihren Ausdrucks- und Mitteilungsgehalt für das Kind untersucht. Dazu zieht der Autor Wissensbestände beispielsweise aus der Raum- und Farbsymbolik heran und wendet sie auf Kinderbilder an.
In Kapitel neun fließen die vorab systematisch erarbeiteten und mit Bedeutungszuschreibungen versehenen Merkmallisten in eine exemplarisch vertiefte Interpretation von einzelnen Kinderzeichnungen zusammen.
Kapitel zehn und elf vermitteln wertvolle Hinweise zur Unterstützung kindlicher Zeichentätigkeit und umfassende weiterführende Literatur.
Diskussion
Der umfassende Band zu den einzelnen Merkmalen von Kinderbildern und den ihnen vom Autor zugeordneten seelischen Bedeutungen legt nahe, Kinderzeichnungen gänzlich und zweifelsfrei entschlüsseln zu können.
Dazu liegen jedoch in der Fachliteratur unterschiedliche Forschungsergebnisse und Konzepte vor, die der Autor vergleichend, vertiefend und relativierend hätte heranziehen können, um dieses für Praktiker und Eltern bestimmte Buch wissenschaftlich abzusichern.
Nutzt gerade der Laie diese Merkmallisten isoliert, also nicht im Gesamtzusammenhang einer umfassenden Ausdrucks-, Verhaltens-, und Interaktionsbeobachtung eines Kindes, so können die vorgeschlagenen seelischen Be-Deutungen der Bildeigenschaften zu eindimensionalen, pathologisierenden Zuschreibungen bestimmter seelischer Eigenschaften beim betroffenen Kind führen.
Dieses Buch bietet zwar eine breit gefächerte, fachlich durchaus gültige Sensibilisierung für die häufig unterschätzte frühe Kinderzeichnung in ihren Eigenarten und Sinnzusammenhängen für das zeichnende Kind in seiner Auseinandersetzung mit sich und seiner Welt. Die den Merkmalen zugeordneten seelischen Eigenschaften sollten jedoch unbedingt als mögliche Hypothesen und nicht als fixe Deutungen gelesen werden.
Fazit
Bei diesem eher dem Formenkreis gehobener Ratgeberliteratur zuzuordnenden Band handelt es sich um eine auf zahlreichen Fall- und Bildbeispielen beruhende, umfassende, gleichzeitig differenzierte Einführung in die Eigenarten von Kinderbildern in ihrer möglichen (seelischen) Bedeutung und ihrem Erzählwert.
Genaue Zuordnungen von Farb- und Raumsymbolik, sowie zur Bedeutung von Zeichenbewegungen und graphischen Kritzelspuren (Grapheme) vermitteln den Eindruck, Kinderbilder in ihrer Bedeutung genau bestimmen zu können, was wissenschaftlich komplexer gesehen wird, und bei isolierter Anwendung riskant ist.
Rezension von
Prof. Dr. Lisa Niederreiter
Kunst- und Sonderpädagigin, Kunsttherapeutin, Künstlerin
Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
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